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17 Seiten

Ahrok - 8. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Achtes Kapitel: Zwei Krieger

Im hell erleuchteten Innenhof wartete Ahrok, bis der Zwerg auch endlich das Kellergewölbe verlassen hatte.
„Wir sollten uns wohl besser schnell eine andere Unterkunft besorgen“, schlug er breit grinsend vor. „Ich schätze mal, hier sind jetzt ´ne Menge Zimmer frei, aber die werden uns wohl nicht sehr willkommen heißen.“
Ahrok hielt sich zufrieden die blutende Schulter.
„Ja, das sollten wir“, nickte Ragnar matt.
Ahroks Lächeln fiel in sich zusammen, wenn der Valr nicht mitlachte, war der rohe Scherz nur halb so lustig.
Die Stimme des Zwerges klang dünn und kraftlos. Sicher dauerte es nur noch Minuten, höchstens Stunden, bis der Blutverlust ihm erst das Bewusstsein und dann das Leben nahm. Sie mussten sich schnell um Hilfe für den kleinen Mann kümmern.
Der große Hof des Anwesens war menschenleer. Auf dem gepflasterten Boden lagen einige Schilder und Waffen herum, welche das fliehende Personal in wilder Panik von sich geworfen hatte.
„Was bist du nur für einer?“, riss ihn der Zwerg aus seinen Gedanken.
„Wie meinst du das?“
„Wir haben gerade fast zwei Dutzend Männer abgeschlachtet und du springst hier herum, als wäre gar nichts geschehen.“
„Sag mal, was willst du von mir? Soll ich jetzt etwa Mitleid für diese Kerle heucheln, nur damit du dich besser fühlst? Die wollten mich umbringen und wir sind denen eben zuvor gekommen. Göttliche Gerechtigkeit nennt man so was.“
„Scheiße, mein Vater hätte dich geliebt.“
Diese Worte trafen Ahrok an einer Stelle, die Dolche und Hellebarden nicht erreichen konnten.
„Ja, weißt du was? Meiner hat es nicht getan! Also verschieben wir das ´mein Vater, dein Vater Gelaber´ auf später und kümmern uns jetzt endlich darum, hier zu verschwinden.“
Ragnar antwortete nicht und Ahrok wandte sich wieder trotzig ihrer Umgebung zu. Dieser blöde Zwerg konnte einem aber auch die schönsten Momente ruinieren!
Das große Eingangstor, vor dem sie standen, war gewissenhaft verschlossen worden. Es gab hier draußen auch keine weiteren Wachen. Wahrscheinlich versteckten sich jetzt alle irgendwo in dem großen Haus und schlotterten vor Angst. Es gab nicht einmal panische Rufe oder Hilfeschreie… es war widernatürlich still hier draußen. Selbst die Stadtwächter nahmen ihren Beruf heute Abend nicht so genau.
Ahrok suchte an dem Ausgangstor nach einem Riegel oder einer Klinke, fand jedoch nichts dergleichen.
Seufzend hob Ragnar seinen Hammer. „Tritt mal beiseite. Ich glaube das lösen wir auf die altbekannte Art und Weise.“
„Halt, wartet doch bitte, meine Herren“, schnaufend kam jemand in weißer Schürze und mit einem komischen Hut auf dem Kopf auf sie zu gerannt. In einer seiner Hände baumelte ein kleiner Beutel. Ahrok stoppte ihren Verfolger auf Schwertlänge.
„Mo... puh ... Momentchen kurz!“, rang der alte, beleibte Elf nach Atem.
Japsend stand er vor den beiden Kriegern und störte sich nicht daran, dass die blutbeschmierte Spitze eines Bidenhänders genau auf sein Gesicht gerichtet war.
Dann fielen Ahrok erst die milchweißen Augen ihres Gegenübers auf. Der Kerl war ja stockblind. Was für einen Dusel hatte der denn, dass er nicht in Ahroks Schwert gesprintet war.
„Eure Freunde haben mir von eurem heimlichen Ausbruch berichtet. Da drüben am Tor geht es hinaus aus dem Anwesen“, der Alte wies auf eine kleine Tür, die in das riesige Holzkonstrukt eingebunden war. Bei dem schlechten Licht war die auch wirklich schwer zu erkennen gewesen.
„Und das hier ist noch für euch.“ Er reichte den Beutel in Ahroks Richtung. „Ich hab euch noch etwas Köstliches zur Stärkung für Unterwegs zusammengepackt. Geht am besten heute noch in den ´Roten Drachen´. Das ist die Herberge meines Vetters Yajiro. Dort könnt ihr euch für eine Weile verstecken. Sagt ´Yukio schickt euch´ und er wird euch bestimmt das beste Zimmer anbieten.“
Ahrok beäugte den Mann misstrauisch.
„Na ja äh, danke.“
„Oh, dankt mir nicht, junger Herr. Ich hörte Euer Schreien, spüre Euer Leiden, ich rieche Euer vergossenes Blut. Du hast den Schänder meiner Tochter bestraft und einen hohen Preis für diese gute Tat zahlen müssen. Da ist diese kleine Geste doch das Mindeste, was ich für dich tun kann.“ Der Elf tastete sich am Tor entlang und öffnete die kleine Tür. „Nun macht schnell und leise, bevor die Wachen von eurer Flucht erfahren.“ Eindringlich schob er die beiden hinaus. „Ihr müsst der Seidengasse weiter in dieser Richtung folgen, dann könnt ihr den ´Roten Drachen´ gar nicht verfehlen.“
Der Alte winkte ihnen noch kurz hinterher und schloss dann die Tür.

