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15 Seiten

Ahrok - 21. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Einundzwanzigstes Kapitel: Eine Nacht auf dem Friedhof

Ihr Fußmarsch dauerte Alles in Allem drei weitere Stunden... und alles daran war zum Kotzen! Wie weit war das denn noch? So groß war diese verdammte Stadt nun auch wieder nicht. Der Nachmittag kam und ging dann auch bald wieder, es wurde später Nachmittag, Abend... Es gab nichts zu essen, nichts zu trinken. Immer nur gehen, gehen und noch mehr gehen. Einige Katzen mussten seine schlechte Laune büßen, wenn er wieder einmal eine von ihnen kräftig mit dem Fuß aus dem Weg stieß.
Waren sie nicht schon einmal in anderer Richtung über diese Brücke gelaufen? Manchmal kam es Ahrok so vor, als würden sie ein und dieselbe Stelle mehrmals passieren, aber er sprach den Zwerg vorsichtshalber nicht darauf an. Dieser hatte sich die ganze Zeit über ohnehin schon ziemlich einsilbig verhalten. Vielleicht trauerte er noch immer dem Silber hinterher, war immer noch wütend über seinen Ausrutscher vor der Stadtwache oder das ganze Gelaufe ging ihm ähnlich gegen den Strich. Jedenfalls machte sein stummer Ärger den Zwerg nicht zu einem besseren Navigator, denn an diesem Haus, und da war sich Ahrok sicher, waren sie schon vorher zweimal vorbei gestapft.
Ab und zu wollte der Gedanke an Sandra aufkommen, aber Ahrok schaffte es, diese Bilder dann wieder zu verdrängen und durch etwas anderes zu ersetzen. Er würde gern einmal mit dem Valr über diese ganze Sache reden, aber was wusste jener schon von Frauen oder den Beziehungen zu ihnen. So schwiegen sie beide und seine Laune sank mit jedem Schritt immer weiter.
Was hätte er denn auch tun können? Sandra und ihre ewigen Träumereien von Häuslichkeit und einem einfachen Leben. Pah! Wenn er nicht gewesen wäre, dann gäbe es hier schon längst keine Häuser mehr.
Vielleicht, wenn er sie nur auch davon überzeugen konnte... verdammt! Jetzt dachte er ja schon wieder an Sandra. Ahrok schloss die Augen und schüttelte die letzten Gedanken hinfort. An ihre Stelle traten dann Bildern aus dem Magierturm. Bescheuerte Magier...
Die Sonne war vor einigen Minuten hinter ausgebleichten Dachziegeln verschwunden und der blassblaue Schein der Lichtquarze strahlte an ihrer statt durch die Gassen. Als sie endlich einmal vor einem Tor standen, dass wie eines der innerstädtischen Tore aussah und nicht wieder eine Scheune oder ein Lagerhaus zu sein schien, horchte Ahrok auf.
Die davor postierten Stadtwächter kreuzten voller Elan ihre Hellebarden.
„Halt, Bürger. Hier ist kein Durchkommen“, verlautete der eine.
„Der Westbezirk ist unter Quarantäne, die Seuche...“
„Halt dein Maul Franz!“, unterbrach ihn wieder der Erste. „Der Westbezirk ist Sperrgebiet auf Geheiß des Statthalters. Niemand kommt hier rein und niemand raus, also verschwindet wieder.“
Ahrok und Ragnar blickten sich an.
„Ich hab´s satt noch weiter zu laufen“, meine Ahrok letztendlich.
„Hm“, brummte der Valr nur.
Nahezu gleichzeitig, und schneller als die verblüfften Wachleute reagieren konnten, griffen sie zu ihren Waffen.
Ahrok schlug mit dem Knauf ein paar Mal auf den Kopf des linken Wachmanns ein, Ragnar rammte den Schaft seines Hammers in den Bauch des anderen. Als die beiden Wächter zu Boden gingen traten die Krieger noch ein paar Mal nach, bis die Männer zu ihren Füßen keinen Laut mehr von sich gaben.
„Was geht da drüben vor? Ist bei euch alles in Ordnung?“
Mit diesen Worten wurde ein Riegel zurückgeschoben und in dem großen Tor öffnete sich eine kleinere Tür, durch die ein weiterer Stadtwächter seinen Kopf steckte. Wenige Augenblicke später lagen auch die Männer auf der anderen Seite des Tores leise stöhnend auf der Straße.
Hinter geschlossenen Fenstern beobachtete man ihr Treiben zwar mit großen Augen, aber es war kein Mucks zu hören, kein Hilfeschrei und niemand eilte herbei, um den Wächtern beizustehen.
„Tut mir leid, Jungs. Ich werd euretwegen sicher nicht noch ´nen Umweg laufen“, grinste Ahrok und tätschelte freundschaftlich den Helm des Einen. „Also gut… Westbezirk, na endlich! Beeilen wir uns mal. Das kann ja nun nicht mehr weit sein, oder?“
Ahroks Euphorie verflüchtigte sich nach dieser kleinen Auseinandersetzung jedoch ebenso schnell, wie sie gekommen war und die beiden Krieger stapften nun nicht minder lustlos als in den letzten Stunden die gähnend leeren Straßen entlang.
Seit sie das Tor durchschritten hatten, wurde er dieses mulmige Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte und das lag nicht nur daran, dass die Dämmerung und mit ihr kalter Herbstnebel durch die Gassen kroch. Bei vielen Häusern waren Eingänge und Fenster zugenagelt und die Türen dieser Häuser waren mit einem roten Kreuz versehen. In den wenigsten Gebäuden brannte Licht und anders als in all den anderen Teilen Märkteburgs war keine Menschenseele auf der Straße zu sehen.
Trister Halbschatten und unnatürliche Stille lagen wie ein Leichentuch auf den Straßen.
Ein paar Straßenecken weiter konnten sie die zum Teil immer noch schwelenden Überreste einen großen Feuers entdecken, dass beinahe einen ganzen Straßenzug verschlungen hatte. Es gab hier nur noch ausgebrannte Ruinen, geschwärzte Trümmer und haufenweise Asche auf der Straße. Anzeichen von Leben suchte man an diesem Ort vergeblich.
