376


17 Seiten

Ahrok - 14. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Vierzehntes Kapitel: Gefahr

Seit vor einigen Wochen die fünf Kanalsoldaten bei ihnen unten aufgetaucht war, war nur noch alles schief gelaufen. Jegliche Aktionen seiner kleinen, aber glorreichen Armee hatten, auf Anordnung von ganz Oben, eingestellt werden müssen. Nur kleine Spionageaktionen waren noch gestattet und eine geringe Zahl an Spähtrupps durfte sich hier und da spät in der Nacht durch die Stadt bewegen. Die Angst vor einer Entdeckung war dem Rat der Schlange in diesem frühen Stadium der Invasion zu groß.
Urguk bebte vor Zorn. Schlimmer als diese ihm auferlegten Ketten war nur die Tatsache, dass sich seine Wut gegen niemanden sonst richten konnte als ihn selber. Er war es gewesen, der entschieden hatte, nur zwei Krieger zurückzulassen und es lag auch an seinen etwas zu blumigen Ausschmückungen der Fähigkeiten der Kanalsoldaten, dass der Oberste des Rates so übertrieben panisch reagierte.
Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen wanderte er in seinem Gefechtsstand auf und ab. Wie sollte er nur einen Krieg unter solchen Bedingungen führen? Die Versorgung der Truppen litt und ebenso die Aufklärung. So etwas warf seine Pläne völlig unnötig um Wochen zurück. So unsinnig es ihm auch erschien, die fünf Kanalsoldaten mussten von der Bildfläche verschwinden, um die Moral dieses Kriegszuges wieder herzustellen.
Urguk setzte sich wieder zurück an seinen Tisch und strich sich mit seinen kräftigen Fingern entnervt über die ausgeprägten Wülste über seinen Augen. Um seinen aufgebrachten Geist zu beruhigen und Klarheit in seine Gedanken bringen, gab es nur einen Ausweg. Er warf die Kapuze seines Mantels zurück und nestelte die kleine Flasche von seinem Gürtel.
Prüfend schwenkte er sie in der Hand und wog ab, wie viel Plutonwasser sich noch darin befand. Das leise Plätschern der Flüssigkeit stimmte Urguk nicht gerade fröhlich. Es war ja ungemein schwer, so fernab von der strahlenden Heimat an Nachschub zu kommen.
Mit dem Zeigefinger führte er etwas von dem grün leuchtenden Wasser zum Mund und rieb es sich zwischen die Zähne. Ein aufregendes Kribbeln wurde bald von dem Gefühl der Macht abgelöst, welches ihm das von den Geistern berührte Wasser gab.
Plutonwasser aus den geheiligten Seen in dem alten Salzstock war die Quelle der Macht für die Kaste der Erleuchteten. Sie erhielten ihre Weihe in den strahlenden Seen und das göttliche Wasser war von da an ein ständiger Begleiter auf ihren Reisen. Immer wenn er nicht weiter wusste, wenn seine Kräfte zu versiegen drohten, dann war es der Retter in der Not.
Viel erholter wickelte er das kleine Lederbändchen wieder um den Flaschenhals und befestigte diese wieder am Gürtel.
Wie sollte er nur verfahren? Gelbhaarige Menschen und rothaarige Zwerge gab es da oben sicherlich genug. Möglicherweise genügte es, ein paar von ihnen aufzuspüren und vor versammelter Mannschaft in Stücke zu reißen.
Menschen.
Allein dieses Wort entfachte seine frisch verrauchte Wut erneut. Sie waren die Geißel seiner Vorfahren. Vor weit über tausend Jahren hatten die Weichhäutigen seine Rasse aus dem Sonnenlicht verbannt und in die Tiefen der Erde hinabgetrieben.
Finstere Kreaturen, mordlüsterne Zwerge und der Wahnsinn über das schreckliche Schicksal hatte ihr gesamtes Volk an den Rand der Vernichtung geführt. Nur der gefiederten Schlange und den mächtigen Geistern aus der fremden Welt war es zu verdanken, dass die Nyoka´tuk überlebt hatten und heute hier standen.
Urguk fletschte die Zähne und dachte, wie so oft in letzter Zeit, an die Kruuk.
Nicht alle Verbannten hatten es so weit gebracht wie er und die anderen um ihn herum. Es gab etwas Schlimmeres als Zwerge, Schattenspinner und Wyvern. Es gab da noch die Kruuk.
Urguk erschauderte, bei dem bloßen Gedanken an diese Kreaturen.
Kruuk - die Wahnsinnigen.
Es waren die grauenerregendsten und doch bemitleidenswertesten Geschöpfe seiner Art. Sie waren die verloren Söhne der Schlange. In ihnen brannte von Geburt an die Erinnerung an die Vertreibung aus der Oberwelt und an den Schmerz und das Leid des Jahrhunderte währenden Krieges.
Sie waren rasend vor Wut und sie zerfleischten und verschlangen von ihrem ersten Atemzug an in ihrem blinden Zorn alles Lebende. Menschen, Zwerge und letztendlich sogar sich selbst.
Sie sollten von nun an das Symbol für diesen, seinen Kreuzzug darstellen.
Er würde wie die Kruuk sein. Er würde morden und zerfleischen. Mensch und Zwerg und Seinesgleichen und sogar sich selbst, wenn er nur ein Zeichen setzen konnte. Wenn er den verhassten Oberweltlern nur ein Stück des Leides bereiten konnte, welches sie den Nyoka´tuk zugefügt hatten.
Wahnsinn... es war wahnsinnig, die paar Störenfriede unter allen Glatthäuten an der Oberfläche zu suchen und sie in ihrem Nest anzugreifen, aber womöglich war das trotzdem der beste Weg, um endlich mit dem ersehnten Krieg beginnen zu können. Urguk stockte kurz. Der Genuss von Plutonwasser brachte seine Gedanken immer auf absonderliche Wege. Ein Blick auf die kahlen Wände, welche bereits mit Trophäen und Kriegsbeute geschmückt sein sollten, gab ihm jedoch den nötigen Anstoß, seine Idee in die Tat umzusetzen.
„Schickt nach einem Spion!“, donnerte er in die langen Wege der Kanalisation hinein. Bei den ganzen ruhig gestellten Soldaten unter seinem Kommando war sicherlich einer in Hörweite, der seinen Befehl ausführen würde.