Ein paar Mal hatten sie sich in den Schatten einer Seitengasse ducken müssen, um den Stadtwächtern auf ihren Rundgängen zu entgehen, denn ihre Erscheinung hätten sie denen wohl nur schwer erklären können, doch ansonsten waren sie trotz ihrer Verwundungen schnell vorangekommen.
Nach etwas mehr als einer halben Meile Fußmarsch durch die wirklich lange und verwinkelte Seidengasse, erreichten sie dann unbehelligt die gewaltige Herberge zum „Roten Drachen“.
Der komische Kerl hatte also doch nicht gelogen.
Es war gut, dass ihr Marsch hier ein Ende hatte, denn Ragnars Blutung wurde durch den improvisierten Verband nur noch ungenügend gestillt und der Zwerg wurde zusehends schwächer, obwohl er sich natürlich alle Mühe gab, sich dies nicht anmerken zu lassen.
Der „Rote Drache“ sah von außen einem gewaltigen Palast ähnlich. Ahrok wäre nicht im Geringsten überrascht gewesen, wenn just in dem Moment ein paar hübsche Prinzessinnen an ihm vorbeigeschlendert wären.
Genau so hatte er sich die Schlösser in den Märchen immer vorgestellt.
Mehrere Schritt lange Marmorsäulen trugen das kunstvoll verzierte Dach des Foyers und Statuen der alten Götter standen rings um das Gebäude herum, welches von einer schier unendlich großen Anzahl Lichtquarze erhellt wurde. Die Bleiglasfenster im Eingangsbereich zeigten Szenen großer Schlachten gegen dämonische Heerscharen und verewigten so glorreiche Kämpfer in ihren strahlendsten Momenten. Das kunstvolle Handwerk der Zwerge reihte sich hier nahtlos an die filigrane Arbeit elfischer Hände und sie vereinigten sich überraschender Weise in erstaunlicher Harmonie.
Während Ahrok es kaum wagte, die schmuckvolle Eingangstür zu berühren, war Ragnar weit weniger taktvoll. Der Zwerg scherte sich ganz offenbar nicht um all die Wunder und auch nicht darum, dass sein Blut auf den feinen Samtfußboden tropfte, nachdem er die Eingangstür mit dem Stiel seines Hammers aufgestoßen hatte, aber wahrscheinlich ließ ihm sein Zustand auch nur wenig Spielraum für Taktgefühl.
Leise Musik wehte ihnen durch die geöffnete Tür entgegen. In der hell beleuchteten Eingangshalle waren strahlend polierte Möbel und Sitzgelegenheiten aufgereiht. Die darauf sitzenden Leute in prunkvollen Gewändern starrten sie an, als ob sie zwei Ratten waren, die gerade durch eine Speisekammer huschten. Inmitten der Versammlung weiß gepuderter Gesichter und langer, prunkvoller Gewänder fielen sie sofort negativ auf, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben. Selbst der hochgewachsene Elf, der in seinem schwarzen Anzug zwischen lauter Gläsern und Flaschen hinter dem Tresen stand beäugte sie mit unverhohlen feindseliger Miene.
„Ihr habt euch wohl verlaufen?“, bellte sie ein ebenfalls schwarz gekleideter Zwerg in einem Tonfall an, den sonst wohl kein anderer Gast hier zu hören bekam.
Wie von Zauberhand traten daraufhin drei breitschultrige Gestalten aus einer dunklen Ecke. Diese waren, ebenso wie all die anderen Leute in diesem Etablissement, vortrefflich gekleidet und blickten ebenfalls nicht sehr freundlich drein. Die Bedrohung welche von ihnen ausging war nicht zu übersehen.
„Nein, wir haben uns nicht verlaufen. Wir suchen einen gewissen Yajiro. Der soll hier arbeiten“, versuchte Ahrok schnellstmöglich das Missverständnis aufzuklären, bevor die Männer sie erreichten.
Der Zwerg warf ihm einen durchdringenden Blick zu.
„Mein Name ist Yajiro Baumbrecher, aber ich kann mir jedoch nicht vorstellen, was wir miteinander zu bereden hätten.“
„Unmöglich!“, röchelte Ragnar.
Es blieb kein Zweifel daran, dass ihm die Verwundung nun doch noch weit mehr abverlange, als Ahrok vorerst angenommen hatte, also war es umso wichtiger, hier eine weitere Auseinandersetzung zu vermeiden.
„Nein, nein. Wir suchen wohl einen anderen Yajiro. Sein Vetter Yukio aus der Villa Alibibaba schickt uns nämlich.“
In seinem Kopf schwirrten die Gedanken. Wie viele Yajiros gab es denn hier?
„Ach, ihr seid das“, der Zwerg winkte den drei Riesen, sich zu entspannen. „Mein Vetter hat euch bereits angekündigt. Er hatte nur nicht erwähnt, dass er so... erbärmliche Gestalten zu mir senden würde. Der verdammte Blindfisch hat es vielleicht selber gar nicht gewusst, was?“
Jetzt kam Ahrok gar nicht mehr mit. Es hatte sie doch niemand auf ihrem Weg überholt.
„Wie kann das sein?“, wunderte er sich. „Dieser Andere ist doch ein Elf.“
Yajiro grinste ausweichend. „Fürwahr. Wir sind eine...“
Ragnar verzog angewidert sein Gesicht. „Das ist ja ekelhaft.“
Der Zwerg vor ihnen zeigte nicht die geringste Regung sondern lächelte weiter zuvorkommend.
