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4 Seiten

Piratenliebe

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Yassy
Er betritt den Raum.



Tatsächlich betritt er ihn, obwohl in meiner Vorstellung sofort alle Geräusche um mich herum eingestellt werden und ein heller Lichtstrahl auf ihn herabfällt.



Sein herrliches Lächeln vermischt sich mit dem Blick schuldiger Schoko-Unschulds-Augen und die bedrückte Stimmung, die eben noch in mir getobt hat, vermischt mit zuviel Champagner und leeren leblosen Worthülsen, die ich auffangen musste, hebt sich mit Tausenden kleiner Schmetterlingsflügel und macht mir Herzklopfen und ein leichtes Schwindelgefühl.



Die Hose steht ihm gut, aber mein Vorstellungsvermögen zeigt mir gleich, dass ich seine Kleidung eher als Muss betrachten kann.

Auch das Shirt passt zu ihm. Genau sein Stil. Er hat es mal wieder auf den Punkt gebracht.



Ich bilde mir ein, dass von irgendwo her Musik spielt und versuche, mich an das nächstbeste Glas zu klammern, bevor ich in seinem Anblick ertrinke.



Natürlich ist er gleich von Menschen umringt und selbstverständlich werden alle begrüßt.

Klar.

Ich lasse ihm Zeit - Küßchen hier, Küßchen da - er hat mich noch nicht gesehen, aber ich weiß, dass er gleich Ausschau halten wird.



Der Mann zum Angeben.



Nein, ich bin geduldig und genieße es, wie er im Rampenlicht steht und ebenfalls erstmal Worthülsen schluckt und weitergibt.

Der typische Small Talk eben, von dem die Wissenschaftler behaupten, er sei notwendig, damit man sich selbst beweist, wie viele Leute man kennt. Und wie toll man ist.



Woran sie das wohl geprüft haben? Hätten diese alten Knacker an ihm geforscht, wäre das Ergebnis vielleicht ganz anders ausgefallen.

Er jongliert mit den Worten und bildet Brücken, die dann zum nächsten Thema führen und sich danach in Luft auflösen.

Er redet sich selbst aus dem Gespräch und langsam wird er unruhig, lässt ihre Blicke nervös umherfliegen.



Ich ziehe mich weiter zurück, weg von den Menschen, den Bewunderern, den Small Talkern und den Langweilern.

Lieber in die Schatten der Party, in die Tiefen von zwanzig prozentigen Getränken, um ihn weiter zu beobachten und um mit dem warmen Gefühl im Bauch und dem Schleier im Kopf allein zu sein.



Dies ist eine von den Partys, die man nur lebendig durchsteht, wenn man schon angeheitert ist, wenn man hier auftaucht.

Natürlich habe ich mich strikt an diese Regel gehalten und bin so ganz gut durch die Mauer von pseudofreundlichen und egofütternden Monstern gekommen, deren Münder die Lizenz zum Töten nutzen, indem sie hochgiftige Sätze benutzen wie "ach, meine Freundin hat schon wieder einen Preis gewonnen" oder "Ist mein Kleid nicht schön? Viel zu teuer eigentlich, aber bei MEINEM Einkommen..."



Eine typische Promi - Party eben, mit Cocktails und Stars und Sternchen aus allen Bereichen.

Nein, absolut nicht mein Gebiet.



Aber ab und zu muss das sein - und den größten Teil übernimmt er jetzt im Nachhinein für mich, indem er die Meinung derer zurechtbiegt, bei denen ich mich unbeliebt gemacht habe.

Wenn Alkohol und mein Verstand miteinander reagieren, kann das Reaktionsprodukt manchmal negative Auswirkungen mit sich ziehen und schlechten Eindruck bei einigen Personen hinterlassen, mit denen ich mich dann so unglaublich nett unterhalten habe.



Meine Libido spielt mir einen Streich und lässt nicht ganz jugendfreie Bilder vor meinen Augen entstehen, in denen er die Hauptrolle spielt.