„Am Anfang war die Sünde und es stürzte Atomus vom Himmel und die Welt war wüst und leer und alles Leben verging in seinen Flammen.“
Ahrok stützte seine Hand in die Hüfte und schürzte die Lippen, als der alte Priester eine seiner Predigten anstimmte.
„Am zweiten Tag nahm sich der Namenlose der Menschen an und gab ihnen Schutz und Heil vor den Flammen. Am dritten Tage schwebte der Geist des Erwachten über die verbrannte Erde und auf ihr konnten nun wieder die Pflanzen gedeihen. Am vierten Tage weinte die Tochter der Berge und ihre Tränen füllten Flüsse, Meere und Seen.“
Ahrok blickte sich hilfesuchend zu Hans um, doch dieser zeigte ihm nur ein Schulterzucken.
„Am fünften Tag flog die gefiederte Schlange über den Himmel und vertrieb die Wolken und siehe, die Menschen erblickten die Sterne erneut.“
„Hör zu, Anton, Vater Anton, meine ich natürlich. Wenn du das Bier nicht bezahlen kannst, dann muss ich dich vor die Tür setzen.“
Der heruntergekommene Mann in der zerschlissenen Robe klammerte sich an den halbvollen Krug, als ob sein Leben davon abhing.
„Höre doch die Worte der Götter, denn Ihrer ist die Weisheit. Psalm eins bis zwölf aus dem Buch Regenesis. Unbezahlbar ist dieses Wissen. Unbezahlbar.“
„Das Bier ist es jedoch nicht, Vater.“
Er zog die schwächliche Gestalt am Arm nach oben und geleitete den Priester unter dem Gelächter der anderen Gäste vor die Tür.
„Aber... mein Sohn...“
„Trink aus und gib mir den Krug. Komm erst wieder, wenn du das Silber hast, um dich hier volllaufen zu lassen.“
Der Mann haderte kurz mit seinem Schicksal, dann kippte er sich jedoch den Rest des Bieres die Kehle hinunter, reichte Ahrok den leeren Krug und wankte von dannen.
Ahrok setzte sich wieder und blickte dem torkelnden Säufer missmutig nach.
Das war heute auch schon der Höhepunkt seines Tages gewesen.
Seit der Valr neulich jemandem Arme und Beine gebrochen, bevor er ihn auf die Straße geworfen hatte, traute sich niemand mehr in der „Pinkelnden Sau“ aufzumucken.
Aus Versehen... Pah! Der psychopathische Zwerg hatte sich selber nicht im Griff, das war’s.
Etwas abseits von jedermann und der Welt den Rücken zugekehrt saß jener auf einem Stuhl und starrte in sein Bier. Tonlos murmelte sein Mund immer wieder die gleichen, unverständlichen Sätze. Ragnar sah in diesen Stunden ungewohnt kraftlos, ja beinahe traurig aus.
Von einem Moment auf den Nächsten war sein Ärger verflogen. Psychopathischer Mistkerl hin oder her, Ahrok musste ihn aufmuntern. Sein kleiner Freund wirkte immer so verloren, selbst unter Seinesgleichen.
Gerade als er aufstehen wollte, drückte ihn Hans wieder zurück auf seinen Platz.
„Lass ihn in Ruhe, Jungchen. Es wäre reiner Selbstmord, ihn jetzt anzusprechen.“
„Mhm... und wieso?“
Ahrok vermutete, dass Hans sich wieder einmal etwas zu sehr aufspielte. Als Schankwirt hatte dieser die unschöne Eigenschaft sich immer und überall einzumischen. Erst recht dann, wenn es ihn nichts anging oder er keine Ahnung hatte.
Der Wirt lehnte sich zu ihm hinüber auf den Tresen.
„Du scheinst ja nicht viel über die Valr zu wissen, oder?“
„Nein“, gab Ahrok zu.
Jetzt, da Hans es erwähnte, fiel ihm wieder auf, dass er außer dem Namen und Alter des Zwerges kaum etwas über diesen wusste. Der Valr kannte Ahroks ganze Lebensgeschichte, er jedoch nur ein paar zusammenhanglose Brocken von dessen Vergangenheit. Hatte der Zwerg in der Luxusherberge nicht einen Ort namens Hammerfels erwähnt und davon, dass dieser Ort gefallen war?
„Ein Zwerg wird nicht als Valr geboren oder fühlt sich etwa dazu berufen“, begann Hans ungefragt seine Geschichte. „Ein solcher Mann hat immer Schuld auf sich geladen, zum Beispiel ein Verbrechen begangen, welches nach zwergischen Maßstäben unverzeihlich ist. Er hat sich feige verhalten, einen Eid gebrochen oder gegen die Zwergenehre verstoßen, all so´n sentimentaler Scheiß eben.“
Ahrok blickte verstohlen in Ragnars Richtung, doch wenn dieser sie gehört hatte, machte er keine Anstalten, dies auch zu zeigen.
„Na ja, und jedenfalls haben diese Zwerge sich da so eine Sache einfallen lassen. Um doch noch Vergebung zu kriegen, müssen sie sterben und ihren Willen zu büßen zeigen und ihren Mut natürlich auch noch. Aber anstatt sich einfach von ´ner Klippe zu stürzen und gut iss, muss der Zwerg der sogenannten Legion der Toten beitreten.
Er wird rituell beerdigt und muss sich dann aus seinem Sarg wieder an die Oberfläche graben. Scheiße, wie irre muss man sein, um so was mit sich machen zu lassen.“
Hans schenkte ihm etwas Wasser nach.
„Das war´s auch schon. Ein Valr ist also tot in den Augen anderer Zwerge. So in etwa wie ein ruheloser Geist, der noch eine Aufgabe zu erfüllen hat. Die meisten von ihnen suchen sich einen Dämonen oder einen Drachen oder so was und lassen sich dann von diesem endgültig abmurksen, um ihre Familienehre wieder herzustellen. Ich sag dir eines, die haben sie nicht mehr alle, die Zwerge. Wenn du jemals einen Beweis dafür gebraucht hast, dann guck dir deinen Ragnar an.“
Ahrok betrachtete den kleinen Mann vor seinem Bierkrug mit einer Mischung aus Neugier und Mitleid. Wer konnte auch nur erahnen, welche Erinnerungen er unter all dem Bier begrub.
„Nicht einmal die Zwerge können sie leiden. Die kurzbeinigen Mistböcke fürchten sie beinahe ebenso, wie sie sie verehren. Valr werden von Kampf und Krieg angezogen, wovon es ja in diesen verschissenen Zeiten mehr als genug gibt.“ Hans lachte mitleidig. „Und keiner der bei klarem Verstand ist, wird sich mit einem dieser Todessüchtigen einlassen.“
„Hey!“
„Ist nicht persönlich gemeint, Kleiner. Aber wo die auftauchen, gibt es immer nur Ärger.“
Ahrok wunderte sich, wie er nur so wenig über jemanden wissen konnte, mit dem er jetzt schon beinahe zwei Monate verbracht hatte. Er hatte ja auch nie gefragt, aber dafür schien Hans ja ganz schön herumgekommen zu sein, dass er so viel wusste.
Während er so seinen Gedanken nachging, streifte eine ihm wohlbekannte Hand über den Rücken.
„Meine Schicht ist gerade zu Ende gegangen, Großer.“ Sandras Stimme riss ihn aus seinen trüben Gedanken. „Kommst du mit rauf?“
Ahrok betrachtete die Kneipe. Ein Jungspund saß hinten links seit einigen Stunden vor seinem ersten Bier und der Rest der Gäste waren friedliebende Stammgäste, die viel zu sehr darauf bedacht waren, sich Abend für Abend hier wohl zu fühlen, als dass sie jemals Ärger machen würden. Außerdem war Ragnar ja noch hier, falls tatsächlich doch noch jemand Radau machen sollte.
„Ja, ich komme.“
Er rutschte vom Stuhl und folgte ihr.
Er kam nicht weit, da packte der Valr seinen Oberarm und zog ihn zu sich.
„Ich werde morgen dann weiterziehen, Menschling. Das ist hier kein Platz für mich.“
Ohne auf Antwort zu warten, ließ er Ahroks Arm wieder los und wandte sich wieder seinem Bier zu.
Sprachlos stand er hinter dem Zwerg. Er wusste zwar, dass es dem Zwerg hier nicht so blendend ging wie ihm, aber dass sich ihre Wege deshalb so schnell wieder trennen würden, hätte er nie im Leben gedacht.
„Ahrok, ich warte“, säuselte ihm ein süßer Schmollmund ins Ohr und Ahrok vergaß den Valr gänzlich.