„...´eine große Familie´ wollte ich sagen. Für Yukios Freunde ist mir natürlich das Beste gerade gut genug. Unglücklicher Weise ist das Beste leider mit einem Großteil vom Rest des Hauses ausgebucht und so kann ich euch leider nur noch ein kleines Doppelzimmer anbieten. Weiterhin werde ich sogleich nach einem Priester des Erwachten schicken lassen, der sich dann unverzüglich um eure Wunden kümmern wird. Betrachtet es als Dienst des Hauses. Franz!“ Ein junger Page schnellte auf den Ruf herbei. „Geleite doch bitte unsere Gäste auf ihr Zimmer. Ach und bitte, verehrte Gentlemen, würdet Ihr Euch bitte Eurer Waffen entledigen? Derart barbarisches Werkzeug wird in unserem Etablissement nicht geduldet. Es besteht auch keinerlei Verwendung dafür in diesem Haus, denn hier seid Ihr völlig sicher, vor wem auch immer.“
Bereitwillig reichte Ahrok sein blutiges Schwert dem wartenden Pagen, nur Ragnar sträubte sich heftig.
„Was verlangst du von mir, du Sohn eines Alfr! Hast du bereits alles vergessen, was uns Dwawi heilig ist? Ich trenne mich nie von meinem Umti Felssplitterer!“
Auch dieses Mal ging dieser Yajiro nicht auf die Beleidigung ein und lächelte stattdessen einfach weiter.
„Von einem Valr Eures Formates hätte ich auch nichts Anderes erwartet, werter Ragnar Sohn des Rango. Aber Ihr...“
„Woher kennt so jemand wie du meinen Namen?“, donnerte der Valr. Sein Wutausbruch pumpte erneut frisches Blut in seinen Verband und er schwankte kurz. Ragnar musste sich auf den Hammer stützen, um nicht zu stürzen.
Die gesamte, anwesende Gesellschaft verfolgte interessiert und mit wohligem Abscheu den Streit der zwei Zwerge.
„Aber, aber, werter Sohn des Rango. Ihr seid einer der wenigen Valr an der Oberfläche und vielleicht sogar der Einzige hier in dieser Stadt. Während die meisten von euch sich irgendwo da draußen befinden und auf einsamen Schlachtfeldern tun, was die Traditionen verlangen, seid ihr seit Jahren nicht über diese Stadtmauern hinausgekommen. Ein jeder Zwerg kennt Euch hier. Ja, um ehrlich zu sein, welcher Zwerg in der Swanmark kennt nicht die traurige und wenig ruhmreiche Geschichte des Falls von Hammerfels. Nicht zu vergessen Eure damit verbundene...“
„Hör auf“, Ragnars Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sein Blick senkte sich und verschiedenste Emotionen huschten über sein Gesicht, aber keine schien die Oberhand gewinnen zu können.
„Bitte übergebt uns Eure Waffen und ich werde persönlich auf sie achten. Des Weiteren werde ich ferner über all Eure unschicklichen Bemerkungen hinwegsehen, da Ihr Euch auf eurem Weg bereits so weit von uns Dwawi entfernt habt, wie nur irgend möglich. Im Gegenzug sollt Ihr so viel Bier erhalten, wie Ihr nur trinken könnt. Feinstes Dunkel natürlich, aus den Kellern des Hauses Eichenbart. Vom König selbst als das Beste in der ganzen Swanmark ausgezeichnet. Ich schätze, Ihr werdet es brauchen, um all Eure Dämonen zu ertränken.“
Das ewige Lächeln des herausgeputzten Zwerges ging Ahrok langsam tierisch auf die Eier. Was wusste der nur über Ragnar, was diesen offensichtlich so schwer beschäftigte?
Noch bevor er eine Antwort darauf finden konnte, nahm ein Page den schweren Hammer aus der kraftlosen Hand des Valrs. Dessen Augen starrten derweil nur ausdruckslos auf den Fußboden und die massigen Muskelberge waren in sich zusammengefallen. Es war ein erbärmlicher Anblick.
„Franz! Bring unsere Gäste doch nun bitte auf ihr Zimmer zwohundertzwölf“, und zu den beiden Abenteurern gewandt fügte er hinzu, „und Ihnen, meine werte Herren, noch eine gute Nacht.“
Elegant und mit hoch erhobenem Haupt schritt der Page vor ihnen einher die lange Treppe hinauf bis in den zweiten Stock. Hier waren die Lamelle Fußböden mit exquisiten Teppichen bedeckt und knisternde Kerzen hingen an den getäfelten Wänden. Bilder von den Künstlern unterschiedlichster Stilrichtungen hingen dort und ließen Ahrok diese Welt so unwirklich erscheinen. Hinter sich hörte er noch, wie Yajiro bei den anderen Gästen überschwänglich für den bedauerlichen Zwischenfall um Entschuldigung bat, aber das interessierte ihn im Moment rein gar nicht.
Nichts, was er je gesehen hatte, konnte sich mit diesem Gang, den sie durchschritten, vergleichen. In der Gegenwart all dieser Schönheit fühlte er sich klein, schmutzig und unbedeutend.
„Bitte sehr, hier sind wir.“ Der Junge hielt vor einer Tür aus dunkelrotem Mahagoni. „Zimmer zwei zwölf. Wenn die Herren bitte eintreten würden.“
Als Ahrok das Innere des Zimmers betrachtete, staunte er nicht schlecht.
Das kleine Zimmer hatte nach sener ersten Schätzung die Größe des Schankraums der „Bleichen Kröte“ und war, so wie schon der Rest der Luxusherberge, in einem warmen, gelben Farbton erleuchtet. Ein riesiges Himmelbett, dessen flauschige Vorhänge und Rüschen in einem hellblauen Farbton gehalten waren, stand an der hinteren Wand und es konnten bequem drei bis vier Leute darin übernachten, ohne sich auch nur einmal im Schlaf zu berühren. Da lag ein halbes Dutzend Kissen auf der Schlaffläche verstreut und ein jedes davon war in ähnlichem Muster und Farbton bestick wie auch die Decken und Vorhänge.
