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13 Seiten

Ahrok - 9. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Neuntes Kapitel: Abgebrannt

Nach einer halben Stunde atemloser Hetzjagd durch die Stadt waren sie dann endlich ihren Verfolgern aus der Herberge entkommen. Es hatte ihn gleich mehrmals überrascht, wie ausdauernd diese hübsch gekleideten Leute doch sein konnten. Dreimal hatte er sich schon seiner Verfolger entledigt gesehen, doch dann waren sie immer wieder hinter einer Straßenecke aufgetaucht. Dieses Mal hatte es jedoch den Anschein, als ob sie den Männern wirklich entgangen waren. Keuchend lehnte sich Ahrok an die Wand eines Fachwerkhauses, während Ragnar neben ihm fröhlich lachte.
„Was für ein Spaß am frühen Morgen.“
Noch mehr als die Beharrlichkeit ihrer Verfolger wunderte Ahrok, wie der Zwerg nach einer solchen Nacht noch derartig laufen konnte und das dann auch noch mit diesen kurzen Beinen. Was sollte dieser Blödsinn überhaupt? Sie hätten doch ruhig und gesittet die Herberge verlassen können, ohne sich gleich wieder unbeliebt zu machen.
„Bäm! Mitten in die hässliche Fresse des Elfenfickers. Scheiße, mich juckt´s in den Fingern, gleich nochmal zurückzulaufen und ihm noch eine zu verpassen.“
Die Wunde auf der Brust des Zwerges war während der Hetzjagd wieder aufgebrochen. Wundsekret und Blut rannen über seinen behaarten Bierbauch, aber er schien das gar nicht zu beachten.
„Heißa, schau mal wo wir gelandet sind. Das hebt doch gleich die Stimmung.“
Der Zwerg war so aufgekratzt wie ein Kind am Geburtstagsmorgen, also hob nun auch Ahrok den Blick und erspähte über seinem Kopf ein Schild, auf dem ein Bierkrug prangte, umgeben von dem Schriftzug „Zum bodenlosen Bierfass“. Mit einem resignierten Kopfschütteln beobachtete er, wie der Valr kräftig gegen die Tür der Taverne schlug.
Zwergenspinner.
„Hey, aufmachen!“
Es dauerte beinahe eine Viertelstunde, in welcher der Zwerg nicht müde wurde, seine Faust gegen die Tür zu schwingen, bis sich die lädierte Barriere einen Spalt weit öffnete. Ein verschlafenes, haariges Gesicht starrte aus dem Dunkel dahinter wütend hinunter zum Valr.
„Ich hab Durst. Lass uns rein!“, befahl Ragnar und noch ehe der Mann zu seiner Schimpftirade ansetzen konnte, steckte bereits ein Zwergenstiefel im Türspalt.
Mit einer solchen Reaktion hatte der Wirt bestimmt nicht gerechnet, völlig überrumpelt öffnete er die Tür nun gänzlich.
„Ihr seid nicht von der Stadtwache, oder?“
„Wieso? Kriegen die Rabatt hier? Wenn ja, dann sind wir aber so was von waschechte Bullenschweine. Hast du Bier? “
„Ja, schon… Ich meine, wir öffnen zwar erst in acht Stunden, aber...“
„Ja, äußerst interessant, aber behalt deine Lebensgeschichte für dich“, unterbrach ihn der Valr. „Ich hab Silber, ich hab Durst, also bring du uns Bier. Das hier dürfte genügen.“
Ragnar schüttelte einige Münzen aus seinem Geldbeutel und alle Zweifel wichen sogleich aus den Augen des Mannes, als er die große Ansammlung von Silberstücken vor sich erblickte.
„Sofort, meine Herren“, umgehend verschwanden die Thaler in einer Tasche seines Nachthemdes und er im Nebenraum.
Nur wenig später kehrte er mit einem gewaltigen Fass zurück, welches gut und gerne zehn Liter fasste und zauberte damit ein wölfisches Grinsen auf Ragnars Gesicht.
„Sehr schön, mein schlafberaubter Schankwirt, dann leg dich jetzt mal wieder in dein Bett. Wir werden ab hier mit dem Fässlein schon alleine fertig.“
Der Wirt warf noch einen kurzen, besorgten Blick auf die zwei Gäste, danach noch einen auf seinen Schankraum, als wolle er sich ein letztes Mal alles ganz genau einprägen, aber er wagte keine Widerworte. Es schien kurzzeitig, als wollte er doch noch zu einem kleinen Protest ansetzen, aber dann schlurfte er doch nur stumm zurück in sein Schlafgemach.