Lord Pythos verließ sich verbeugend das Zimmer des Erleuchteten und begab sich zu seinem Quartier. Der Meisterattentäter schritt dabei langsam und würdevoll die dunklen Tunnel entlang, die Hände in typisch geheimnisvoller Haltung unter der Kutte verschränkt. Er hatte endlich einen Auftrag in diesem Kreuzzug. Direkt vom Erleuchteten und gut bezahlt obendrein. Die Verschwendung seiner kostbaren Zeit so fern der Heimat hatte endlich ein Ende.
Nun denn, Urguks Problem waren nur fünf Oberflächenbewohner - wahrlich keine Herausforderung für den „Meister der versteckten Waffen“ Pythos.
Dies hier war nichts im Vergleich zu seinem Auftrag in den Tiefen der Nebelsümpfe eine ganze Armee von Schwanzlosen zu eliminieren. Das war damals wirklich ein wahres Meisterstück assassinischer Kunstfertigkeit gewesen, an das er sich noch gern erinnerte. Nein, dies hier war ein Spaziergang dagegen. Er würde noch heute die Herzen seiner Feinde der gefiederten Schlange opfern und sich danach an seiner großartigen Belohnung erfreuen.
Jedoch, nur um es in Erwägung zu ziehen, vielleicht wäre es besser, noch etwas Unterstützung mitzunehmen. Nur für den Notfall, denn man wusste ja nie, welch tückischer Zufall einen überraschen wollte. Es konnte letztendlich immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Vielleicht hatten seine Opfer Wachen angeheuert oder hatten sich inmitten kampferprobter Soldaten niedergelassen, dann war man schnell auf der Verliererseite und solche unschönen Dinge passierten Leuten in seiner Branche öfter, als man zuerst annehmen mochte. Zu einer guten Vorbereitung gehörte es eben auch, vorsichtig zu sein.
Die Krieger der Nyoka´tuk, welche ihm auf seinem Weg begegneten, senkten sofort ihren Blick und huschten rasch weiter, denn niemand wollte seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Pythos grinste zufrieden. Seine Macht und sein Status waren nahezu unübertrefflich.
„Schickt nach meinen Schülern. Sie sollen herausfinden, wo sich Urguks gelbfelliger Mensch und dessen Gefährten aufhalten“, rief er in den Tunnel hinein.
Ein jeder in Hörweite würde über seine eigene Beine stolpern, nur um diesem Wunsch nachkommen, dessen war er sich sicher.
Er war mächtig, mächtig und schlau. Vielleicht, wenn es ihm eines nicht allzufernen Tages gelang, den Erleuchteten Urguk im Schlaf zu erdolchen, würde er die Eroberung dieser Stadt einleiten.
Urguk war ein erfahrener Schamane und ein Erleuchteter obendrein, aber unverwundbar war er nicht. Nicht so wie er selbst. Die gefiederte Schlange lächelte auf ihn, Lord Pythos, herab.
Mit einem breiten Grinsen betrat er sein provisorisches Quartier, einen alter Lagerraum der Stadtbewohner, welcher schon seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden war, aber der Gestank von verfaultem Getreide lag hier noch immer in der Luft.
Wie über den Nacken einer Geliebten strich er mit seinen Fingern liebevoll über die vielen vergifteten Klingen, die sich vor ihm auf dem Boden ausbreiteten, jede von ihnen war ihm ans Herz gewachsen. Es waren so herrliche Waffen, so bereitwillige Kinderchen. Wenn diese Waffen erzählen könnten... Da links außen lag der schön gewundene Dolch, mit dem er das Herz seines letzten Opfers vor seinen Augen herausgeschnitten hatte. Präzise musste man für solch eine Tat sein. Präzise und perfekt wie nur er es war. Ein falscher Schnitt, eine unbedachte Bewegung und das Opfer war tot, bevor es sein eigenes Herz sah, dann war die ganze Arbeit umsonst.
Aber der Blick. Genau dieser Blick wenn es sein eigenes, noch schlagendes Herz sah... das war ein unbeschreiblicher Moment. Kostbar, selten und unheimlich schön.
Daneben ruhte die vom Gift der Fäulnisblüte bläulich gefärbte Klinge des Kurzschwertes, mit welchem er seinen allerersten Auftrag erfüllt hatte. Oh, welch herrliche Erinnerungen quollen in ihm hoch.
Der ruhige Herzschlag, als er im Schatten gewartet hatte, wie er sich beschleunigt hatte als sein Opfer immer näher gekommen war... Noch immer konnte er die Schreie hören, wenn er die Augen schloss. Er roch das Blut und berauschte sich an der Angst, die er verbreitet hatte. Er war auserwählt, ohne Zweifel.
Pythos verstaute etliche Waffen in seinen weiten Ärmeln, einige unter der Kutte, im Gürtel und in den Stiefeln. Vorsorglich schob er sich noch ein paar Sprengkugeln in die kleine Gürteltasche. Er hatte gehört, dass die beiden mächtige Kämpfer sein sollten. Warum sollte er also ein unnötiges Risiko eingehen?
Er setzte sich mit verschränkten Beinen auf den Boden und begann nun darüber zu meditieren, wie er diese Schuppenlosen auslöschen würde. Ein Dolch wäre dieses Mal eine gute Wahl oder ein Säbel... ach... er hatte immer so viele, schöne Ideen.
Nur wenige Stunden später kratzte es leise an der Tür.
„Großmeister Pythos, Ihr habt nach uns gerufen.“
Der Assassine öffnete die Augen und ließ seinen Atem langsam entweichen. Die Zeit war endlich gekommen. Gemächlich und mit der Erhabenheit eines selbstbewussten Meisterattentäters verließ er den Raum.
Vor der Schwelle knieten zwei seiner Schüler auf dem feuchten Boden.
„Eure Ausbildung findet heute ein Ende. Heute erhaltet ihr euren ersten Auftrag, meine Schüler. Dieser wird euch zu vollwertigen Mitgliedern der Familie machen. Ihr werdet die Geachtetsten eurer Brut werden.“ Feierlich betrachtete er die jungen Männer zu seinen Füßen. Möglicherweise würden sie heute Abend im Kampf gegen die schuppenlosen Monster fallen, aber dieses Risiko war er gerne bereit einzugehen. Es war besser das wertlose Leben seiner Schüler den Bestien der Oberwelt in den Rachen werfen, als sein eigenes zu gefährden.
„Wir haben herausgefunden, wo sich die Opfer aufhalten, Meister“, platzte es aus Ottor, dem Jüngeren und Begabteren der beiden, heraus. „Der Troll ist bereits seit längerem Tod und auch einer Mensch. Der Elf ist ebenfalls fort. Er wurde seit Wochen nicht mehr in der Stadt gesehen. Nur der Gelbfellige und der rote Zwerg leben noch in der Stadt. Wir sind bereit, Meister. Unsere Klingen und unser Blut für die große Schlange!“
„Sehr gut, meine Schüler. Dann werden wir aufzubrechen, solange uns die Dunkelheit noch schützt.“
Jede Deckung nutzend und sich in jedem Schatten verbergend, huschten die drei Echsen unbemerkt von den Augen der Stadtbewohner durch die Kanalisation Richtung „Pinkelnde Sau“.