Rechts davon stand ein nicht minder kostbarer Nachttisch mit allerlei kosmetischen Utensilien darauf und direkt dahinter erhob sich ein kleines Regal ein, in welchem mehrere Flaschen der Größe nach aufgereiht waren. Dem Funkeln in den Augen des Valrs nach zu urteilen, hatte dieser den dort aufgebahrten Alkohol auch schon entdeckt.
Der ganze Fußboden wurde von einem einzigen, riesigen Teppich bedeckt, welcher vor Farben und Mustern nur so sprühte, während die Zimmerdecke in Dunkelblau gehalten war und das Sternenzelt zeigte, sowie einige Götter, die sich in verschiedenen Posen da herum reihten. An den Wänden hingen, wie schon auf den Fluren, einige fröhlich flackernde Kerzen sowie ein riesengroßer Spiegel und durch ein großes Fenster an der Stirnseite des Zimmers konnte man in den Hof der Herberge blicken.
Die Tür rechts von ihnen führte in ein Badezimmer mit dem wohl größten Badezuber der Welt. Der Zuber war wohl kurz zuvor mit heißem Wasser gefüllt worden, denn der Dampf wehte ihnen entgegen, als sie die Tür öffneten. Neben der Waschschüssel lagen drei verschiedene Seifen und Rasierzeug sowie einige blütenweiße Hemden und Hosen.
Auf der anderen Seite des Zimmers führte eine weitere Tür in einen Raum, in dem sich ein frisch angefeuerter Kamin befand. Davor, jedoch außerhalb der Reichweite der Funken, erstreckte sich das Fell eines weißen Bären und gab dem Raum damit eine verwegen kuschelige Note.
„Ich hoffe, die Herrschaften sind mit Ihrem Zimmer zufrieden. Wenn Sie noch einen Wusch haben sollten, so zögern Sie nicht zu läuten.“ Der Junge wies aus ein kleines Glöckchen auf dem Nachttisch und blieb dann erwartungsvoll vor den beiden Kriegern stehen.
Ahrok verließ die beiden ohne ein weiteres Wort in Richtung Badezimmer. Noch im Gehen riss er sich die blutverkrusteten Kleider vom Leib.
„Ja, wir sind voll zufrieden, du kannst jetzt wieder abdackeln“, nickte Ragnar dem Pagen zu.
Enttäuscht schloss Franz seine geöffnete Hand und entfernte sich wieder.
„Weißt du, das ist jetzt genau das, was ich gebraucht habe“, tönte Ahrok zufrieden aus dem Nebenraum. Erst nur die Füße, dann die Beine und dann versankt er ganz in dem wohlig warmen Wasser. „Hast du ´ne Ahnung, wie lange ich schon nicht mehr in heißem Wasser gebadet habe? Das muss Monate her sein.“
Ragnar rümpfte nur verständnislos die Nase. „Na und? Bei mir sind es Jahre und ich vermisse es kein bisschen. Also ich bade mich dann doch lieber von innen. Das ist gesund und hebt die Stimmung.“ Der Zwerg griff sich eine Flasche mit hochprozentigem Inhalt aus dem Regal. „Ja, Schätzchen, das ist genau, was der Doktor verordnet hat.“
Zufrieden setzte sich Ragnar auf das Bett und führte die erste von vielen Flaschen zum Mund.
„Oh, ja... weißt du, wie lange ich schon nicht mehr solch gutes Zeug getrunken habe?“
„Nein. Was ist es denn?“
Der Zwerg hielt inne und betrachtete das Etikett. „Kartoffelschnaps hier aus der Gegend.“
„Dann lass mir etwas übrig.“
„Na ja... unwahrscheinlich, wenn du dich da drinnen nicht beeilst, denn die Hälfte...“
Unvermittelt klopfte es an der Tür.
„Mach du bitte auf. Ich bin hier beschäftigt“, stöhnte Ahrok.
„Ich etwa nicht?“ Der Zwerg setzte die Flasche wieder an, überlegte es sich dann doch kurzfristig anders. „Ach, Scheiße.“
Mühsam erhob er sich wieder. Schwankend vom Blutverlust und dem hochprozentigen Schnaps, der in seinem Magen schwappte, erreichte er dennoch ungewöhnlich schnell die Tür. Als Ragnar sie öffnete, fiel sein Blick auf eine recht ansehnliche Frau. Ihre langen, braunen Haare hingen offen über das weiße Leinenkleid und ihre ebenfalls braunen Augen blickten milde auf den Zwerg.
„Falsches Zimmer, meine Gute“, begrüßte sie Ragnar zwischen zwei Schlucken.
„Ich bin Karellea Hübschhand.“
„Ja... und?“, fragte Ragnar mürrisch.
Etwas irritiert blickte sie zu ihm hinab, fing sich jedoch schnell wieder.
„Oh, ich sehe man hat mich noch nicht angekündigt. Ich bin doch hier richtig bei den frisch angemeldeten Herren in Zimmer zweihundertzwölf?“
„Hast du dir etwa wieder was zum vögeln bestellt?“, rief Ragnar ins Bad und setzte die Flasche wieder an.
„Nein, nicht das ich wüsste. Ist es etwa Sandra?“
Ihr Blick haftete an dem verrutschen Verband und der fast zwei Zoll breiten Wunde auf Ragnars Brust.
„Ihr versteht nicht, Herr Zwerg, ich bin Priesterin des Erwachten“, klärte sie auf. „Ich denke Ihr benötigt meine Hilfe.“
Mit einem „Also ich brauch gar nichts“ schlug Ragnar ihr die Tür vor der Nase zu.
„Wer war das?“, rief Ahrok aus dem Badezimmer.
„Ach, niemand, da hat sich wer in der Zimmernummer geirrt.“
„Also war es nicht Sandra?“
Ahrok erhielt keine Antwort und so sank er wieder glücklich zurück in das warme Wasser.
Gedanken kamen und gingen und als dann auch noch wenig später die Schluckgeräusche im Nebenzimmer verstummten, wurde es so angenehm ruhig, dass er kurz einnickte.

