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Pionierkalender 1972

Amüsantes/Satirisches · Experimentelles
Kalender für Jungpioniere 1972

Der Onkel meiner Frau, hat mir alte Pionierkalender geschenkt. Er brauch die nicht mehr und weiß, dass ich mich sehr für die alten Zeiten interessiere. War ja selber noch Pionier gewesen, hatte Appelle gehalten und das Halstuch getragen. Sogar noch das rote.
Schaut man sich jetzt mit dem zeitlichen Abstand diesen Pionierkalender von 1972 an, dann wundert man sich, dass die DDR überhaupt bestehen konnte. Eigenartig kommt es einem vor, dass sich die Bürger nicht alle totgelacht haben über den Blödsinn, den die Medien und Parteien geboten haben. Massenhypnose nennt man das und ganz genau sieht man das in diesem Kalender, denn die Kinder wurden ganz besonders mit rotem Zeug eingewoben.
Der Buchumschlag zeigt eine Mondfähre im Weltall. Darauf sitzen zwei Pioniere mit Halstuch und winken dem Leser zu. Hier stecken viele Fehler in dem Bild. Pioniere würden nie den Weltall erobern, eine Mondfähre, fährt auf dem Mond und schwebt nicht durch das Weltall und auch würden Kosmonauten niemals auf dem Raumschiff sitzen. Kosmische Strahlung und so weiter.
Aber eigentlich verständlich, dass man dieses Bild für den Umschlag nahm. So war doch der Kampf um den ersten Menschen im All von der Sowjetunion gewonnen worden. Übrigens der einzige Sieg.
Au f den ersten Seiten stehen die Gebote der Jungpioniere und man darf seinen Namen eintragen. Dann kommen schon die ersten Feiertage. 01.01. Nationalfeiertag der Republik Kuba, 18.01. Gründung der Nationalen Volksarmee.
Zwischendurch stehen Kurzgeschichten eingebunden herum. Eine gleich im Januar ist ganz besonders interessant. Es wird beschrieben, wie die Welt in 28 Jahren aussehen könnte, also im Jahre 2000. „Es wird viele Automaten geben. Kein Krieg mehr. Jeder kann auf den Mond fliegen.“
In den Kalendertagspalten stehen ansonsten noch ganz viele Geburtstage von irgendwelchen Wilhelm Piecks und so weiter. Auch die ganzen Abflugdaten von den ganzen russischen Raumschiffen werden angegeben.
Doch der Grund meines Schreibens sind die lustigen Wochenratschläge. Unter jeder Woche steht ein Ratschlag oder Hinweis. So was lustiges kann keiner erzählen. Man kann es nur über die Zeit retten und jetzt präsentieren.
Ich werde die besten Sprüche auflisten und ein wenig Senf dazu geben.

Januar

„Für bessere Zeugnisnoten sollte man sich noch anstrengen.“

Ach daher kommen die. Mhh interessant.

„Hurra wir gehen rodeln. Machst du mit?“

Eine plumpe Aufforderung sich draußen zu betätigen, damit die Kinder dünn bleiben und schön für den Staat arbeiten können.

„Wann habt ihr das letzte Mal für Vietnam gesammelt?“

Letzten Dienstag, aber stimmt, müsste ich mal wieder machen. Hier wird man darauf hingewiesen, dass man ja solidarisch mit anderen Ländern lebt. Ein dufter Staat indem sogar die Kinder für Vietnam spenden.

Februar

„Schlittre nicht auf der Straße! Du bringst andere in Gefahr!“

Man hört ja öfter, dass einer todgeschlittert wurde. Auf jeden Fall hat man das früher oft gehört. Heutzutage passiert so was nicht mehr, weil es nämlich im Pionierkalender 1972 stand.

„Ansichtskarten zu sammeln macht Spaß, du wirst auch klüger dabei!“

Und zwar ganz doll. Man lernt nämlich viel übers Ordnen und über die ganze Welt. Und man hat ja in der DDR auch so viele Ansichtskarten bekommen. Ganz besonders, wenn die Eltern in Amerika waren. Oft haben sie dann Pionierhalstücher aus Jeansstoff mitgebracht. Da hat man dann das Label abgemacht und es heimlich getragen. Die schönen Postkarten aus Japan, England und Mallorca hat man sich dann in ein schönes Album geklebt.

