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5 Seiten

Kleine Geschichte vom Untergang der Menschheit

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Seit den ersten Toden waren jetzt rund dreizehn Monate vergangen.
Markus konnte immer noch nicht glauben was passiert war. Vor kurzem war er noch Hinterbänkler im Reichstag, jetzt war er wegen Personalmangel Kanzler, Bundestagspräsident und Bundespräsident in Personalunion und verfügte über ein fünfköpfiges Kabinett. Ebenfalls Hinterbänkler die nach oben gefallen waren.

Deutschland und die größten Teile der restlichen Welt hatten unglaublich viele Tote zu beklagen. Am Anfang kamen die meisten durch diese merkwürdige Krankheit ums Leben. Doch in letzter Zeit, als es immer schwieriger wurde die Leichen zu begraben oder zu verbrennen, kamen normale Seuchen hinzu. Es gab Engpässe bei der Nahrung, dem Frischwasser und bei Medikamenten. Deshalb kam es zusätzlich zu Plünderungen mit weiteren Toten.

Nun stand Markus im Labor von Prof. Dr. Dr. von Haglund. Dem letzten verbliebenen Wissenschaftler von internationalem Niveau der für Deutschland an einem Gegenmittel arbeitete.
Markus hasste den Professor für seine Arroganz und seine Geltungssucht. Einmal hatte er Markus wütend angeschrieen, weil der es gewagt hatte einen seiner beiden Doktortitel bei der Anrede zu vergessen. Trotzdem fuhr er dem Wissenschaftler fast täglich um den Bart.
Doch er fragte sich immer öfter: Ist die Rettung der Menschheit dieses Opfer wirklich wert?
„Herr Prof. Dr. Dr. von Haglund, bislang haben Sie mir nur gesagt, dass sie einen solchen Organismus noch nie gesehen haben. Woran haben Sie in letzter Zeit genau gearbeitet?“
„Nun, durch diesen Organismus habe ich für die Ausrottung der Dinosaurier eine völlig neue Theorie.“
Markus war entsetzt. Es war nicht mal was er gesagt hatte, sondern wie. Es war kein „Setzt auf mich! Ich rette die Menschheit!“ Gesicht. Das Gesicht sagte vielmehr „Gebt mir den Nobelpreis für meine bescheuerte Dino-Theorie!“.
„Ich würde es vorziehen wenn Sie mir eine Theorie für das Überleben der Menschheit präsentieren würden!“ sagte Markus etwas zu laut und biss sich danach selbst auf die Zunge.
Dieser Ausbruch dürfte die Entwicklung eines Heilungsmittels um Tage zurückgeworfen haben.
Und wirklich erwiderte von Haglund „Wenn Sie mit meiner Arbeit nicht zufrieden sind, suchen Sie sich doch einen der es besser kann!“. Er hatte es kaum gesagt, als er in einem Wutanfall mehrere Papiere zerriss und einige Versuchsaufbauten vom Tisch fegte.
Dann stapfte er wütend davon.
Markus blieb deprimiert zurück.
„Warum versuche ich eigentlich diese Spezies zu retten?“ fragte er sich selbst.

Bei der Kabinettssitzung in kleiner Runde (die Runden wurden fast täglich kleiner), die am selben Tag stattfand, meinte Markus „Ich will Ergebnisse sehen. Das bin ich meinen 46 Millionen Bürgern schuldig.“.
„44.“ Dieser Einwurf kam von Karl-Hermann. Karl-Hermann hatte eine Halbglatze, trug eine dicke Hornbrille und war der unfähigste Beamte der je im Kanzleramt gearbeitet hatte.
Seit wenigen Wochen war er Kanzleramtschef.
Er war ein typisches Produkt der Personalpolitik im öffentlichen Dienst. Oft genug fand diese eher auf einer spirituellen als auf einer rationalen Ebene statt. Nach dem Motto „Die Titanic wurde von Profis erbaut. Die Arche aber von einem versoffenen Amateur.“
„Was meinen Sie Karl-Hermann?“
„44. Die aktuelle Zahl ist 44 Millionen.“
Als der letzte Kanzleramtschef starb (Karl-Hermann war nun der vierte in den letzten sieben Monaten), hatte Markus die Wahl zwischen Karl-Hermann, dem Pförtner und seiner eigenen Vorzimmerdame. Ach ja, und eine russische Putzfrau die kein Wort Deutsch sprach war auch noch da. Markus dachte jetzt, „Hätte ich nur die Putzfrau zur Kanzleramtschefin ernannt.“.
„Gut, also noch mal. Ich will Ergebnisse sehen. Das bin ich meinen 44 Millionen Bürgern schuldig.“
Markus stieß die Worte „44 Millionen“ verkniffen zwischen den Zähnen hervor und blickte Karl-Hermann an, als erwarte er, dass dieser schon wieder eine niedrigere Zahl auf Lager hätte.
Doch Karl-Hermann zeigte unter seiner Hornbrille ein zufriedenes Lächeln. Kein Zweifel, er war stolz auf sich, dass er Markus mit der aktuellen Hochrechnung weiterhelfen konnte.
Wahrscheinlich rechnete er sich sogar aus, bei nächster Gelegenheit zum Stellvertreter des Kanzlers und damit auch des Bundestagspräsidenten und Bundespräsidenten ernannt zu werden.
Markus verteilte die Aufgaben auf sein kleines Kabinett.
Zuletzt wandte er sich noch mal Karl-Hermann zu und sagte:
„Karl-Hermann! Sie haben die wichtigste Aufgabe von allen. Man könnte sagen, das Überleben der Menschheit hängt davon ab, dass Sie meine Weisung ordnungsgemäß ausführen.“
„Sie können auf mich zählen!“ meinte dieser überzeugt.
„Um es ganz klar zu sagen, Sie könnten der entscheidende Faktor sein!“
„Danke!“ lächelte Karl-Hermann stolz „Ich werde Sie nicht enttäuschen!“
„Gut. Also, verhalten Sie sich ruhig und sorgen Sie dafür, dass Sie niemandem im Weg stehen!“
Nachdem das gesagt war, fühlte sich Markus viel besser.
Vielleicht war Karl-Hermann als Kanzleramtschef doch nicht so schlecht. Er war zwar ein furchtbarer Bürokrat, aber er hatte halbwegs Ahnung wie das Kanzleramt funktioniert. Oder zumindest wie es funktioniert hatte, als es noch voll besetzt war. Und Markus hatte in ihm einen Prügelknaben, dem er ohne schlechtes Gewissen dessen Unfähigkeit vor Augen führen konnte.

