9


2 Seiten

Oberflächliches Pack

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
„Es tut mir leid, aber so lange Sie nicht die notwendigen Sicherheiten wie ein regelmäßiges Einkommen nachweisen können, können wir Ihnen ohne einen Bürgen keinen Kredit anbieten“, sprach die junge Bankangestellte. „Versuchen Sie doch noch einmal, mit Ihren Eltern zu reden.“
Ich nickte und verabschiedete mich.

Mit meinen Eltern würde ich niemals darüber reden. Meiner Mutter ging es seit der Scheidung von meinem Vater finanziell selbst nicht so gut, und ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte. Und mit meinem Vater wollte ich auch nicht reden, denn dann würde sich nur seine jetzige Frau, die gar nichts damit zu tun hatte, einmischen. Ich hatte einfach keine Lust mehr, ständig Rechenschaften über alles abzugeben. Es war ja nicht so, dass ich nicht arbeiten wollte, aber ich konnte keinen Job finden. Entweder bekam ich auf Bewerbungen gar keine Antwort, oder ich bekam Aussagen wie: „Sie passen nicht in unser Profil…“, „Im Moment haben wir leider keine Einsatzmöglichkeiten, aber sobald sich etwas ergibt, melden wir uns bei Ihnen…“ oder ähnliches zu hören. Inzwischen wusste ich schon gar nicht mehr, wo ich mich bewerben sollte, es gab ja kaum noch Jobs für Studenten, sondern fast alle Stellen waren für Arbeitslose mit Vermittlungsgutschein ausgeschrieben.
Ich fand es einfach nur ungerecht, dass Studentenjobs abgeschafft wurden und kaum jemand Bafög bekam. Was nützte es, wenn Bafög erhöht wurde, aber keinen Anspruch darauf hatte? Inzwischen bereute ich es, dass ich überhaupt angefangen hatte zu studieren. Ich wollte einfach nur noch fertig werden.

„Entschuldigung, haben Sie vielleicht ein wenig Kleingeld?“, fragte mich ein Obdachloser. Ich hatte nicht mehr viel Geld, ich musste unbedingt sparen, dennoch gab ich ihm 50 Cent. Ich konnte einfach nicht „nein“ sagen. Und auf die 50 Cent kam es auch nicht an.
„Danke, vielen Dank, einen schönen Tag“, freute er sich.
„Danke, Ihnen auch“, antwortete ich. Ich bekam mit, als er einen etwa 40-jährigen Mann ebenfalls nach etwas Kleingeld fragte. Dieser Typ trug einen Anzug, sah aus wie ein typischer Manager, auf jeden Fall schien er mehr Geld zu haben als ich. Doch er schüttelte nur mit dem Kopf.
„Diese Penner sind auch überall“, murmelte er und blieb ein paar Meter weiter an einem Mercedes stehen. Ich bekam die Wut, was bildete sich dieses reiche oberflächige Pack eigentlich ein. Als er gerade einsteigen wollte, musste ich meinen Senf dazugeben.
„Soso, diese Penner, sagen Sie? Das heißt immer noch Obdachlose. Leute wie SIE, DAS sind Penner!“, sprach ich auf ihn ein.
Er sah mich nur verdutzt an. „Reden Sie mit mir?“, fragte er dann.
„Nee, ich meine den Vollidioten neben Ihnen“, antwortete ich ironisch. „Natürlich meine ich Sie.“
„Das ist ja wohl eine Unverschämtheit, das muss ich mir ja von IHNEN nicht bieten lassen. Haben Sie irgendein Problem? `ne kleine Anzeige gefällig?“, fragte er mich wutentbrannt.
Ich lachte. „`ne Anzeige, alles klar. Nur weil Sie einen Anzug tragen und einen Benz fahren, glauben Sie wohl, dass Sie etwas Besseres sind.“
„Sie sind wohl auch so ein verdammter Sozialschmarotzer“, meinte er.
„Nein, ich bin ein armer Student, der sich nichts erlauben kann und sparen muss, um über die Runden zu kommen. Und Leute wie Sie, die Geld ohne Ende haben, sind geizig und beschimpfen die Ärmeren noch dazu. Sie und diese ganzen anderen Geldsäcke kotzen mich einfach an! Sie glauben, Ihrer Frau alles bieten zu können, die wahrscheinlich schon längst mit jemand anderen vögelt, der nicht so oberflächlich ist wie Sie.“
Er stand nur noch mit einem purpurfarbenen Gesichtsausdruck da, versuchte anscheinend etwas zu erwidern, aber brachte keinen Ton mehr hervor. Ich ließ ihn stehen.
Nein, ich wollte nicht zu so einem oberflächlichen Schlipsträger werden, der nur ans Geld dachte.

