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3 Seiten

KISS the future ...

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Der einzige Körperteil, den man nicht liften kann, ist die Hand. Bis vor kurzem war das eine Tatsache und ich hab' mich echt darüber kaputtgelacht, bis ich dann las, dass es doch geht. Es hat irgendwie mit Eigenfett-Transfer zu tun und die Hände sehen danach 10-15 Jahre jünger aus.
Witzbolde! Eigenfett hätte ich zwar reichlich, aber warum sollte ich mir so was antun? Das einzige, was ich tun konnte, war diese Story zu schreiben:

KISS the future…

Der Augenblick der Wahrheit kam, als Eve sich ausnahmsweise mit aufgesetzter Brille im Badezimmerspiegel betrachtete. Ihre Gesichtszüge sahen auf einmal erschreckend scharf aus, ihre Mundwinkel schienen ihre Wangen hinunterzuziehen – und erst die Augenlider... Konnte es tatsächlich sein, dass sie so hingen? Fassungslos blickte sie in den Spiegel.
Sie knöpfte ihre Bluse auf und streifte sie langsam ab. Aufmerksam nahm sie jedes Detail ihres Körpers wahr: Der Busen hing nicht besonders und neigte zur Üppigkeit wie in früheren Zeiten. Aber die Fältchen, die sich auf ihrem Hals bildeten, als sie sich nach vorne beugte, um im Spiegel auch das letzte hässliche Detail von sich zu sehen, die waren neu. Und auch ihre Arme wirkten irgendwie wabbelig.
Oh Gott, es war vorbei! Und dabei hatte sie gedacht, sie würde nie wirklich alt aussehen. Doch es war passiert, heimlich, schleichend, unaufhaltsam.

Eve machte einen Spaziergang. Die herrliche Frühlingsluft hatte sie nach draußen gelockt.
Aber auch das tat nicht gut. Überall erblickte sie nur schöne Frauen. Alle waren jung, alle waren blond in verschiedenen Nuancen, alle hatten die gleiche hohe und straffe Figur mit einem keck hervorstechenden Busen. War das die Entwicklung, zu der automatisch alles hinführte? Sie sahen so schön aus, die Männer dunkelhaariger als die Frauen und vielfacher in ihren Erscheinungsformen, manche muskulös wie Bodybuilder und manche eher sehnig drahtig. Aber schön waren sie alle.
Eve fühlte sich inmitten all dieser Pracht wie menschlicher Restmüll, den man vergessen hatte zu entsorgen und sie dachte verzweifelt daran, was sie früher von sich gegeben hatte: Wenn ich mal alt werde, dann will ich das in Würde tun.
Ha, sie lachte bitter auf. Als Fünfzigjährige kann man das Maul noch gut aufreißen, aber mit sechzig sah das alles ganz anders aus ...

Zu Hause stellte sie sich wieder vor den Spiegel und musterte sich verzweifelt.
Die hängenden Lider ließen ihre Augen alt und müde wirken, und die neue Form ihrer Wangen machte das Gesicht fast quadratisch - und dabei sollte es doch diese bezaubernde Rundung haben. Auch ihr Körper hatte sich verändert. Die einstigen Vorzüge waren verschwunden, während die immer schon vorhandenen Mängel immer schlimmer wurden und sich geradezu widerlich in den Vordergrund drängten.
Oh Gott! Niemand würde sie mehr begehrlich anschauen, denn sie war jetzt unsichtbar, geschlagen mit der durchsichtigen Blässe des Alters. Nein, nein, und noch mal nein!
Sie zog ihre Wangenpartie mit beiden Händen ein wenig nach hinten und schon sah sie aus, als wäre sie dreißig Jahre jünger. Nur durch das bisschen Hautspannen. So einfach war das!

Eve lag die ganze Nacht wach und grübelte. Sie dachte an die jungen Frauen in ihrem Büro. Für sie waren Schönheitsoperationen das Normalste auf der Welt, und jede von ihnen ließ sich ab und zu optimieren.
Die Schönheitschirurgie hatte in den letzten Jahren gewaltige Fortschritte gemacht. Was mit Fettabsaugen und manchmal dilettantischer Schnibbelei begann, entpuppte sich als ein mächtiges Instrument. Jeder konnte sich das ideale Aussehen verschaffen; alle Operationen verliefen nahezu problemlos, und Hormonbehandlungen ließen gewünschte Gliedmaßen gezielt wachsen. Das beinhaltete zwar ein gewisses Risiko, aber so war das Leben eben ...