„Gratuliert euren Freunden von der FDJ zum Geburtstag!“

Na klar, ich in der zweiten Klasse gehe zu den Größeren, gebe ihnen eine Tulpe und kassiere dafür ein paar saftige Arschtritte. Nee macht Spaß.

März

„Für die Mutter sollte jeder Tag wie der Internationale Frauentag sein!“

Häh und wieso heißt dann nicht jedes Jahr Internationales Frauenjahr? Außerdem was ist dann mit den Männern? Gibt es nicht Gleichberechtigung. Sollte dann nicht jeder Tag auch ein Männertag sein? Wo aber bleiben die Kinder? Sollte dann nicht auch.....

„Überprüfe dein Fahrrad! Ist alles in Ordnung?“

Nein natürlich nicht, aber ist nicht so schlimm. Ich klau dann nächste Woche ein neues Fahrrad von irgendeinem Pleppo, der kein Pionier ist. Strafe muss bekanntlich sein.

„Der Frühling hat sich eingestellt. Hast du ihn schon entdeckt?“

Da muss ich mal überlegen. Nee hab ich glaub ich nicht und wenn ich ihn entdecke, dann gehe ich sofort zur Staatssicherheit und melde dieses Erscheinen. Das verspreche ich bei meinem Eid, auf Seite zwei, dieses Land zu lieben.

April

„Über welche gute Tat kann deine Gruppe berichten?“

Meine Pioniergruppe berichtete vorletzten Monat das wir 800 Megatonnen Altstoffe gesammelt haben. Weiterhin hat der Erwin einer alten Frau über die Strasse geholfen. Leider hat aber ein Gruppenmitglied eine Kaufhalle aufgebrochen und wurde dabei erwischt. Das hat unsere guten Taten wieder ausgeglichen.

„Seid ihr zur „kleinen Friedensfahrt“ bereit?“

Nun hab ich mich schon seit einem Jahr auf die große Friedensfahrt vorbereitet, hab trainiert wie ein Arsch und nun bieten sie mir die kleine Friedensfahrt an. Danke.

„Schmückt das Bild Ernst Thälmanns in eurem Klassenzimmer“

Ist das der Typ mit der Mütze, der Bären gezüchtet hat? Oder der Typ mit der Brille daneben? Ach egal, schmück ich halt beide.

Mai

„Mit frisch gebügeltem Pionierhalstuch geht man zur Maidemonstration“

Mein Papa malt sich mit Kuli aus Protest Hakenkreuze auf den Schlüpfer und geht mit ihm an den Regierungsleuten vorbei.

„Bitte deine Eltern, dass sie dir von den Soldaten der Sowjetarmee erzählen!“

Jürgen. Die Sowjetsoldaten haben unsere schöne DDR besetzt. Behalte es für dich, aber das sind alles Hühnerbumser.

Um nun alle Sprüche und Tipps zu bringen, genügt der Text nicht aus. Alles in allem, hat man die Jungpioniere total verarscht. Durch die Sinnlosigkeit ihrer Handlungen, sollten sie auf einen sinnlosen Krieg vorbereitet werden. Laufend mussten sie zu irgendwelchen Gedenkfeiern und das schlimmste war, dass es da gar keinen Alkohol gab. Gut, dass kommt mir erst heute schrecklich vor. Damals hab ich es nicht vermisst. Wusste ich doch nicht um dieses schöne Berauschtsein. Die Pioniere waren auch schon fast ausgebildete Soldaten. Oft besuchten sie ihre Freunde die Soldaten und durften da auch schon mal, natürlich aus Quatsch, durch den Schlamm robben oder Luftballone aus einem Baum schießen.
Die Kinder wussten natürlich nicht um die Zweckfreundschaft. So wurden sie geschult. Der Kalender ist und war nur ein kleiner Teil des großen Hypnoseplans, aber lustig.
 
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Kommentare  

sehr sehr gut........und leider auch noch bitter wahr.
glücklicherweise fiel den meisten die rosarote brille vom ideologischen rollkommando irgednwann ab.

mit sozialistischem gruss: "teddy lebt!"


TedStriker (19.01.2004)

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