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12 Seiten

Ahrok - 31. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Einunddreißigstes Kapitel: Malleus

Es war mittlerweile spät nach Mitternacht, doch im Ordenshaus des Hammers brannte hinter beinahe jedem Fenster ein Licht. Hauptmann Bernhard stand wie ein geprügelter Hund vor dem verschlossenen Eingangstor und wischte sich gerade wieder etwas frisches Blut von dem Lippen.
In seinen Lungen kribbelte und brannte es. Nahezu jeder röchelnde Atemzug brachte schleimige Brocken zähflüssigen Auswurfs mit nach oben, die ihm die Luft abschnürten.
Er hatte die große Glocke bereits zweimal geläutet und den Gesichtern, die hinter den Fenstern auftauchten, nach zu urteilen, hatte man seine Anwesenheit auch längst bemerkt, aber die Hexenjäger ließen ihn noch eine Weile schmoren.
Wenn dies zu ihrer perfiden Taktik gehörte ihm noch weitere Angst zu machen, dann funktionierte sie prächtig.
Bernhard schwitzte vor Aufregung, vor Angst und ebenso aufgrund des wiedergekehrten Fiebers gleichermaßen. Ein falsches Wort, eine unbedachte Geste in Gegenwart der Hexenjäger genügte schon, um morgen als Ketzer auf dem Scheiterhaufen brennen.
In Gedanken spielte er immer wieder die erdachte Lügengeschichte durch, um etwaige Fehler zu entdecken, die ihn entlarven konnten und tatsächlich stolperte er über eine kleine Unstimmigkeit in seiner Geschichte über den Verrat von Sergeant Schmidt. Während er noch darüber nachsann, diese Kleinigkeit auszubessern, öffnete sich das riesige Tor.
Der Orden des Hammers legte einen besonderen Wert auf Gigantismus. Hohe Gebäude, riesige, steile Wände, die den Blick gen Himmel zwangen und riesige Fahnen waren das Aushängeschild des Ordens, ebenso wie die Heiligenbilder, die jedem Sünder sofort das Gefühl vermittelten, dass er winzig klein in Gegenwart der gerechten Götter war.
Ein einzelner Interrogator empfing ihn in der zeremoniellen Tracht der Hexenjäger.
Bernhard erkannte den Mann. Früher hatte er oft mit diesen Leuten zu tun gehabt, als die Stadtwache unter ihm noch ein engeres Verhältnis zur Inquisition gepflegt hatte. Doch in den letzten Jahren hatten seine Forschungen dazu geführt, dass er den Kontakt zu den Hexenjägern mehr und mehr eingestellt hatte.
Jetzt musste er nach oben blicken, um diesem Hünen in die Augen zu sehen. Ein simpler, eiserner Reif umspannte die gebranntmarkte Stirn seines Gegenübers. Bernhard las das Wort „Degan“, welches man dem Mann in das Fleisch über die Augenbrauen gebrannt hatte. Es war ein oftmals freiwillig gewähltes Ritual, welches diese Leute auf sich nahmen, um ihre bedingungslose Aufopferung für den Orden der Hexenjäger einem jeden zu demonstrieren.
Der nahezu kreisförmige Schädel des Mannes war dazu noch kahl rasiert und gleich darunter begann dieser breite Nacken, der so manchem Stier Respekt eingeflößt hätte, aber Bernhard ließ sich durch die plumpe, physische Erscheinung nicht verunsichern. Er hatte bereits jemanden von dieser Statur erwartet.
Am Wehrgehenk trug der Mann den goldverzierten Hammer, die seit jeher gefürchtete Standartwaffe der Hexenjäger, die ihre Unnachgiebigkeit ebenso wie ihre brachiale Brutalität unterstrich.
Diese Menschen benutzten keine Dolche, Äxte oder Schwerter. Genauer, präziser Eingriff war nicht ihr Metier. Bernhard hatte Weisungen mit abzeichnen müssen, in denen ganze Dörfer den reinigenden Flammen übergeben wurden, nur weil unter den Bewohnern einige Kultisten vermutet wurden.
In der Linken hielt der Mann ein besonders schmuckvoll verziertes Exemplar des Malleus Maleficarum. Es war das in der ganzen Swanmark gefürchtete und allgegenwärtige Leitbuch der Hexenjäger. Ein widerliches, widersprüchliches Werk. Bernhard hatte vereinzelt darin gestöbert und selbst das Wenige, das er gelesen hatte, hatte ihn damals sehr verstört zurückgelassen.