Einige Stunden später, als sich Ahrok endlich entschlossen hatte, völlig verschrumpelt das mittlerweile viel zu kalte Badewasser zu verlassen, lag Ragnar mit weit ausgebreiteten Armen friedlich schnarchend auf dem Bett.
Ahrok entschied kurzerhand, dass er den Valr lieber alleine dort schlafen lassen sollte, also zog es ihn in das gemütliche Zimmer mit dem Kamin. Dort machte er es sich sogleich auf dem Bärenfell bequem.
Aber obwohl er herrlich entspannt und noch dazu völlig erschöpft war, ließen ihn die Ereignisse des Tages so schnell keinen Schlaf finden. Er war eingesperrt, gepeinigt und geschlagen worden wie ein räudiger Hund. Man hatte ihn sogar allein dafür töten wollen, dass er Mias Regeln befolgt hatte.
Und so starrte er noch eine Weile in die Flammen und lauschte dabei dem monotonen Anschwellen und Abklingen zwergischen Schnarchens aus dem Nebenraum. Ohne diesen kleinen Mann dort drüben wäre er jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Doch anstatt im Unterreich herumzuspuken, genoss er alle Vorzüge einer luxuriösen Herberge. Beim heiligen Speer des Erwachten, so ein Zimmer hatte er sich nicht in seinen kühnsten Träumen vorgestellt. Das kuschelig weiche Fell erinnerte ihn auf einmal unerwartet schmerzlich an seine verlorene Rüstung.
Es hatte kaum zwei Tage gedauert und er hatte alles verloren, was Mia ihm mitgegeben hatte und... Ahrok schluckte schwer, als die Erinnerungen in ihm hochquollen, und er hatte gekämpft und getötet. Nicht nur einmal, sondern wieder und wieder. Mehr als zehn Männer hatten heute durch ihn ihr Leben verloren. Nicht, dass sie es nicht verdient hatten. Sie hatten sich ihm in den Weg gestellt und sich damit unweigerlich dem Richterspruch seines Schwertes übergeben, aber… ihre Gesichter ließen ihn nicht los. Sein Magen verkrampfte sich wie schon vor ein paar Stunden und Ahrok kämpfte erneut mit dem Würgereiz. Der Junge... Ahrok erinnerte sich kaum. Wie alt war der noch einmal gewesen? Fünfzehn oder sechzehn. Arme Sau... er hätte eben weglaufen sollen und wer waren all die anderen gewesen? Hatten sie Familie gehabt? Natürlich hatten sie das. Ein jeder hatte eine Familie.
Vielleicht war es doch nicht richtig gewesen, sie alle zu töten. Er hätte an den meisten von ihnen vorbeilaufen können… Ach, Quatsch! Ahrok hämmerte seinen Kopf auf den Boden und schob somit diesen beunruhigenden Gedanken beiseite. Hatte er denn gar nichts bei Mia gelernt, dass ihm derartige Zweifel kamen? Sie hatten ihn herausgefordert und damit auch ihr eigenes Leben in die Waagschale geworfen. Sie waren am Ende nur zu schwach gewesen, sich den Sieg zu nehmen.
Mia hatte alles daran gesetzt einen großen Mann aus ihm zu machen. Was hatte sie nicht immer gesagt, wenn er zweifelte?
´Die Menschen sind schwach und wankelmütig, wenn du einen Mann tötest, dann bist du ein Mörder, wenn du zehn tötest, schimpfen sie dich ein Monster. Doch tötest du jedoch hundert so ehren sie dich als Held und wenn du zehntausend tötest, so bejubeln sie dich als König´
Es war nicht gut, sich mit solch Kleinigkeiten die nächtliche Stimmung zu verderben. Er hatte seine Feuertaufe bestanden, er hatte sie überlebt. Er hatte Mia alle Ehre gemacht, so viel war sicher. Die Stadt war wirklich ein unbeschreiblicher Ort. So viel Abenteuer an nur ein paar Tagen, ein Freund, der sein Leben für ihn riskierte… Das war so viel mehr, als er in seinem gesamten bisherigen siebzehn Jahren erlebt hatte.
Genau so konnte es immer weiter gehen.
Die Gesichter verschwanden langsam wieder im Dunkel des Vergessens und er schmiegte sich zufrieden in das Bärenfell und malte sich dabei in Gedanken noch weiteren Heldentaten aus, bis er kurze Zeit später auch in erholsamen Träumen versunken war.

