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11 Seiten

Das Weiße Königreich - Kapitel 16

Romane/Serien · Spannendes
© Alexander
„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte Michael.
Tanja hatte sich gegen die Wand gelehnt. „Abgesehen davon das wir hier eingeschlossen sind und niemand weiß wo wir sind, geht es mir hervorragend.“, entgegnete sie zynisch. Dass er sich überhaupt keine Sorgen machte, ärgerte Tanja.
Ein flüchtiges Lächeln kam zurück. „Das ist doch noch gar nichts.“, erwiderte er. „Ich war mit einer Albin in einem Stollen eingeschlossen und Wasser drang ein.“ Erst nach wenigen Sekunden merkte sie, dass das sein Ernst war. Ein scheußlicher Gedanke. Ihr machte es ja schon Schwierigkeiten in dieser Kammer eingesperrt zu sein. Sie wäre verrückt geworden in einem Stollen eingeschlossen, mit einer Albin und eindringendem Wasser.
„Ich versichere dir es gibt Schlimmeres.“
„Bei einem Abenteurer mit dir wundert es mich nicht, dass solche Dinge passieren.“
Er schmunzelte. „Hey, die Dinge sind nicht meine Schuld.“, verteidigte Michael sich. „Meistens jedenfalls.“
Tanja lachte. Mit einem Mal schien ihre Lage weitaus weniger schlimm als vorher. Geändert hatte sich aber nichts.
Baldami begutachtete zuerst die Wand, die den Durchgang versperrte. Ohne entsprechendes Werkzeug war da nichts zu machen. Die Beschwörung wie am Tor schlug an der Wand genauso fehl wie beim Altar. Mehr fiel ihm im Moment auch nicht ein.
Michael ging zu Wong, der vor der Karte stand. Ihr Ausländischer Freund zeichnete auf einer Lederrolle die Lage der Sieben Seen ab. Dabei übertrug er die Wandkarte nahezu gleichwertig auf die kleinere Fläche der Lederrolle. Ihm schien das Zeichnen so leichtfertig von der Hand zugehen, wie einem Schmied das schmieden.
„Bist du fertig?“, fragte er ihn und sah sich die Kopie an. Für Michael sah es fertig aus.
Wong zeigte mit dem Kohlestift auf die Wandkarte, sprach in seiner Muttersprache, sah ihn kurz an und machte dann weiter.
„Was tut er da?“, fragte Samuel.
„Er fertigt eine Kopie der Wandkarte an.“
„Wozu?“, meinte Ramon erschöpft und wenig hoffnungsvoll.
Michael lächelte. Die Jugend von heute! Er zeigte auf die Wand, die den Durchgang versperrte. „Die Erbauer wollten nicht das jemand hier reinkommt, der hier nicht rein sollte“
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte Tanja.
Sein Lächeln wurde breiter. „Erfahrungswerte. Wie jede Vorrichtung musste auch die“ Er zeigte wieder auf die Wand. „Wand getestet werden. Unsere zwergischen Begleiter werden mir sicher zustimmen, dass diese Wand ohne entsprechende Hilfsmittel nicht durchbrochen werden kann.“ Die Gruppe sah zu Baldami, der die Unterhaltung interessiert verfolgte. Sein Bruder hingegen haderte immer noch mit sich. Baldami überlegte kurz. Sein Nicken gab Michael recht. „Also muss derjenige, der die Vorrichtung testete den Raum wieder verlassen haben. Oder seht ihr irgendwelche Überreste?“ Samuel und Ramon sahen sich an. Tanja hingegen blieb bei Michael. Die Jungs sahen wieder zu ihm. Er zwinkerte.
Sirka und Erol kamen zu ihm. „Nette Ansprache.“, urteilte der Elb. Sie standen bei Wong, der ein Kontrollblick zwischen seiner Zeichnung und dem Wandgemälde machte und letzte Korrekturen vornahm.
„Danke.“ Michael war natürlich klar, das Erol es anders meinte.
„Wie sieht dein Plan aus?“, wollte hingegen Sirka wissen.