Ragnar wankte die hölzerne Treppe hinauf in das obere Stockwerk. Der Zwerg tastete sich dabei ungewohnt mühsam Stück für Stück an der Wand entlang, um zu seinem Zimmer zu kommen, denn seit den letzten paar Bierchen drehte sich alles in der Taverne viel schneller als gewöhnlich und auch das Geländer wich ständig seinem Griff aus. Der schwere Kriegshammer in seiner anderen Hand schleifte dabei polternd über den Boden und beschenkte diesen dadurch mit ein paar neuen Kratzern.
Hans hatte die Kneipe heute schon ein paar Stunden früher geschlossen, da die Gäste ausgeblieben waren.
War auch besser so.
Ahrok hatte sich, wie jeden Abend, zu einem Schäferstündchen zurückgezogen und er selber... scheiß beschissener Alkohol. Irgendwann vor langer Zeit hatte er einmal angefangen, zu trinken, um sich gut zu fühlen. Heute trank er nur noch, um sich nicht mehr schlecht zu fühlen.
Geschissen auf die Welt. Warum lebte er denn immer noch? Über fünfundzwanzig Jahre war es schon her.
Sein leicht getrübter Blick verriet ihm, dass er endlich vor seiner Zimmertür stand.
Zufrieden mit dieser Errungenschaft stieß er sie auf und wankte hinein. In dem kleinen Raum war es wohltuend dunkel, da es hier nur ein winziges Fenster gab und es draußen auf der Straße noch immer so finster war wie in einem Elfenarsch. Dennoch fand sich der Zwerg sofort zurecht, waren seine alte Heimat doch die ebenso finsteren, riesigen Gänge unter den Bergen.
Fürsorglich stellte Ragnar seinen Hammer Umti an einen der Bettpfosten, dann warf er sich selber mit dem letzten Rest verbliebener Energie auf die Lagerstätte, um den Rausch auszuschlafen.
Kaum hatte er seine Augen geschlossen, drang ein aufdringliches Stöhnen durch die Zimmerwand zu seiner Rechten, begleitet von Rascheln und monotonen Klopfgeräuschen.
Ragnar rollte hinter seinen Lidern mit den Augen und schnaubte abwertend.
Diese beiden hatte aber auch eine verdammte Ausdauer. Es war doch wohl nicht zu viel verlangt, dass Ahrok es langsam leid wurde, jede Nacht im selben Schoß zu verbringen. Er versuchte, die Geräusche zu ignorieren, die ihn schon so oft um den Schlaf gebracht hatten, aber selbst mit dem Kissen über dem Kopf konnte er das Gestöhne und die spitzen, lustvollen Schreie noch immer deutlich hören.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war die aufgestaute Wut dann doch größer als seine Müdigkeit geworden. Er wälzte sich aus seinem Lager, ging zur Wand hinüber und hämmerte mit seinen Fäusten dagegen.
„Ruhe!!! Könntet ihr endlich mal Ruhe geben oder zumindest etwas leiser machen. Hier will jemand schlafen!“
Wenn sie seine Rufe nach ein bisschen Ruhe wahrnahmen, so befolgten sie seine Anweisungen dennoch keineswegs. Ragnar bezweifelte jedoch, dass die beiden sein Hämmern bei dem Krach, den sie veranstalteten, überhaupt gehört hatten. Verdammtes Pack. Trieben es wie die Karnickel, während er den schlimmsten Kater seit Tagen hatte.
In einem Anflug mörderischer Wut griff er nach seinen Hammer. Wie leicht wäre es jetzt, diese dünne Wand einzuschlagen und die beiden dahinter zur Ruhe zu zwingen. Schlafentzug! Bei seinen Kopfschmerzen! Er hasste es wie kaum etwas anderes, wenn man ihn nicht schlafen ließ. Letztendlich spuckte er doch nur aus und schluckte den Rest seines Ärgers herunter.
Statt sich für diese Grausamkeit zu rächen, verließ er das Zimmer und wankte den vertrauten Weg hinunter in den Schankraum. Vielleicht würde er ja dort endlich Ruhe finden.
Dort unten war er endlich völlig allein und glücklicherweise herrschte hier nicht nur Ruhe, sondern auch wunderbare, wohltuende Dunkelheit. Allein das Licht eines weit entfernten Lichtquarzes drang durch die Fenster und ließ ihn die Konturen der Einrichtung erkennen.
Hans hatte zum Ende der Schicht weder aufgeräumt noch gelüftet, daher stank es hier noch immer wohltuend nach Bier und Schweiß. Zudem war es herrlich still hier.
Mit seinem letzten Gedanken vor dem Einschlafen bemühte er sich noch, seine Haare von den Bierpfützen auf dem Schanktisch fernzuhalten.