Ich hörte, wie er mit laut aufheulendem Motor und Vollgas aus der Parkbox fuhr, er musste wohl seine Wut irgendwie loswerden. Dann krachte es, als er gegen ein anderes parkendes Auto fuhr.
"VERDAMMTE SCHEISSE!", fluchte er laut. Geschieht ihm recht, dachte ich grinsend. Das würde gewiss teuer für ihn werden.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

WOHW !
diese geschichte hat ja wirklich eine diskussion bei den lesern entfacht :-)
ob sie nun gut oder schlecht ist, will ich mal dahingestellt sein lassen, aber zumindest hat sie das ziel erreicht, dass sich die leser damit auseinandersetzen ... !
nun, meinen eigenen "senf" dazu werde ich mir (und dir) also ersparen :-)
lg
nathan


Nathanahel Compte de Lampeé (31.12.2007)

Jetzt muß ich aber doch noch was sagen. Dir gefällt, dass ein relativ normaler Bürger eine harmlose Bemerkung macht (er murmelt!) und aus unserem Studenten wird das Rumpelstilzchen. Wenn das Schule macht, wäre es empfehlenswert, jeder würde einen Maulkorb tragen und zu seiner eigenen Sicherheit einen Bodyguard halten.
Stell Dir das Geschehen doch mal in der Realitität vor!!
LG
Christa


 (13.06.2007)

Besser kann man es immer ausschmücken, das stimmt schon. Aber mir gefällt es so. Das andere ist DEINE Meinung. Lg Sabine

Sabine Müller (13.06.2007)

Manche Überlegungen der Kommentatoren könnten schon stimmen, wenn man jedes Wort auf die Goldwaage legt. Man sollte immer genau darauf achten, wie man etwas auslegt. Aber im großen und Ganzen gefällt mir die Geschichte. Ich weiß, was du aussagen willst und ich schliesse mich dir an. Man könnte nun noch ewig philosophieren über arm/ reich, Oberflächlichkeit etc., aber sitze im Seminar. Lg Sabine

Sabine Müller (13.06.2007)

Nee Holger, da machst Du es Dir ein wenig zu einfach. Der Mann murmelt eine relativ harmlose Bemerkung. Er hätte auch murmeln können: die Mülleimer sind immer noch nicht geleert. Dein Prot hat völlig abstrus und überzogen reagiert, eigentlich müßte man um seine geistige Gesundheit fürchten.
Lass doch die Beiden erst mal in den Dialog kommen. Student hört die Bemerkung und fragt nach: "Wie meinen Sie das?" Dann kann der Anzugträger loslegen und über "Arme" schimpfen und Dein Prot könnte reagieren und ausrasten.

Dann wären in der Geschichte zwar immer noch haufenweise Klischees, aber der Ablauf wäre vorstellbar. Und man müßte nicht die grüne Minna für Deinen Studenten rufen.

Grüßle Christa


CC Huber (12.06.2007)

"„Diese Penner sind auch überall“, murmelte er"

Um diese bemerkung ging es nur, die der mann gemacht hat.
Natürlich hätte es auch so sein können, wie Christa es geschildert hat, aber er hätte sich einfach nur diese bemerkung sparen sollen, dann hätte der prot seinen senf auch nicht dazu gegeben.