Ragnar hatte ihn ohnehin schon gar nicht mehr beachtet, sondern umständlich den Stopfen aus dem Fass gerissen, es über den Kopf gehoben und begonnen, in tiefen Zügen gierig daran zu nuckeln, wie ein Säugling an der Mutterbrust.
„Boah, Scheiße, hab ich einen Brand. Ich… willst du auch was?“, fragte der Zwerg, als er einen kurzen Moment das Fass abgesetzt hatte.
Ahrok schüttelte nur den Kopf. Um seine Ruhe vor dem Zwerg zu haben, nahm er an einem Tisch in einer dunklen Ecke Platz und betrachtete von dort aus seine Umgebung. Die Taverne war weit größer, als es von außen den Anschein gehabt hatte. Diese hier beherbergte zwanzig Tische mit je vier bis zehn Stühlen. Ein großer Kerzenleuchter aus Hirschgeweihen hing mittig von der Decke und siedelte das Inventar der Schänke damit in etwas gehobeneren Kreisen an.
Ein weiterer, beruhigender Aspekt war, dass die Fenster mit dicken Stoffbahnen verhangen waren, die nicht nur die Sonne, sondern auch jegliche, neugierige Blicke aussperrten. Außerdem hatte der Wirt hinter ihnen den Riegel der Tür wieder vorgeschoben und die Taverne verschlossen. Eine Entdeckung durch ihre Verfolger war somit sehr unwahrscheinlich.
Das einzige Licht, was den Raum ein bisschen erhellte, war also ein winziger Sonnenstrahl, der durch einen nicht gänzlich verschlossenen Fenstervorhang in die Taverne fiel.
Langeweile, ungenügendes Licht und Ragnars ewige, monotone Schluckgeräusche machten Ahrok nun doch wieder etwas schläfrig. Er hatte nicht vor, draußen ihren Häschern in die Arme zu laufen und in Ermangelung einer besseren Idee legte er also den Kopf auf den Tisch, lauschte seinem eigenen Atem und dachte an Mia und ihr Training im Wald. Was wohl aus ihr geworden war? Vielleicht kannte sie ja jemand in der Stadt und der konnte ihm dann verraten, wo sie sich aufhielt. Sie würde sich ganz sicher über seine neusten Heldentaten freuen.

Er wurde durch einen Stoß in den Rücken aus seinem Dösen geweckt. Direkt vor seiner Nase standen nun schon zwei dieser großen Fässer und als ob das nicht genug war, trank Ragnar am Nebentisch gerade mit einem Haufen anderer Zwerg um die Wette. Der Raum war hell erleuchtet und zum Bersten gefüllt, außerdem erfüllte der schenkenübliche Klang von grölenden Gästen, zersplitterndem Holz und kichernden Schankmädchen die Luft.
Wenn Ahrok es nicht besser gewusst hätte, so hätte er vermutet, einfach von einer bizarren Traumwelt in die nächste eingetaucht zu sein. Bei den ganzen Leuten um ihn herum wurde ihm jetzt auch etwas mulmig zumute, denn er war so viel Gesellschaft weder gewohnt, noch fühlte er sich sonderlich wohl inmitten der ganzen Säufer.
Schlimmer als das war nur, dass er die nächsten paar Stunden damit verbringen musste, zuzusehen, wie Ragnar einen Gast nach dem anderen unter den Tisch trank. Es raubte ihm den Appetit, es raubte ihm den Durst und es raubte ihm das Bedürfnis, je wieder eine Taverne zu besuchen. Noch dazu war es ihm unverständlich, wie die Leute um ihn herum jemanden hochleben lassen konnte, der einfach nur ein besonders gut trainierter Säufer war.
Wenn er noch ein einziges Mal begutachten musste, wie jemand den Zwerg zu einem Trinkspiel herausforderte, dann würde er ohne Zweifel wahnsinnig werden. Diese hirnlosen Schnapsdrosseln nervten ihn ohne Pause mit ihrem unverständlichen Gebrabbel. Er war die ewigen, unnachvollziehbaren Gedankensprünge leid und erst recht die innigen, berührungsintensiven Freundschaftsbekundungen von Leuten, die er noch nie im Leben zuvor gesehen hatte.
Um endlich einmal Schwung in die vom Alkohol so träge Bude zu bringen sprang er auf den Tisch.
„Hey, Leute, hört mir mal zu!“
Einige der Gäste blickten tatsächlich in seine Richtung.
„Lasst die Krüge mal kurz ruhen und hört her. Wie wäre es mit einem Spiel?“
„Jaaaa“, tönte es schief aus einer Ecke.
„Jawohl, der Junge hat Recht“, grölte ein anderer.