Und dann, noch einmal eine knappe Stunde ziellosen Umherirrens später, erblickte Ahrok das riesige Areal, was sich selbst mit großen, goldenen Buchstaben als „Garten des Than“ bezeichnete – den Friedhof.
Than, der Gott des Todes, hatte hier ein wirklich imposantes Fleckchen Erde für sich beansprucht. Der Westfriedhof erstreckte sich gut und gerne über einige Quadratmeilen, wie die ewig langen Mauern links und rechts von ihnen erahnen ließen.
„Heilige Scheiße, ist das riesig“, entfuhr es ihm.
„Ja, das wird nicht einfach“, pflichtete Ragnar entnervt bei.
Wenigstens redete der Zwerg wieder mit ihm.
Der Friedhof war, soweit Ahrok das überblicken konnte, von einer vier Schritt hohen Backsteinmauer umspannt und der einzige Zugang war wohl der, vor dem sie gerade standen. „Halle des Than“ titelte ein verhältnismäßig kleines Schildchen in Augenhöhe. Mehrere kleine Zeilen darunter erklärten, dass dies der Ort war, an dem die Toten für ihre letzte Reise gesalbt wurden und man deshalb doch bitte still und den Priestern gegenüber höflich und spendabel sein sollte.
Die Pforte zu Thans Halle stand weit offen und der gespenstisch flackernde Schein großer Feuer fiel hinaus auf die Straße.
„Da geht’s rein“, stellte Ragnar das Offensichtliche fest und marschierte auf das offene Tor zu.
Zu allem aufgestauten Ärger gesellte sich dieses immer stärker werdende, ungute Gefühl. An einer kalten Herbstnacht in einem menschenleeren Stadtteil auf dem Friedhof herumzuschleichen, war nicht die beste Art, seine Abende zu verbringen. Ganz zu schweigen davon, dass sich Than sicherlich gewaltig über die Schändung seines Landes durch zwei Lebende ärgern würde. Aber der Zwerg machte sich natürlich gar keine Gedanken über so etwas und hatte schon längst das Gebäude betreten. Es gab kein Zurück mehr. Es blieb nur zu hoffen, dass Than noch schlechter auf die Echsen zu sprechen war, als auf sie beide.
Hoffentlich war wenigstens dieser Gott einmal vernünftig.
Als er das Gebäude betrat, verschlug es ihm sprichwörtlich den Atem. Thans Tempel war riesig, gigantisch und noch weit größer, als es von außen den Anschein hatte. Alles hier, Vitrinen, Bänke, Wände, war in knochenbleichem Marmor gehalten. Glatte Säulen stützten das hohe Dach, der Boden war ebenso spiegelblank poliert wie die Säulen und alles wirkte so gänzlich rein und sauber, dass es nichts mehr mit der wirklichen Welt gemein hatte.
In dem imposanten Gemäuer stapelten sich die Leichen. Vierzehn Priester des Totengottes schwirrten wie Fliegen in ihren schwarzen Gewändern zwischen den Toten umher, um die letzten Segnungen auszuführen, bevor die Verwesung zu weit vorangeschritten war.
„Than sei mit euch“, verneigte sich einer der Priester vor ihnen.
„Was? Warum das denn jetzt?“, fragte Ragnar unwirsch. „Was willst du uns damit unterstellen?“
„Also... keine Ahnung... das weiß nur Lord Sekal“, stotterte der verunsicherte Priester.
„Ihr habt nach mir gerufen“, erklang es kurz darauf und ein hagerer kahlköpfiger Mann näherte sich ihnen. „Ich bin Lord Sekal. Hohepriester des Than. Ich spreche Euch mein tief empfundenes Beileid aus. Was kann ich für Euch tun? Hat die Seuche auch von euren Familien Tribut gefordert?“
„Seuche? Was für ´ne Seuche?“
„Oh, ihr seid also nicht deswegen hier. Wie erfreulich, dass auch endlich wieder Leute auf andere Art und Weise zwischen den Welten wechseln.“ Der Hohepriester wies mit einer Handbewegung durch den ganzen Raum. „Seht nur, dies hier sind die Toten, welche die schreckliche Krankheit allein heute von den Einwohnern Märkteburgs forderte. Ich würde ihnen an eurer Stelle nicht zu nahe kommen. Diese Krankheit ist höchst ansteckend.“
Eingeschüchtert wich Ahrok sofort einen Schritt zurück.
Ragnar nickte nur kurz.
„Ich hatte auch nicht vor, hier eure Leichen anzugrapschen. Hören Sie, wir müssen auf den Friedhof.“
Sekal lächelte: „Da kommt ihr noch früh genug hin. Es tut mir leid, aber nur den Toten und den Trauernden ist es erlaubt, in Thans Garten zu wandeln.“
„Aber wir... wir... wir wollen einen Verwandten von uns besuchen“, log Ahrok.
Ragnar und der Priester hoben verwundert ihre Augenbrauen.
„Einen Verwandten? Von euch?“
„Nun ja, wir sind eine große Familie“, beteuerte Ahrok.
Auch Ragnar nickte nun zögerlich: „Ja... eine große, abartige Familie...“
„Lord Sekal, wir benötigen hier Eure Hilfe!“, riefen einige Priester aus dem hinteren Teil der Halle.
Der Hohepriester seufzte und massierte sich die Schläfen.
„Meinetwegen. Nehmt die linke Tür dort hinten. Sie führt hinaus in den Garten. Aber benehmt euch. Bleibt auf den Wegen und stört die Toten nicht. Thans Zorn wollt ihr sicher nicht riskieren.“
„Uhhh nein, das wollen wir ganz sicher nicht“, spottete Ragnar wenig taktvoll, aber der Priester war zum Glück bereits anderweitig beschäftigt.
„Das war ja einfach“, freute sich Ahrok.
„Ja, man kommt ziemlich leicht auf einen Friedhof“, stimmte Ragnar zu, „die Schwierigkeit ist es, lebend wieder runter zu kommen.“
Ahrok schluckte. Der Zwerg könnte ruhig etwas aufmunternde Reden schwingen, ihm war auch so schon nicht wohl bei der Sache.