Als ich den letzten kläglichen und viel zu warmen Rest irgendeines Cocktails runterkippe, nimmt das Ganze illegale Ausmaße an.

Scheiße, ich muss mich setzen.

Schnell durch die Reihen und Grüppchen der herumstehenden Hirnlosen geschlängelt zu irgendeiner Wand, die sich stark und unumgänglich vor mir aufbaut.

Gut ist das.



Langsam setze ich mich, wodurch der Boden bedrohlich zu schwanken anfängt, und lehne mich an die Wand.

Konzentrieren, nichts weiter, gewisse Bilder vor meinem geistigen Auge ignorieren und auf die Wirklichkeit konzentrieren.



Wo ist er?



Von meinem zufällig gut gewählten Platz kann ich viele Beine erkennen, die sich alle in irgendwelche Richtungen bewegen.



Lautes schrilles Lachen dröhnt in meinen Ohren und irgendeine hübsche junge Frau versucht, möglichst gerade am Geschehen vorbeizulaufen und dabei noch Sinnvolles von sich zu geben.

Es gelingt ihr nicht, da ihr ein Stuhl in die Quere kommt und ihr Kopf wenig später Bekanntschaft mit meiner Wand macht.



Sie sieht mich böse an. Was kann ich denn dafür?

Ich grinse zurück und stelle mir vor, wie ihr Freund und sie es in der Toilette miteinander treiben.



Die Wirklichkeit, jetzt!

Wieder konzentrieren.



Nebelschwaden ziehen durch meinen Kopf und ich glaube, die Stimme zu hören, nach der ich mich sehne.

Muss doch wieder aufstehen, hilft alles nichts.



Nach zehn Minuten habe ich erstens herausgefunden, dass ich immer noch gerade stehen kann und zweitens, dass ich seine Spur zwischen den Buffetresten verloren habe.



Menno.



Nochmal rein ins Getümmel - sogar gerade gehen klappt noch, ohne gleich mit Stühlen und Wänden ins Gehege zu kommen - und Ausschau halten nach meinem lebenden Versprechen.



Die letzten zwei Tage ohne ihn waren schlimm.



Ich möchte ihn so gern halten und drücken und küssen und...



Die Wandfrau wankt an mir vorbei und versucht, mir ein Bein zu stellen.

Ich weiche geschickt aus und fange sie auf, als sie strauchelt und zu fallen droht.

Mit einem dümmlichen Grinsen, einem fassungslosen Blick und Genuschel, das ich als Dankeschön auffasse, taumelt sie davon und hinterlässt eine Wolke aus Parfüm und Alkoholdunst.

Meine Sehnsucht nach ihm und dem Ende dieses Desasters wächst.



Als ich an der Bar vorbeikomme, ziehe ich kurz einen weiteren Rettungsanker - diesmal mit Ananasstückchen - an Land und wage mich wieder in die Menschenwogen.

Irgendwo in diesem Meer liegt mein Schatz, und ich muss weitersuchen.

Also wird der süße Anker aus Ananas gelichtet und weiter geht's.



Ich betrachte die verschiedenen Klamotten um mich rum und mache mir einen Spaß daraus, deren männlichen Inhalt für mich zu gewinnen.

Nettes Spiel.



Habe ihn immer noch nicht gefunden.



Irgendwo sehe ich wieder rettendes Ufer in Form einer Wand, die sehr solide aussieht und ich wünsche mir, ich könnte mich jetzt daran festhalten und absacken.

Is' aber nicht, ich habe eine Aufgabe zu erfüllen.

Warum muss dieses Gebäude auch so unmenschlich groß sein?

Vorher kam es mir kleiner vor...

Dann, plötzlich und wie aus heiterem Himmel nehme ich den sanften Schein meines Goldes wahr, irgendwo hinter ein paar Felsen in Abendkleidern und Anzügen.