Er widmete dem Interrogator keine Aufmerksamkeit mehr, sondern sah sich stattdessen erneut um.
Dieser Hüne, die grandiosen Bauten und Heiligenbilder um ihn herum und das allgegenwärtige Symbol des Feuers und des Hammers waren so niederschmetternd und einschüchternd, dass ein anderer als er sicher augenblicklich zusammengebrochen wäre, um jede einzelne seiner Sünden herauszuschreien.
Doch er wusste nur zu gut um die Wirkung seiner Umgebung. Er hatte oft genug ähnliche Tricks angewandt, um Geständnisse herauszulocken. Ihn würden sie nicht so einfach brechen.
„Hauptmann Schreiber. Welch unerwartete Ehre. Seit so vielen Monaten sucht unser Orden vergeblich die üblichen Gespräche mit der Stadtwache und nun seid Ihr es, der uns mitten in der Nacht aufsucht. Wie kommen wir denn zu dieser Ehre?“
Es lag kein Spott in den Worten des Mannes. Seine Züge waren entspannt und so freundschaftlich, als würde er Bernhard gleich zu einem fröhlichen Umtrunk einladen, doch die eisig blauen Augen seines Gegenübers konnten die bohrenden Zweifel und die garstigen Vermutungen nicht verbergen.
Bernhard befand sich auf sehr dünnem Eis, das jeden Moment zu brechen drohte.
„Verzeiht einem alten Mann, aber die schwere Krankheit, die mich ereilte, ließ mir nur für das Nötigste Zeit. Sicher war das dem heiligen Orden bekannt.“
Der Mann nickte.
„Natürlich, Herr Hauptmann, dennoch haben wir ebenfalls von eurer wundersamen Genesung gehört.“
Bernhard schluckte leicht. Natürlich war er auf diese Anspielung vorbereitet gewesen, doch jetzt, da der Moment gekommen war, diese Meister der Verhörkunst zu belügen, raubte ihm die Angst fast den Verstand.
„Wie Ihr...“, er räusperte sich, als ihm die Stimme versagte, „... wie Ihr seht, waren die Gerüchte über meine Gesundheit weit übertrieben und der Medicus, bei weitem nicht so erfolgreich, wie man Ihnen und mir glauben machen wollte.“
„Der wundersame Medicus, ja...“, der Mann blickte sinnierend gen Himmel. „So mancher ist nicht das, was er uns glauben machen will.“
Schon wieder traten die Schweißtropfen auf Bernhards Stirn, aber seine Miene blieb eisern.
„Nun, Herr Hauptmann, ich hoffe doch, dass Sie uns nicht damit behelligen wollen, den unfähigen Heiler zu verbrennen. Es ist so eine wunderbare Nacht und wir haben wahrlich Besseres zu tun.“
„Nichts läge mir ferner. Die geheiligten Pflichten der Interrogatoren sind mir nur allzu gut bekannt, als dass ich sie mit derart eigennützigen Machenschaften behelligen würde.“
„Ein wahres Wort, Herr Hauptmann. Eigennutz ist einer der schrecklichsten Wege hinab in die ewige Verdammnis. Wie schön, dass Ihr das auch so seht.“ Der Mann setzte unbewusst ein wölfisches Lächeln auf. „Nun, was kann der Orden denn für Euch tun, Herr Hauptmann?“
„Es geht um die Stadtwache. Ich fürchte, dass einige meiner Männer durch dämonische Einflüsse verdorben wurden.“
„Verderbtheit innerhalb der Stadtwache? Nun, es wird Euch sicher freuen, dass wir solchen Gerüchen bereits nachgehen, Herr Hauptmann.“
Es überraschte Bernhard selber, wie eiskalt er auf diese Bemerkung reagierte.
„Da ich ja nun hier bin, kann ich Euch sicher einiges an Arbeit abnehmen...“
„In der Tat“, murmelte der Interrogator.
Bernhard warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
Der Zorn darüber, in seiner Lüge unterbrochen wurden zu sein, war so echt, dass es selbst den Interrogator in seinem Urteil verunsicherte.
Frostig starrten sich die beiden Männer an, ohne dass einer von ihnen nachgeben wollte, dann senkte der Hexenjäger seinen Kopf und deutete eine Verbeugung an: „Verzeiht dass ich Euch soeben unterbrach, Hauptmann Schreiber, Ihr habt sicher Wichtiges anzukündigen.“
„Wie ich bereits berichten wollte, habe ich einen meiner engsten Vertrauten bei der Anrufung eines Dämons beobachtet. Der Mann ist nicht mehr er selbst und mit dunklen Kräften im Bunde.“