Ragnar wusste nicht, wie viel später es war, als ihn sein eigenes Schnarchen aus dem Schlaf riss. Er schreckte hoch und sah sich schlaftrunken um. Aus dem Augenwinkel glaubte er zu erkennen, wie Hans mit heruntergelassener Hose durch den Schankraum flitzte.
Noch während er mit sich haderte, ob es sich hierbei nicht nur um einen seltsamen Traum gehandelt hatte, fingerte er nach seinem Hammer, der zum Glück immer noch an einem Tischbein stand. Möglicherweise hatte sich ein Dieb eingeschlichen und den alten Schankwirt beim Kacken überrascht. Was für ein mieser Typ. Das Scheißhaus war schließlich ein heiliger Ort.
Mit geschultertem Hammer und ausgiebig gähnend wankte der Zwerg hinüber zu dem Raum, aus welchem er die dunkle Silhouette hatte kommen sehen. Mit geschultem Kennerblick musterte er das ganze Zimmer. In dem kleinen Abteil gab es nichts weiter als das Plumpsklo und ein winziges Fenster, durch dass sich kaum eine Katze zwängen konnte. Der Holzdeckel stand noch immer offen und es gab hier keinen Platz, an dem sich ein Eindringling verstecken konnte. Hans war eben nicht mehr der Jüngste und musste deshalb öfter mal nachts raus. Der Mann hatte sich wohl einfach nur erschrocken, als er sich schlaftrunken am Holz einen Splitter eingerissen hatte.
Wie auch immer - gut, dass er hier war, denn das Bier vom Abend drängte schon nach draußen.
Ragnar nestelte an seinem Gürtel, als plötzlich ein bleiches Gesicht aus dem Loch auftauchte.
Ein reptiliengleicher Kopf, der beinahe völlig in schwarzen Stoff gehüllt war, erhob sich durch die Öffnung des Plumpsklos aus der Kanalisation. Nur ein Augenzwinkern später krachte der metallbeschlagene Kopf des Hammers gegen den weichen Schädel der Echse.
Ein Poltern gefolgt von seichtem Platschen verriet Ragnar, dass der Weiße wieder in der Kanalisation gelandet war.
„Und bleib unten!“, rief er ihm nach und lachte böse.
Eine Echse kam niemals allein.
Er zog den Gürtel wieder fest. Jetzt galt es, Alarm zu schlagen.