Sie wollen eine andere Nase? Machen wir!
Sie wollen einen anderen Mund? Machen wir!
Sie wollen eine athletische Figur? Längere Beine? Größeren Busen? Kleinere Füße? Mehr Taille? Machen wir!
Wir optimieren SIE! Es kostet Sie nur wenig, aber Sie werden schön und jung sein, und das ist Ihnen die Sache doch wohl wert!

Ja, es ist mir die Sache wert! Eve war immer schon spontan gewesen und wenn sie sich einmal zu etwas entschlossen hatte, dann zog sie es durch. Nur ging es diesmal nicht um eine Kurzhaarfrisur, sondern um ihren ganzen Körper.
Noch besser, wenn schon dann richtig! Das Geld? Sie hatte einiges gespart, eigentlich sollte es für ihr Alter sein. Aber wen juckte das Alter, das Alter war hässlich und grauenhaft. Sie aber wollte schön und jung sein!
-*-*-
Drei Wochen später und nach einem unbezahlten Sonderurlaub verließ Eve die Klinik, die sinnigerweise ‚KISS the future’ hieß.
Sie fühlte sich fantastisch. Sie sah genau so gut aus wie die anderen Frauen, die gelassen auf der Straße daher schlenderten. Wenn nicht gar besser... ‚KISS the future’ hatte gute Arbeit geleistet.
Im Büro begrüßte man sie enthusiastisch. Denn sie gehörte jetzt dazu, sie war genauso schön und jung wie die anderen – bis auf ein paar alte Schrullen, die wohl nicht genug Geld hatten, um sich optimieren zu lassen.
Eves Höhenflug hielt an. Sie musste zwar vorsichtig beim Laufen sein, weil ihre länger gewordenen Beine eventuell leichter brechen konnten, aber es war die Sache wert. Männerblicke streiften sie bewundernd und bissen sich dann an ihr fest. Sie war so jung und so anziehend wie nie zuvor!
-*-*-
Wieder machte sie einen Spaziergang. Überall sah sie nur schöne Frauen. Alle waren jung, alle waren blond in verschiedenen Nuancen, alle hatten die gleiche hohe und straffe Figur mit einem keck hervorstechenden Busen. Alle sahen genauso aus wie sie selber.
Aber dann stutzte sie. Denn inmitten der schönen, blonden und keckbusigen Frauen erblickte sie eine, die müde Hängelider hatte und deren Wangenpartie quadratisch war und sie alt machte. Trotzdem besaß diese Person die Frechheit, arrogant und anmaßend zu lächeln. Unglaublich! Eve schnaubte verächtlich in sich hinein und ging weiter, zufrieden mit ihrem Gesicht und mit ihrem Körper.
Aber ein paar Tage später sah sie schon wieder so eine. Das konnte nicht sein! Was ging da vor sich? Und es wurden immer mehr. Immer mehr alt aussehende, untersetzte Frauen mit Hängelidern und eckiger Wangenkontur liefen herum - und die fanden sich auch noch schön! Was passierte da?
Eve redete sich krampfhaft ein: Ich bin jung, ich bin schön! Aber es fühlte sich nicht mehr richtig an. Der Trend hatte sich anscheinend gewendet. Alt und individuell faltig war jetzt in – und es würde ziemlich lange dauern, bis ihr optimierter Körper das interessante Aussehen des Alters erreicht hätte.

KISS the future? Sie hatte nur noch eine Hoffnung: Vielleicht würde sie irgendwann wieder in Mode sein ...
 
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Kommentare  

@ barbara
ich glaub', irgendwann denkt jeder mal drüber nach. fängt ja schon bei den zähnen an, warum sollte es bei den falten aufhören? also satire, einwandfrei... *grins*
@ nikachristine,
tja, man kann es nur humorvoll betrachten - oder besser satirisch. die story spielt ja etwas in der zukunft, die aber nicht weit entfernt ist...
lieben gruß an euch und danke für die kommentare. ich finde es immer interessant, wie unterschiedlich so etwas aufgenommen wird. ist okay, ich schreibe das zeug ja nur... ;-)


Ingrid Alias I (23.06.2011)

Hm, irgendwie traurig. Vielleicht komme ich nicht hinter die "schmunzelstory" Mich stimmt so was eher traurig und auch ein wenig nachdenklich. Schließlich habe ich auch meine Cremes und Tübchen zum "jünger, frischer und makelloser" Aussehen. ;) Bis jetzt sehr ich aber Gott sei dank nach wie vor aus wie Babsy.