„Ihr habt also eine Anrufung beobachtet? Was genau habt Ihr denn gesehen? Etwa Nebel? Einen Mummenschanz, fliegende Lichter oder düstere Stimmen?“
„Nein, nichts dergleichen. Er stand vor einem großen Spiegel, an den er seltsame Zeichen mit Blut gemalt hatte und der Dämon sprach aus dem Spiegel zu ihm.“
„Wie sah dieser vermeintliche Dämon aus?“, eine Frauenstimme erklang von hinter dem Tor. Eine ähnlich wie der Befrager gekleidete Hexenjägerin trat aus dem Schatten in das Fackellicht.
Hauptmann Bernhard war nicht überrascht. Er hatte bereits erwartet, dass ein bedeutend höherrangiges Mitglied des Ordens ihr Gespräch und seine Reaktionen darin beobachtete. Es war eine gängige Verhörtaktik.
Man hatte es also bereits auf ihn abgesehen, aber sie hatten noch keine Beweise, höchstens Vermutungen. Es bestand somit eine reelle Chance das hier zu überleben.
„Lord Inquisitor von Braun“, begrüßte er die ältere Dame, „Es ist eine Ehre, dass Ihr Euch persönlich um meine Belange kümmert.“
Alle drei standen sich lächelnd gegenüber.
Bernhard wusste, dass es das falsche Lächeln von sehr, sehr giftigen Schlangen war und wahrscheinlich ahnten die beiden, dass hinter seinem fröhlichen Gesicht die Todesangst lauerte.
„Wo bleiben unsere Manieren, Herr Hauptmann. Bitte, folgen Sie uns doch nach drinnen ins Warme. Bereiten Sie doch etwas zu Trinken für den Hauptmann zu.“ Sie nickte dem anderen zu. „Und besorgen Sie etwas Verbandszeug. Der Hauptmann scheint sich kürzlich verletzt zu haben.“
Lord Inquisitor von Braun schritt durch das Tor den gepflasterten Weg entlang hinein in das Ordenshaus. Der lange, weinrote Umhang wehte im Nachtwind, als sie würdevoll wie eine stolze Löwin vor ihm herging.
Bernhard rieb sich die schweißnasse Stirn. Den verletzten Finger hatte er ganz vergessen.
Er stolperte und geriet ins Straucheln. Verdammt! Er musste sich beruhigen. Angst war sein schlimmster Feind an diesem Ort. Diesen kleinen Stolperer hatten sicher bereits dutzende Augenpaare beobachtet und analysiert, so wie jede einzelne seiner Bewegungen, seit er hier angekommen war.
Er straffte sich wieder und folgte der Frau über den Hof, durch die geöffnete Tür in ein kleines, gemütliches Zimmer.
Gabriela von Braun erwartete ihn bereits mit einem Rotweinkelch in der Hand. Sie stand neben einem samtbezogenen Thron mit hoher Lehne und wies ihn an, Platz zu nehmen.
Ein weiteres Gefühl nagte nun an Bernhard und dieses Mal war es blanker Neid.
Die Einrichtung dieses Raumes, ja allein der pompöse Stuhl war mehrere Hundert Goldstücke wert und übertraf damit die ihm zugestandenen Geldmittel für ein ganzes Jahr bei weitem. Der König finanzierte diese verdammten Eiferer mit Gold, dass er und seine Stadt so viel nötiger brauchten.
Bernhard schlug seinen Umhang beiseite und nahm auf eben diesem kostbaren Stuhl Platz. Es war wie auf Wolken zu sitzen. Der kostbare, weiche Stoff schmiegte sich an jede seiner Konturen und ließ die gelbe Flamme des gerechtfertigten Neides gleich noch heller lodern. Frau von Braun reichte ihm den Kristallkelch
Nachdem sie segnend das Zeichen des Namenlosen über ihm geschlagen hatte, nahm sie, als demütige Geste ihrerseits, auf einem weitaus ärmlicheren Hocker Platz.
Man wollte ihn also in Sicherheit wiegen.
Er hätte beinahe trotz aller Angst gelächelt, als er die kleinen Tricks der Inquisition durchschaute.
„Nun wie geht es Euch, Hauptmann?“
Es war eine banale Floskel, auf die es tausend falsche Antworten gab.
„Den Umständen entsprechend“, hustete er.
„Von welchen Umständen sprecht Ihr denn genau?“, bohrte sein Gegenüber scheinbar belanglos nach und schwenkte den eigenen Weinkelch.
„Unsere Arbeit ist sich sehr ähnlich, Lord Inquisitor.“ Er konnte schwören, ein spöttisches Lächeln in ihren Zügen entdeckt zu haben. „Wir beide bekämpfen das Urböse nicht mehr an der Front, sondern von unseren Schreibtischen aus und das Böse gewinnt von Stunde zu Stunde mehr an Kraft.“
