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5 Seiten

Netzartig

Fantastisches · Kurzgeschichten
Wie alt ist die älteste Schrift der Welt? Was denken Sie? Fünftausend oder Sechstausend Jahre? Nein, Sie liegen weit daneben, sie ist viel älter, um nicht zu sagen sehr viel älter. Die älteste Bilderschrift ist mindestens dreißigtausend Jahre alt, wahrscheinlich aber noch sehr viel älter, vielleicht sogar über Hunderttausend Jahre. Es sind die Sternbilder. Seit der Mensch die Erde durchstreift, sieht er auf zum Himmel und formt aus den Konstellationen der Gestirne Bilder. Diese Figuren am Firmament erzählen Geschichten vom Bären oder vom großen Jäger Orion. Die Sternen dienten als Kalender, als Wegweiser und als Trostbringer, denn sie schienen ewig in der Dunkelheit und das Band der Milchstraße bildete das Rückrat der Nacht, das die Welt stützte. Später blickten die Menschen auf zum Himmel und fragten sich was hinter den Sternen ist und ob man dem Universum die drei elementarsten Fragen nach dem „Woher wir kommen?“, „Warum wir hier sind?“ und „Wohin wir gehen?“, entreißen können. Ich blickte hinter die Sterne! Denn längst hatten wir Augen erfunden, die nicht nur im sichtbaren Bereich des elektromagnetischem Spektrums gen Himmel schauten, sondern wir betrachteten das All im langwelligem Infrarotbereich und wir suchten das Himmelszelt nach kurzen Gammastrahlausbrüchen ab. Meine Idee war es ein Bild des Himmels zu erstellen, dass die Informationen des gesamten Elektromagnetischen Spektrums enthielt und dieses Ganze noch mit Hilfe der Allgemeinen Relativitätstheorie zu verknüpfen, damit Gravitationskräfte berücksichtigt werden. Eigentlich wollte ich Dunkle Materie nachweisen. Ich entwickelte eine spezielle Software, die aus vielen verschiedenen Datenquellen wie Optischen Fernrohren, Radioteleskopen, Infrarotsatelliten u.s.w. gespeist mit Bits und Bytes gefüttert wurde. Ein Großrechner arbeitete einige Monate um meine komplexen Differenzialgleichungssysteme zu lösen. Als Ergebnis erhielt ich die Materieverteilung rund um unsere Galaxis bis in eine Entfernung von über zehn Milliarden Lichtjahren. Alles schien perfekt, bis auf eine Anomalie, die allerdings erst bei starker Vergrößerung sichtbar wurde. Sie war in dieser ersten Simulation sehr unscharf und sie verband unsere Galaxie mit ihrem nächsten Nachbar, der Andromeda Galaxis. Eigentlich war es eine Ansammlung von Gas und Materie, wie eine Spur, aber die Ursache für diese Ansammlung war eindeutig ein Kosmischer String, der gierig Materie in seiner Umgebung ansaugte. Bis jetzt konnte noch nie ein solches Objekt nachgewiesen werden. Ein Kosmischer String ist ein Faden dessen Durchmesser ungefähr ein Trillionstel des Wasserstoffatoms ist, er ist praktisch eindimensional, ein Kosmischer String ist ein Überbleibsel des Urknalls. Mann kann es sich so vorstellen, wie bei einer Kristallisation, bis sich die Kristalle treffen und eine Grenze bilden. Im Universum ist ein Überbleibsel dieser Grenze ein Kosmischer String Allerdings haben Eineinhalb Kilometer dieser Schnur eine Masse, die der unseres Planeten entspricht. Hatte ich die Dunkle Materie gefunden? Seit vielen Jahren ist den Wissenschaftlern klar, dass die leuchtende Masse, die wir sehen nur einen Bruchteil der Materie im Weltall ausmacht. Aus den Bahnen der Sterne und Galaxien weiß man aber, dass es noch viel mehr Materie geben muss als wir im sehen könne. Man nannte sie die Dunkle Materie. Bis jetzt ließen sich Kosmische Strings nicht nachweisen. Optische Verdopplungen durch einen Gravitationslinseneffekt waren nie eindeutig. Doch nun aus der Zusammenschaltung aller verfügbaren Daten sah ich undeutlich diesen Faden durch unsere Galaxis aus dem Nichts kommen und Richtung Andromeda Spiralgalaxie verschwinden. Neugierig