Tapfer mache ich mich auf den Weg - geht auch nicht anders, anlegen ohne Anker funktioniert nicht.



Gestern war eigentlich noch alles in Ordnung, sieht man von seiner Abwesenheit ab. Kann Sehnsucht töten?

Dann bin ich wahrscheinlich schon über zwei Millionen mal gestorben.



Tja, hab mich so gefreut, ihn zu sehen, und jetzt muss ich dafür den Kampf mit einem stürmischen Meer aus lauter bunten Paradiesvögeln auf mich nehmen.



Ein paar Meter vor ihm bleibe ich stehen.



Er sieht mich über die Schulter eines schlanken und in sehr teures Schwarz gehüllten Felsen an.

Er lächelt, und wieder drohe ich zu versinken in seinem Anblick oder meinen Fantasien oder in diesem unendlich tiefen Meer.

Ich versuche ebenfalls ein Lächeln und es klappt sogar, obwohl der Nebel in meinem Kopf zunimmt und meine Beine mir gleich den Dienst versagen.



Er befreit sich aus der Umzingelung und kommt auf mich zu, ganz cool, als wären wir nicht hoffnungslos in diesem Meer verschollen und ohne Anker unterwegs, während das rettende Ufer Meilen entfernt ist und vor meinen Augen zu verschwimmen beginnt.

Sturmwarnung!



Er nimmt die Sache zu leicht, alles, aber als ich ihm von dieser Odyssee erzählen will, fühle ich schon seine Lippen auf meinen und die Wirklichkeit kommt mit einem Schlag zurück, als ich mir bewusst werde, dass er wieder da und bei mir ist und dass er es ist, der mich gerade mit seinen Küssen verrückt macht.



Ich umarme ihn und bin schon wieder kurz davor, zu versinken, in und bei und mit ihm.

Eigentlich ist das Gefühl gar nicht so schlecht.
 
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Kommentare  

Was als Geschichte ausgewiesen war, hat sich als Poesie entpuppt. Und als eine wunderschöne noch dazu!!! Auch von mir ein Dankeschön!

Frank (12.09.2004)

Dankeschön ;)
Ich schreibe zwar Yaoi (sogar ziemlich viel... ^^), aber das hier ist eine Geschichte, die total aus dem Rahmen fällt, weil ich selber nicht weiß, *wer* das eigentlich geschrieben hat.
Leider kann ich nicht auf deine HP, mein Computer scheint ein Problem damit zu haben und hängt sich immer wieder auf.
Deshalb wart ich jetzt auf die versprochene E-Mail.
Aber... DU kannst ja auf MEINE Homepage... *hihi*


Yassy (02.04.2004)

Weshalb steht diese Geschichte eigentlich nicht unter 'sinnlich'? Fast hätte ich sie verpasst und das wäre sehr ärgerlich gewesen (deshalb auch das rote Ärger-Gesicht).
Mir kommt der Ich-Erzähler nicht wie eine Frau vor, obwohl sein Geschlecht ja offen bleibt. 'Piratenliebe' scheint mir vom Stil und Sprach-Rhythmus her mehr in Richtung Yaoi zu gehen. Fünf Punkte gibt's und ich schicke Dir in den nächtsten Tagen noch 'ne Mail, weil ich Deine Geschichte 'erbeuten' möchte. Was es damit auf sich hat, kannst Du auf meiner Homepage www.banzini.de nachlesen (siehe unter Geschichten-Archiv) oder Du wartest auf die Mail.


Norma Banzi (02.04.2004)

;)
Dankeschön *g*

Mehr Stories auf meiner Website... *werbung*


Yassy (28.03.2004)

Piratenbraut! Hisse deine Segel und ein Wind der Liebe trägt dein Schiff ans Ziel. Trunken durch die Unbillen des Partyozeans, aber bestimmt wirst du deinen Schatz finden.

Super Story, five Points ...


 (27.03.2004)

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