Die Frau nickte unbewusst, als Bernhard einen der Leitsprüche der Inquisition in seine Antwort mit einfließen ließ.
„Ja, so ist es mit dem Alter, werter Hauptmann. Statt des Stahls schwingen wir nun die Feder gegen den Feind in diesem ewigen und so ungleichen Kampf. Ich hörte vom Tod eurer Familie. Ich versichere Euch mein tiefempfundenes Beileid.“
Bernhard nickte säuerlich. Für die Person ihm gegenüber war es nur eine redundante Redewendung. Er bezweifelte, dass Gabriela von Braun überhaupt wusste, was Beileid war, aber die Erwähnung seiner armen Marie versetzte ihm immer noch einen Stich ins Herz.
„Es war der Wille des Namenlosen, sie von mir zu nehmen“, antwortete er schlicht.
„Ja, die Wege des Namenlosen sind unergründlich und für uns Sterbliche oft nicht zu erkennen. Er testet unseren Glauben auf viele Arten, wie zum Beispiel diese schreckliche Pest direkt vor unserer Haustür.“
„Schrecklich, ja. Doch eingedämmt mit Hilfe der Götter und dem starken Arm der Stadtwache. Doch besprechen wir lieber dringendere Themen, wenn es Euch nichts ausmacht.“
„Natürlich, Hauptmann, Ihr habt Recht. Ihr wolltet uns von einem Dämon berichten, wenn ich mich nicht irre. Wie sah dieses Exemplar denn aus?“
„Nun, ich sah das Ding nur von Weitem und auch nur in einem Spiegel, also kann ich nichts über genaue Größenverhältnisse sagen.“
„Das ist nicht weiter schlimm, Hauptmann. Geben Sie uns eine Beschreibung, die so exakt wie es Ihnen möglich ist.“
„Dieser schreckliche Geist hatte die Figur eines Menschen, aber sah trotzdem völlig anders aus. Seine Gliedmaßen waren lang und dürr und endeten in Spinnenfingern. Die Brust war ebenfalls winzig und dünn. Trichterförmig ist das passende Wort und das Ganze war dann mit einer... ich will mal sagen schwarzen oder grauen Haut überzogen. Obwohl mir die Beschreibung der Farbe schwer fällt bei all dem fehlenden Licht und dem Nebel. Vielleicht waren das auch Haare und keine Haut.“
Bernhard hörte das Kratzen der Schreibfedern der Protokollanten hinter der Wand, als er eine kurze Pause machte.
„Doch das Grauenvollste war dieser Kopf. Er sah aus wie ein langgezogenes Ei und lief an beiden Enden spitz zu. Auch der Mund war überproportional groß, die Zähne dafür eher winzig, aber es besaß mehrere Reihen Zähne soweit ich das sehen konnte.“
„Eure Beschreibung ist sehr präzise, Hauptmann. Eure Wahrnehmung lässt Euch offenbar auch nicht in den schrecklichsten Momenten im Stich. Gibt es sonst noch etwas zu erwähnen?“
Hinter Bernhards Stirn rumorte es.
Wie viel konnte er noch erzählen, ohne sich allzu sehr verdächtig zu machen? Und was konnte er noch erwähnen, um den Hexenjägern etwas zu entlocken, das ihm mehr über seinen grausamen Meister verraten konnte. Der Wurm in seinem Schädel war immer präsent, doch war es eher unwahrscheinlich, dass der Dämon die Verbindung zu ihm permanent aufrecht erhielt. Erst recht nicht innerhalb diesen geheiligten und mit Schutzsymbolen zugekleisterten Hallen.
„Da fällt mir noch etwas ein. Diese Augen. Sie waren so leer und schwarz und doch voller Bosheit und schwärendem Feuer und mein Sergeant nannte ihn... ähm... Tikulo... Tokolos...“
„Tokoloshe?“
„Ja. Genau. Wahrscheinlich war es das.“
Lord Inquisitor von Braun wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit einem der Gemälde im Raum, hinter welchem Bernhard weitere Beobachter vermutete.
„Vielen Dank für die Information Herr Hauptmann. Sie haben uns heute sehr geholfen, die dämonischen Strömungen genauer zu deuten, die wir seit Monaten in der Gegend aufspüren.“
„Was genau ist ein Tokoloshe?“
„Herr Hauptmann, wir...“