Er sah die beiden an. Sie waren ein bunter Haufen, dass ließ sich nun Mal nicht beschreiten. Michael konnte sich noch gut an ihre Erste gemeinsame Begegnung erinnern, abgesehen von Erol. Er stieß später zu ihnen. Was kaum ins Gewicht fiel.
Sirka, Wong und er saßen in einem Kerker der Freistadt Osario. Aus unterschiedlichen Gründen. Sirka hatte Vier Milizionäre getötet und bei ihrer Verhaftung ein Dutzend Stadtwachen ins Reich der Träume geschickt. Wong verstand die Wachen am Tor nicht, die eine Gebühr von ihm wollten. Als einer handgreiflich werden wollte, hatte Wong ihn mit seiner waffenlosen Kampfkunst niedergestreckt. Im folgenden Handgemenge schaltete er weitere Wachen aus, bis man ihn überwältigte. Michael war dabei erwischt worden wie er die Juwelen der Gattin des Oberstadtrates stahl.
In der gleichen Nacht brach man aus. Bei ihrer Flucht half ihnen Erol, mit seiner Bogenfertigkeit, ihre Verfolger abzuschütteln. Seit diesem Tag waren sie ein Team.
„Ein Plan! Seit wann brauchen wir so was?“
Die Ork ließ jeden Humor vermissen. Erol hingegen schmunzelte. Sirka sah ihn an und es verschwand augenblicklich. Pantoffelheld! Als hätte die Ork seinen Gedanken gehört, blickte sie ihn mit ihrer humorlosen Miene an. Michael wollte etwas erwidern, da kam ihm Wong zuvor, hielt seine Zeichnung hin. Dankbar wandte er sich ihm schnell zu. Ihr Freund hätte einen hervorragenden Meisterfälscher abgegeben. Manchmal setzte er das Talent auch zum Wohle ihrer Angelegenheiten ein.
Michael ging um den Altar herum, nicht dort, wo Sirka stand, bat Samuel um die Fackel, schritt die Wände ab und blieb stehen. Die Flamme wechselte die Richtung, ohne das er sich bewegte. Mit einem breiten Grinsen sah er die anderen an. Hin und wieder lohnte es sich nicht auf der gesetzestreuen Seite zu stehen. Es konnte nur einen Grund geben, wieso die Flamme sich bewegte, ohne dass die Fackel bewegt wurde.
Luftverwirbelungen. Welche entstanden, wenn die Luft zirkulierte. In einem geschlossen Raum geschah dass in der Regel nicht. Außer es gab eine Luftzufuhr von Außen. Wie aus einem versteckten Gang.
Eigentlich war es nur eine Theorie von ihm gewesen. Die Geschichte mit dem Test der Vorrichtung hatte er sich mehr oder weniger aus den Fingern gesaugt. Sie erschien plausibel. Zumindest hätte er es so gemacht. Andererseits kannte Michael niemanden der seine Vorrichtungen, egal welcher Art, vor dem eigentlichen Einsatz/Auslieferung nicht testete.
„Herr Baldami. Herr Kronos. Walten sie ihres Amtes. Bitte.“, bat er die Zwerge und trat zu Seite.
Kronos ließ sich nicht zwei Mal bitten. Bevor sein Bruder da war, hatte er bereits losgelegt und einen Teil der Wand niedergerissen. Nach wenigen Minuten lag der verborgene Gang frei. Sirka ging voran. Danach folgte Erol. Zusammen mit Wong folgten die Jungs, Tanja und Michael. Kurz hinter ihnen kamen die Zwerge.
Der Gang führte zu einer engen Wendeltreppe, sie führte hinauf. Die Stufen nahmen kein Ende. Stufe um Stufe wurden die Beine schwerer. Man machte zwei Mal Pause. Nach der letzten Stufe führte ein kurzer Gang weiter, der eine Sackgasse war.
Ohne nennenswerte Schwierigkeiten durchbrach Sirka die Blockade aus Steinen. Wieder unter freiem Himmel ruhte man sich aus. Danach schichtete man die Steine auf, um zu verhindern dass irgendjemand anders die Karte, der Sieben Seen fand. Den Vorteil wollte man solange ausnutzen wie möglich. Später machte sich die Gruppe auf den Rückweg in die Zivilisation. Ihr Ziel war die Hauptstadt vom Königreich Katalonien.

