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Kollektives schreiben: Experiment mit Google Text. Das Ergebnis ist die Zusammenarbeit von Nicolas van Bruenen und Killing Joke

Nachdenkliches · Experimentelles
Es war zum Fußnägel hochklappen!
Julian blickte starr auf seinen visuellen I/O. Seine von Werk implementierten visuellen Schnittstellen hatten, ob der Dauer seiner Sitzung im Internet, inzwischen so viele Ecken bekommen, dass sie beinahe wieder rund wirkten und die verkrampften Schultern des Mittzwanzigers bebten in unregelmäßigen Abständen auf und nieder. Seit zwei Tagen nannte er nun einen Internetanschluss sein Eigen und seit gefühlten Zehn Stunden [sperrige Formulierung. besser: seit Stunden, oder: seit gefühlten acht Stunden etc] Ist gemacht! postete er eine Paranoia nach der anderen von der linken in die rechte Hirnhälfte und wieder zurück. Dem wäre nicht so, wenn seine weibliche Erweiterung, seine übergeordnete Protokollhardware Michaela ihm verschwiegen hätte, dass es unzählige Sicherheitslücken im Netz gäbe, durch die gar fieses Elektronikgetier sich auf der Clientside einfinden konnte, um dort allerlei Spam zu treiben.

Diese Warnnachricht blieb aus unerfindlichen Gründen in Julians biologischem Cache hängen. So schraubte er denn auch gewissenhaft die Firewall seines Computers nach dem droben, deaktivierte seine Javascript und Javafunktionen und steuerte nur solche Seiten an, die über ein aktuelles Sicherheitszertifikat verfügten. Des weiteren versuchte er, bestimmte von seinem OS mitgelieferte Programme zu deinstallieren.
Allein, sie wurden von einem nichtgenannten, verschwiegenen und ganz fürchterlich versteckten Backup Programm drei Stunden nach der vermeintlichen Pfählung regeneriert. Eh' er sich's versah, meldete sein externes OS, sein Computer, wie ungläubige Herätiker die Bewusstseinserweiterung nannten, sieben Sicherheitsupdates des OS, vier neue ActiveX Steuerelemente und ein selbstinstallierendes Offline Werbebannerprogramm. Sämtliche Icons seines Desktops hatten sich in Teletubbies verwandelt, die jede Bewegung der Maus mit Furzlauten untermalten.

Methodisch nicht ganz unlogisch gedacht, suchte Julian erst herauszufinden, um was für Sicherheitsupdates es sich bei den neu ins System implementierten handelte und welchem Zweck diese dienten, Sprich, nach einer Dokumentation der installierten Dateien und einem elektronischen Schriftstück, das ihn in verständlicher Sprache über Inhalte und Funktionsweisen aufklärte.

Zwei Stunden später: Nada. Naja, fast Nada. Eine 50-MB-pdf-Dokumentation in formschnittiger kyrillischer Schrift hätte ihm gerne Auskunft gegeben.

Julian gab die Suche vorerst auf (wobei er sich nur mit einem Drittel seines Netzteils, das die unwissende Welt Herz nannte, vornahm sie irgendwann einmal wieder fortzusetzen) und wendete sich der Suche nach den so genannten oder auch ActiveX Steuerelementen zu. Nach einiger Recherche im Netz erkannte Julian erschrocken, dass es sich bei seinem selbstinstalliertem ActiveX im Prinzip um ein riesiges Tor durch den Schutzwall seines Computers handelte und er selbiges bitte schnell wieder zu schließen gedenken solle. Saublöd. Andererseits klar: Es nennt sich ja 'ActiveX' und nicht 'PassiveX', sagt also mit seiner Bezeichnung schon recht offen, das es etwas tut.

Hastig stürmte er ins Wohnzimmer, wo seine phlegmatische Protokollhardware in der FAZ blätterte und bat die Hoheit zu Hilfe. Diese wurde gewährt und Flugs flog der Störenfried samt seinem Kumpan, dem Internet Explorer von Bord.
(Seine liebe Michaela (die er ab und zu als seine IT-Frau bezeichnete) bemerkt [wieder etwas sperrig!], ob ihres unkundigen Mannes verständnislosen Blickes, ruhig und geduldig, dass der eben) Helge: ist geändert
Ruhig wie eine Zenmeisterin bemerkte seine Michaela, das der eben deinstallierte Browser selbst ebenso ein Tor darstellte, durch das so ziemlich jeder mit fliegenden Fahnen und Pauken und Trompeten sowie Kind und Kegel in seinen Rechner einziehen konnte, um dort die abenteuerlichsten Dinge anzustellen.

Julian beruhigt sich wieder etwas und betrieb mit dem neuinstallierten Feuerfuchs rotschweifig und grünohrig einen ausdauernden deepscan der virtuellen Welt. Mit der vergehenden Zeit bemerkte er verschiedentliche Artikel, die Anleitungen zum abwerfen unnötiger Parts seines OS gaben und führte diese aus. Damit sparte er sehr begeistert ein volles Fünfzigstel seines Speicherplatzes ein, welches er umgehend mit diversen additionalen Programmen zur Überwachung seiner Speicheraktivitäten, sowie mit einem "Onion Router" genannten Leitungsumleiterprogramm aus, welches ihn durch Anonymisierung bis zu einem gewissen Grade vor bösen schwarzen Männern in Codeform schützen konnte.