„Nicht nur ich, die ganze Stadtwache ist sehr beunruhigt. Wir benötigen Informationen, um die Bürger zu schützen und das Übel einzudämmen. Selbst Ihr werdet doch wohl kaum eine endgültige Säuberung für Märkteburg heraufbeschwören wollen.“
Da waren sie heraus. Die Worte auf die er die ganze Zeit hingearbeitet hatte und vor denen er sich am meisten fürchtete. Eine Säuberung durch die Inquisition. Vollständige Auslöschung.
Diese gar nicht so selten gegebene Order, welche bedeutete, dass die heilige Inquisition sich machtlos gegenüber dem entstandenen Übel sah und nur eine ganzheitliche Vernichtung der Gefahrenquelle noch den Sieg über das Böse bringen konnte.
Eine ganze Stadt oder ein ganzer Caer wurde dabei mit Mann und Maus den reinigenden Flammen übergeben.
Hatte er sich mit einem Wesen eingelassen, dass eine derart drastische Reaktion hervorrufen würde? Hatte er sein Märkteburg diesem schrecklichen Schicksal geweiht?
„Ihr malt eure Bilder mit wirklich schwarzen Farben, Herr Hauptmann. Ich sage Euch Ihr dürft unbesorgt sein. Der Tokoloshe ist ein kleiner, böser Rachegeist schamanistischen Ursprungs und ganz sicher kein Grund eine vollständige Säuberung in Erwägung zu ziehen. Es erstaunt mich, dass ein Mensch aus unserer Region ihn beschworen haben soll, da dieses Wesen eher von anderen Kulturen angerufen wird. Wie zum Beispiel den Zulu oder den Weißen, die ihn als Schutzgeist verehren. Primitive Unwissende.“
„Ein Rachegeist also.“
Bernhard ersticke einen aufkommenden Hustenanfall mit seinem Taschentuch.
„Genau. Der Tokoloshe selbst besitzt keine große Macht. Es ist möglich, dass er einen oder vielleicht eine Handvoll Menschen verderben und manipulieren kann, aber im Großen und Ganzen ist er für dämonische Verhältnisse eher harmlos. Sie brauchen sich von nun an also keine Gedanken mehr zu machen.“
Wie vom Blitz gerührt saß er auf dem Stuhl und fühlte sich verraten und erleichtert zugleich. Jetzt erst wurde ihm klar, wie blind er doch gewesen war, wie ihn der Schamane der Weißen die ganze Zeit lang benutzt hatte, wie er ihn dazu verleitet hatte, den Dämon anzurufen, allein um die Rachepläne der Weißen zu unterstützen.
Nicht er hatte mit den Nyoka´tuk gespielt, sondern sie mit ihm.
Und jetzt hatte er beinahe alles verloren.
Seine Gesundheit war wieder dahin, seine Familie hatte er sinnlos geopfert und seine arme Stadt war noch immer derselbe, erbärmliche Sündenpfuhl wie vor einem halben Jahr.
Bernhard stellte den noch immer vollen Kelch ab und erhob sich.
Es änderte gar nichts. Noch lebte er und solange er atmete, würde er auch an seinen Plänen festhalten.
„Ich denke, wir haben alles besprochen, deshalb verlasse ich Euch nun, Lord Inquisitor.“
„Nicht so schnell, Herr Hauptmann.“
Bernhard erstarrte.
„Das Wichtigste habt Ihr vergessen zu erwähnen.“
„Und… das wäre?“
„Der Name des Ketzers natürlich. Ihr hattet ihn bisher nicht genannt.“
Die Finger seiner rechten Hand verkrampften sich.
Vielleicht merkte der Dämon nun doch, dass er mittlerweile andere Optionen als den ewigen Gehorsam in Erwägung zog, vielleicht war es auch nur seine Krankheit, aber dieses Zeichen von Verletzlichkeit und Schwäche vor den Augen der Inquisitorin beschämte ihn zutiefst. Mit der Linken verbarg er die Spasmen der rechten Hand so gut es ging und setzte ein diplomatisches Lächeln auf.
„Schmidt. Sergeant Hieronimus Schmidt. Das ist der Name des Verräters. Ein gewiefter Bursche und guter Redner, der mich lange Zeit täuschte.“
„Vielen Dank für Eure Informationen, Herr Hauptmann.“
„Der Dienst am Volke ist mein Leben, Lord Inquisitor. Ihr entschuldigt mich nun.“
Jeden Moment erwartete er, dass man ihm verbat, sich zu entfernen, doch Frau von Braun nickte ihm zu.
Auf dem Weg nach draußen hörte er nur noch: „Veranlassen Sie, dass sich Inquisitor van Hauten um die Sache kümmert, sobald er wieder im Lande ist“, dann ließ er das Ordenshaus mit langen Schritten hinter sich.