Für diesen Tag war außerdem ein Treffen mit dem letzten verbliebenen Offizier im Generalsrang vorgesehen.
Ihm zuliebe hatte Markus sogar den Rang des Feldmarschalls wieder eingeführt.
Feldmarschall Rudolf Klotzenberg hatte seine Militärkarriere glücklicherweise bei der ABC-Abwehrtruppe begonnen und zu dieser noch beste Kontakte.
Die ABCler hatten die Katastrophe ohne große Verluste überstanden und waren das wichtigste Zahnrad bei der Bewältigung dieser Krise.
Klotzenberg war einer der wenigen Leute, von denen sich Markus nicht nur Rettung erhoffte, sondern den er auch menschlich mochte.
Er war weder ein Speichellecker wie Karl-Hermann, noch ein arrogantes Arschloch wie Haglund. Kurz, Klotzenberg war ein richtig sympathischer Mensch.

„Hallo Herr Feldmarschall! Wie ist der aktuelle Stand bei der Einrichtung der Quarantänestationen und der Ausstattung und Ausbildung der Bevölkerung in Sachen Selbstschutz?“
„Guten Tag Herr Bundeskanzler. Wir kommen gut voran. Aber wir sind nach wie vor mehr mit der Beseitigung von Leichen und der Aufrechterhaltung bzw. Herstellung von Sicherheit beschäftigt. Die Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden ist allerdings gut. Zumindest dort, wo sie noch handlungsfähig sind.“
„Die Bundeswehr ist derzeit meine wichtigste Waffe gegen Chaos und Anarchie. Und das verdanke ich vor allem Ihnen.“
„Zuviel der Ehre, Herr Kanzler.“
„Nein, ernsthaft. Ich habe einen unfähigen Kanzleramtschef und einen arroganten, von falschem Ehrgeiz besessenen Chefwissenschaftler. Wenn Sie nicht wären, hätte ich dieses Volk schon längst sich selbst überlassen.“
„Es sind schwere Zeiten. Doch wir stehen das durch. Die Menschheit hat auch die Pest überstanden.“
„Es gibt momentan Tage, an denen wünsche ich mir, die Menschheit hätte die Pest nicht überstanden. Dann hätte ich heute nicht den schwarzen Peter.“
„Wenn Sie schon in der Stimmung für Hiobsbotschaften sind. Wir sollten darüber nachdenken die großen Städte in Nordrhein-Westfalen und den Großraum Frankfurt unter strenge „Quarantäne“ zu stellen und abzuschreiben. Wir verlieren dort unnötig Männer um Menschen zu helfen, die überwiegend lieber mit Steinen nach uns werfen und uns angreifen, als uns zu unterstützen und für unsere Hilfe dankbar zu sein.“
„Tun sie was sie für richtig halten. Ich vertraue Ihnen. Wenn wir uns von ein paar kranken Ästen trennen müssen, um den Stamm zu erhalten, werde ich dem nicht im Wege stehen.“
„Eine weise Entscheidung Herr Bundeskanzler. Ich leite alles in die Wege.“
„Noch etwas anderes, Feldmarschall Klotzenberg. Mein Kabinett und das Parlament sind beunruhigt über das Militäraufgebot im Regierungsviertel in den letzten Wochen. Ich bin sicher, Sie haben Ihre Gründe. Doch versuchen Sie etwas diskreter vorzugehen. Sonst kommen unsere Politiker noch auf den Gedanken, Sie wollen einen Putsch anzetteln.“
Markus lachte dabei. Klotzenberg war der Letzte, dem er eine Verschwörung gegen ihn als Kanzler zutrauen würde.
Klotzenberg schien allerdings über diese Neuigkeit nicht glücklich zu sein.
„Das ist nicht gut. Ohne Vertrauen wird meine Arbeit sehr erschwert. Können Sie ihre Untergebenen nicht beruhigen?“
„Herr Feldmarschall, ich vertraue Ihnen. Das wissen Sie. Alles worum ich Sie bitte, ist diskreter zu sein. Im Notfall lassen Sie eben Ihre Leute in Zivil arbeiten.“
„In Ordnung. Ich werde sehn was ich tun kann. So langsam sollte ich auch wieder los.“

