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10 Seiten

Ahrok - 64. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Vierundsechzigstes Kapitel: Reisepläne

Nach dreieinhalb Wochen, die zwischen kleineren Festlichkeiten, Übungskämpfen und vielen romantischen Stunden wie im Flug vergangen waren, näherte sich der Zeitpunkt ihres Aufbruchs in tatsächlich greifbare Nähe. Die Trennung von all dem hier war nun nicht mehr unendlich fern, sondern nur mehr acht winzige Tage entfernt. Zum ersten Mal beunruhigte ihn dieser Gedanke und er konnte sich in Ariane hineinfühlen, die diesem Ereignis bereits seit Wochen mit Wehmut entgegenblickte.
Natürlich waren Ragnar und der Graf weit weniger sentimental, was den kommenden Abschied anbetraf. Jeder von ihnen schwelgte auf seine eigene Art in den Träumen von Anerkennung, Gold oder Macht. Dem Trubel nach zu urteilen, sah sich der Graf bereits an der Seite des Königs sitzen. Das Gute daran war, dass sich der zukünftige Onkel Herbert von Tag zu Tag freigiebiger in seiner Gastfreundschaft zeigte. Mit Honig vermischter, süßer Wein und Bier flossen Tag um Tag in Strömen. Selbst die sonst eher vernachlässigte Dienerschaft bekam ihren Anteil. Man hatte sich vor zwei Wochen darum gekümmert, dass ein Barbier Ahrok einen Besuch abstattete, um sein Äußeres der gehobenen Gesellschaft anzupassen, in welcher er nun weilte.
Das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen.
Ebenso hatte sich vorgestern ein Schneider seiner bis dato völlig unpassenden Garderobe angenommen. Der Blick in den Spiegel war jedes Mal eine willkommene Überraschung für ihn.
Was ebenfalls nicht Ausblieb waren die Prellungen, die blauen Flecke und die kleinen Schnittwunden, von ihren alltäglichen Raufereien, wie der Graf ihre Übungen abfällig betitelte.
Ragnar ließ es sich nicht nehmen, sein Training von nun an strengstens zu überwachen. So wie es schien, machte es dem Valr nämlich erheblichen Spaß, ihn leiden zu sehen. An manchen Tagen trieb der Zwerg ihn mit unmenschlicher Grausamkeit an Grenzen, die er bis zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal vermutet hatte. An den Tagen darauf übten sie sich im Kampf mit ihren Waffen.
„Du wirst besser“, rief ihm der Zwerg zu, nachdem sich Axt und Schwert gerade wieder getrennt hatten.
Ahrok schenkte dem Zwerg nur ein kleines Lächeln. Zu mehr war er kaum noch im Stande. Obwohl er sehr zufrieden mit seinem neuen Schwert und dessen imposanter Erscheinung war, kam er nicht darum herum, die Waffe des Valr zu bewundern. Es war eine auf Zwergengröße zugeschnittene Streitaxt, die so schmuckvoll gearbeitet und verziert war, dass er doch tatsächlich etwas neidisch war, wenn er sie in den Händen des Zwerges sah.
Natürlich erkannte er den Wyrmspaltr, den Drachenspalter, von früher. Diese Axt hatte damals noch im Hause Sigurdsson neben vielen anderen hübschen Stücken gehangen. In einer wohl für Zwerge üblichen Tradition hatte Ragnar die Waffe an sich genommen, um Sigurd durch kommende Heldentaten doch noch etwas Frieden im Jenseits zu verschaffen. Zwerge eben.
Der Drachenspalter nahm sich in seinen Namen sehr ernst.
Überall an der Waffe waren Drachenmotive zu erkennen. Ehrlich gesagt gab es kaum etwas, das nichts mit Drachen zu tun hatte. Das vergoldete Heft der Streitaxt stellte den schuppigen Körper und den Schwanz eines Drachen dar. Nur das Griffstück war mit schwarzem Leder umwickelt, welches, wenn es sich hierbei nicht gerade um Drachenleder handelte, das einzig Nichtdrachliche an der Waffe war.