***
Sie fanden in Empoli eine Unterkunft, wo sich die Gruppe erholen konnten. Michael handelte mit dem Wirt einen Preis aus, zahlte im Voraus und bestellte ein Südbier. Eigentlich trank er keinen Alkohol, außer auf Festen der Zwerge. Wo es nichts anderes gab. Heute machte er mal eine Ausnahme.
Mit an der Theke standen 3 Männer. Wer einmal mit Kopfgeldjägern zu tun hatte, erkannte einen, wenn er neben einem stand. Für diese Leute hatte Michael wenig übrig.
Der Wirt schenkte den Dreien Bier nach, bevor er ihm seins ausschenkte. Sie prosteten sich zu. „Auf die Albin.“, sagte einer.
Michael wurde hellhörig. Als der Wirt ihm sein Bier gab, fragte er ihn aus. So erfuhr er dass die Kopfgeldjäger im Südland eine Albin aufgespürt, gefangen nahmen und nach Empoli brachten. Wo Sie sie gegen ein entsprechendes Kopfgeld der Kronengarde von Katalonien übergaben. Angeblich, so der Wirt, kam extra eine Andorranische Abordnung wegen der Albin in die Hauptstadt. Michael konnte sich denken, von wem die Befragung durchgeführt wurde. Er trank sein Bier aus.
Mit Wong machte sich Michael schließlich zum Königspalast, dem Amtssitz von Königin Isabella, auf.

***
Das Königreich Katalonien war im Vergleich zu den anderen menschlichen Königreichen klein, eher eine Randprovinz. Nichtsdestotrotz besaß es eine Wirtschaftskraft und einen Handelsüberschuss, für den Stadtstaaten und Fürstentümer Katalonien beneideten. Schon vor Jahrhunderten machte das Königreich das beste aus seiner geografischen Lage. Am Fjord Sandschildkröte begann Katalonien. Den Namen erhielt das Fjord durch die Sandschildkröte, eigentlich ein Meeresbewohner. Jahr für Jahr legten die Tiere ihre Eier im Sandboden des Fjords ab und kehrten ins Meer zurück. Sieben Wochen später schlüpften die Jungtiere, bewegten sich wenige Stunden später in Richtung Strand um als Erwachsene zurückzukehren und ihre eigenen Eier abzulegen.
Die Grenze führte ab dem Fjord, dem entferntesten Punkt der Ostregion, die Küste hinauf und erschreckte sich bis zu 240 Kilometer ins Landesinnere. Im flachen Ostland fächerte sich der Grenzverlauf aus. Zum Königreich Katalonien gehörte der Berg Aramis und stellte den äußersten Grenzpunkt dar.
Obwohl das Hinterland der Küste, wegen seiner ungeeigneten Bodenbeschaffung, kaum besiedelt war trug es wesentlich zum Wohlstand des Königreichs bei. Granit, Marmor, Kalkstein und Steinkohle wurden in den dortigen Minen und Steinbrüchen abgebaut. Dazu unterschiedliche Edelsteine, die hauptsächlich für die heimische Schmuckindustrie abgebaut wurden.
Ein weiterer Grundstein für die blühende Wirtschaft war die Anzahl von Häfen. Katalonien besaß mehr Häfen als die anderen Vier Königreiche. Eine liberale Wirtschaftspolitik und niedrige Zollgebühren zu Wasser trugen ihr übriges dazu bei.
Diese Politik führte Königin Isabella teilweise fort. Sie setzte strengere Kontrollen durch, verschärfte die Bedingungen für eine Handelslizenz. Da staatliche Händler vom Fürstentum Bremen große Mengen von Kohle, Getreide, Salz, Fisch und Fleisch aufkauften und jeden Preis zu zahlen schienen, hatte Isabella bis auf Weiteres ein Ausfuhrverbot verhängt. Eine Entscheidung die dem Diplomatischen Vertreter, einem Vetter des Fürsten, von Bremen überhaupt nicht passte.