„Aber was wollen wir denn spielen?“, rief ein Dritter.
Zwanzig Augenpaare richteten sich gespannt auf Ahrok.
Soweit so gut, jetzt konnte aus dem Abend doch noch etwas werden.
„Das ist doch egal. Lasst uns Armdrücken, oder Würfeln, oder Messerwerfen.“
Einige setzten sich wieder enttäuscht.
„Oh Mann, ich steh auf Messerwerfen!“, rief jemand.
„Verdammt, da steig ich mit ein.“
„Hey, Spielmacher“, rief jemand, „worauf wollen wir denn eigentlich werfen, he? Es gibt hier weit und breit keine einzige Zielscheibe.“
Ahrok ließ seinen Blick durch die Taverne schweifen. Da gab es die leeren Fässer, die Stützbalken und den Tresen, sowie noch etwa zwei Dutzend weitere gute Objekte, aber dann fiel sein Auge auf einen ungeheuer hässlichen Troll, der in seiner sauber geputzten Lederrüstung an der Tür stand und sich auf seine Keule stütze. Irgendwie war diese Existenz Ahrok sofort ein Dorn im Auge. Lag es an den Hörnern oder der Rüstung… Ahrok konnte es nicht genau bestimmen.
„Ich habe ein Ziel für euch“, die Worte waren heraus, ehe er es sich anders überlegen konnte. „Werfen wir doch auf ihn!“
Ahrok wies auf eben diesen Troll.
Noch bevor dieser wusste wie ihm geschah, prasselten auch schon zehn schlecht gezielte Wurfgeschosse gegen seinen Körper. Wurfmesser, Bierkrüge, Stuhlbeine – von allem war etwas dabei. Angeschlagen sank der arme Mann zu Boden und für einen kurzen Moment wurde es still im „Bodenlosen Bierfass“. Mit glasigen Augen starrte der Troll die Werfer an, bevor er sich wieder schwankend erhob. Dann erst wurde er seiner drei Zähne gewahr, die sich vor ihm auf dem Fußboden aufreihten.
„Was sollte das?“, keuchte er pfeifend durch die frisch entstandenen Zahnlücken.
„Ich hab seinen Kopf getroffen, dass bringt mir zwanzig Punkte!“, jubelte jemand.
Ragnar stellte sich dem geschundenen Troll in den Weg und klopfte ihm freundlich auf den Oberschenkel.
„Bleib ruhig, mein Freund. Es ist doch nur ein Spiel.“
Der Troll schielte Ragnar durch seine rasch zuschwellenden Augen an. Man konnte beinahe sehen, wie sich die Gedanken zähflüssig hinter seinen Augen dahinschleppten und dann lächelte er zahnlos.
„Ein Spiel... ja... ja, ihr habt Recht. Tschuldigung.“
Dann nahm der Riese wieder seinen Platz an der Tür ein und blickte höchst zufrieden drein. Wahrscheinlich war ihm in seinem ganzen Leben noch nie so viel Aufmerksamkeit entgegengebracht worden.
„War wohl doch keine so gute Idee. Ich würde sagen, wir spielen dann mal was anderes!“, rief Ahrok in den Raum hinein.
„Jaaaaaaa!!!“, johlte die Menge.

Nach etlichen Stunden des Armdrückens, erneuten Messerwerfens, Wetttrinkens und Eifrig–Stühle–auf–dem–Rücken–eines–anderen–zerschlagen–Wettkampfes lag Ahroks Kopf bleiern und unendlich schwer auf dem Tisch. Selbst Ragnar konnte nur noch mühsam dem Krug anheben, um ihn zu Munde führen. Seine Kehle war heiser vom vielen Brüllen und Lachen. Alle anderen Gäste waren schon vor einiger Zeit gegangen oder hinausgetragen worden und die Schankmädchen hatten den Müll und die Reste schon längst weggeräumt.
Hatte er wieder getrunken? Wahrscheinlich. Das würde den Geschmack in seinem Mund erklären und auch die aufkeimende Übelkeit.
Endlich fasste sich der Wirt ein Herz. „Werter Herr, wir schließen jetzt aber wirklich. Wenn Sie jetzt doch die übergroße Güte hätten zu gehen?“
Natürlich rechnete er mit einem der Wutausbrüche, für welche die Valr so berüchtigt sind und zog er vorsichtshalber den Kopf ein. Seine Rausschmeißer verließen derweil schnurstracks den Raum.
Mit schweren Augen blickte Ragnar auf den Wirt, dann auf seinen leeren Bierkrug und sog noch einmal tief die Kneipenluft ein.
