112


1 Seiten

Ausbeißen.

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Man sagt, sie beißt sich die Zähne aus.
Jeden Tag öffnet sie die Tür, nur die Tür und nur sie geht hinaus.
Es riecht hier anders.
Es atmet sich leichter.
Man sagt, sie beißt sich die Zähne aus.
Die Treppen erscheinen wie ein Gang in die Tiefe der Leichtigkeit und wahrhaftig, unten ist es, als würde sie schweben.
Sie ist nun jemand, der sie immer nachts besucht, jemand, der sich wie man sagt, nicht die Zähne ausbeißt.
„Aaach“ und sie atmet tief ein, tiefer als sie hinab ging und höher als sie nun ist.
Die Tür ist zu und das Haus fern und ihre Füße zeitlos.
„Es ist nicht meine Schuld“ und sie atmet wieder die Sterne in ihre Augen, vergisst ihren gedachten Satz augenblicklich.
Leichtigkeit. Fern der Tür.
Der Weg ist nass und die Straßenränder sind dreckig, doch sie lächelt vor Glück.
Es riecht anders.
Es atmet sich leichter.
Sie geht ihre Runden, geht ohne den Boden zu berühren.
Der trübe Himmel lächelt und sie blinzelt zurück.
Man sagt, die beißt sich die Zähne aus.
Der Wind streicht ihr über die Wangen, über ihre geröteten Wangen und ein Lächeln tanzt sich um ihre Lippen. Wie schön sie doch aussieht.
Man sagt, sie beißt sich die Zähne aus.
Es wird Zeit und der Weg zurück raubt ihr ihre Schönheit, während sich die Tür ihr immer mehr nähert.
Doch es riecht so gut.
Es atmet sich leichter.
Die Tür ist da, da wo sie schon immer war und sie erstickt. Auch die Träume.
Man sagt, sie beißt sich die Zähne aus.
Sie öffnet die Tür und ihre Zeit ist vorbei und fängt von vorne an.
Hier riecht es anders.
Kein Wind der sie berührt, keine Leichtigkeit die sie berührt.
Und sie sieht wehmütig durch den restlichen Spalt zurück, hinaus, doch er verschwindet mit dem Einrasten der schweren Tür.
Hier riecht es anders.
Sie hört ihre Tochter weinen und ihre Augen, einst gezeichnet von Lachfalten, füllen sich abermals mit Tränen.
„Niemals“ sagt sie, zu sich und der Hoffnung.
Er ruft nach ihr, aus dem Zimmer der Tochter.
Man sagt, sie beißen sich die Seelen aus.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Eine kleine Story, die einen erschauern läst. Sehr gut gemacht und der Vergleich mit dem "Zähne ausbeißen" ist sehr gut. Was mag sich in so manch einer "heilen" Familie abspielen? Die Dunkelziffer ist hoch. Warum? Weil ge-verschwiegen wird. Natürlich grün.

Jochen (30.04.2010)

Ich kann Petras Worte nur bestätigen, das hast du sehr gut rübergebracht. Und dein erklärender Kommentar ist in diesem Falle angebracht, denn ein wenig unsicher wird man schon, wenn man nicht ganz genau liest. Weil, das Kind könnte ja auch unheilbar krank sein und die Eltern wechseln sich mit der "Wache" am Bettchen ab. Aber eigentlich sind die feinen Untertöne eindeutig. "Sie beißen sich die Seelen aus" klingt am Ende so herrlich wehleidig - sehr gelungen!

doska (30.04.2010)

Ob es nötig ist etwas zu bestätigen, das weiss ich nicht.
Ich dachte, die unterm Strich ist es das "warme Gefühl", dass einem nach dem Lesen überkommt, worauf es ankommt.
Oder doch nicht?

Hm. Nun ja, aber wenn es dir wichtig ist:
Ja, ich dachte genau an das, als ich es schrieb.
Ich habe nicht wirklich Verständnis für solche Mütter.
Vielleicht wollte ich zeigen, was für eine schöne Zeit sie hatte, als ihre Tochter litt.
Schrecklich.


fog of crows (M.R.) (29.04.2010)

Habe ich das jetzt richtig verstanden? Ich glaube, dass es sich in deinem kleinen Text um Kindesmissbrauch dreht. Die Mutter schaut weg, flüchtet nach draußen, versucht sich bei einem Spaziergang einzureden, dass sie nicht Schuld trägt, für das, was gerade passiert. Deshalb fühlt sie sich draußen an der frischen luft so leicht und frei. Kaum aber ist sie zu Hause, empfindet sie sich wieder als gefangen in ihrer (scheinbaren) Machtlosigkeit, ihrem Kind helfen zu können. Es gibt viele Frauen, die ihre Kinder nicht verteidigen und "es" einfach zulassen und sich dabei einreden, sie träfe keine Schuld. Sie "beißen sich zwar die Zähne aus" aber ändern tun sie trotzdem nichts.
Es wäre schön, wenn du mir sagen könntest, ob meine Interpretation richtig war oder nicht.


Petra (29.04.2010)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
leucht.feuer  
Das dunkle Zeichen.   
nach.ruf  
eins.   
wut.entbrannt  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
wider.willen  
liebeskummer.  
sternenglanz.  
brach.  
salazar slytherin.  
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De