Barbara Saskat (23.06.2011)

Eine sehr schöne 'Schmunzelgeschichte' mit einem durchaus ernstzunehmenden Hintergrund. In einer Gesellschaft in der das Äußere eine immer wichtigere Rolle einnimmt, ist es wichtig diesen Wandel kritisch und durchaus auch humorvoll zu betrachten.

nikachristine (23.06.2011)

:) Tolle Geschichte mit einer sehr netten Pointe.

Jingizu (06.05.2011)

@ dieter
danke, ich freunde mich gerade mit diesem gedanken an. also bin ich SEHR attraktiv! *gg*

@ rosmarin
äußerlich verrottet is klar, innerlich auch, aber nur vom fleische her, vom geiste her bin ich total klar, wie alle anderen alten auch. hoffentlich! ;-)


Ingrid Alias I (06.05.2011)

Originelle Idee gut und witzig umgesetzt. Auch Falten können attraktiv sein. Her mit den kleinen Runzeln.

Dieter Halle (06.05.2011)

haha, du bist mir ja eine. ich muss zugeben, dass ich noch nie daran gedacht habe, obwohl ich finde, dass man äußerlich verrottet und innerlich klar bleibt oder wird. also, das genaue gegenteil von deiner meinung oder empfindung oder was auch immer.
hier kommen ganz liebe grüße an dich.


rosmarin (05.05.2011)

danke schön für eure kommentare,
das thema ist natürlich verzwackt, und ich will nicht behaupten, dass ich nicht in versuchung gewesen wäre. ;-)
manchmal ist eine schönheitsoperation das letzte mittel, um ein schreckliches dasein zum besseren zu ändern. dafür sollte man aber schon extrem hässlich sein, obwohl: wie definiert man hässlich?
und das alter kann man damit zwar äußerlich verschleiern, aber innerlich verrottet man trotzdem...
lieben gruß an euch alle und danke fürs lesen!


Ingrid Alias I (05.05.2011)

Tja, so kann man sich irren. Alle Operationen vergebens. Schöne Schmunzelstory.

Petra (04.05.2011)

Und wer liftet mich? Nein, Spaß beiseite, aber ich denke, Leute die auf der Bühne stehen, haben das vielleicht wirklich nötig. Ob der Jugendwahn eine reine Modeerscheinung ist, das glaube ich nicht. Jedenfalls ist er nichts Neues. Neu ist, dass das Alter immer mehr gesehen wird. Du siehst, deine heitere Story regt zum Nachdenken an.

Jochen (03.05.2011)

Eine Geschichte, die mir sehr gefallen hat, die aber auch sehr viele Fragen bezüglich des allgemeinen Schönheitswahns bereithält. Besonders Rosmarins Kommentar möchte ich zustimmen. Eine gesunde Mischung aus Jung und Alt macht es. Der Jugendwahn hatte in den letzten Jahren ohnehin beängstigende Ausmaße angenommen. Mittlerweile hat die Werbung auch das Alter und deren Schönheit in ihr Visier gerückt, was ich gut finde, zumal wir uns mit einer älternden Gesellschaft abfinden müssen.

Michael Brushwood (03.05.2011)

Habe diese Story mit schmunzeln gelesen. Früher als ich jung war, hätte ich am liebsten alles an mir umoperieren lassen. So unglücklich war ich mit meinem Aussehen. Dabei empfand man mich als rassig und apart, erzählte mir von Ähnlichkeiten mit der Streisand oder Steffi Graf. Das tröstete mich wenig. Leider hatte ich kein Geld für Operationen. Heute, wo ich die wahrscheinlich viel nötiger hätte als damals, bin ich mit mir zufrieden. Ich bin eben ich! Eine witzige und lehrreiche Geschichte.

doska (03.05.2011)

danke schön rosmarin!
stimmt, eine gute mischung macht es. allerdings warte ich noch auf die schönheit des alters. vermutlich kommt die ja noch... ;-))
lieben gruß


Ingrid Alias I (03.05.2011)

hallo, ingrid, hach, ist das schön, ich hatte die geschichte schon auf deiner page gelesen und mich damals schon amüsiert. herrlich. stimmt, der trend ist das alter, sieht man ja auch in der werbung. allerdings brauchten sie da nicht so zu übertreiben. eine gute mischung macht es. aber wie langweilig wäre es, wenn nur noch schöne, langbeinige, keckbusige blöndchen rumlaufen würden. es gibt die last des alters, und es gibt die schönheit des alters. also, schöne geschichte.
grüß dich


rosmarin (02.05.2011)

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