Verärgert verließ der wohlgenährte Mann ihr Amtszimmer. Sein Vorwurf, mit dem Ausfuhrverbot eine Hungersnot unter den Menschen auszulösen, prallte an ihr ab. Schließlich hatten staatliche Händler des Fürstentums bereits auf den Märkten der anderen Königreiche, in den Freistädten und Stadtstaaten Unmengen eingekauft. Was die Preise hoch trieb. Isabella war nicht bereit diese Preisspirale ihren eigenen Leuten zu zumuten. Seinem Vorwurf entgegnete sie, das nur ein kleiner Prozentteil der eingekauften Güter in den Bürgerdepots gelagert wurden. Tatsächlich bunkerte man alles in den Fürstendepots.
Ihre Erwiderung ließ den Mann vor Zorn Rot anlaufen. Bevor er sich zu etwas hinreißen ließ, machte er kehrt und stampfte hinaus. Sie sah ihm zufrieden hinterher. Vor dem Treffen mit ihm war eine Depesche ihres Konsuls im Fürstentum eingetroffen. Was er ihr schrieb, beunruhigte sie.
In vereinzelten Städten von Bremen war es zu Unruhen gekommen. Grund war eine weitere Rationierung der Lebensmittel sowie die gestiegenen Preise. Eine einfache Familie musste alles Zusammenkratzen um das Nötigste einzukaufen. Laut der Einschätzung des Konsuls würde sich die Lage verschärfen, sollte der Fürst seine Innenpolitik nicht ändern. Der Schwarzmarkt blühte.
Isabella wusste um den Ernst der Lage. An ihren Grenzen trafen die Ersten Flüchtlinge ein. Selbstverständlich wurden sie aufgenommen, bekamen einen Platz zum Schlafen und Essen. Die Vorräte würden eine Weile ausreichen. Doch sobald der Flüchtlingsstrom anstieg, neigten sich die Vorräte dem Ende.
Sie erhob sich von ihrem Stuhl, ging zum Beistelltisch, aß von den Obstbeilagen. Ihr Blick ging durch das Fenster hinaus in die Straßen ihrer Stadt, bis zum Hafen. Wo ein Dreimaster seine Segel setzte. Als Mädchen hatte sie oft davon geträumt an Bord eines Schiffes zu sein, um davon zusegeln. Einige Male war es ihr gelungen unbemerkt den Palast zu verlassen. Sie ging dann jedes Mal zum Hafen, beobachtete das Treiben, ließ ihrer romantischen Fantasie freien Lauf. Die Gedanken an diese Zeit ließen sie mädchenhaft lächeln.
„Mylady.“, sagte ihr Sekretär. „Zweien Herren möchten Sie sprechen.“
Wahrscheinlich irgendwelche Adligen, Händler oder sonst wer, die ihr schmeicheln wollten, um in ihrer Gunst zu steigen. Eine solche Schleimerei war ihr zuwider. Auch wenn das Leben als Königin einige Privilegien nach sich zog, konnte man diese Leute nicht einfach in den Kerker werfen. Oder!
„Stehen sie auf der Liste?“, fragte Isabella nach. Wie überall brauchte man in der Regel einen Termin um mit ihr zusprechen. Ausnahmen oblagen alleine ihr zu machen.
„Nein, Mylady.“
Da fiel einem die Entscheidung schon leichter. „Um was geht es?“
Ihr Sekretär antwortete nicht sofort. Er wirkte unschlüssig. Schon ihr Vater hatte auf seine Dienste nicht verzichtet. Seine organisatorischen Fähigkeiten erlaubten es Isabella ruhige Minuten verbringen zu können.
„Lorenz!“
„Die Albin.“
Sie sah ihn eindringlich an. „Haben die Männer ihre Namen gesagt?“
Er nickte.

***
„Die Helden der Zwerge.“, begrüßte die Königin die Männer ohne wirkliche Freundlichkeit.
Michael ließ sich nichts anmerken.
„Was verschlägt euch diesmal nach Katalonien?“
„Der Tempel von Sida, Majestät.“
Ihr Lächeln verschwand sofort. Die berühme kühle Miene erschien. „Tatsächlich!“, kam es kühl zurück. „Hattet ihr Erfolg?“
Jetzt lächelte Michael. „Kann man sagen. Aber deswegen bin ich“ Wong sagte was. „wir nicht gekommen.“, verbesserte er sich. Ihm war natürlich klar, dass sie den eigentlichen Grund schon kannte.