Es klopfte an die Tür.
„Hauptmann Schreiber!“
„Ja, was ist denn nun noch, Sergeant Schmidt?“
Bernhard wusch sich gerade das getrocknete Blut des armen Ottfried von den Händen. Bis zum Schluss hatte er sich geweigert, zu gestehen. Dieser engstirnige Hund. Möge seine Seele in Frieden ruhen.
Ursprünglich hatte er vor gehabt, schon längst zu Hause sein, die Ablösung zur Nachtschicht war bereits vor Stunden eingetroffen, aber diese Arbeit kannte eben keine Pause und keinen Feierabend.
„Probleme im Westbezirk, Herr Hauptmann.“
Er war sofort ganz Ohr.
„Probleme?, Was für Probleme?“
Er selber hatte den Westbezirk unter Quarantäne gestellt, so wie es diese widerlich stinkende Echse gewünscht hatte. Was war nun schon wieder schief gelaufen?
„Jemand hat die Wachen am Drei-Königs-Tor angegriffen.“
„Und? Berichten sie doch endlich, Sergeant und lassen Sie sich nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“
„Doktor Kruger sagt, es sieht nicht gut aus. Otto und Wolfgang hatten Glück, aber Wilhelm und Arnold... Sie werden nicht durchkommen, meint der Doktor. Milz- und Leberrisse, schweres Kopftrauma... Die beiden werden es wohl nicht schaffen, Herr Hauptmann. Da hat es jemand auf unsere Jungs abgesehen.“
„Verdammt!“
Bernhard hämmerte seine Faust auf den Tisch und zermalmte dabei seine Lieblingsfeder. Zwei weitere, gute Männer hatte er verloren. Der Tag wurde von Minute zu Minute immer schlimmer. Das Verbrechen in dieser Stadt machte ihn krank.
„Was ist mit Otto und Wolfgang. Warum sind sie noch nicht hier?“
„Sie sind noch nicht wieder bei Bewusstsein. Der gute Doktor tut alles in seiner Macht stehende, um sie durchzubringen.“
„Hm....“
Bernhard wischte sich die Tinte und die Überreste der Feder vom Handballen. Um seinen Ärger zu verdrängen, atmete er dreimal tief durch. Zorn und Ärger waren bei der Ermittlungsarbeit nur hinderlich. Die Banden im Westbezirk waren so gut wie ausgerottet und ein Aufstand kam derzeit noch nicht in Frage. Wer konnte so etwas getan haben?
„Gibt es Augenzeugen? Irgendwelche Informationen zu den Tätern. Wie viele sind aus dem abgesperrten Bereich ausgebrochen?“
„Niemand ist ausgebrochen. Ein Anwohner behauptet, zwei Männer gesehen zu haben, die sich Zugang zum Bezirk verschafft haben. Einen Menschen und einen Zwerg.“
Der letzte Satz traf den Hauptmann wie ein Vorschlaghammer. Seine Augen weiteten sich und sein Mund wurde trocken. Diese beiden! Es mussten die beiden aus der Kanalisation sein. Ottfried musste ihnen vom Westbezirk erzählt haben.
„Ein Mensch und ein Zwerg? War es ein Valr?“
Bernhard kam dem Sergeanten bedrohlich nahe.
„Ich...“
Er packte seinen Untergeben an den Schultern und schüttelte ihn kräftig.
„Sagen Sie schon, war der Zwerg einer dieser Todeskultisten?!“
„Das, das weiß ich nicht, Herr Hauptmann“, stottert der Sergeant.
Diese Hunde, diese dreckigen Hunde! Waren es etwa königliche Spione? Sie mussten sterben. Heute noch. Jetzt! Er ließ den Sergeanten los und strich die Falten in dessen Uniform wieder gerade.
„Geben Sie eine Nachricht an die gesamte Nachtschicht raus. Wir suchen einen jungen Mann etwa um die siebzehn, achtzehn Jahre alt. Blond und ziemlich kräftig gebaut. Er hat in etwa Ihre Größe und befindet sich in Begleitung eines Zwerges, der dem Valrkult angehört. Die beiden Personen sind extrem gefährlich. Sie sind nicht anzusprechen und auch nicht festzunehmen. Bei Kontakt sind sie umgehend auszuschalten. Die Gesetze zum Schutz der Zivilbevölkerung werden für diesen Fall außer Kraft gesetzt. Es sind Mörder an Mitgliedern der Stadtwache, an unseren Jungs. Das ist hier also etwas Persönliches. Mobilisiere alle Männer, die wir auftreiben können, Hieronimus. Diese Subjekte werden die Nacht nicht überleben!“
Der Sergeant salutierte kurz und rannte dann hinaus.
Bernhard setzte sich auf die Kante seines Tisches. Noch immer klebten Reste von Ottfrieds Blut an seinen Unterarmen. Diese beiden Verbrecher hatten auch ihn auf dem Gewissen! Sie hätten ihn nicht mit ihren Lügen vergiften sollen, dann wäre sein Freund Ottfried noch am Leben.
Königliche Spione hin oder her, er hatte heute drei gute Männer verloren. Jeder einzelne davon ging auf ihr Konto!
Aber das war das letzte Mal. Heute würde es enden.