„Sag, Wirt, habt Ihr hier noch ein Zimmer in eurer Spelunke frei?“
Kleinlaut antwortete dieser: „Natürlich, wenn ihr auch etwas Gold bei euch habt, dann habe ich auch ein Zimmer für euch.“
Ragnar warf einen Blick in seinen Geldbeutel, doch dieser gähnte ihm nur leer entgegen.
Seufzend stieß er Ahrok so heftig an, dass er beinahe vom Stuhl fiel.
„He, Kleiner, wach auf. Wir geh´n jetzt.“
Leise stöhnend versuchte Ahrok noch ein „Lass mich“ herauszubringen, aber es wurde dann doch nur ein unverständliches Gemurmel. Die ganze Welt drehte sich und mit ihr sein Magen. Ohne auf seinen bemitleidenswerten Zustand Rücksicht zu nehmen, schleifte ihn der Valr nach draußen, nur um ihn gleich neben dem Eingang an der Hauswand wieder abzulegen. Ein überdeutliches Knallen zeugte davon, dass der Wirt die Tür auch sofort hinter ihnen zugeworfen hatte.
Ragnar sank neben Ahrok an die hölzerne Wand und döste noch etwas vor sich hin und während die Sonne schon vorsichtig über die Dächer der Stadt lugte, fielen die zwei Krieger in einen tiefen Schlaf.

Da war dieses leise Knurren, nicht laut, aber laut genug, um ihn aufzuwecken. Warmer Atem stricht über seine Haut und winzige Haare kitzelten seine Unterarme, so als ob eine kleine Katzenfamilie in seinen Armen schlief.
Ahrok blinzelte in die Spätsommersonne, welche an diesem Tag besonders heiß auf ihn hernieder brannte. Jetzt erst wurde er gewahr, dass es zwergische Barthaare waren, die seine Haut bei jedem neuen Atemzug streiften, denn Ragnars Kopf lag heftig sabbern in seinem Schoß.
Dass eben jener Kopf auf die Straße knallte, als Ahrok sich schwerfällig erhob, beendete Ragnars Nachtruhe jedenfalls nicht.
Ahrok streckte sich und blinzelte unzufrieden in die Umgebung. Der Hunger bellte hinter seinen Rippen und außerdem musste er diesen pelzigen Geschmack im Mund auch wieder loswerden.
Wo war er hier nur gelandet? Es stank hier so erbärmlich nach verrottetem Fisch, Erbrochenem und Kneipendunst, dass er den Brechreiz nur mühsam unterdrücken konnte. Zu ihrem Glück war dies keine belebte Straße, sondern nur eine kleine, dreckige Seitengasse in der zwei Säufer ihren Rausch ausschlafen konnten. Die wenigen Leute, die hier vorbeischlenderten, beachteten die beiden heruntergekommenen Krieger gar nicht. Das war wohl auch der einzige Grund, warum sie noch all ihre Habseligkeiten besaßen, auch wenn das nicht gerade viel war.
Ahrok spuckte aus, aber das half nicht, den Geschmack aus dem Mund zu vertreiben.
„Ragnar, hey, Ragnar“, er stieß den Zwerg leicht mit dem Fuß an. „Steh auf, Ragnar.“
Obwohl Ahrok fortfuhr seinen Kameraden weiterhin anzustoßen, regte dieser sich kein Stück. „Ragnar, steh endlich auf!“
Ein kräftiger Tritt in den Hintern des Valrs wurde von Ahrok nicht nur als sehr befriedigend empfunden, sondern brachte auch endlich den gewünschten Erfolg.
„Wer...?“, dieser blinzelte verschlafen durch seine schmalen Augen. „Was weckst du mich?“
„Steh auf, Ragnar. Es ist bereits nach Mittag, wir haben kein Geld, kein Lager für die Nacht und auch nichts mehr zu essen oder zu trinken. Wir müssen wieder an etwas Silber kommen.“
Langsam erhob sich jetzt auch der Zwerg.
„Wir? Scheiße, was machst du denn noch hier? Ich dachte ich rette dein Leben, wir trinken uns so richtig einen an und das war´s dann.“
„Na ja, ich dachte... ich brauch immer noch Silber.“
„Du bist blank und deshalb weckst du mich? Wir sind hier mitten in der Stadt. Das wird schon alles werden, keine Panik.“
Ragnar kratzte sich ausgiebig am Hintern und stimmte ein ansteckendes Gähnen an.