Der Kopf der Axt wurde dann, wie sollte es anders sein, durch den Schädel dieser feuerspeienden Bestie dargestellt. Ihr flammender Atem, der aus dem weit aufgerissenen Maul entströmte, formte das aufwendig verzierte Blatt, der lange Dorn auf dem Hinterkopf der Echse sorgte für zusätzliche Angriffsvariationen.
Ragnar hob den Wyrmspaltr zum Angriff.
„Lass mich nicht an dich herankommen. Halt mich auf Distanz“, lautete seine Anweisung für die nächste Runde.
Die Klingen trafen krachend aufeinander und die Erschütterung jagte durch seinen ganzen Körper. Ragnars Axt glitt mit einem Kreischen an seinem Schwert entlang und der Zwerg verringerte die Distanz zwischen ihnen in einem einzigen Augenblick. Ein Tritt gegen das Schienbein verriet Ahrok dann, das Ragnar nicht zufrieden mit seinem Manöver gewesen war.
„Werte Herren.“ Ahrok wandt den Kopf, um den Sprecher zu erkennen. Es war der Haushofmeister Albert Steiner, der wie immer steif und starr wie ein Pfahl vor ihnen stand. „Das Abendessen ist serviert. Der Herr Graf und die Komtess erwarten Sie.“
„Hast du Hunger?“, rief ihm Ragnar zu.
„So wie du mich scheuchst, hab ich immer Hunger.“
„Gut dann sag dem Grafen, dass wir gleich da sind.“

Ahrok schrubbte sich an der Waschschüssel Schmutz und Grasflecken von Gesicht und Händen, während der Zwerg, die kostbare Axt in der Hand, bereits an ihm vorbei in den Speisesaal gestiefelt war. Wie bei jeder Gelegenheit betrachtete er sich im Spiegel. Er war älter geworden. Es war nicht mehr das Gesicht, welches er früher immer in dem kleinen See nahe ihres Hauses gesehen hatte. Die unbekümmerte Jugend, die Träume waren aus seinen Augen verschwunden und hatte etwas anderem Platz gemacht, an das er sich erst gewöhnen musste. So viele Ecken und Kanten und Narben…
Sein durchgeschwitztes Hemd landete auf dem Boden.
Noch mehr Kratzer, noch mehr Schmutz und weitere Blutergüsse. Er fuhr mit dem Finger über seine Brust hinauf zum Nacken. Die vernarbte Haut im Nacken und an der Schulter war rau, zerfurcht und gefühllos. War es auch, das was Ariane empfand, wenn sie ihn berührte? Er stemmte beide Arme auf die Kommode und sah sich an.
Zum ersten Mal überhaupt trug er eine akkurat geschnittene Frisur. Ein kleiner Bart, den man aufgrund der hellen Haarfarbe noch nicht sah, aber von dem er dennoch wusste, dass er da war, prangte in seinem nun nicht mehr so jugendlichen Gesicht.
„Wer bist du?“, hauchte sein Spiegelbild. „Was bist du?“
Diese Frage stellte es ihm oft in letzter Zeit.
Ein jeder, ob nun Mensch oder Elf oder Zwerg, hatte seinen Platz in der Welt gefunden. Es gab die Bauern, die Knechte und die Tavernenwirte mit ihren Schankmaiden. Da waren Huren und Bäcker, Bettler und Kaufleute, Waffenschmiede und Söldner und Grafen. Selbst Ragnar hatte seinen Platz gefunden. Ein jeder hatte seine Rolle im Leben, aber was war er? Er hatte als unzufriedener Bauernjunge sein Leben begonnen, war dann für einen winzigen Moment Abenteurer gewesen, dann Kanalwächter, Rausschmeißer, Monsterjäger und jetzt war er bald Standartenträger für einen Grafen. Doch nichts davon hatte Bestand. Nichts davon war wirklich er. Wer war er also? Wo war sein Platz in dieser Welt?