Doch siehe da - seine vormals von der Nachbarschaft so neidvoll beschielte 16000DSL Internet Ober-Duper Verbindung krächzte sich nunmehr mit sumpfigen 3,4 Kilobyte auf allen vieren und sank weiter rapide dem Messwert "Grammbyte" entgegen. Trotzdem etwas entschädigt durch das spannende Gefühl, nun eine Art Internetgeist zu sein, nahm er sich vor, seine Michaela zu der mysteriös gesunkenen Übertragungsrate zurate zu ziehen.

Niedergeschlagen connectete Julian seine geliebte IT-Frau, die ihm jedoch nur ein lakonisches "Was kann ich für deine Paranoia?" als Re gab und ihm seufzend erklärte, dass Geschwindigkeitseinbüßung bei einer Weiterleitung der Verbindung über mehrere Server völlig normal wären und zu ertragen seien. Außerdem müsste hier mal jemand seine Socken wechseln und der Hund wäre schon wieder im Putzwassereimer.

Als letztes sollte Julian noch den komprimierten Müll aus dem Haus extrahieren.

Nach der Aufrüstung seiner selbst durch zwei frische "Bluesocks" und dem entladen des Putzwassercaches dockte Julian wieder an seinen Internetzugang an und suchte jetzt gezielter nach Informationen zum Thema Sicherheit. Nach einigen Minuten bereits stieß er auf ein so genanntes "Undergroundforum", das so gar nicht underground schien, da über eine der bekanntesten Suchmaschinen gefunden.

Nach dem Durchstöbern diverser Forenthemen fand sich Julian schließlich informationstechnisch geupdatet wie von Wikipedia und zog triumphierend durchs Netz, mit deaktiviertem Java und deaktiviertem Javascript, ausgeschalteten MS Diensten, völliger Aktivitätsüberwachung seines eigenen Computers und elektronisch bis um die Ohren gefirewallt durchs Netz, plünderte, Brandschatzte und konsumierte Massen an Informationen, wobei immer wieder ein gewisser Spruch durch die grauen Windungen seines von Lichtreizen geflashten biologischen Prozessors schleifte: Eine Gesellschaft, die alles zu wissen glaubt, weiß gar nichts.

Der Cyborg Julian, denn als solcher ist ein vor einem Rechner, ja sogar ein brillentragender Mensch durchaus zu bezeichnen, da die Definition des Wortes Cyborg "mechanisch oder technisch erweiterter Mensch" lautete, tauchte noch einige Stunden, fuhr die elelctronical extension herunter und begab sich in den sleep mode. Eine Kompilierung mit Michaela gab es in dieser Nacht nicht, denn eine vorher stattgefundene Reizüberflutung hatte seiner Libido einen temporären aber nicht unbeträchtlichen Downgrade verpasst und außerdem litt er an einem Stack Overflow, den er nur durch einen ordentlichen Sechsstundenreset und dem anschließenden wiederholten installieren eines Coffees würde verarbeiten können.

Anderntags, Michaela hatte sich gerade auf zur Arbeit gepostet, sandte Julian eine Mail an seinen Arbeitgeber, die zum Inhalt hatte, dass er sich einen Virus eingefangen hätte und nun völlig fragmentiert und überschrieben im Bette neu formatieren müsse. Sein Chef zeigte ihm beim Lesen der Nachricht gedanklich einen Vogel und drohte, ebenfalls auf elektronischem Wege, mit Kündigung. Da Julian inzwischen über diverse "Tools" auf seinem Blauzahn-fähigen Telefon verfügte und gewisse Absender als Spam in Dosen markiert hatte, entging ihm diese vitale Nachricht jedoch.

Seiner Frau gedenkend trug er noch eilig den Müll an die Straße, kehrte schnell ins Haus zurück, wo er umgehend seine Externe Bewusstseinserweiterung startete und sich ganz in dieser erging.

Jux und Dollerei trieben Julian an diesem Vormittag dazu sich damit zu beschäftigen die Feuermauer seines Computers weiter hochzuzüchten. Als dann am Nachmittag seine geliebte und erschöpfte Michaela als erstes den Hund aus dem Putzwassercache entlud und die von ihrem Gatten im Badezimmer über weite Strecken drapierte externe Ummantelungen auf einen Stapel hub, befand sich Julian in dem Anfangs beschriebenen Angstzustand.

Was war geschehen?