Kaum hatten sie die Halle durch das für den vom Gigantismus gezeichneten Tempel unverhältnismäßig kleine Tor verlassen, befanden sie sich auch schon auf dem lockeren, feuchten Erdboden von Thans Garten. Als sich die Türen dann gleich darauf hinter ihnen schlossen, war es, als ob sie von dem Zeitpunkt an erneut alle Geräusche hinter sich gelassen hatten. Es war einfach nur düster, kalt und totenstill.
Ahrok hatte sich zwar schon im Vorfeld etwas gegruselt, jedoch nicht erwartet, dass ein Friedhof im Dunkeln derart schaurig sein würde.
Es gab hier draußen nicht einmal Fackeln oder Lichtquarze. Zu ihrem Glück war der Himmel in dieser Nacht klar und das letzte bisschen Licht, was zu ihnen in den Garten dran, waren Reste des blauen Schimmers der Straßenbeleuchtung gemischt mit ein paar Fetzen Mondlicht, das durch die Baumkronen schien. Er konnte so zumindest Konturen erkennen und Wege erahnen.
Ahrok verdrängte sämtliche, ihm bekannte Spukgeschichten in eine unzugängliche Ecke seines Schädels. Dennoch huschten immer wieder kurzzeitig bösartige, kleine Wesen in sein Sichtfeld und verschwanden erst wieder bei genauerem Hinsehen. Soweit er überhaupt etwas erkennen konnte, waren das nur Nebelschwaden und keine irregeleiteten Seelen, die dort drüben flach über dem Boden von Grabstein zu Grabstein krochen, um dem ganzen Gelände einen noch düsteren und unheimlicheren Anstrich zu verleihen.
Es fiel ihm ungemein schwer, nicht sofort das Schwert zwischen sich und die Welt um ihn herum zu bringen.
Selbst Ragnars Schritte waren zögerlich, was wohl aber daran lag, dass auch er nicht wusste, wohin sie sich wenden sollten. Ein Valr konnte doch unmöglich Angst haben. Oder etwa doch? Angespannt und jederzeit auf einen Angriff vorbereitet folgte Ahrok dem schweigsamen Zwerg. Schließlich konnte dieser bei der Dunkelheit weitaus besser sehen als ein Mensch.
Wenn es hier Weiße gab, dann würde der Valr sie finden.
Die ersten Minuten schlichen sie einige ausgetretene Wege entlang und entfernten sich damit immer mehr von der Mauer und damit immer weiter von dem letzten bisschen künstlichen Lichts.
Plötzlich packte ihn eine behaarte Hand am Oberschenkel und bremste ihn. Obwohl Ahrok wusste, dass es sich hierbei nur um die Hand des Valrs handeln konnte, stoppte sein Herz dennoch für einen Augenblick. Er konnte einen erschreckten Aufschrei unterdrücken und es kam nur ein leises Quieken über seine Lippen.
„Was… sollte das, Ragnar?!“, keuchte er.
„Sei ruhig, Menschling, hörst du das nicht?“
Außer dem ohrenbetäubenden Pochen seines Herzens, welches ihm gerade bis zum Hals schlug, vernahm Ahrok gar nichts. Erst nachdem sich das Rauschen in seinen Ohren wieder gelegt hatte, drangen auch diese beunruhigende Geräusche zu ihm durch. Es klang wie ein Schluchzen oder Weinen von weit weg. Ja, herrlich. Er hatte es ja geahnt. Bei ihrem Glück mussten sie jetzt hier auch noch auf Geister treffen.
Sein Bruder hatte ihm oft Geschichten von verlorenen Seelen erzählt, wie sie unter Betten hausten und die Lebenden heimsuchten und peinigten.
Ahrok schluckte schwer. Er war bislang noch keinem Geist oder Gespenst begegnet, aber er hatte das ungute Gefühl, dass er mit seinem rostigen Schwert nur wenig gegen die Wesen aus dem Reich des Totengottes ausrichten könnte.
„Und was nun?“, fragte er vorsichtig, obwohl er die Antwort des Valrs bereits kannte.
„Wir schau´n mal, was da los ist.“
Wunderbar... Genau das hatte er erwartet.
Noch bevor Ahrok seinen Einspruch gegen diese selbst für einen Zwerg dämliche Idee zum Ausdruck bringen konnte, war der Valr auch schon mit vorgehaltener Waffe in Richtung der Geräusche marschiert. Allein in dieser schaurigen Dunkelheit zurückzubleiben, war keine Alternative, also folgte er dem Valr in ihr offenkundig sicheres Verderben.
Kaum vierzig zögerliche Schritte später, hinter einer Hecke versteckt, entdeckten sie die Quelle des Gejammers. Es war eine filigrane, bleiche Gestalt, die im Nebel vor einem riesigen Loch kniete.
Ahrok kannte genug Geschichten, um sofort zu wissen, dass es sich hierbe nur um den rachsüchtigen Geist einer Toten handeln konnte und so brachte er das Schwert sofort in Angriffsposition. Ragnar indes ließ seine Waffe sinken und näherte sich ihr.
War der Zwerg jetzt völlig bekloppt geworden? Oder hatte der Geist ihn behext?
„Ragnar. Ragnar!“, flüsterte Ahrok so dringlich er konnte, aber der Valr schritt einfach weiter. Das bedeutete, Ahrok musste jetzt umso vorsichtiger sein. Mit zum Schlag erhobenem Schwert näherte er sich der Gestalt, jederzeit bereit, dem Gespenst den Schädel zu spalten – oder beim Versuch das zu tun, heldenhaft drauf zu gehen.
„Hey, du! Was ist los?“, durchschnitt die raue Zwergenstimme die frostige Stille.
Jetzt sprach der Zwerg auch noch mit dem Wesen. Was sollte denn schon dabei herauskommen? Es war besser, der leichenblassen Hexe gleich den Schädel spalten.
Schniefend und erschrocken schnellte die Gestalt nach oben.
Beinahe zeitgleich glitt Ahroks Schwert nach unten und verfehlte das Gespenst um wenige Zoll. Das Ding bewegte sich schnell, dazu diese verdammte Dunkelheit und der vermaledeite Nebel… Um ein Haar wäre Ahrok noch durch den eigenen Schwung in das Loch getaumelt, vor dem der Geist gekniet hatte.
Ein junges, verweintes Frauengesicht blickte ihnen apathisch entgegen.
„ Ihr seid keine Priester, oder…?“, schniefte sie.
„Ähm, nein. Sind wir nicht.“
Ahrok war froh, dass niemand seinen missglückten Ausfall bemerkt hatte und bemühte sich recht freundlich zu klingen. Das Ding hatte es also auf Priester abgesehen. Umständlich stützte er sich auf dem Zweihänder ab, seine Hände glitten währenddessen vorsichtig in eine Position, um die Waffe blitzartig nach oben reißen zu können. Er war nur noch etwas zu weit von dem Geist entfernt, um sein Ziel zu treffen.