„Guten Morgen, Sergeant“, Hauptmann Bernhard lächelte fröhlich. „Irgendwelche besonderen Vorkommnisse über Nacht?“
Er legte den roten Mantel ab und trat in seine Wachstube, der Sergeant der Stadtwache folgte ihm schnell.
„Ja, Herr Hauptmann. Im Westbezirk hat es wieder einmal gebrannt, wir vermuten die ´Roten Teufel´ stecken auch diesmal dahinter. Scheinbar haben wir die Möglichkeiten und den Eifer dieser Gruppe doch sehr unterschätzt. Jedoch gab es dieses Mal keine zivilen Verluste und der Sachschaden konnte durch unser schnelles Eingreifen in Grenzen gehalten werden. Weiterhin gab es etwa zur selben Zeit in der Villa von Jamahl Ablibah ein Massaker mit zwanzig Toten unter ihnen befand sich auch der Sohn des Kaufmanns. Wir vermuten hier jedoch zurzeit keinen Zusammenhang.“
Der Hauptmann nippte an seinem morgendlichen Kelch Wein.
„Sein Pech. Wer Steuern sparen will und eigene Wachen anheuert, bekommt eben was er verdient. Vielleicht wird ihn das lehren, seine Gebäude doch unserem weitaus zuverlässigeren Wachdienst zu unterstellen. Noch etwas?“
„Ja, Herr Hauptmann. Eine gute Nachricht!“ Bernhards Gegenüber strahlte über das ganze Gesicht. „Wir haben den Kerl gefunden, der Ihre Frau und Ihren Sohn auf dem Gewissen hat. Er lief gestern unbehelligt über den Marktplatz und machte nicht einmal Anstalten sich zu verstecken. Wir haben ihn sofort aufgegriffen und der Folterknecht hat nach vierzehn Stunden auch endlich ein Geständnis aus dem Monster herausgekitzelt. Die Hinrichtung ist für morgen Abend angesetzt. Ich hab extra den Maskierten Meuchler mit der Hinrichtung beauftragt, da ich weiß, dass dies Ihr Lieblingshenker ist.“
Hauptmann Bernhard nickte zufrieden. So geschah alles, wie es der große Plan vorhersah.
„Vielen Dank, Sergeant, das sind gute Neuigkeiten. Ich werde mir dieses Spektakel nicht entgehen lassen. Weggetreten!“
Der Stadtwächter verließ nach kurzem Salutieren den Raum und Bernhard saß wieder allein in seinem Zimmer. Als der Hauptmann sich endlich unbeobachtet fühlte, öffnete er sein Hemd. Der Anblick, der sich ihm bot, war immer noch so verstörend, wie beim ersten Blick in den Spiegel. Von der pulsierenden Wucherung, welche nun über seinem Herzen heranwuchs, war in dem Vertrag mit dem Dämon keine Rede gewesen. Es war ein abstoßendes Geschwür und allein der Anblick bereitete ihm Unbehagen. Bernhard knöpfte das Hemd kopfschüttelnd wieder zu. Dies war nicht der Zeitpunkt für falsche Eitelkeit. Alles hatte eben seinen Preis, was war da schon eine Pustel mehr oder weniger?
Er kämpfte auf verlorenem Posten. Diebe, Attentäter und Räuber organisierten sich seit Neuestem in Gilden in seiner schönen Stadt. Neue Opiumkneipen und Hurenhäuser entstanden fast täglich dort, wo einst ehrliche Geschäfte gemacht wurden. Brave Bürger trauten sich in einigen Vierteln nachts nicht einmal mehr auf die Straße und was tat der Statthalter dagegen? Dieser inzuchtgeschädigte Hurenbock sah einfach nur tatenlos zu, wie sein herrliches Märkteburg in Gottlosigkeit und Lasterhaftigkeit versank. Ein neues Zeitalter der Apostasie hatte längst begonnen.
Nicht minder schlimm traf es seine eigenen Leute. Seine tapferen Männer wurden mittlerweile auf offener Straße abgestochen. Erst letzten Monat hatte ihr ehrenhafter Beruf drei Stadtwächter das Leben gekostet.
Doch jetzt nicht mehr. Bernhard hatte lange genug zugesehen, wie alles den Bach herunter ging und die Stadtwache nur damit beschäftigt war, hier und da den Dreck aufzuräumen. Geschissen auf die Fesseln der Bürokratie! Wie in den alten Überlieferungen würde heiliges Feuer die Stadt verzehren und nur die Gerechten würden aus der Asche wieder auferstehen. Nun gut, in diesem Falle würde es zwar ein unheiliges Feuer werden, aber Feuer war Feuer. Immerhin musste etwas getan werden! Und brennen würde dieser Sündenpfuhl, soviel war sicher.
Er verspürte ein unangenehmes Pochen im Hinterkopf, als der Wurm, welcher sich um seine Hirnrinde wandt, sich wieder bewegte. Der Dämon sprach erneut zu ihm.
„Bernhard, was macht das Leben so? Wie geht es meinem Auserwählten?“
Die leicht gesäuselten Worte hämmerten sich in seinen Schädel und verursachten unvergleichliche Qualen. Bernhard Schreiber schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu schreien, doch der Wurm kroch unablässig voran und pochte und vibrierte in seinem Schädel, als wollte er ihn von innen zerbersten.
„Ich habe eine Bitte an dich, Bernhard.“
„Ich höre, Meister“, presste er zwischen den Zähnen hervor.
„Ich möchte, dass du den Etat für die Kanalwachen kürzt und den Untergrund der Stadt für ein paar Monate nicht beachtest.“
„Es wird dadurch viele Tote und Verletzte geben Meister, diese Patrouillen sind...“
„Wir befinden uns im Krieg, Bernhard. Es wird so sein wie du es wolltest. Tote sind dabei ebenso unvermeidlich wie auch wünschenswert“, dröhnte die väterliche Stimme. „Sieh dich um. Sieh dir die Welt doch nur an. Die Zwerge sind ebenso gescheitert wie einst die Menschen. Und die Elfen? Bleiben wir realistisch, die wollen wir es doch lieber gar nicht erst versuchen lassen. Nein, du hast den richtigen Weg gewählt. Dieser Krieg ist unvermeidlich, er war es von Anfang an.
Doch sei unbesorgt. Dem Großteil deiner Stadt wird wahrscheinlich nichts geschehen und natürlich wirst du dabei nicht leer ausgehen, mein Bernhard, mein Champion. Haben wir erst gesiegt, wird die Stadt erst unterworfen, so braucht sie einen neuen Statthalter. Einen König, einen großen Mann, einen Mann mit Verstand und Macht. Einen Mann, der es besser macht als die Versager, die jetzt das Sagen haben. Dieser Mann wirst du dann sein. Und mehr noch, hier ein Vorgeschmack dessen, was dich erwartet, wenn du mir weiterhin treu zur Seite stehst.“
Eine enorme Kraft durchströmte Bernhards Körper, er fühlte sich zwanzig Jahre jünger, so als könnte er Bäume ausreißen und Felsen bewegen. Zudem übertönte ein seliges Glücksgefühl all seine Emotionen. Trotz der Schmerzen lächelte er friedlich. Es war so schön, so unsagbar schön.
„Nun, Bernhard, ich brauche dir wohl nicht zu demonstrieren, was dich erwartet, wenn du versagen solltest.“
„Nein, Meister“, antwortete er schnell.
Ein glucksendes Kichern dröhnte in Bernhards Kopf.
„Ich werde es dennoch tun, nur damit du es niemals vergisst.“
Alle gewonnene Kraft fiel sofort von ihm ab und das herrliche Gefühl verwandelte sich in etwas Fauliges, Widerwärtiges. Die Knochen in Bernhards rechtem Arm begannen sich knirschend zu verdrehen und zu brechen. Die Haut riss auf und schälte sich von seinem Fleisch.
Er schrie auf vor Schmerz.
Sofort stürzten einige Soldaten der Stadtwache in sein Zimmer, um nach ihrem Hauptmann zu sehen. Sie fangen ihn schweißgebadet in seinem Sessel. Bernhard hielt sich den rechten Arm, doch dieser war unversehrt. War alles nur ein Traum gewesen?
„Hauptmann Schreiber! Was ist passiert?“, platzte Sergeant Schmidt heraus.
„Ähm, äh ... nichts“, Bernhard massierte sich die Schläfe und rang um seine Fassung. „Gar nichts. Ein... ein Albtraum, nichts weiter. Sie...“ Er schluckte, um den ekligen Geschmack aus dem Mund zu bekommen, aber es half nicht. „Sie dürfen jetzt gehen.“
Nur bedingt zufrieden gestellt verließen die Wächter den Raum und warfen sich dabei untereinander bedeutungsschwangere Blicke zu.
„Seit dem Tod seiner Frau ist er nicht mehr derselbe“, raunte einer.
„Ja, er sieht zwar viel gesünder aus, aber ... du weißt schon...“
„Ja, ja, ich weiß, was ihr meint.“
Bernhard gab nichts auf die gemurmelten Worte seiner Untergebenen. Sie waren gute Männer, aber dennoch nichts weiter als unwissende Sterbliche, die sich an die Gunst schwacher Götter klammerten und ihr armseliges Leben in Bedeutungslosigkeit verschwendeten. Er war anders, er war erleuchtet. Er hatte seinen Platz in dieser Welt gefunden und wusste deshalb genau, was er zu tun hatte.