Sergeant Schmidt lag auf dem Rücken und atmete flach. Es war dunkel, heiß und laut und stickig.
Er stieß den Leichnam des Kruuk von sich, in dessen Brust noch immer das rostige Kurzschwert steckte. Endlich bekam er wieder Luft. In den letzten paar Minuten hatte er jeden Bezug zur Realität verloren, doch nun war er wieder voll da.
Leute schrien, Feuer prasselte und das Chaos regierte in dieser Straße.
Er setzte sich auf und sah sich um.
Die Umgebung glich einem Schlachtfeld.
Tote lagen überall um ihn herum, die Bestien hatten regelrecht die gesamte Nachbarschaft abgeschlachtet.
Direkt neben ihm lag reglos der Junge.
Hieronimus hatte keine Ahnung ob er noch lebte. Der Zwerg war vor einer gefühlten Ewigkeit in der zerstörten Schenke verschwunden und seitdem nicht wieder aufgetaucht. All seine Mühen, all sein Einsatz konnten damit umsonst gewesen zu sein.
Der Hauptmann und seine Monster hatten gewonnen.
Dieser Gedanke raubte ihm das letzte bisschen Kraft.
Eine der Bestien hockte lauernd auf dem Dachgiebel des Nachbarhauses der Taverne. Wie ein Raubvogel suchte sie mit seinen weit aufgerissenen Augen die brennende Umgebung nach frischen Opfern ab.
Niemand rührte sich mehr auf der Straße.
Zwischen Dutzenden Toten lagen die leblosen Körper einiger Kruuk. Jeder, der das Glück gehabt hatte, diesem Gemetzel zu entkommen, war bereits meilenweit entfernt oder hatte sich in seinem Haus verschanzt.
Nur ein Junge im Alter von vielleicht zehn Jahren stand ein paar Häuser weiter reglos zwischen den toten Körpern und starrte auf das grausige Bild. Wahrscheinlich hatte er die Gräuel um sich herum mit ansehen müssen. Die Kruuk hatten seinen Körper vielleicht verschont, doch sie hatten in dieser Nacht seine kleine Seele zerrissen.
Jetzt hörte Hieronimus auch das eindringliche Rufen seiner Familie aus halb geschlossenen Fenstern in einem der verbarrikadierten Gebäude, dass der Junge sich umdrehen und zu ihnen laufen sollte.
Langsam, ja apathisch drehte sich der Kleine den Stimmen zu.
Es war, als hätte der Kruuk nur auf eine Bewegung gewartet. Mit einem gewagten Sprung verließ er das Dach und jagte er in wilden, raumgreifenden Sätzen auf den Jungen zu.
Sergeant Schmidt verfolgte den Angriff des Kruuk mit einer beinahe traurigen Gleichgültigkeit. Er konnte ihn nicht mehr retten. Da lag viel zu viel Straße zwischen ihnen, als dass er den Jungen noch rechtzeitig erreichen konnte.
Die Bestie setzte zu ihrem letzten Sprung an, doch plötzlich stand etwas zwischen ihr und dem Kind.
Eine beleibte, alte Frau, dem Aussehen nach die Großmutter des Jungen, stand mit gespreizten Armen auf der Straße. Hieronimus hatte noch nie eine so eiserne Entschlossenheit gesehen wie in den faltigen Augen dieser Frau.
Der Kruuk prallte in seinem Angriff gegen die füllige Alte und riss sie mit nach hinten um.
Plötzlich quollen aus der geöffneten Haustür weitere Menschen. Mehrere junge Frauen und Männer, kaum der Kindheit entwachsen, stürzten sich auf den verdutzten Kruuk und hielten ihn am Boden.
Die Alte kam ächzend wieder auf die Beine, hob das fallengelassene Nudelholz auf und schlug damit auf die wild strampelnde Bestie ein. Immer mehr Menschen verließen ihre Häuser. In ihrem neu aufgekeimten Mut umringten sie den am Boden liegenden Kruuk. Viele fassten sich angesichts des nun wehrlosen Monsters ein Herz und ließen all ihre Wut und Verzweiflung an der vor Schmerzen wimmernden Bestie aus.
Hieronimus zog das Schwert aus der Leiche zu seinen Füßen und stand wieder auf.
Märkteburg hatte noch lange nicht aufgegeben – und er würde es auch nicht.