Die Frau schwankte kurz. Nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Ihre ganzen Arme waren mit einem fleckigen Ausschlag übersät und rotgeweinte Augen blickten an ihnen vorbei in die Dunkelheit.
„Gut! Denn ich kann dieses verlogene Pack nicht ausstehen. Ich hasse sie!“
Ha! Hatte er es doch gewusst. Than hatte seine Leute heute scheinbar nicht gut im Griff. Sie war ganz sicher ein untotes Wesen. Jedem war bekannt, dass die Toten einen unendlichen Hass auf alles Lebende hatten, dass sie neidisch auf jene waren, die Leben durften. Ahrok fror es plötzlich bis ins Mark. Dem ekelhaften Schauer zwischen seinen Schulterblättern konnte er sich in Gegenwart dieser Untoten einfach nicht erwehren.
„Was ist mit den Priestern?“, fragte Ragnar nach.
Sie wies auf das Loch im Boden.
„Siehst du dies hier?“
Jetzt erst erkannte Ahrok, dass es sich hierbei um ein Massengrab handelte. Bei allen Göttern! Ahroks Augen weiteten sich und er wich erschrocken zurück. Dieses abscheuliche Wesen hatte ja schon Dutzende Leute auf dem Gewissen! Zum ersten Mal in einem Kampf zitterten seine Hände.
„Die Priester sind es. Diese Heuchler verbreiten nämlich die Seuche. Ich hab sie gesehen, wie sie nachts in ihren Kutten durch die Straßen gekrochen kamen, um uns alle mit dieser Krankheit anzustecken! Und nun ist mein Olaf auch tot!“
Sie brach auf der Stelle zusammen und begann erneut zu schluchzen.
Auch dieses Wesen sprach nun also von dieser Krankheit. Das war hier im Westbezirk wohl das große Thema momentan. Ahroks Finger lockerten sich vom Schwertheft. Er war sich zwar noch immer nicht sicher, ob die junge Frau nun wirklich kein Geschöpf aus Thans Untiefen war, aber sie war ihnen offenbar nicht feindlich gesonnen.
„Na ja, Ragnar, vielleicht sollten wir…“
„Sch!“, unterbrach ihn der Zwerg und wies mit der Hand weiter hinaus in die Dunkelheit. Dort hinten wandelten mindestens zwei vermummte Gestalten im schwachen Schein eines Lichtquarzes durch den Nebel.
„Hey, die sehn ja aus wie die Priester! Lass uns denen doch mal ein paar Fragen stellen.“
„Ganz meine Meinung, Menschling. Los geht’s!“
Ohne auf ihn zu achten, rannte der Valr auch schon los.
Ahrok war bemüht, dem wippenden, roten Zopf zu folgen, den er in der Dunkelheit gerade noch so erkennen konnte. Seit sie beide bei Sigurd und den ganzen anderen Zwergen ein und aus gingen, hatte sich Ragnar dieses ´Menschling´ wieder angewöhnt. Was sollte das? Er nannte ihn ja auch nicht ´Zwergling´. Jetzt war jedoch nicht der richtige Zeitpunkt, eine dieser Debatten vom Zaun zu brechen, denn da vorn stolzierten diese Schweinepriester über die Friedhofswege.
Harmlosen Leute eine Krankheit anzuhängen. Das war nicht nett. Über knorrige Wurzeln und hübsch polierte Grabsteine, durch feuchte Pflanzen und matschige Erde fegten sie hinweg wie ein wütender Sturmwind der Gerechtigkeit.
Mit einem lauten „Ha! Hab ich euch!“ sprang Ahrok mit blanker Klinge in die Mitte der vier Priester. Zwei von denen griffen sich instinktiv in die Brustgegend und sahen die beiden Krieger mit weit aufgerissenen Augen an, bevor sie steif wie Bretter nach hinten kippten.
Ein anderer schrie plötzlich wie am Spieß, während der Vierte einfach nur die Falten aus seiner Kutte strich und Ahrok mit kalten rauchgrauen Augen ansah.
„Was soll das denn? Wisst ihr nicht, wo ihr euch befindet? Solch ein Verhalten geziemt sich nicht für diesen schönen Garten.“
Der spitze Schrei verstummte und einer der beiden Priester kam langsam wieder auf die Beine.
„Tu nicht so scheinheilig!“, rief Ahrok herausfordernd. „Wir wissen, dass ihr es seid, die die Seuche verbreiten! Haben wir euch etwa überrascht?!“
„Oh bitte, nicht schon wieder diese Verleumdungen... Nicht wir sind diejenigen, welche die Seuche über die Stadt bringen. Bael Zebub persönlich tut es“, antwortete ihm der alte Mann ruhig und gelassen in schulmeisterlichem Tonfall.
Ahrok stieß den Valr an.
„Hast du schon mal von diesem Bael Zebub gehört?“
„Ne. Klingt für mich auch eher nach ´nem Elfen.“
Die Priester warfen sich untereinander bedeutungsschwangere Blicke zu, während sie ihren vierten Kameraden vom Boden aufhoben.
„Er ist kein Elf, sonder einer der Unaussprechlichen, der Herr der Fliegen, der Gott der Pestilenz. Ein finsteres Wesen und Widersacher des großen Than. Euer Verdacht, so absurd er natürlich ist, scheint dennoch nicht ganz unbegründet. Auch wir durchschreiten diesen heiligen Garten, um Anzeichen seiner Verderbtheit zu finden, denn es ist fast so, als würde sich diese unheilige Krankheit von Thans Garten hinaus ausbreiten. Wenn ihr es also in eurem jugendlichen Eifer für nötig haltet, dann könnt ihr euch hier gern etwas umsehen, aber vermeidet es bitte, uns oder unsere Brüder noch einmal derartig zu erschrecken.“
Die drei Männer luden sich ihren immer noch reglosen Kameraden auf die Schultern und verließen die beiden verdutzten Krieger.
„Wenn die es nicht sind… Wer dann?“
„Geschissen auf das bisschen Erkältung, das kümmert uns jetzt nicht. Vergiss nicht, weswegen wir hier sind. Wenn die Gerüchte stimmen, dann müssen hier irgendwo noch ein paar Schlangen herumlaufen.“
Ahrok nickte. Natürlich hatte der Zwerg Recht. Eine Krankheit konnten sie nicht besiegen, aber einen Weißen konnten sie bequem eins auf die schuppige Fresse geben. Ein Mann sollte bei dem bleiben, was er am besten konnte.
„Na gut. Wie sieht´s aus? Riechst du irgendwo diese Weißen?“
„Nein“, Ragnar schüttelte den Kopf, „wir müssen wohl etwas weiter im Inneren des Friedhofs suchen.“