Völlig ausgeruht erwachte Ahrok am nächsten Morgen nach einem langen Schlaf in flauschiges Bärenfell eingekuschelt und mit pelzigen Haaren im Mund. Im Kamin glomm nur noch die Glut vom Vorabend und aus dem Nebenzimmer erklang unverändert ein leises Schnarchen.
Er gähnte ausgiebig und spuckte die Flusen aus. Alles in Allem fühlte sich Ahrok erstaunlich gut, selbst die Wunde in seiner Schulter pochte nur leicht.
Ausschlafen.
Ausschlafen war herrlich.
Oh ja, das Leben in der Stadt war um so viel besser, als die Schinderei auf dem Hof seines Vaters.
Wie es wohl Ragnar ging? Dem Schnarchen nach zu urteilen, war er zumindest nicht am Blutverlust gestorben. Die Neugier war plötzlich stärker als der Drang, liegenzubleiben.
Als Ahrok noch immer ein bisschen schlaftrunken den Nebenraum betrat, traute er seinen Augen nicht. Fünf leere Flaschen lagen auf dem schönen Teppich verstreut und Ragnar ruhte friedlich zusammengerollt dazwischen. Das durch die Buntglasfenster einfallende Licht der Morgensonne spiegelte sich in den vielen Flaschen wieder, die überall herumlagen, und ließ den ganzen Raum funkelte wie einen sonderbareren Edelstein.
Sein Hemd, welches Ragnar gestern noch als Verband gedient hatte, lag weggeworfen auf dem Boden. Sonderlich schön sah es nicht mehr aus mit all dem Blut darauf. Es war also unumgänglich, sich schnellstmöglich neu einzukleiden In richtiger Städterkleidung natürlich.
Um den Valr in seiner dringend benötigten Ruhe nicht zu wecken, schritt er vorsichtig auf den Zehenspitzen durch den Wirrwarr am Boden hinüber ins Bad. Die Hose und ebenso der Beutel mit dem ganzen, gefledderten Schmuck lagen hier immer noch neben dem Badezuber.
Ahrok durchwühlte die im Badezimmer aufgebahrten, gerüschten Hemden, um eines in seiner Größe zu finden, aber nachdem er dann sieben der wunderschön gefalteten Hemden anprobiert und jedes einzelne als für viel zu eng befunden hatte, zwängte er sich dann doch wieder in die schmutzige Kleidung. Nicht ein einziges hatte ihm gepasst. Enttäuscht und an einem morgendlichen Tiefpunkt seiner Laune angelangt, klopfte er das trockene Blut ab.
Was stank hier so? War es das Zwergenblut? Der Gestank kam definitiv von seinem Hemd. Vielleicht war es auch die Mischung aus Blut, Schweiß, Bier, Essensresten und fauligem, bepisstem Stroh, welche ihm dieses Unbehagen bereitete.
Ahrok schob die finsteren Gedanken fort und räkelte sich erst einmal in aller Ruhe.
Die Tatsache, dass keines der Hemden passte oder dass seine alte Kleidung unwiderruflich im Eimer war, ärgerte ihn nicht weiter. Warum auch? Er würde sich von dem ganzen Schmuck in seinem Beutel ein neues Hemd und eine neue Hose kaufen. Dazu vielleicht auch noch Gürtel, Stiefel und einen Hut. Sicherlich wusste Ragnar, wo es entsprechende Schneiderläden gab. Mit diesem tollen Plan im Hinterkopf hielt er es kaum noch länger in diesem Zimmer aus. Er musste Ragnar wecken, um schnellstmöglich einkaufen zu gehen. Es würde ein wunderbarer Tag werden!
Wieder zurück im großen Schlafraum stieß Ahrok den kleinen Mann mit dem Fuß an.
„Ragnar, komm hoch. Ich brauch ´nen Schneider.“
Hustend erwachte nun auch der Zwerg aus seinem Schlaf. Nach einem geräuschvollen Rülpser erhob er sich schwankend, doch seine Augen blickten noch glasig und völlig übernächtigt drein.
„Oh Mann… mein Kopf…“, brummte er und hielt sich den Schädel mit beiden Händen. „Ich brauch jetzt erst mal was zu trinken.“
Die gewaltige Wunde auf seiner Brust hatte sich tatsächlich über Nacht geschlossen und sie würde in einigen Wochen wohl kaum mehr sein als eine weitere, riesige Narbe auf dem Körper des Zwerges. Ragnars Konstitution schien keine Grenzen zu kennen. Vorsichtig schwankte der Zwerg durch das Zimmer und tastete sich durch das Regal mit den Schnapsflaschen. Seufzend stellte er fest, dass jede einzelne davon bereits gänzlich leer war.
„Ich...hup...denke, dass es langsam Zeit für uns wird, weiter zu ziehen“, brachte er mühsam heraus und wankte zur Tür.
„Ja, genau deshalb hab ich dich auch geweckt. Ich brauche neue Kleider. Weißt du wo ich ´nen Schneider finden kann?“
Der Zwerg tat so, als hätte er ihn gar nicht gehört und stolperte hinaus auf den Gang.
Ahrok warf noch einen kurzen Blick auf das Chaos, das gestern noch ein himmlisches Apartment gewesen war, dann folgte er dem fluchenden Zwerg. Hoffentlich stellten sie ihnen die Verwüstung nicht in Rechnung.
Auf dem Flur der Herberge tummelten sich bereits viele hervorragend herausgeputzte Adlige und andere gut gekleidete Personen unterschiedlichsten Standes und verschiedensten Alters, die alle eines gemeinsam hatten. Sie starrten allesamt gleichsam verwundert wie auch angeekelt auf den schwankenden Zwerg, der sich an der Wand entlang zur Treppe tastete.
Ragnar bahnte sich indes seinen Weg durch die angewiderten Edelleute bis in den Eingangsbereich, mit einer Rücksichtslosigkeit, die Ahrok bereits auf dem Markt bewundert hatte. An seinem Ziel angekommen, ließ er sich auf einen Sessel am erstbesten freien Tisch fallen.
Eine vollbusige Zwergin in schwarzem Kleid trat an seinen Tisch.
„Sie wünschen, mein Herr?“
Ihre Stimme war geflissentlich devot, doch nicht ohne den leichten Hauch von Skepsis angesichts Ragnars Anblick.
„Bring mir ein paar Bier, meine Hübsche, ich brauch was zum Ausnüchtern“, zwinkerte ihr Ragnar zu.
„Es tut mir Leid, werter Herr, aber wir führen hier keinen Alkohol vor der Mittagszeit“, erwiderte sie immer noch ausgesprochen freundlich.
„Was?“, der Valr sprang auf und alle Köpfe im Raum drehten sich in seine Richtung. „Kein Bier!? Was, beim rasierten Rücken meiner Mutter, ist denn das für ein beschissener Saftladen hier?“
Die Bedienung lief sofort rot an und blickte sich hilfesuchend um.
„Ahrok?! Komm, wir gehen.“
Ragnar war plötzlich hellwach und stocknüchtern. Umgehend ergriff er Ahroks Arm und zog ihn mit sich zur Tür, als ihnen Yajiro und fünf dieser übergroßen Rausschmeißer hurtig den Weg versperrten.
„Einen wunderschönen guten Morgen, werte Herren. Es ist ja durchaus bezaubernd, dass Sie uns schon wieder verlassen möchten, aber wie steht es denn mit der Bezahlung für unsere nicht gerade bescheidenen Dienste?“
„Wie jetzt? Ich dachte wir waren eingeladen?“, protestierte Ahrok und erntete dadurch nichts weiter als einen skeptischen Blick.
„Eingeladen?“, der Zwerg stimmte ein gekünsteltes Lachen an, das seine ärgerlich zusammengekniffenen Augen beinahe Lügen strafte. „Oh nein, ich habe dieses luxuriöse Zimmer nur für Euch frei gehalten. Für diese zweifellos außergewöhnliche Nacht in einem unserer Doppelzimmer und den Service schuldet Ihr der Herberge noch einhundertsiebenundsechzig Silberstücke zuzüglich eines hoffentlich nicht allzu bescheidenen Obolus für unsere ´verschwiegene´ Gastfreundschaft.“
Yajiro grinste schon wieder, aber seinen Worten schwang eine eisige Kälte mit.
„Hau´n wir ihn um? Ich hau ihn um“, schnaubte Ragnar.
Ahrok spielte kurz mit dem Gedanken auf Ragnars Vorschlag einzugehen.
Sie beide standen ohne ihre Waffen und auch ohne jedwede Rüstung fünf massigen Kämpfern gegenüber. Er und auch Ragnar waren verwundet und der Zwerg hatte außerdem noch einen Kater. Es sah nicht so aus, als hätten sei eine Chance, ihren Standpunkt physisch zu untermauern. Dieses Mal hatte ihr Gegenüber die besseren Karten - außerdem war es zur Abwechslung auch einmal schön, einen Ort zu verlassen, ohne dass eine große Blutspur zurück blieb.
Er warf dem grinsenden Zwerg seinen Beutel zu.
„Hier sind einige Münzen und Schmuckstücke drin. Familienerbstücke, alles ziemlich wertvoll.“ Dass es nicht seine Familie war, die er gestern beerbt hatte behielt er jedoch lieber für sich. „Das ist alles was wir haben. Nun gebt uns bitte unsere Waffen zurück und lasst uns gehen.“
Yajiro prüfte mit dem fachmännischen Blick den Inhalt des Beutels. „Schöne Ringe… und das hier... Lasst sie durch.“ Ein Page schleppte die beiden Waffen heran und gab sie den beiden Abenteurern bereitwillig. „Es war uns ein Vergnügen, Sie als Gäste bei uns gehabt zu haben, werte Herren. Bitte beehren Sie uns bald wieder“, grinste Yajiro.
Ahrok unterdrückte den Drang, seine Faust im dämlichen Grinsen des Zwerges zu begraben. Jedoch folgte Ragnar nicht seinem friedlichen Beispiel.
 