Mit einem zufriedenen Seufzer sank Sandra neben ihn. Ihre Finger fuhren neugierig seine haarlose Brust auf und ab, während sie verspielt an seinem Ohr knabberte. Warmer Atem an seinem Hals, leise gesäuselte Worte von Liebe und Verlangen, eine Hand, die die Innenseite seiner Schenkel entlang wanderte…
„Oh, nicht noch mal, Sandra. Es reicht hin, wir sollten nun wirklich schlafen.“
Ahroks kleiner Versuch, sich ihrer zu erwehren, schien Sandra nur noch mehr anzuspornen. Natürlich wusste er, dass er auch dieses Mal keine Chance hatte, ihrem Körper zu entkommen. Nicht, dass er es ernsthaft gewollt hätte.
„Sei kein Spielverderber, mein Großer. Nur noch einmal. Bitte.“
Behutsam rollte er sich auf die zierliche Frau. Ihre heiße Haut war schweißnass und glänzte wie Kupfer im flackernden Schein der heruntergebrannten Kerzen. Mit der Linken strich er ihr durch das zerzauste Haar und sah ihr tief in die braunen Augen. Alles außer ihr war nun unwichtig.
Die Berührung ihrer Lippen jagte wohlige Schauer durch seinen Körper. Er schmiegte sich an sie und hielt sie fest umschlungen in seinen Armen. Die Hitze ihres Körpers war so ungemein erregend. Doch gerade als sich ihre Lippen spielerisch trafen, riss Sandra ihre Augen auf und schrie lauthals auf.
Hatte er was falsch gemacht? Bisher hatten sie beide doch bisher immer gut harmoniert.
Sie warf sich gegen ihn und nahezu gleichzeitig raste eine blitzende Klinge haarscharf an ihren Köpfen vorbei und drang durch das Kissen bis tief in das Holz des Bettes.
Mit einem kräftigen Stoß beförderte ihn Sandra aus dem Bett und sprang über ihn hinweg zu Tür.
„Hilfe! Hilfe! So hilf doch endlich jemand!“, hallte es durch das kleine Zimmer.
Wenn Ahrok in dem Augenblick nicht so erregt gewesen wäre, hätte der Stoß ihres Knies wahrscheinlich etwas weniger wehgetan. Doch er hatte keine Zeit, sich um seinen angeschlagenen Unterleib zu kümmern, denn der Angreifer hatte das kurze Schwert schon wieder aus dem Holz des Bettgestells gezogen und sprang mit gezielten Schwüngen auf ihn zu.
Nur knapp schoss die Waffe an seiner Nasenspitze vorbei.
Ahrok robbte rücklings zur Tür und hatte alle Mühe, seine Gedanken zu ordnen und sich aus den Wolken wieder zurück auf die Erde zu begeben, wo man ihn gerade aufschlitzen wollte und Sandras Geschrei half dabei kein bisschen.
Er war in seinen Bewegungen zu langsam, zu unkonzentriert und sein Angreifer zu entschlossen. Der nächste Angriff kam nicht zu kurz und schnitt ihm in den Oberschenkel. Es war nur ein kleiner Kratzer, aber es brannte so sehr, als hätte der Kerl seine Waffe vorher in Salzlauge getränkt.
Der stechende Schmerz holte Ahrok nun endlich zurück auf den Boden der Tatsachen und er kam mit einer Rückwärtsrolle wieder auf die Beine. Ein kurzer Blick klärte ihn über die Situation auf.
Das Fenster war zerbrochen und ein an einem Kletterhaken befestigtes Seil hing am Rahmen verkeilt zur Straße hinunter. Im Kerzenschein stand eine tief gebückte Person in pechschwarzer Kleidung, deren Gesicht von einem ebenfalls schwarzen Mundschutz verdeckt wurde. Sie hielt ihr Schwert auf seltsame Weise in der Hand und es war ihm, als starrte der Kerl auf seine Leistengegend.
„Was?“, brüllte Ahrok verärgert. „Es ist kalt hier!“
Die Worte waren noch nicht einmal verhallte, da schnellte der Attentäter erneut vor und Ahrok hatte alle Mühe seinen blitzschnellen Attacken auszuweichen, denn dieser Kerl war viel flinker als die betrunkenen Möchtegernhelden, mit denen er es sonst zu tun hatte. Als der Angreifer ihm bei einem wirbelnden Vorstoß kurz den Rücken zukehrte, fiel ihm der lange, schuppige Schwanz dieser schwarzen Person ins Auge. Das hier war also schon wieder eins von diesen Echsenviechern, dabei hatte er die doch schon längst abgeschrieben. Sandra hatte es derweil geschafft die abgeschlossene Tür zu öffnen und war in den Gang hinausgestürzt. Ihre Stimme war vom vielen Rufen schon ganz heiser, was sie aber nicht davon abhielt, ihre Stimmbänder noch weiter zu malträtieren.
Die Waffe des Schwarzen blitzte im Kerzenschein und erinnerte ihn daran, dass er keine Ahnung hatte, wo sein eigenes Schwert abgeblieben war. Eine Waffe ist nur ein Werkzeug, hatte Mia ihm immer eingebläut, aber genau dieses Werkzeug konnte er gerade gut gebrauchen.
Ein wilder Tritt aus der Drehung heraus traf den Magen der Echse und schleuderte diese über das Bett hinweg gegen die Wand. Er war selber überrascht, wie viel Kraft jetzt noch in seinen Beinen steckte.
Ohne Zeit zu verschwenden und dem Gegner so die Gelegenheit zu geben, sich zu sammeln, sprang Ahrok hinterher. Fäuste und Knie hämmerten wuchtig gegen Brust und Bauch der quiekenden Echse. Sofort schlossen sich Ahroks Finger um den Hals seines Gegners und er rammte ihm sein Knie noch drei weitere Male in die Rippen.
Der Weiße lief blau an und die Augen traten aus den Höhlen, während er mit dem Tod kämpfte. Die arg in Bedrängnis geratene Echse riss mit dem letzten klaren Gedanken ihr Schwert nach oben und nicht einmal einen Fingerbreit neben Ahroks bestem Freund schnitt die Klinge tief in das Bein des jungen Kriegers.
Das Blut spritzte wie eine Fontäne aus seiner Wunde.
Sofort ließ Ahrok von dem Weißen ab und wankte außer Reichweite der Klinge. Die Echse stürmte jedoch nicht vor, sondern lehnte immer noch an der Wand und rang nach Luft.
Noch während Ahrok erfolglos versuchte, das Blut aufzuhalten, welches mit ungeheurem Druck aus seiner Wunde spritzte, sah er aus dem Augenwinkel, wie eine weitere Person das Seil entlang in sein Zimmer kletterte.
Vermutlich handelte es sich dabei jedoch nicht um Verstärkung für ihn, sondern um eine weitere Echse. Jetzt konnte er aber langsam wirklich Hilfe gebrauchen.
„Ragnar!!!“, schrie er in die Nacht hinaus.
Wo war nur dieser trunksüchtige Zwerg, wenn man ihn brauchte?