Noch einmal eine kleine Ewigkeit später hatte Ahrok trotz seiner nahezu sprichwörtlichen Geduld nun endlich genug von dieser grausigen Atmosphäre. Nicht nur, dass im Halblicht des Mondes jeder Baum und jeder Grabstein einem abartigen Monster ähnlich sah, sie erwarteten ja sogar, dass haufenweise Echsenmonster nur auf sie lauerten.
Käuzchengeschrei und Geraschel an jeder Ecke brachten ihn fast um den Verstand. Er war kurz davor, sein Schwert fortzuwerfen und so schnell er nur konnte, von diesem widernatürlichen Ort zu verschwinden.
Es war ihm, als würde er jeden Moment dieses wilde Zischen hören oder das Geräusch von zerspringenden Fläschchen, kurz bevor man ihn in damit Brand stecken würde.
Sein ständig umher huschender Blick entdeckte dann etwas hinter einer dieser Efeuhecken, die hier überall angepflanzt waren.
„Hey, Ragnar, was ist denn das da drüben?“
In einiger Entfernung wippten kleinere Lichter immer wieder auf und ab. Selbst der Valr zuckte kurz zusammen. Also war selbst einem todessüchtigen Zwerg diese ganze Umgebung suspekt.
„Was meinst du?“
„Na, die Lichter da drüben hinter der Hecke. Meinst du, das sind wieder ein paar Mönche?“
Der Zwerg stellte sich auf die Zehenspitzen und starrte eine kleine Weile hinaus ins Dunkel.
„Keine Ahnung! Also schau´n wir mal nach. Auf geht’s.“
Ohne sich nach ihm umzusehen, lief der Zwerg auch schon in die Richtung der Lichter. Nach nur wenigen Schritten verlangsamte der Valr abrupt seinen kurzen Sprint und begann stattdessen tief gebückt durch die Nebelschwaden zu schleichen. Mit der linken Hand bedeutete er Ahrok, es ihm gleich zu tun.
Gerade heute wäre es dem jungen Krieger weitaus lieber gewesen, weiter zu stürmen und die Feinde mit lautem Kriegsgebrüll zu überrumpeln.
Er konnte sich wahrlich gemütlicheres Vorstellen, als unnötig vorsichtig durch feuchten Nebel und nasses Gras und Moos zu kriechen. Seine Stiefel und die Hose waren pitschnass und obendrein saukalt.
Das Gefühl in seinen Zehen hatte sich schon vor einiger Zeit verabschiedet, trotzdem hatte er es vermieden, dies vor dem Zwerg zum Ausdruck zu bringen. Schließlich murrte Ragnar ja auch nicht, obwohl Ahrok langsam daran zweifelte, dass Zwerge das gleiche Kälteempfinden wie Menschen hatten.
Hinter einem verwitterten Grabstein kauerten sich beide zusammen und warteten auf die drei Lichter, die sich im Schneckentempo von links näherten.