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Kommentare  

ach ja, der maskierte meuchler... ;))
hauptmann bernhard taucht auf, und er hat einen dämon im kopf, erinnert mich ein bisschen an stargate, an einen wurm, an einen goa’uld - aber wie ist wohl der große plan?
lieben gruß


Ingrid Alias I (20.08.2010)

Ja der arme verblendete Hauptmann... aber wenn schon die Helden keine echten Helden sind, dann müssen ja auch die Bösewichte nicht tiefschwarz sein.
Ich mag diese Schwarz-Weiß Malerei ohnehin nicht und in Ahrok sind eben alle grau - mal etwas heller, mal etwas dunkler.


Jingizu (20.08.2010)

Geschafft, endlich wieder in der Freiheit, aber wohin? Während Ahrok und Ragnar eine wirklich gemütliche Nacht verbringen dürfen, leidet Hauptmann Bernhard. Er muss sich mit jenem gefährlichen Wesen der Unterwelt herum plagen, dass er selber in seiner Verblendung selber heraufbeschworen hatte. Fast tat er mir leid. Aber weshalb hat er es getan und dafür sogar Frau und Sohn auf brutalste Weise geopfert? Toll, dass man das jetzt alles lesen kann. Bin gespannt, wie es mit dem Hauptmann weiter geht.

Petra (20.08.2010)

Schön beschrieben, die gewaltige Herberge zum ´Roten Drachen´.Türen aus Mahagoni, ein riesiges Himmelbett, Vorhänge mit Rüschen und sogar ein Badezimmer, das musste ja die beiden Abenteurer überraschen. Doch allzu billig war das auch nicht. Mir ist aufgefallen, dass du diesmal eine Passage über Hauptmann Berhard eingeschoben hast. Das hat mir sehr gefallen, denn schließlich will der Leser ja mal wissen, wie es nun weiter auch mit ihm gegangen ist. Schön spannend und es klärt sich vieles.

Jochen (18.08.2010)

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