Die Augen seines Spiegelbilds blickten ihn heute seltsam traurig an, so als wüsste es, dass es Ahrok bald schon nicht mehr sehen würde und ihre kleinen Zwiegespräche dann vorbei wären. Der Zeitpunkt seiner Abreise rückte unaufhaltsam näher. Bald hieß es ´Auf Wiedersehen, schönes Leben. Auf bald, meine Liebste´ und es gab nichts, was er noch dagegen tun konnte. Seit er von Zuhause weggelaufen war, hatten ihn die Verpflichtungen immer wieder eingeholt. Die Kanalwächter hatten ihn herumgescheucht, ebenso wie Hans. Eine wirkliche Freiheit besaß er nicht einmal als zukünftiger Graf Ahrok. Ihm blieb keine andere Wahl, als diese Reise anzutreten und all das hier zurückzulassen.
„Ahrok?“, rief ihre Stimme. Er vermisste sie jetzt schon.
„Ja?“
„Wo bleibst du denn?“
„Ich komme.“
Er warf sich ein neues Hemd über.
Held zu sein, war scheiße.

„Es freut mich ungemein, die ganze Familie am Tisch begrüßen zu dürfen“, nickte Herbert von Lichtenstein in die kleine Runde.
„Hast du wieder getrunken, Herbert?“
Ragnars störender Einwurf wurde von dem Grafen einfach übergangen.
„Ganz genau, ihr hört richtig. Ich sagte ´Familie´, denn Morgen ist es soweit. Morgen wird ganz offiziell eure Verlobung bekannt gegeben.“ Ariane drückte ganz fest seine Hand unter dem Tisch. „Freut euch, denn die Erfüllung unser aller Träume rückt in greifbare Nähe. Ah, da kommt der Hasenbraten. Wunderbar. Es ist ein echter Swanmarker Riese frisch vom Markt. Greift zu liebe Familie.“
Ahrok wurde von der Begeisterung des Grafen angesteckt und es sprang sogar wieder ein Lächeln auf seine Lippen. Die dunklen Gedanken konnten in Stunden wie diesen ein bisschen warten.
„Es ist kaum mehr eine Woche, bis wir aufbrechen“, verdarb Ragnar die gute Stimmung. „Aber wir haben noch nicht weiter über die Einzelheiten gesprochen. Zielort, Reisedauer… wir wissen ja nicht einmal genau, worum es dabei überhaupt geht.“
„So viele Fragen, Ragnar.“. Herbert von Lichtenstein prostete dem Zwerg zu. „Du hast immer so viele Fragen. Was wisst ihr zwei über einen Caer namens Kupferglanz?“
„Nichts.“
„Ihr wollt doch jetzt nicht während des Essens darüber reden?“, warf Ariane ein.
„Gar nichts“, fügte Ahrok hinzu, nachdem er den ersten Bissen heruntergespült hatte.
„Nun dieser Caer hat eine signifikante Bedeutung in der Geschichte unserer Welt. Er galt mehrere Jahrtausende lang als einer der Uneinnehmbaren.“
„Da du in der Vergangenheitsform sprichst, ist dem wohl nicht mehr so.“
„Nun, Ragnar… wir wissen es nicht. Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass wir seit dem letzten Zeitalter nichts mehr von diesem Ort gehört haben.“
„Die letzte Öffnung ist hundertzwanzig Jahre her. Hätten sie überlebt, dann wüsste man es.“
„Ja, das mag durchaus sein.“
Ariane warf ihr Besteck demonstrativ laut auf den Teller und erhob sich.
„Mir ist der Appetit vergangen. Ich mach einen Spaziergang. Ahrok, begleitest du mich?“
Er sah sie nicht einmal an, als er den Kopf schüttelnd verneinte. Vor Erregung weit über den Tisch gebeugt, lauschte er den Worten des Grafen.
Von keinem der drei Männer weiter beachtet verließ Ariane den Raum.