Ragnar stürmte mit verdoppelter Geschwindigkeit die Treppe nach oben, als er Sandras Hilferufe vernahm. Vor lauter Hast verfing er sich in einer der Treppenstufen und erreichte kurz darauf stolpernd die obere Etage.
Auf dem Gang vor Ahroks Zimmer hatten sich schon die drei Schankmädchen versammelt. Sandra lag unbekleidet in den Armen von Kira und wies auf die offene Tür, die in Ahroks Raum führte.
Ragnar beschenkte die drei Mädels mit einem kurzen, aufmunternden Nicken. Er wusste überhaupt nicht, was Ahrok bloß an denen fand. Die viel zu langen, schlanken Beine, der apfelförmige Hintern, die schmale Taille und kaum ein Gramm Fett am Körper… Hans sollte seinen Bedienungen mehr Nahrung oder besser noch mehr Bier zur Verfügung stellen. Wahre Frauen bestanden aus Fleisch und Stellen an denen man sich festhalten konnte.
Dann schüttelte er diesen Gedanken ab und rannte an ihnen vorbei in das Zimmer.
Ahrok lag auf dem Boden und blutete stark aus einer Schnittwunde, die womöglich die Oberschenkelarterie verletzt hatte. An der Wand ihm gegenüber kniete keuchend einer der Weißen, der über und über mit Ahroks Blut besudelt war und ein weiterer kletterte gerade zum offenen Fenster hinein.
Er kam gerade noch rechtzeitig.

Konnte der Valr Gedanken lesen? Sein eigenes Rufen war kaum über seine Lippen hinaus gekommen, da erklang auch schon das markante, tiefe Knurren des Zwerges. Ahrok hätte es selbst aus Tausenden Stimmen heraus erkannt. Ragnar sprintete am Bett vorbei zum Fenster und sein Hammer krachte gegen die Wand. Holz und Glas flogen in einem Splitterregen umher, als der Weiße dort sich gerade noch rechtzeitig unter dem Ansturm hinweg duckte und sicherheitshalber wieder zurück auf die Straße sprang.
Ragnar schien keinesfalls darauf erpicht, der Echse auf demselben Weg zu folgen.
„Du kommst hier klar?“
Seine Worte waren mehr eine Aufforderung als eine Frage, denn ohne eine Antwort abzuwarten, rannte der Valr wieder zur Tür hinaus.
Das kleine Intermezzo hatte der anderen Echse sogleich jeglichen Mut geraubt, Ahrok jedoch wieder etwas bestärkt. Dennoch war es das schuppige Monster, welches sich als Erster mit dem Schwert in der Hand aufraffte, um ihr meuchlerisches Nachtwerk nun endgültig zu beenden.
Dem glücklichen Umstand, dass er gerade nackt auf dem Rücken lag und sich dabei die schwere Wunde hielt, verdanke Ahrok, dass er seinen Zweihänder fand, der sich friedlich unter seinem Bett tummelte.
Mit verzweifelter Kraft riss er die Waffe hervor und stieß nach vorne. Schmatzend bohrte sich die lange Klinge mehrere Ellen tief in die Brust des Angreifers.
Die erhobene Waffenhand der Echse sank nieder und ihr Schwanz zuckte noch einmal kurz. Warmes Blut lief die Klinge entlang über Ahroks Hände und Arme. Mit angehaltenem Atem verharrte er noch einige Augenblicke starr in dieser Position, die Arme ausgestreckt und die aufgespießte Echse an seinem Schwert über ihm.
„Ja. JA! Stirb, du Drecksechse! Stirb endlich“, lachte er entspannt auf.
Dann forderte die Erschöpfung ihren Tribut ein.
Mit jedem Atemzug wurde er schwächer. Kostbares Blut pumpte unaufhaltsam aus seinem verletzten Oberschenkel und ihm wurde schummrig vor Augen.
Zuerst glitt das Schwert aus seinen Händen, dann kippte er leise stöhnend zur Seite.
Sofort kamen ihm Ellen, Kira und Hans zu Hilfe und zerrten den blutverschmierten Krieger aus dem Zimmer hinaus. Auf Hans´ Rücken hievten sie ihn dann in Sandras Schlafgemach.