Urguk war nicht mehr er selber, schon lange nicht mehr, aber ein kleiner Teil von ihm war noch er selbst genug, um das zu erkennen. Er hatte das Plutonwasser in den letzten Monaten gegen die Erschöpfung und die Müdigkeit genommen, wenn die Tage so lang waren, dass sie kein Ende nehmen wollten, aber dennoch Pläne entworfen und Bittsteller angehört werden mussten.
Dann kamen die Rückschläge und Urguk hatte noch mehr Plutonwasser konsumiert, weil es ihm ein gutes Gefühl gab und er als Erleuchteter Zuversicht demonstrieren musste.
Jetzt, kurz vor der bedeutenden Schlacht gegen seine Erzfeinde, hatte er wieder eine ganze Flasche geleert.
Teils, um die Angst vor den Kruuk zu unterdrücken, aber auch um seine magischen Fähigkeiten zu verstärken. Die maximale, tägliche Dosis hatte er seit Wochen um ein Vielfaches überschritten und jetzt spürte er, dass er den Preis dafür zahlte.
Nur Minuten nach dem Hochgefühl versank er schon wieder in den Entzugserscheinungen. Sein Geist lechzte nach einem weiteren Tropfen, des heiligen Wassers.
Er konnte manchmal kaum noch klar denken. Sich zu konzentrieren oder Magie zu wirken, fiel ihm plötzlich unendlich schwer, wenn er kein Plutonwasser zur Hand hatte.
Vor einigen Momenten hätte er beinahe mit einem schlecht gezielten Feuerball den Zwerg getötet, aber eben doch nur beinahe und Urguk fragte sich, ob nicht ein Teil von ihm den rotfelligen Felsbuddler absichtlich verfehlt hatte.
Dieser Teil, dieser neue Urguk wollte nicht aus der Ferne durch überlegenen Geist und Magie töten. Dieser Urguk wollte sich mitten in den Kampf stürzen und seine Krallen in warmem Blut baden. Dieser andere Urguk war nicht rational, sondern impulsiv. Er ignorierte nicht die belanglose Bedrohung zweier Oberflächenbewohner, sondern widmete ihnen all seine Aufmerksamkeit. Er schickte keine gut gedrillten Kämpfer, sondern einen Haufen wilder Kruuk. Er blieb nicht im sicheren Schoß seiner riesigen Armee, sondern wollte den Geschmack des Krieges auf den eigenen Lippen spüren.
Urguk hatte Angst vor diesem anderen Urguk.
Aber wenn diese beiden tot waren, dann würde dieser neue Urguk sicher wieder verschwinden, so flüsterte ihm die Stimme zumindest zu. In einem klaren Moment sprengte er die Wand des Hauses, damit die Kruuk ihrem Opfer besser folgen konnten.
Seine Hände zitterten.
Der andere Urguk gierte nach seinem Plutonwasser. Nur noch dieses eine Mal würde er ihm nachgeben.
Ein wild gewordener Mensch ging auf ihn los, doch der Kruuk Tann sprang gerade noch rechtzeitig zur Rettung zwischen ihn und seinen Angreifer. Dadurch erhielt er jedoch einen Stoß, der ihm die kostbare Flasche aus den schweißnassen Krallen schlug.
Sie kullerte über den brennenden Boden und kam an einem umgestürzten Tisch zum Halten. Urguk krabbelte wie ein Neugeborenes durch die glühende Umgebung auf seine Flasche zu.
Fiebrig löste er den Korken.
In einem lichten Moment sah er noch, wie der Kruuk Tann vor seinen Augen von dem wilden Menschen in Stücke gehackt, dann sog er das leuchtende Wasser in sich auf.
Die Kraft kehrte wieder zurück. Seine Gedanken wurden wieder klarer.
„LAUF!“, schrie ein Teil von ihm.
„ERWÜRG IHN!“, brüllte ein anderer.
Urguk wusste genau was zu tun war. Auf diese kurze Entfernung konnte kein Mensch den hochheiligen Flammenstoß des gnadenlosen Versengens überleben. Er brachte seine Hände in Position. Ganz automatisch murmelte er die geheiligten Worte, die ihm halfen seinen Geist zu leeren und die Energie zu lenken, doch mitten im Satz gingen die Worte plötzlich in einem Meer aus anderen Laute und Gedanken unter.
Erneut versuchte er sich erneut zu konzentrieren.
„ERWÜRG IHN! REISS IHM DAS HERZ HERAUS! ICH WILL SEIN HERZ!“
Urguk schüttelte den Kopf, um die Stimmen zu verscheuchen.
„Lauf!“
Die Stimme des alten, rationalen Urguk war leise, doch diesmal drang sie bis zu ihm durch.
„Lauf weg und kümmere dich später darum.“
Der Erleuchtete brach seinen missglückten Angriff ab und ergriff die Flucht. Ein andermal würde er triumphieren.
Doch er kam nicht weit.
Ein zerbrochener Stuhl brachte den Erleuchteten nach nur zwei Schritten zu Fall. Noch bevor er sich erheben konnte, war dieser Mensch bereits über ihm. Im Schein der Fackel sah Urguk das vor Wut und Wahnsinn verzerrte Gesicht des Mannes.
„ERWÜRG IHN!“, dröhnte es.
Dann raste die brennende Fackel auf ihn hernieder und auch diese Stimme verstummte.
 