Silenius Schmidt
geliebter... Irgendwas... die Schrift war kaum noch zu entziffern
4402-4437

Mann, der Kerl lag aber schon eine ganze Weile hier.
Würde er auch einmal so enden? Vermodert und vergessen wie dieser arme Wicht hier? Er konnte seinen Gedanken nicht einmal mit Ragnar teilen. Jetzt ging es ja darum, ruhig zu sein und zu warten.
Die darauffolgenden Minuten der Untätigkeit waren das Schlimmste für Ahrok. Nicht nur, dass er an einem unheimlichen Ort auf einen ungewissen Feind wartete, die Kälte kroch ihm auch noch die nassen Hosenbeine hinauf und nistete sich in seinen Knochen ein. Langsam glaubte er, dass selbst eine Nacht auf dem Scheiterhaufen seine Glieder nicht wieder erwärmen könnte.
Nach einer Viertelstunde, die Ahrok wie eine Ewigkeit vorkam, konnte nun auch er die Gestalten im Schein ihrer Laternen erkennen. Es waren dieses Mal wirklich keine Priester sondern eindeutig Weiße.
Die schuppigen Kreaturen verhüllten ihre abnormen Körper mit pechschwarzen Kutten, doch ihre wackelnden Reptilienschwänze entlarvten sie sofort als die Echsenmonster, denen sie gerade auf der Spur waren.
Die Drei hielten immer wieder an, um Pflanzen und Pilze zu pflücken, welche auf den ungepflegten Gräbern wucherten. Dies taten sie wohl schon eine ganze Weile, denn der große Jutesack, welchen der eine von ihnen schleppte, war beinahe bis oben hin gefüllt.
Ahrok duckte sich wieder hinter den Grabstein.
Oh Mann, nervte ihn dieses Warten und die scheiß Kälte...
Diese dämliche Kuh Sandra hatte es natürlich warm. Sicherlich trieb sie es gerade wieder mit irgendeinem Gast, während er hier sein Leben riskierte, um ihres und das eines jeden Einwohners der Stadt zu retten.
Er war hier der Held. Er war im Recht! Er und nicht sie!
Sollte sie doch das nächste Mal selber zusehen, wie sie mit solchen Biestern fertig wurde, wenn er nicht da war, um sie zu retten.
Blödes Miststück, blöde Kälte, blöde Echsenmonster!
Alle aufschäumende Wut richtete sich plötzlich gegen die drei Pflanzensammler dort hinten und noch bevor der überraschte Zwerg reagieren konnte sprang Ahrok auf und stürzte sich mit wildem Gebrüll auf die Echsen.

Chris Phoenix lehnte nun schon seit beinahe einer Stunde an einem Baum auf dem Friedhof und schlug rhythmisch und entnervt seinen Hinterkopf gegen die knorrige Rinde. Das war heute der wahrscheinlich anstrengendste Tag seines ganzen Lebens gewesen.
Diese beiden raubten ihm den letzten Nerv.
Seine ursprüngliche Theorie, dass es sich bei ihnen um besonders gut getarnte Agenten der Altmark handeln würde, hatte er längst verworfen. Sie hatten einen ganzen Tag gebraucht, den Friedhof hier zu finden, hatten sich immer wieder verlaufen und dann obendrein auch noch Stadtwächter attackiert.
Das Verhalten der zwei Schläger war an Dummheit kaum zu übertreffen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie nicht auch noch die Priester ihres lächerlichen Totengottes niedergeschlagen hatten.
Und dann hatten sie es trotz all ihrer Unfähigkeit geschafft, einen kleinen Trupp der Nyoka´tuk aufzuspüren und hätten diesem nur noch leise zum Versteck der Schlangen folgen müssen – aber nein, soweit dachten diese unterbelichteten Geschöpfe natürlich nicht.
Sie hatten sich auf die wehrlosen Echsen gestürzt und sie einfach niedergemacht. Hatten nicht einmal einen Gefangenen zur Befragung am Leben gelassen.
Natürlich standen sie jetzt ziellos zwischen den Leichen und beschimpften sich gegenseitig – und das schon eine geschlagene halbe Stunde lang.
Er hatte sich auffällig bewegt, hatte mit Ästen geraschelt und sogar leise geräuspert und gepfiffen, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, aber diese... diese... diese dummen Altmärker nahmen ihn gar nicht wahr.
Er musste sie doch nur irgendwie zu dem verfallenen Brunnen locken, in welchem er das Versteck der Weißen ausgemacht hatte. Hoffentlich würde die herabhängende Strickleiter den beiden auffallen. Äußerst wahrscheinlich war das jedoch nach ihren heutigen eher schwachen Leistungen nicht gerade. Vielleicht würde er die zwei dann einfach den Brunnenschacht hinunterstoßen, aber alles zu seiner Zeit.