Es kostete Ahrok alle Kraft angesichts ihrer derzeitigen Situation nicht in ebendiese besagte Panik zu verfallen und die unerschütterliche Ruhe des Zwerges ärgerte ihn dabei nur noch mehr. Er hatte Hunger, er wollte essen. Ja, er liebte das Essen, aber da ihm das Silber nicht gerade aus den Taschen quoll, musste er jetzt eine Möglichkeit finden, rasch an das begehrte Metall zu kommen. Ein Zwerg der ständig nur „wird schon werden“ von sich gab, war dabei nicht sonderlich hilfreich.
„Hört, hört!“, eine gelangweilte Stimme drang durch die Straße. „Die Kanalwache sucht neue Mitarbeiter... Wer Interesse hat kann sich hier bei mir melden.“
Ein Soldat der Stadtwache schlenderte gemütlich an ihnen vorbei und wiederholte seinen Text noch mehrere Male.
„Was für ein Zufall!“, Ragnar schlug in gespielter Überraschung die Hände gegen die Wangen. „Ich hab dir doch gesagt, in der Stadt lösen sich alle Probleme wie von selbst. Man kann hier kaum zwei Straßen weit laufen, ohne eine Arbeit angeboten zu bekommen. Da, lauf ihm nach und verdien dir dein Silber.“
Ahrok ersparte sich eine bissige Antwort, vor allem aus dem Grund, weil ihm keine einfiel und lief dem Ausrufer hinterher.
„Hey, halt! Warte. Wir wollen uns melden.”
Der Soldat drehte sich um, warf einen kurzen Blick auf die zwei Krieger und schüttelte dann wenig amüsiert den Kopf.
„Du hast verstanden, was ich gesagt habe, oder? Es geht hier um einen Posten bei der Kanalwache, Schönling.“
Der Mann, vom vielen Rufen schon völlig heiser, schüttelte erneut den Kopf und trottete dann weiter.
„Er sagt ja schon wieder ´wir´“, murmelte Ragnar verständnislos. „Sach ma, Junge, hast du mir nicht zugehört?“
„Nein, ich hab dich schon verstanden. Wir wollen bei euch mitmachen. Bring uns zur Anmeldung und wir sind dabei“, beteuerte Ahrok.
„Hey! Ich rede hier mit dir!“, rief Ragnar, aber weder Ahrok noch der Soldat sahen sich dadurch in ihrem Gespräch gestört.
„Ihr meint das echt ernst? Mann, ihr müsst echt Probleme haben. Na gut, dann kommt mal mit. Der Sarge wird sich freuen, dass ich zwei gefunden habe, die freiwillig diesen Scheißjob machen wollen.“
Ahrok grinste innerlich. Das war ja wirklich zu einfach. Außerdem konnte diese Arbeit kaum schlimmer sein, als vierzehn Stunden in heißer Sonne auf einem Feld zu stehen, um Weizen zu ernten.
„Mann, Mann, Mann. Du nervst mich mal so richtig und das am frühen Morgen. Wenn ich nicht so einen Kater hätte, dann würde ich dir gleich hier den Arsch aufreißen… Na gut, ich schau mir das mal an, aber nur um dir danach kräftig in den Arsch zu treten.“
Der Zwerg hatte ganz offensichtlich schlecht geschlafen, es war somit das Beste ihn einfach zu ignorieren, bis sich seine Laune wieder gebessert hatte.

Sie besserte sich weit weniger schnell, als Ahrok zunächst angenommen hatte. Der Zwerg hielt es tatsächlich einige Stunden lang aus, ihm leise grollend hinterherzutrotten, während er selber auch nichts anderes tat, als dem Soldaten auf seiner nicht enden wollenden Wanderschaft quer durch die Stadt zu folgen.
Dann endlich am Quartier der Kanalwache angekommen, waren sie immer nur noch zu dritt. Niemand sonst hatte sich ihnen angeschlossen und kein Zwerg hatte hier jemandem den Arsch aufgerissen. Die Füße taten ihm jetzt weh, er hatte immer noch nichts gegessen und seine Kehle war mittlerweile so trocken wie die Wüstenregionen, die es irgendwo im Süden geben sollte, aber wenigstens hörte dieses ewige Herumlaufen auf, als sie die Kaserne der Kanalwache erreichten.
Das Erste, was man hier erblickte, war diese hohe Mauer, die das ganze Gelände umzäunte. Sie wirkte ebenso wenig einladend wie schon das stachelbewehrte Gittertor, vor dem sie jetzt hielten.
Ein ungepflegter Stadtwächter an eben jenem Tor blickte ihren Begleiter an.
„Gunther, hast du wirklich ein paar Anwärter gefunden? Was hast du denen denn bloß für Märchen vorgegaukelt?“
Ahrok wollte nicht weiter darüber nachdenken, aber dennoch wurde er mit der Zeit immer misstrauischer, was diese Arbeit anging. An diesem besagten Kanal musste es ja ganz schön heiß her gehen.