„Sondern?“
„Ich will mit der Albin sprechen.“
Sie sah ihn an. Der Abenteuerer war nicht unbedingt das Ebenbild eines Mannes. Hässlich hingegen war er auch nicht. Sein Gesicht spiegelte die jugendliche Unbekümmertheit wieder. Die Augen strahlten eine Faszination aus, die Frauen anzogen. Er hatte dieses gewisses Etwas, das ihm half die einfache Bäuerin, eine Frau aus guten Hause und eine Adlige zu verführen. Michael konnte charmant sein, ohne das man das Gefühl hatte er verstelle sich. Es gab noch eine andere Seite von ihm.
„Da bist du nicht der Einzige.“
„Ich weiß.“
Wirklich wundern tat sie das nicht. Dabei wussten in ihrem eigenen Stab nur wenige von dem baldigen Besuch. „Der General hat ausdrücklich gebeten, dass niemand vor ihm mit ihr spricht.“
Seine Lippen verzogen sich zu einem schmunzeln. „Wusste gar nicht das General Raphael hier was zu sagen hat.“
Für einen kurzen Moment flammte Wut in ihr auf. Der Ton der Nachricht vom General war unerhört, brachte ihr Blut zum kochen. Mit gebeten hatte Isabella sich diplomatischer ausgedrückt, als er es im Brief getan hatte. Er verlangte regelrecht das niemand vor ihm mit ihr sprach. Schnell wurde ihr klar, das Michael und Wong ihre Reaktion gesehen hatten.
„Um dir die Entscheidung abzunehmen, bin ich bereit dir den Standort vom Tempel von Sida zu nennen.“, eröffnete Michael.
Die Königin wurde vorsichtig und hellhörig zugleich. Dabei gehörte es zu seinem Metier mit entsprechenden Dingen zu handeln. Manchmal war es verschollene Literatur oder eben Informationen über einen Ort, den man für eine Legende hielt.
Eine Legende, die in ihrer Familie eine Rolle spielte. Ihr Vater, König Marcos, hatte sich Jahre lang mit dem Tempel von Sida beschäftigt und einige Expeditionen finanziert. Ohne Erfolg. Bis zu seinem Tod hielt er die Geschichten, Mythen und Legenden für wahr. Wobei sich sein Tun nicht nur auf den Tempel von Sida beschränkte.
Als Mädchen hörte sie seine Geschichten gerne. Am meisten vermisste sie seine warmherzige Stimme. „Das wird dem General nicht gefallen.“
Michael lächelte glanzlos. „Lass ihn meine Sorgen sein.“, meinte er leichtfertig. Dabei war der General niemand den man zum Feind haben wollte. „Haben wir eine Vereinbarung?“
Sie sah zum Fenster hinaus, dachte gründlich über alles nach. Wenn die gute Nachtgeschichten ihres Vater auch nur ansatzweise stimmten, barg der Ort mehr Geheimnisse als lediglich die Karte der Sieben Seen. Nicht jedes Geheimniss birgt einen Schatz, hörte sie ihren Vater sagen.

***
Nach außen hin strahlte Selena Ruhe und Gelassenheit aus. Dabei hatte sie allen Grund sich Sorgen zu machen. General Raphael war auf dem Weg nach Katalonien. Der Mann besaß nicht gerade den Ruf zimperlich zu sein. Vor allem nicht mit Alben. Seine Methoden waren fragwürdig, wurden aber toleriert. Ob ein Alb bei seinen Befragungen starb, spielte für die meisten keine Rolle. Niemand setzte sich öffentlich für ihresgleichen ein. Was nicht verwunderlich war, wie Selena fand.
Sie saß auf der Holzpritsche im Schneidersitz, die Augen geschlossen. Meditationen waren gut um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Sich wie eine blutige Anfängerin von schmierigen Kopfgeldjägern der Menschen überrumpeln zulassen ließ den Ärger neu aufflammen. Selena war einfach nicht bei der Sache gewesen, wodurch sie ihr Gespür ausblendete und die drohende Gefahr nicht rechtzeitig bemerkte. Andernfalls hätte die Albin die Drei ohne jede Gefühlsregung umgebracht. Dass verschwinden von Kopfgeldjägern fiel nicht weiter auf.