Feldmarschall Klotzenberg ging zurück zu seinem Stab. Das Gespräch mit dem Kanzler hatte ihn etwas beunruhigt. Er musste wirklich diskreter sein. Er dankte Gott dafür, dass der neue Kanzler so naiv war. Bald würde er diese morsche unbrauchbare Demokratie abschaffen. Aber noch hatte er alle Hände voll damit zu tun, diese Epidemie in den Griff zu bekommen. Sobald die Quarantänezonen in den Ballungsräumen stehen und hermetisch abgeriegelt sein würden, würden seine Männer zuschlagen. Die geschwächte BRD hatte einem Putsch nichts mehr entgegenzusetzen.

Zum Abschluss des Tages standen noch einige kleinere Termine für Markus an.
Die Liga für Frauenrechte beschwerte sich darüber, dass es in seinem Kabinett nur eine Frau gab. Markus Einwand, dass sein Kabinett insgesamt nur aus fünf Personen bestand und die Auswahl an weiblichen Abgeordneten nicht mehr sonderlich groß war, beeindruckte die Feministinnen wenig. Noch einmal dachte der Kanzler wehmütig daran, dass er auch eine russische Putzfrau zur Kanzleramtschefin hätte machen können.

Die Bürgerinitiative „Auch in der Krise an die Umwelt denken“ mahnte an, dass die Mülltrennung in den letzten Monaten stark vernachlässigt worden war. Das würde dem Wahlversprechen von Markus Partei widersprechen, der Umwelt oberste Priorität einzuräumen. Der Kanzler erkundigte sich brav, ob man denn wenigstens mit der Beseitigung der Leichen zufrieden sei, bevor er auch diese Gruppe wieder in ihre wohlverdiente Apokalypse verabschiedete.

Zu guter letzt empfing er den Berliner Verein zur Förderung der schönen Künste. Dieser beschwerte sich, dass Plünderer vermehrt auch die Berliner Museen heimsuchten. Der Kanzler versprach, soweit Polizisten von ihren wichtigen Aufgaben entbehrlich wären, würde er sie gerne zum Schutz der Museen abstellen. Vorerst hätte aber der Schutz der potentiellen Museumsbesucher Vorrang. Daraufhin drohten die Kulturschützer mit Demonstrationen und Sitzblockaden und verließen wütend das Kanzleramt.

An diesem Abend stand Markus in seinem dunklen Kanzlerbüro und blickte auf die ebenfalls dunkle Stadt. Es herrschte mal wieder Stromausfall. Das kam in letzter Zeit häufig vor und Markus dachte, dass ihm die Bürgerinitiative „Auch in der Krise an die Umwelt denken“ wenigstens keine Energieverschwendung vorwerfen konnte.
Markus war vielleicht ein wenig naiv, aber er war nicht dumm. Er wusste, dass diese ganzen unsinnigen Vereinigungen vor allem dazu dienten, dass sich ihre Mitglieder ein wenig „Normalität“ vorgaukeln konnten. Sie gaben sich immer noch der Illusion hin, die Welt ein wenig besser machen zu können. Aber letztendlich spielten auch sie nur eine winzige Nebenrolle in diesem großen Schauspiel. Was würde unter dem Strich von ihren Idealen bleiben.

Der Kanzler sinnierte noch ein wenig darüber, welche Prioritäten wir im Leben setzen, als ihm ein greller Blitz das Augenlicht nahm, bevor ihm auch der Rest genommen wurde.
 
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Kommentare  

Gut geworden. Auch mir gefällt deine Ironie.

doska (22.12.2010)

...hey Monk, auch ich muss sagen, ein wirklich beeindruckend flüssiger und interessanter Text. Hab ich schnell durchgelesen und hat mir sehr gut gefallen. Vieleicht solltest du dich an eine Fortsetzung machen oder ne längere Sache ...beste Grüße

Jürgen Hellweg (19.12.2010)

Hallo Monk,
deine Endzeitgeschichte ist gut gelungen, auch wegen der ironischen Betrachtung unserer Gesellschaft.


Jochen (19.12.2010)

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