„Wozu hat der mich hier nur schon wieder überredet…“, murmelte Ragnar. „Ich könnte jetzt sonst wo sitzen und mich volllaufen lassen.“
Im Innenhof der Kaserne erstreckten sich mehrere baufällige Baracken. Dem äußeren Anschein nach, kümmerte sich schon lange niemand mehr um die Gebäude. Eines davon war laut der Beschreibung ihres Begleiters die Kantine, ein anderes ein umfunktionierter Lagerraum für ausgemusterte Ausrüstung. Der Mann sprach zwar noch weiter, aber Ahrok hatte ihm nach dem Wort „Kantine“ schon gar nicht mehr zugehört.
Die Welt um ihn herum war, seit sie das Tor durschritten hatten, monoton, langweilig, schmucklos und aus Backstein zusammengewürfelt. Zwar hatte Ahrok nur eine kaum nennenswerte, winzige Hoffnung gehegt in einem Palast zu arbeiten, aber diese triste Umgebung drückte nun doch unwillkürlich aufs Gemüt. Entgegen aller ersten Eindrücke entschied er jedoch für sich, dass ein solides Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit schon völlig ausreichend waren, um vorerst hierzubleiben.
Bei einem der Backsteinbauten hielten sie dann letztendlich an. Ahroks letzte verbliebene Hoffnung, dass es sich hierbei um die besagte Kantine handelte, löste sich schon nach dem Öffnen der Tür in Luft auf.
Das Innere der Hütten bot einen ähnlich schäbigen Anblick wie auch schon ihr Äußeres. Boden, Wände und Decke bestanden aus rauem Stein, einige klapprige Betten standen herum und vier armselig zusammengezimmerte Stühle verteilten sich ohne erkennbares Muster im Raum.
„Setzt euch. Wartet bitte noch ein paar Minuten, dann wird man sich um euch kümmern“, lauteten die Anweisungen, bevor ihr Begleiter den Raum verließ.
Vorsichtig nahmen Ahrok und Ragnar Platz, jederzeit darauf bedacht, wieder aufzuspringen, falls der Stuhl nachgab. Was war das hier nur für ein Ort? Wie konnte jemand in einer so großen und farbenfrohen Stadt nur ein solch hässliches Gebilde der Trostlosigkeit errichten?
„Scheiße ey“, Ragnar baumelte mit den Beinen. „N paar Hundert Zwerge gibt’s in dieser Stadt, aber die beschissenen Wächter sind sich zu fein, auch nur einen Stuhl für jemanden unserer Größe anzuschaffen. Ist euch eigentlich klar, wer hier euer König ist?“
Niemand antwortete ihm. Wahrscheinlich hätte es ihm auch nicht gefallen, wenn Ahrok zugegeben hätte, dass er keine Ahnung hatte, wer hier König war.
Also kippelte er stattdessen weiter ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her. Hoffentlich würde er bald etwas zu trinken bekommen. Ein ordentlicher Happen Fleisch zwischen die Zähne konnte auch nicht schaden.
„So viele Zwerge gibt’s hier?“, fragte Ahrok, um sich vom erneut aufbäumenden Hunger abzulenken.
„Ja.“
„Echt? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“
„Na ja, vielleicht nicht ganz so viele. Märkteburg ist ziemlich menschenlastig.“
„Mhm.“
„Ja, was hast du erwartet. Das ist hier ´ne strukturschwache Region für Zwerge, das sagt doch schon der Name. Man nennt Märkteburg die ´Stadt zwischen den Wäldern´ und nicht etwa die ´Stadt zwischen den Silberbergen´ oder die ´Stadt zwischen den Kohleflözen´.“
„Ah ja.“
„Du willst mehr Zwerge? Dann geh in den Süden der Swanmark oder komm zu uns in die Minen runter. Dann siehst du ein paar mehr.“
„Nu bleib doch mal ganz ruhig.“
„Ich bin ruhig!“
Beide schwiegen wieder eine Weile.
„Du, Ragnar, ich hab da mal ´ne Frage.“
„Und was?“, Ragnar hob seinen Blick von den staubigen Dielen.
„Was war denn das damals mit dem Fall von Hammerfels?“
„Das geht dich ´n verdammten Scheiß an!“, bellte Ragnar sofort so böse, dass Ahrok beschloss, vorerst lieber nicht weiter nachzubohren.