„Überrannt oder nicht. Der Standort des Caers galt die letzten einhundert Jahre als verloren. Es ist ziemlich schwer, ungeöffnete Caer wiederzufinden, da ihre Lage nicht in den Aufzeichnungen der anderen Verstecke vermerkt wird. Aus Angst, dass wenn einer geplündert wird, man auch andere findet.“
„Ich nehme an, jetzt kommt gleich der gute Teil deiner Geschichte.“
„Ein guter Freund von mir hat auf seinen Reisen Kenntnis über die Lage von Kupferglanz erlangt. Der Eingang zu der Feste befindet sich in der Kalari Wüste, einem gottverlassenes Niemandsland, über das kein König zu herrschen wünscht. Nur ein paar Nomadenstämme ziehen durch dieses Gebiet.“
„Die Kalari Wüste? Ich bin zwar hier und da schon etwas rumgekommen, aber davon hab ich noch nie gehört.“
„Nun, um ehrlich zu sein, liegt sie nicht gerade im Gebiet der Swanmark oder angrenzender Königreiche. Ihr werdet weit nach Süden reisen, bis nach Weißklippe und von dort aus mit dem Schiff über das Grüne Meer segeln. Von diesem Zeitpunkt an, wird es dann marginal schwerer für euch werden, denn dann führt euer Weg euch in die Wüste.“
„Herbert, du sprichst hier von einer Reise die viele Wochen dauern wird, Monate wahrscheinlich.“
„Monate?“, Ahrok verschluckte sich fast am Wein.
„Das ist wahr. Mein guter Freund, der Graf von Greifenfels, hat zwei Monate für die Hinreise veranschlagt und dann noch ein paar Wochen, um den Caer zu erkunden. Die Rückreise wird sicher etwas beschwerlicher, aber wenn alles gut läuft, könnt ihr vor noch Wintereinbruch wieder zurück sein.“
„Vor Wintereinbruch?! Wir haben immer noch Winter, Onkel Herbert! Du willst uns ein ganzes Jahr wegschicken?“
„Was heißt hier wollen, Ahrok. Es muss sein. Es ist für uns alle das Beste, diesen Weg zu gehen.“
„Erzähl uns, was du von diesem Caer noch so weißt“, drängte sich Ragnar dazwischen, um das Gespräch in eine geordnetere Richtung zu lenken.
Ahrok erhob sich wortlos. Den Blick starr auf den Boden gerichtet, folgte er Ariane in den Winterabend hinaus.
„Der Süden ist bekanntlich reich an Magie…“
„Pah… Zauberer!“, Ragnar spuckte verächtlich aus.
Der Graf betrachtete angewidert den schleimigen Brocken, der sich auf seinem Teppich wandt.
„Ja, Zauberer…“ Er riss sich von dem Anblick los. „Zauberer stehen gerade hoch in der Gunst des Königs. Verloren geglaubtes Wissen wiederzuerlangen, ist eine seiner neuesten Agendas. Deshalb bietet sich hier die Gelegenheit für uns. Kupferglanz galt schon immer als eine der Stätten großen Wissens. Die Bibliothek dieses Ortes ist, oder besser gesagt war, Jahrhunderte lang weltberühmt. Solltet ihr also einen tragischer Weise aufgebrochenen Caer vorfinden, so schafft ihr dann einfach eine ganze Schiffsladung dieser begehrten Bücher hierher. Ist es aber der Fall, dass die Leute da unten die Öffnung einfach verpennt haben, dann führt ihr sie wieder zurück an die Oberfläche und seid ermächtigt, Handelsbeziehungen zu knüpfen. Also… nicht ihr persönlich, sondern eher die wichtigen Leute der Expedition.“
„Schon verstanden, Herbert, aber du vergisst da etwas. Wenn dieses Kupferglanz wirklich so wichtig und weltberühmt ist, meinst du nicht, dass bereits andere vor uns dort waren. Ich meine… hundertzwanzig Jahre sind ´ne lange Zeit. Wir sind sicher nicht die Ersten, die auf die Idee kommen, danach suchen.“
Graf von Lichtenstein nickte.