Pythos landete trotz der grässlichen Überraschung in perfekter Haltung auf seinen Füßen. Nachdem er aus dem Fenster gesprungen war, um sich vor dem wild gewordenen Zwerg zu retten, musste er jetzt erst einmal seine Gedanken ordnen. Der kleine Kerl hätte ihm durchaus gefährlich werden können. Zum Glück hatte ihn sein jahrelanges, entbehrungsreiches Training gut auf solche Situationen vorbereitet. Er war zu Recht ein Großmeister.
Soweit er das beurteilen konnte, waren die beiden Bösewichte noch am Leben. Aber wie konnte das überhaupt möglich sein?
Normalerweise hätten seine Schüler die beiden im Schlaf überraschen müssen.
Kein Oberflächenbewohner war um diese Zeit noch wach, das wusste Pythos aus Erfahrung.
Jemand musste die beiden gewarnt haben, daran bestand kein Zweifel. Jemand wollte ihn selber tot sehen. Der Erleuchtete vielleicht? Ahnte er etwas von Pythos´ Ambitionen und dieser Auftrag war nichts weiter als eine Falle für ihn gewesen?
Er durchsuchte seine Kleidung nach dem Beutel mit den Sprengkugeln. Nicht mit Pythos. Ein Schnappen der Feuersteine entzündete die Lunte. Er war viel zu schlau, um sich so plump überrumpeln zu lassen. Oh nein, so leicht wurde man Pythos nicht los. Die Kugel beschrieb einen sauberen Bogen und flog direkt durch das kleine Loch in das Zimmer. Das dürfte genügen, um diese Monster auszurotten, auch wenn er bedauerlicherweise das Leben seiner Schüler dafür opfern musste.
„Stirb!“, vernahm er eine tiefe Stimme neben sich und er vermochte es gerade so, dem Hammerschlag auszuweichen, der seinen Schädel zerschmettert hätte. Der rotfellige Muskelberg war ihm gefolgt.
Panik ergriff den Meisterattentäter, denn für gewöhnlich war er es, der überraschend auftauchte und angriff. Auf der anderen Seite der Klinge zu stehen, bekam ihm gar nicht.
Als er mit vor Aufregung zittrigen Händen nach einer Waffe griff, purzelten gleich ein halbes Dutzend Messer und Dolche aus seinen weiten Ärmeln auf die Straße.
Nur durch wahnsinniges Glück entging er dem nächsten Schwung mit dem Hammer.
Die Explosion der Sprengkugeln jagte eine Stichflamme aus dem Fenster hinaus und ihr Donner hallte durch die ganze Straße. Entsetzt starrte der Zwerg hinauf zu dem Fenster und gab Pythos damit genug Zeit, einen Gegenangriff vorzubereiten.
Hektisch tastete er seine Taschen nach verbliebenen Sprengkugeln ab, bis ihm bewusst wurde, dass auf diese kurze Distanz keiner von ihnen eine Explosion der kleinen, gefährlichen Dinger überleben würde.
Mit dem animalischen Brüllen eines Höhlenbären trieb ihn der grausige Zwerg immer weiter zurück an die Hauswand. Es war nur noch eine Frage von Augenblicken, bis Pythos einem der tödlichen Schwünge nicht mehr ausweichen konnte.
Jetzt war die Zeit gekommen.
Das war jetzt die Gelegenheit, auszutesten, wie gut sein Training gewesen war.
Pythos hechtete mit einer Sprungrolle über den Zwerg hinweg und rannte wie ein Sturmwind hinfort in die Dunkelheit. Schoss Salti und Flickflacks über sämtliche Hindernisse und blickte sich dabei nicht ein einziges Mal um.
Mehrere Querstraßen weiter grub sich Pythos in einen der Abfallhaufen ein und wartete mit wild pochendem Herzen, bis die barbarischen Herausforderungsrufe und Kampfschreie verklungen waren. Erst als er sich sicher war, dass der brutale Zwerg nicht mehr nach ihm suchte, wühlte er sich aus dem Unrat heraus und schlich zum nächsten Loch, das hinab in die Kanalisation führte.
Er schluckte schwer.
Diesen Zwerg hatte er zwar knapp überlebt, aber der Erleuchtete würde nicht glücklich über die Ereignisse dieser Nacht sein.


----------------------------------------------

Worterklärungen

Nyoka´tuk – „Kinder der Schlange“ Bezeichnung der Weißen für ihre Rasse
Kruuk – „Die Wissenden“ oder „Die Wahnsinnigen“
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

KLASSE

Mehr brauch man wohl nicht sagen.

Gruß


Alexander Bone1979 (25.09.2010)

Da kann ich nur zustimmen. Wie du auch die "Böswichte" darstellst. Auch sie haben eine Seele. Ich glaube, dass es recht schwierig ist, mit so vielen verschiedenen Charakteren zu arbeiten und sie glaubhaft rüber zu bringen. Einfach große Klasse geworden.

Petra (02.09.2010)

Ja der Teil gefällt selbst mir.
Danke für eure aufmunternden und lieben Worte sowie die ständige Kritik und die Verbesserungsvorschläge.


Jingizu (30.08.2010)

ein sehr vielschichtiger und vor allem interessanter teil, plutonstaub scheint ein toller stoff zu sein, die gefiederte schlange kommt auch in der 'neuen' schöpfungsgeschichte vor, einblicke in die grausamkeit von assassinen - und in die zwergenehre, sich aus seinem grab buddeln zu müssen wie ein untoter..., ahroks rammeleien, und ha, die schlangen sind warmblüter... ;) doch, gefiel mir echt gut!
lieben gruß


Ingrid Alias I (30.08.2010)

Dies ist ein ganz besonders gutes Kapitel. Das finde ich jedenfalls. Denn es hat alles: Spannung, Erotik, Humor, zudem kommt der Leser weiter. Er versteht immer mehr: was Geschehen ist und wohin du willst und da alles schön athmosphärisch geschrieben ist, befindet sich der Leser sozusagen mittendrin in deiner Story. Tolle Bilder entstehen. Wirklich ein gelungenes Kapitel.

Jochen (30.08.2010)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Ahrok 2. Band - 41. Kapitel  
Berserkor der übelst Schreckliche - 1. Kapitel  
Nikolas - Inhaltsangabe  
Chris - Inhaltsangabe  
Berserkor der übelst Schreckliche - Inhaltsangabe  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De