Ein Stein traf Ahrok an der Schulter, just als er kurz davor war, dem ihn anbrüllenden Zwerg eine zu verpassen.
Sofort schnellte er herum.
Irgendetwas raschelte dort hinten hinter den Büschen und ein verschwommener Schatten verschwand flink aus seinem Sichtfeld.
„Was war das? Hast du das auch gehört?“
„Jetz lenk nich ab! Du hast die Scheiße hier zu verantworten! ´N ganzer Tag Arbeit für´n Arsch!“
„Jetzt sei doch mal ruhig. Ich glaub, da war wirklich was.“
Der Zwerg blickte in die Richtung, welche Ahrok ihm wies und tatsächlich hüpfte dort jemand von einem Bein aufs andere und raschelte dabei mit ein paar Ästen.
Erst als diese Figur erkannte, dass Ragnar sie sah, hielt sie in ihren seltsamen Bewegungen inne, drehte sich um und rannte fort.
„Und was ist, Ragnar? Siehst du es auch?“
Dieser blickte nur verwirrt der wunderlichen Figur nach. Was war das denn? Wollte sie da jemand verarschen? Auf dem Friedhof?
„Ja, da iss... da iss was... Gut, wir schau´n uns das mal an, aber das heißt nicht, dass ich vergessen habe, dass du uns in deiner grandiosen Dämlichkeit heute hier alles versaut hast.“
„´Nen Scheiß hab ich! Das sind jetzt drei Drecksviecher weniger, die uns ans Leder wollen. Du bist bloß sackig, weil du keinen mehr abgekriegt hast.“
„Ey, manchmal frag ich mich echt, wie ihr Menschen trotz all eurer Dummheit so lange überleben konntet. Echt jetz – ich raff das nich.“
Ragnar stapfte missmutig in die Richtung, in welcher noch vor kurzem diese Gestalt herumgeturnt hatte.
„Ach ja? Und ich raff nicht, wie ihr Zwerge trotz...“, ihm fiel gerade nichts Passendes ein, „trotz eurer Stummelbeine überhaupt... irgendwas schaffen könnt.“
Ragnar hielt inne und drehte sich langsam um.
„Stummelbeine, he?“
„Ja. Mickrige Stummelchen.“
Der Zwerg machte einen Schritt auf Ahrok zu und sein linkes Augenlid zuckte vor Wut.
„So! Jetzt kommt also der wahre Ahrok zum Vorschein. Der Zwergenhasser.“
Das Rascheln hinter ihm wurde immer lauter, aber Ragnar machte noch einen weiteren Schritt Richtung des jungen Menschen. Seinen Hammer wiegte er dabei bedrohlich in den Händen.
„Nein. Nein, mein Kleiner, ich bin kein Zwergenhasser. Ich kann nur dich nicht leiden!“
„Keine Sorge, Menschling, das Problem haben wir schnell behoben“, fauchte der Valr.
Gerade als er den Hammer zum Angriff hob, traf ihn ein Stein am Hinterkopf.
Der Zwerg wirbelte herum: „So! Jetz reicht´s. Wer auch immer das war - jetz biste dran!“
Mit lautem Gebrüll stürzte Ragnar hinein in die Dunkelheit.
 
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Kommentare  

Gefällt mir gut. Die Geschichte entwickelt sich. Bin gespannt wie es weiter geht mit dem ungleichen Paar.

Gruß


Alexander Bone1979 (16.10.2010)

Vielen Dank an euch drei für die konstanten Kommentare!

Das ich den Friedhof gut getroffen habe freut mich und was Chris und Bernhard betrifft... nun ja sie werden uns hier und da noch eine ganze Weile begleiten


Jingizu (21.09.2010)

baal zebub meine ich natürlich. *gg*

Ingrid Alias I (20.09.2010)

friedhöfe sind immer irgendwie unheimlich, auch für die abgebrühtesten naturen. und dann noch im dunkeln...
haha, und baal zbub ist echt gut. woran erinnert mich das nur? ;)) köstlich amüsiert habe ich mich auch über den streit der beiden am schluss.


Ingrid Alias I (20.09.2010)

Irgendwie gruselig, die Szene mit Hauptmann Bernhard. Der kennt aber auch nichts, wenn es darum geht, dem bösen Wesen, dass ihn in seinem Kopf beherrscht, zu dienen. Er kennt kein Erbarmen und er ist ohne jeden Skrupel. Ich finde es gut, dass du jetzt in den Kapiteln mehr von ihm bringst. Dadurch wird man neugierig, wann er endlich Ahrok und Ragnar persönlich begegen wird und die Story hat auch dadurch insgesamt einen noch besseren Zusammenhang. Hat mir wieder sehr gefallen.

Petra (18.09.2010)

Der Westbezirk steht unter Quarantäne wegen einer Seuche, aber die beiden Helden kennen keine Scheu. Stürmen auf den Friedhof und schnell sind ein paar Echsen niedergemacht. Köstlich die Zwei, wie sie sich auch noch in gefährlichen Situationen streiten können. Daher ist es kein Wunder, dass der geheimnisvolle Chris Phönix schon allein beim Zuschauen fast verzweifelt über soviel Dummheit.

Jochen (17.09.2010)

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