Die restliche Zeit, bis sich die Tür wieder öffnete, verbrachten die beiden weiterhin in dem eisigen Schweigen, das dem Zwerg so sehr zu liegen schien. Ahrok rieb sich den Nacken und warf dabei ein paar verstohlene Blicke auf den Valr.
In den letzten Tagen hatte er den Zwerg als Freund betrachten, seine Anwesenheit bereits als selbstverständlich wahrgenommen. Ragnar hingegen hatte wohl keine so innige Bindung zu ihm entwickelt. Vielleicht war er zu alt oder zu mürrisch oder eben zu sehr Zwerg, um noch Freundschaften jenseits des Bierkruges zu schließen.
Der Valr war schon beinahe wieder auf dem Sprung die Baracke zu verlassen, als der Soldat, welcher sie hierher geführt hatte, erneut in der Tür stand und ihnen zuwinkte ihm zu folgen.
„Der Sarge erwartet euch jetzt.“
Ragnar seufzte genervt, trottete aber gleich als Erster hinaus auf den Hof.
Dort stand ein groß gewachsener Mensch in der ersten, reinlichen Rüstung, die Ahrok je an einem Stadtwächter gesehen hatte. Seine Handaxt steckte im Gürtel gleich neben einem kunstvoll gefertigten Dolch, welcher wohl jedem zeigen sollte, dass er ein Soldat höheren Ranges war. Unzufrieden betrachtete er die beiden Krieger.
„Sind das etwa alle, Gunther?“
Dieser nickte dennoch voller Stolz. „Jawohl, Sarge!“
„Was soll ich bloß tun. Erst kürzt uns der Hauptmann die Mittel und wir müssen über die Hälfte unserer Leute entlassen, dann verschwindet ein Großteil unserer Ausrüstung und du bringst mir nur zwei Freiwillige. Wie soll ich so nur meine Arbeit machen? Kannst du mir das mal sagen?“
Natürlich blieb eine Antwort aus.
„Also, ihr zwei, habt ihr Erfahrung in der Arbeit der Kanalwache?“, wandte er sich nun an Ahrok und Ragnar.
Beide schüttelten verneinend den Kopf.
„Natürlich habt ihr das nicht, dachte ich es mir doch. Wäre ja auch zu schön gewesen. Also wir bieten euch hier freie Kost und Logis, sowie drei Kupferstücke Sold pro Tag. Mehr ist nicht drin, also versucht gar nicht erst zu feilschen. Ihr habt euch dafür jederzeit, und damit meine ich auch wirklich jederzeit, für Notfälle bereit zu halten, Befehle umgehend zu befolgen und täglich eine zehn Stunden Schicht in der Suppe zu absolvieren. Ausrüstung können wir euch nicht stellen, darum müsst ihr euch schon selber kümmern. Noch Fragen?“
„Äh ja“, erwiderte Ahrok. „Wo genau befindet sich der Kanal den wir bewachen sollen?“
Der Sergeant blickte ihn an wie einen Esel, der gerade sprechen gelernt hatte.
„Gunther!“
„Ja, Sarge!“
„Zeig den zwei Neuen mal dem Rest der Mannschaft und bereite sie auf ihren Einsatz morgen vor“, kopfschüttelnd entfernte er sich wieder.
„Jawohl, Herr Sergeant!“, salutierte der Soldat eifrig. „Also dann folgt mir mal.“
Der Mann führte Ahrok und Ragnar nun zu einem der anderen Backsteingebäude, welches sich weder äußerlich noch Innen von dem anderen unterschied.
Drinnen saßen vier miserabel gekleidete Menschen auf genauso klapprigen Betten, wie Ahrok sie schon im anderen Haus bewundern durfte, und spielten auf dem Tisch zwischen ihnen Karten.
„Aaaaaaaaaaachtung!“, brüllte ihr Begleiter.
Einer der Spieler drehte sich um.
„Mensch, Gunther, mach doch hier nicht so´n Aufriss. Was ist los? Will man uns wieder den Sold kürzen oder uns jetzt auch noch rausschmeißen.“
Die anderen grunzten zustimmend.
„Nein, Leute. Wir bekommen wieder Zuwachs in der Truppe. Das hier sind... äh... wie heißt ihr noch gleich?“
„Ahrok Pho... ähm... ich bin Ahrok.“
Beinahe freundschaftlich klopfte ihm dieser Gunther auf die Schulter. Eine Geste die Ahrok hier am wenigsten erwartet hatte.