Nun hatten sich die Dinge anders entwickelt als vorhergesehen. Ein Umstand, der ihr wieder vor Augen führte, das nichts vorhersehbar war. Einiges zu mindest, schränkte sie umgehend ein.
Die Tür zum Zellentrakt wurde geöffnet. „Lucio?“, rief eine der oberen Wachen herunter.
„Ja.“
„Mach mal eine Pause.“
Selena öffnete die Augen. Der Soldat mit dem Namen Lucio sah verwundert aus. Erst vor 2 Stunden hatte er seinen Kollegen abgelöst. Schnell überschlug sie die Zeit, als die Kopfgeldjäger sie abgaben und dem Gerede der Wachen, das General Raphael hierher unterwegs war. So schnell waren selbst die besten Pferde Eurasien nicht.
Er zuckte mit den Schultern, schlurfte von seinem Platz zum Aufgang, ging die Stufen hoch. Oben angekommen wurde die Tür geschlossen und verriegelt. Waren das Schritte? Jemand kam herunter.
Wenn Selena ihrem Gehör glauben schenken konnte, es gab keinen Grund das dem nicht so war, dann handelte es sich um Zwei Personen. Dass fehlende Klirren und Klimpern von beschlagenen Stiefeln, Beinpanzerungen, Waffengurten und dem Rascheln von Kettenhemden machte sie hellhörig. Sie stand von der Pritsche auf, behielt den Aufgang im Auge und schritt in die Mitte ihrer Zelle.
Da tauchte eine Gestalt auf, sah sich kurz um und ging in ihre Richtung. Im Moment war sie auch der einzige Gast im Zellentrakt. Hinter ihr folgte eine weitere Person. Beide kannte Selena. Für einen flüchtigen Moment, der so schnell verschwand, wie er gekommen war, freute sich die Albin über das diebische Grinsen im Gesicht des Menschen.

***
Viel zu selten kam es vor das Sie auf der anderen Seite einer Zelle standen. Einen solchen Moment musste man auskosten und genießen. Schließlich konnte sich bei ihrem Tun die Lage schneller ändern als ihnen lieb war. Wobei in letzter Zeit ihre eigenen Besuche einer Zelle von Innen überschaubar waren.
Michael blieb einen guten Schritt vom Gitter stehen. So sehr er die gegenseitigen Begegnungen zu schätzen wusste, hatte der Anblick von Selena hinter Gittern einen gewissen Reiz. „Hätte ich mal eine Wette abgeschlossen zu erleben das du eine Zelle von Innen erlebst!“
Sie blieb stehen, rührte sich nicht. In ihren Augen blitzte kurz Wut auf.
„Lass mich mal raten. Du hast in Vaduz bei Samuel eine Gedankenverschmelzung durchgeführt. Dadurch erfuhrst du, dass er auf den Tempel von Sida gestoßen ist. Zumindest ansatzweise.“ Selena reagierte nicht. Womit er auch gar nicht rechnete. Noch nicht. „Um dich zu vergewissern, hast du den Freund vom Magistrat in Buhan aufgesucht. Wahrscheinlich war er nicht so kooperativ wie erwartet. Dir wurde klar das dahinter mehr steckte. Also hast du die Urikais beauftragt den Magistrat zu entführen.“ Einmal mehr zeigte sich das er kein Dummkopf war. „Ihm war klar dass die Urikais nicht rein zufällig in der Waisenmine auftauchten. Er wählte den Freitod um zu verhindern das sein Wissen in falsche Hände geriet. Damit standest du mit Leeren Händen da.“ Sie ließ sich nicht anmerken. „Die Entführung der Prinzessin sollte eine Ablenkung sein.“ Langsam wurde Selena unruhig. Wie nah war er dran? „Durch die Gedankenverschmelzung hattest du nach dem Tod vom Magistrat einen Ansatzpunkt.“ Ihm kam ein Gedanke, der ihn lächeln ließ. „Du warst in der Waisenmine!“ Michael sah zu Wong. Natürlich! „Dass das mit zwergischen Runen versehen ist und sich nur durch einen Zwerg beschwört werden können, war dir nicht klar. Ich nehme mal an du wolltest uns die Karte der Sieben Seen abluchsen?“ Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Es ließ jede Freude vermissen. Wong meldete sich zu Wort. „Ist nicht die feine Art.“, sagte Michael, ohne zu wissen, was sein Freund sagte. Er ging einen halben Schritt auf die Gitterstäbe zu. „Was Interessiert dich so an dieser Geschichte?“
Mit dieser Frage erlangte sie ihre Sicherheit wieder. Michael war nahe dran. Viel zu nahe für ihren Geschmack. Hier zeigte sich das Sie ihn zum wiederholten Male unterschätzte. Obwohl ihre Zusammentreffen Selena längst eines Besseren belehrt haben müssten. Wie weit konnte sie gehen?