Homo Faber (12.06.2007)

hm...
vllt solltest du die charaktere genauer beschreiben, sodass die klischees eindeutig stimmen...
zb der mann im anzug schaut angewidert etc...
wie sieht der obdachlose aus? wenn er da mit ner flasche aldiwein vor sich hingammelt ist er jetzt nicht so der bei dem man sein geld lassen will...
lg darkangel
ps: so grottenschlecht fand ich die nu nicht... aber doch ein wenig zu klischeebelastet^^


darkangel (10.06.2007)

Hallo Holger,
ich werde Dir jetzt mal die Geschichte des Mannes im Anzug erzählen. Auch dies ist Spekulation, auch ich weiß es nicht, aber es könnte ja so sein.

Ausgerechnet jetzt bettelt mich dieser Penner an. Den habe ich doch letzte Woche beobachtet, wie er bei Aldi eine Flasche Korn geklaut hat. Aber es ist schon ein armer Teufel, wenn ich meinen Geldbeutel dabei hätte, würde ich ihm vielleicht trotzdem was geben. Das Gespräch bei der Bank war auch nicht so toll. Was soll ich nur machen? Seit meine Enkelin diesen selbstverschuldeten Unfall hatte und ein Pflegefall ist, komme ich finanziell einfach nicht mehr zurecht. Meine Tochter kann jetzt nicht mehr arbeiten und irgendjemand muß ja die junge Familie unterstützen. Die Pflegeversicherung reicht hinten und vorne nicht. Bisher hatten wir ja unser Auskommen, jahrelang haben meine Frau und ich gespart, mühsam das Auto und das Häuschen abgestottert und nun dieses Unglück. Ich werde wohl das Auto verkaufen müssen.
Was ist denn mit diesem jungen Kerl los? Warum macht der mich so an? Bin total von der Rolle, verstehe gar nichts mehr.
"Verdammte Scheiße", jetzt habe ich doch noch den Vordermann gerammt. Wie soll ich denn jetzt das Auto noch verkaufen? Als Unfallwagen? Jetzt weiß ich auch nicht mehr weiter.

Auch so könnte es sein. Oder nicht?
LG Christa


CC Huber (10.06.2007)

Hallo Holger,
eine Geschichte über das Ungleichgewicht von Arm und Reich. Aber auch über Voreingenommenheit. Da trifft ein armer Student auf einen Mann, der offensichtlich Geld hat. Er ist gut gekleidet und fährt ein teures Auto. So weit, so gut. Aus dieser Wahrnehmung heraus beginnt jetzt Deine Beurteilung. Nur- eigentlich sind das alles Spekulationen. Möglich wäre es ja schließlich, dass dieser Mann selbst Sorgen hat, sich dieser Mann seinen "Reichtum" mühsam erarbeitet hat und jetzt die Früchte seiner Arbeit geniesst. Was ist daran falsch? Vielleicht hat er auch seine eigenen Gründe, warum er dem Obdachlosen nichts gibt. Leider hinterfrägst Du das alles nicht, sondern lässt Dich vom ersten Eindruck über diesen Mann total blenden. Und die Aussage über seine Frau finde ich total daneben, den Rückschluss, dass dieser Mann oberflächlich ist, genauso. Woher willst Du das wissen? Weil er einen Anzug trägt und ein Auto hat?
Die Geschichte arbeitet mir zuviel mit Klischees.
Tolles Auto und gut angezogen = reich, arrogant, oberflächlich und geizig.
Obdachloser und Student: arm, aber sozial eingestellt, herzensgut und bedauernswert.

Es hat ein paar kleinere Fehler, die ich aber jetzt nicht überbewerten will. Wie gesagt, die Aussage der Geschichte überzeugt mich überhaupt nicht, weil viel Voreingenommenheit drin steckt. Der Stil, in dem die Geschichte geschrieben ist, ist ganz ok.

LG
Christa


CC Huber (10.06.2007)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Ein Moment  
Die Eisbanditen und Corona  
Aussichtslos  
Die Eisbanditen als Kontrolleure   
Der Discomörder - Teil 7  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De