„Keine Angst, Junge. Du bist jetzt einer von den Guten. Wir fragen hier nicht nach der Vergangenheit, Hauptsache du erledigst diese scheiß Arbeit. Der Rest ist uns egal.“
„Und du da?“
„Du kannst mich Ragnar nennen, wenn´s sein muss.“
„Muss nicht sein, aber… Ha, ein Zwerg bei uns in der Scheiße. Das ist mal was anderes. Nicht viele von euch bequemen sich, auch mal die Drecksarbeit zu machen“, äußerte sich einer der Kartenspieler in unverhohlen feindseligem Tonfall.
„Was willst du damit andeuten, Freundchen?“
„Ich will dir damit sagen, dass…“, er wurde von seinen Kameraden wieder auf den Stuhl zurückgedrückt, von dem er gerade aufgestanden war.
„Wie schön, dass ihr euch alle so fein angefreundet habt. Gut, also das hier sind Heinz…“, er wies auf einen alten Mann der Ahrok mit fauligen Zähnen anlächelte.
„und Hubert…“
Ein schlaksiger Mann mittleren Alters erhob sich und salutierte ironisch.
„Holger…“
Der bärtige Mann brummte ein kurzes: „Ach, fick dich, Gunther.“
„und Hans. Das hier ist die H–Brigade. Sie arbeiten hier schon seit gut sechzehn Jahren zusammen und sind eine der zwei Truppen, die uns nach der Etatkürzung noch geblieben sind. Wo sind eigentlich die anderen?“
„Noch in der Suppe“, brummte Holger. „Die Schicht endet erst in einer Stunde.“
„Na gut, dann macht euch erst mal bekannt“, verabschiedete sich der Soldat und ließ sie inmitten der vier Männer stehen. „Ich komm dann später wieder.“

Nach einer kleinen Weile hatte Ahrok so ziemlich die gesamte und äußerst langweilige Lebensgeschichte eines jeden der H–Brigade kennengelernt. Daraufhin hatte er seine bisherige Einstellung zu seinem Leben geändert und war nun doch sehr mit zufrieden mit dem, was ihm sein Vater in seiner Jugend geboten hatte. Es war unglaublich, was für erbärmliche Leben manche Leute führten.
Ragnar hatte sich in seinen kurzen Erzählungen eher bedeckt gehalten, um nicht noch eine Auseinandersetzung mit diesen Männer zu provozieren, die offenbar etwas gegen Zwerge hatten. Dass er nicht schon längst durch das Tor hinaus verschwunden war, bewies Ahrok, dass der Valr das bisschen Geld mindestens ebenso sehr brauchte wie er selber.
Nach etwa einer Stunde betraten dann drei weitere Männer den Raum.
Der vorderste sah einem Troll im Entferntesten ähnlich, der zweite war ein blauhaariger Elf. Beide lachten was ihre Hälse hergaben, denn mit dem Dritten wehte ein widerlicher Gestank zu ihnen herein.
Lachend verkündete der Elf: „Ihr merkt es sicher schon. André ist in die Suppe gefallen, hahaha.“
Wie auf Kommando begannen nun auch die vier anderen Menschen lauthals zu lachen und zeigten mit ihren Fingern auf den jungen Menschen, der über und über mit einer braunen, stinkenden Krusten bedeckt war. Dieser verzog das Gesicht und ertrug einige Augenblicke lang stoisch den Spott.
„Ja… lacht nur, ihr dämlichen Wichser. Das nächste Mal lache ich über einen von euch. Ich wasch mir jetzt erst einmal die Scheiße hier ab“, sagte er dann schlicht und verschwand wieder, der Gestank jedoch blieb noch eine Weile.
Die anderen Männer im Raum kriegten sich vor Lachen gar nicht mehr ein und Ahrok hatte keine Ahnung warum. So besonders lustig war das alles hier nicht gewesen.
Sätze wie „Das wurde aber auch endlich Zeit, dass unser Jüngster auch mal in der Suppe badet“ halfen ihm auch nicht zu verstehen was hier gerade passiert war. Was waren das hier nur für abartige Gestalten. Langsam hegte Ahrok doch gewaltige Zweifel daran, ob die Entscheidung, hier zu arbeiten, eine Gute gewesen war.
 
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Kommentare  

das bodenlose bierfass gefällt mir sehr gut, zumindest vom namen her.
aber jetzt kriege ich zweifel, ob der dienst bei der kanalwache so das richtige war... . ;)


Ingrid Alias I (21.08.2010)

Bäh, ekelhaft diese Brühe und ein rauer Haufen, sind diese Kanalwächter. Aber man denkt dabei schon, nachdem man Ahrok und vor allem Ragnar so gründlich kennen und lieben gelernt hat, dass die Beiden mit ihrem neuen Job irgendwie klar kommen werden :-)

Petra (21.08.2010)

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