geworden veränderte ich meine Simulation für eine spezielle Suche nach Kosmischen Strings. Ich schaffte es wieder sehr viel Rechenzeit auf einigen Großrechnern zusammenzuschnorren und startete die langwierigen Berechnung von vorne. Das Ergebnis war umwerfend. Es schien, als ob durch alle Galaxien der näheren Umgebung zu unserer Milchstraße einige Kosmische Strings führten. Aber es kam noch besser. Nun versuchte ich die Eigenschaften dieser Fäden zu bestimmen. Nun, sie hatten eine gigantische Masse. Eine der großen ungeklärten Fragen der Kosmologie ist die Suche nach dem Schicksal des Kosmos. Offensichtlich hat es vor Milliarden von Jahren einen Urknall gegeben. Seitdem dehnt sich das Universum scheinbar immer mehr aus. Wie diese Expansion in Zukunft verläuft hängt von der Gesamtmasse des Universums ab. Ist diese Masse groß genug, wird die Expansion auf Grund der Gravitationskräfte langsam gestoppt und danach beginnt eine Kontraktion, die in einem Endknall endet und vielleicht einen neuen Urknall auslöst. Ist die Masse nicht groß genug, dann dehnt sich das All für immer und ewig weiter aus, bis die Sterne und Galaxien verglüht sind und nur mehr Dunkelheit und gigantische Schwarze Löcher übrig bleiben. Bis vor kurzem sah es so aus, als ob die Materie im Universum bei weitem nicht genug sei, um die Expansion des Universums zu stoppen. Meine Entdeckung änderte schlagartig dieses Bild. Inzwischen hatten viele andere Wissenschaftler weltweit damit begonnen, sich mit diesem Phänomen auseinander zu setzten. Es war daher kein Problem für mich noch viel mehr Rechenzeit auf diversen Großrechnern zu ergattern und, noch viel wichtiger, bei weitem mehr Daten aus den unterschiedlichsten Beobachtungsquellen aus fast allen Ländern dieser Erde. Das Ergebnis war umwerfend. Kosmische Strings sind überaus zahlreich im ganzen All vertreten. Sie erfüllen wie ein dreidimensionales Netz das ganze Universum so weit wir es erforschen und beobachten können. Außerdem deuten die Beobachtungsdaten darauf hin, dass eine Theorie ihre Berechtigung hat, die lange Zeit totgeschwiegen wurde, da sie sozusagen einen wissenschaftlichen Sakrileg darstellt, immerhin tastet sie ein Allerheiligstes der Physik an, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. In dieser sogenannten VLS (variable light speed) Theorie ist die Lichtgeschwindigkeit eigentlich immer noch ein Konstante, aber nicht eine globale Unveränderliche, sondern sie hängt von der Zeit und dem Ort ab, an dem sie gemessen wird. In der VLS Theorie war die Lichtgeschwindigkeit kurz nach dem Urknall zum Beispiel sehr viel höher, als jetzt in der Gegenwart. Damit kann man verschiedene Fragen der Kosmologie leicht und auf natürliche Art und Weise erklären, wie die Homogenität des Universums und das Horizontproblem im Gegensatz zu den anderen kosmologischen Theorien, die hier furchtbare „Inflationäre“ Hacken schlagen müssen. Des weiteren sagt die VLS Theorie vorher, dass die Lichtgeschwindigkeit in der Umgebung eines Kosmischen Strings ca. 10 Hoch 39 mal höher ist als im „normalen“ Universum. Einiges deutet darauf hin, dass diese Vorhersage ihre Berechtigung hat. Mein Computermodell deutete aber auch darauf hin, dass Kosmische Strings Supraleitfähigkeit besitzen. Das bedeutet, dass sich ein Stromimpuls widerstandslos mit gigantischer Geschwindigkeit entlang des Fadens ausbreiten kann. Man könnte damit Informationen von einer Galaxis in die nächste sehr viel schneller als mit der normalen Lichtgeschwindigkeit weiterleiten. Natürlich begann eine Diskussion, was denn diese Fäden wirklich zu bedeuten hätten. Eine Fraktion von Wissenschaftlern, sie wurden schnell die „Natürlichen“ genannt, meint, dass die Fäden einfach natürliche Überbleibsel des Urknalls sind und durch ihre Masse das Weltall „schließen“, da