„Du beantwortest meine Frage und ich helfe dir einer Bekanntschaft mit General Raphael zu entgehen.“, bot Michael an.
Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Man konnte seinem Wort vertrauen. Sicher log und betrog er. Wenn Michael einem sein Wort gab, konnte man darauf vertrauen das er es hielt.
Selena sah die Menschen an. Die Antwort auf die Frage löste keine erkennbare Reaktion bei ihnen aus. Er versuchte es in einen Kontext mit dem zu bringen, was er zu wissen glaubte. Wie nahe Michael dadurch der Wahrheit war, ahnte er nicht. Ihre Antwort war mit dem Risiko behaftet, dass sie möglicherweise ihre Absichten aufdeckte.
Er sah zu seinem ausländischen Freund und Weggefährten. Da sie selber logen und betrogen, wenn es notwendig wurden, glaubte man zu wissen wenn jemand sie belog und betrog. Das Wort eines Alben hatte wenig Gewicht in Eurasien. Sie galten nicht als besonders vertrauenswürdig. Selena war da keine Ausnahme. Dennoch glaubte Michael ihr. Wieso dem so war, konnte er nicht genau sagen.
Eine Bekanntschaft mit General Raphael gehörte nicht zudem, was man unbedingt in seinem Lebenslauf haben wollte. Für Albe nahmen diese Treffen ein jähes Ende.
Sie machten kehrt. Die Wut flammte neu auf. Menschen! Gerade als Wong und Michael am Aufgang angekommen waren, drehte er sich zu ihr rum. Mehrere Herzschläge sahen sie einander an. In diesem Moment sehnte Selena sich nach den vergangenen unzähligen Möglichkeit ihn zu töten.
„Deine Zellentür hat übrigens Stiftscharniere.“, informierte Michael sie und folgte Wong.
Selena konnte damit nicht viel anfangen, für den Moment. Da lugte sein Kopf schuljungenmäßig um die Ecke. „Noch was. Schau mal beim Stolzen Eber vorbei. Wird dir bestimmt gefallen.“ Dann verschwand er.
Oben angekommen klopfte einer an die Tür. Sie wurde geöffnet und Lucio kam zurück. Ein kurzer Blick zur Albin, dann wandte sich der Soldat seinem Rätsel zu.
Selena dachte über die Worte nach. Sekunden wurden zu Minuten. Ihr Blick wanderte zur Zellentür, blieb an den Scharnieren haften. -Deine Zellentür hat übrigens Stiftscharniere-, hörte sie ihn sagen. Ohne den Zusammenhang zusehen, wandte sich die Albin ab.
Sie nahm die Meditation wieder auf. Keine Sekunde war verstrichen, als ihr der Sinn plötzlich klar wurde. Selena sah die Türscharniere erneut an.
Ihr Lächeln hätte Lucio zwar beunruhigt aber nicht weiter interessiert, wenn er nicht so vertieft in sein Rätseln gewesen wäre.
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-Ende, Kapitel 16-
© by Alexander Döbber
 
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Können Michael und die gefährliche Albin Selena wirklich zusammen arbeiten oder zumindest ihr Wissen miteinander austauschen? Wird sie, wenn es ihr gelingt, sich mit seiner Hilfe zu befreien, zum verabredeten Teffpunkt kommen? Ich möchte Selena nicht im Dunkeln begegnen, aber Michael zeigt Mut. Was wohl Tanja dazu sagen wird?

Jochen (23.06.2010)

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