„Dieser Ansatz wurde ebenfalls in Betracht gezogen und nach reiflicher Überlegung als für zu unwahrscheinlich befunden worden. Kunde über die Öffnung dieses bedeutenden Caers hätte sicher seinen Weg zu uns gefunden. Nein, wir sind ziemlich sicher, dass dies unser großer Erfolg wird. Der große Schritt nach vorn, von dem ein jeder träumt, aber nur wenige es wagen, ihn in Angriff zu nehmen.“
„Ich sehe, dir schwellen schon die Eier allein beim Gedanken daran. Sei vorsichtig, dass sie nicht wie eine Seifenblase zerplatzen. Schon so manchen Mannes Milchmädchenrechnung ging nicht auf.“
„Geschissen auf deine Skepsis. Du bist weder gesellschaftlich noch sonst irgendwie in der Lage, mich hierbei zu beraten. Du bist nur hier, weil meine Nichte ein uneinsichtiges Gör ist, dass seine Jungfräulichkeit an den Erstbesten verschleudert hat.“
„Auch wieder wahr. Wo wir gerade beim Thema sind. Ich hoffe auf eine gigantische Verlobungsfeier morgen, denn du willst sicher nicht, dass wir es uns noch anders überlegen.“

„Na, wie fühlst du dich heute an deinem großen Tag?“, fragte Ragnar mit einem frechen Grinsen im Gesicht. Er prostete Ahroks Spiegelbild zu, das gerade dabei war, sich für die kommenden Festlichkeiten einzukleiden.
„Ganz normal. Sollte ich nicht?“
„Doch, doch. Ich hab nämlich gehört, dass die halbe Stadt heute zur Zeremonie kommt.“
„Wirklich?
„Scheiße, nein!“, der Zwerg lachte. „Wie stellst du dir das vor? Herbert wird ´nen Priester kommen lassen oder sonst jemanden, der sich kurz anguckt, wie du ihr einen Schmatz auf die Wange drückst und das war´s dann. Das Gewand steht dir.“
„Ich weiß!“, nickte Ahrok aufgeregt. „So ein Spitzenhemd könnte ich jeden Tag tragen. Das ist so leicht, als ob man gar nichts anhat und es kratz auch überhaupt nicht. Der Stoff hier? Nennt sich Seide. Kein Vergleich zum Leder und sogar noch besser als Leinen. Fühl mal.“
„Oh, ja… so weich und… weich.“
Ahrok schloss die Knöpfe seines Hemdes.
Wieder einmal vollends mit seinem neuen Aussehen zufrieden, betrachtete er sich im Spiegel. Das helle Weiß, die feine Spitze an Kragen und Handgelenken, das alles verlieh ihm ein ungeheuer majestätisches Aussehen. Er fühlte sich in diesen Momenten wirklich wie ein Graf. Der weite Schnitt verdeckte seine Statur, aber das war durchaus beabsichtigt. Muskulöse Arme und ein breites Kreuz ließen auf niedere Herkunft schließen, da ein Edelmann sich durchaus Müßiggang leisten konnte.
„Ich sag dir, es ist voll der Hammer ein Graf zu sein.“
„Ahrok… hat man dir es noch nicht gesagt? Du wirst nie…“, Ragnar seufzte und nahm einen Schluck aus dem mitgebrachten Krug. Es war unnötig dem Jungen seinen heutigen Tag zu verderben. Die Erkenntnis, dass diese Verlobung nur ein gesellschaftlicher Schachzug ohne tatsächliche Folgen war, würde früh genug über ihn hereinbrechen.