sie die Expansion irgendwann einmal stoppen werden und sich danach das Universum wieder beginnt zusammenzuziehen. Eine andere Fraktion, die sogenannten „Außernatürlichen“, die allerdings in der Minderzahl sind, ist der Meinung, dass diese Fäden kein natürliches Phänomen seien, sondern von Wesen erschaffen wurden, um Nachrichten sehr schnell durch das ganze Universum zu verbreiten, ohne der Beschränkung auf die 300000km/sec der Lichtgeschwindigkeit im „normalen“ Raum. Des weiteren könnten diese kosmischen Strings auch als Transportsystem benutzt werden, da man in ihrer Umgebung viel schneller fliegen kann und das sogar ohne relativistische Effekte und so nebenbei hält das gigantische dreidimensionale Netz durch seine Masse das Universum zusammen. Wenn man bedenkt, welche technischen Fortschritte die Menschheit in den letzten 5000 Jahren gemacht hat, um wie viel weiter fortgeschritten sind erst Zivilisationen, die eine Milliarde Jahre Forschung und Entwicklung hinter sich haben, sie können wahrscheinlich Dinge vollbringen, die uns wie Zauberei vorkommen würden, es ist nicht so unwahrscheinlich, dass sie Teile des Universums für ihre Zwecke formen können.
Ich stimme mit keiner der beiden Theorien überein. Gerade habe ich den letzten, dritten Durchlauf meiner Simulation beendet. Noch niemals hatte ich so viele verschiedene Daten und noch niemals soviel Rechenzeit auf parallel geschalteten Großrechnern zur Verfügung. Ich blicke auf den großen Flachbildschirm, mit der Grafik der Galaxien und dem Netz, welches das ganze Universum verbindet. Jetzt weiß ich, woran es mich schon die ganze Zeit erinnert. All die Milliarden und Abermilliarden Galaxien und die Milliarden mal Milliarden Fäden, die sie kreuz und quer verbinden, sie haben in mir ein Bild geweckt und mir läuft es kalt über den Rücken. Bis jetzt war ich der Meinung, dass unser Gehirn das komplexeste Gebilde im bekannten Universum ist. Es besteht aus ungefähr 100 Milliarden sogenannter Neuronen, die im Prinzip jedes mit jedem über Nervenbahnen verknüpft sein können. Die Anzahl der möglichen Verknüpfungen ist wahrscheinlich um einige Zehnerpotenzen größer als die Menge der Elementarteilchen im Universum. Daraus resultiert unser Bewusstsein, unser ich, unser Geist, unsere Sicht der Welt, unser Verlangen die Grenzen zu erweitern. Doch jetzt habe ich ein Gebilde entdeckt, das hier am Computerbildschirm betrachtet, sehr ähnlich aussieht wie ein dreidimensionales Abbild der Nervenbahnen unseres Gehirns, nur das es das ganze Universum netzartig umschließt, wie ein dreidimensionales Netz, das die gesamte Raumzeit auffüllt und wer weiß, sie sogar definiert.
Ist etwa das ganze Universum, in dem auch wir als winzige Staubkörner existieren und verzweifelt versuchen Erkenntnisse zu erringen, ein gigantisches Gehirn, dessen „Nervenbahnen“ die Kosmischen Strings sind, die Informationen ohne Widerstand mit gigantischer Geschwindigkeit verbreiten können. Wenn ja, hat das ganze Universum ein Bewusstsein? Erkennt es sich selbst, kennt es den Satz: „Ich denke, also bin ich!“ und muss dieser Satz nun erweitert werden zu „Ich denke, also bin ich, also ist das Universum!“. Doch wer hat dieses Universum erschaffen und Warum, aber kann es überhaupt ein Warum geben oder ist dies einfach nur ein menschliches Muss, dieses ständige fragen nach dem Warum!
Jedenfalls weiß ich nun, dass ich wahrhaftig hinter die Sterne geblickt habe, allerdings nur um zu erkennen, dass sich ein neuer Horizont auftut, welcher uns Menschen noch kleiner und unbedeutender erscheinen lässt, wer weiß vielleicht habe ich sogar eine Art Gott entdeckt oder den Embryonalform eines Gottes, aber ich denke einfach, dass es etwas ist, das wir Menschen einfach nicht begreifen können
 
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