Nun, zum einen hatte Julian zu seinem Schrecken festgestellt, das auch sein seit der Installation heiß geliebtes Weiterleiterprogramm nicht ohne Tücken war, da beizeiten er der einzig zu erreichende Server und diverse beunruhigende Berichte über so genannte "Kekse" auf seinem Rechner ihm den Angstschweiß auf die Stirn hatten treten lassen. nach der Deaktivierung der Kekse beruhigte Julian sich wieder und durchstöberte seine Emails. Voller Begeisterung stellte der unerfahrene allwissende da fest, dass ihn sage und schreibe ganze Eintausend Russische Schönheiten zum Mann haben wollten und dazu noch alle bei ihm in der Nachbarschaft wohnten. Er nahm sich für die Zukunft vor, dort mal etwas genauer nachzusehen, denn weder ihm noch seinen Freunden hier waren diese Schönheiten bisher aufgefallen.
Weitere Elektrobriefe gaben Bescheid, dass er über Nacht Millionär geworden war, unüberschaubare Gewinne im Aktienhandel gemacht und acht Autos gewonnen hatte, dies sich über die beigefügten Emailanlagen ganz simpel in die Garage herunterladen ließen. Er war begeistert. Er war Feuer und Flamme.

Julian klickte neben der Email "YOou vvon an 0ldsmob1l fr9m AUA Flags1te" auf den Attachment Button.
Julian erlaubte dem Anhang - seinem schönen neuen Isabella - den Eintritt.
Julian starb Tausend Tode.

Der Bildschirm explodierte vor Kaskaden von Popups und sich aufbauenden Links zu Penisvergrößerungsapparatverkaufsseiten. Sein Rechner schwitzte, hechelte, lief Blau an und zeigte ihm schwarze Fingernägel. Und gab den Dienst auf. Er hatte IHNEN bedenkenlos Tür und Tor geöffnet. Seine ganze Schirmung, die Sicherheitszertifikate, Verbindungsumleitungen und sonstiger Schnickschnack, alles umsonst. Die Einbrecher waren da und trieben ihren Schabernak. Isabella buchte ruckzuck 2000 Euro vom Konto seiner Frau ab. Wenig sachdienlich war die Anmeldung im hiesigen Kinderporno-Ring, der ihm schon morgen die Bekanntschaft mit einer Hundertschaft BKA-Beamter und deren Schlagstöcke einbringen würde. Ganz zu Schweigen von wölfisch behaarten Liebhabern im Knast.

Aus dem Flur hörte er Michaela noch sagen: "Julian, du hast die Haustür offen gelassen!"

Dann glitt Julian hinab in seligen Ruhezustand, aus dem ihn nicht einmal der von seiner erschreckten Frau über ihm ausgeleerte Inhalt des Putzwassercaches aufzuwecken vermochte.
 
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Kommentare  

...und vollwertig^^

darkangel (31.07.2007)

hi joke & darkangel,

ich würde auch keine fünf punkte geben. es war ja nur ein erstes expermiment, bei dem wir uns mit den möglichkeiten vertraut gemacht haben.
dabei war bereits ein langes textfragment fertig und der zweitautor war nicht so einfach zu integrieren.


im idealfall wird am anfang nur ein thema und eine idee skizziert. (zB 'Briefträger beisst Hund' bestehend aus Szene A, B und C. Dann können drei Autoren parallel schreiben).
unser aktuelles dings wird daher sicherlich ausgewogener und organischer...
lg


Nicolas van Bruenen (31.07.2007)

zum gemeinschaftsaccount: den sollte aber am besten einer allein verwalten, würde ich mal sagen... wenn bei verschiedenen stories verschiedene leute auf- und abspringen, hat sonst irgendwann jeder zugriff auf irgendwelche stories...^^

lg darkangel


darkangel (30.07.2007)

*kringel*

muss schon sagen, man muss den richtigen humor haben, damit man es mag, aber ich habe ihn. manchmal klingt es nach einem "reim mich oder ich fress dich", ein bauen an unnützen formulierungen nur um der formulierungen willen. dennoch ein amüsantereinblick in julians leben bzw existenz:P

zwei anscheinend private unterhaltungen finden sich im text und wirken als stolpersteinchen:
[sperrige Formulierung. besser: seit Stunden, oder: seit gefühlten acht Stunden etc] Ist gemacht!

(Seine liebe Michaela (die er ab und zu als seine IT-Frau bezeichnete) bemerkt [wieder etwas sperrig!], ob ihres unkundigen Mannes verständnislosen Blickes, ruhig und geduldig, dass der eben) Helge: ist geändert

außerdem ein zeitenwechsel:

Julian beruhigt sich wieder etwas und betrieb mit dem neuinstallierten Feuerfuchs rotschweifig und grünohrig einen ausdauernden deepscan der virtuellen Welt.

ich hatte ncoh einen fehler gefunden, aus versehen aber mein kommentarfenster geschlossen und jetzt weiß ich nciht mehr, wo er ist...

euch ist ein unterhaltsamer text mit wortwitz, keksen und bluesocks gelungen! 5p möchte ich euch nciht dafür geben, weil man sihc doch shcon ein bisschen durchquälen muss, aber es ist die sache wert!

lg darkangel


darkangel (30.07.2007)

Hier nun das Ergebnis des ersten Experimentes mit Google Text. Versehentlich unter meinem Namen, darob streue man Asche auf mein Haupt. Alle nachfolgenden Gemeinschaftsarbeiten werden unter einem Gemeinschaftsaccount gepostet. Äh... ja.

killing Joke (30.07.2007)

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