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Kommentare  

Der Verlauf deiner Geschichte gefällt mir.

Action-Spannung-Spaß.
Eine gute Mischung.

Neue Charaktere und die "Alten" entwickeln sich.

Werde am Ball bleiben...


Alexander Bone1979 (21.05.2011)

Danke euch dreien. Schön, dass ich die Atmosphäre im Ordenshaus der Hexenjäger so einfangen konnte, wie auch ich es mir vorgestellt hatte.

Es freut mich, dass die Charaktere noch immer Anklang finden.


Jingizu (19.05.2011)

Na, das war ja so graulig wie fast noch nie. Vielleicht weil du deine Akteure noch viel eindringlicher darstellst als vordem? Jedenfalls schlägt mein Herz inzwischen nicht nur für Ahrok und Ragnar, der tapfere Lieutenant Schmidt hat auch ein kleines Plätzchen bei mir gefunden.

Petra (17.05.2011)

Wirklich unheimlich und wahnsinnig spannend geschrieben. Hauptmann Bernhard scheint zu Verstande gekommen zu sein und Sergeant Schmidt kämpft bis zum Umfallen. Schön, dass unsere Helden Unterstützung bekommen haben.

Jochen (16.05.2011)

ich kriegte echt beklemmungen, als ich las. das ordenshaus des hammers ist ein schrecklicher ort mit schrecklichen leuten, bürokraten des todes...
hauptmann bernard scheint allmählich zu merken, was er getan hat, und die leutchen fangen an, sich gegen die kruuk zu wehren. gut gut... ;-)


Ingrid Alias I (16.05.2011)

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