„Du weißt doch, dass Onkel Herbert zwar hier und da mit mir redet, aber nie wirklich etwas erzählt. Meistens geht es nur darum, dass er mir vorschreibt was ich alles nicht tun darf. Warum bist du noch nicht umgezogen? Sag bloß, er hat nichts für dich besorgt?“
„Ich brauch nichts.“
„Du willst dich in deinen dreckigen Hosen zu uns gesellen?“
„Also, das hat dich sonst auch nie gestört.“
„Na ja…“
„Und außerdem, werd ich sowieso in Kürze volltrunken sein. Das bedeutet, ich werde dann splitternackt, oder, wenn die Götter Mitleid mit euch haben, vielleicht auch nur halbnackt irgendwo herumliegen und entweder fröhlich lallen oder aber um mich kotzen… da entscheide ich mich dann spontan.“
„Ja“, Ahrok lächelte. „So wird´s wohl sein.“
Gespannt auf Ragnars Reaktion drehte er sich um und präsentierte sich in seinem neuen Aufzug. Der Zwerg setzte den Bierkrug ab und applaudierte gekünstelt.
„Ich bin sehr beeindruckt. Äußerst herrschaftlich. Na dann los, die anderen warten sicher nur auf dich.“

An einem Tag wie diesem sollte die Sonne scheinen. Vögel sollten laut und fröhlich zwitschern und alles sollte vom Duft bunter Frühlingsblumen erfüllt sein. Stattdessen regnete es.
Ariane stand am Fenster, während die Zofe ihr Korsett schnürte.
Dunkle, graue Wolken lagen über der Stadt und schütteten ihre nasse Fracht auf ihren schönen Tag. Ein paar der geladenen Gäste hatten bereits Boten vorgeschickt, die von ihrer Verspätung berichten sollten, da die Straßen des Umlands in Schlamm und Matsch versanken.
Es war zwar keine Hochzeit, aber dennoch hatte sie sich ein paar wunderschönen Illusionen über diesen Tag hingegeben, hatte seinen Verlauf wochenlang bis in das kleinste Detail durchdacht, nur um jetzt alles von dicken Tropfen hinfortgespült zu sehen.
Dort unten auf den nassen Steinen fuhr gerade die Kutsche des Grafen von Greifenfels auf ihr Grundstück. Das schöne Holz des Wagens war bis an das Dach mit Schlamm und Dreck bespritzt.
Ariane schloss die Vorhänge, um nicht noch weiter von diesem bedrückenden Anblick hinabgezogen zu werden. Die letzte Woche hatte begonnen. So schnell und überraschend wie ein Sommergewitter war er in ihr Leben gestürmt. Er hatte alles über den Haufen geworfen und sie einfach mit sich fortgerissen. In einer Woche war dann jedoch alles, was sie jetzt an einander hatten, einfach vorbei. Für Monate… vielleicht für länger. Diese Verlobung, das Versprechen auf seine gesunde Rückkehr, war alles, was sie davon abhielt, auf der Stelle in Tränen auszubrechen. Vielleicht zeigte der Namenlose seine Sympathie mit ihrem Schicksal, indem er die Sonne mit Wolken verhing und den Himmel für sie weinen ließ.
„Ich bin fertig, Fräulein. Darf ich das Kleid bringen?“
Sie nickte ihrer Zofe wortlos zu. Es war nicht nur das Korsett, das ihr in diesem Augenblick die Luft abschnürte.

Herbert von Lichtenstein saß neben seinem guten Freund, dem Grafen von Greifenfels, und begutachtete das kleine Fest, zu welchem ihn dieser Zwerg genötigt hatte. Viele geladene Gäste hatten ihre Abwesenheit ankündigen lassen und es auf den Regen geschoben. Vermutlich was das auch besser so. Er konnte gut und gerne auf den Skandal und den Tratsch verzichten, wenn bekannt wurde, dass er seine Nichte einem Mann niederen Standes versprochen hatte.
An der Mitte der langen, jedoch spärlich besetzten Festtafel saßen sie und dieser blonde Dorn in seinem Fleisch. Natürlich händchenhaltend und lächelnd. Herbert war dieser Anblick zuwider.
Ahrok trug heute eine schwarze Wollhose und ein weißes Spitzenhemd, welches seinen barbarischen Körper gut kaschierte. Damit sah er beinahe aus, wie ein Mann aus gutem Hause. Es stimmte also was man sagte. Kleider machten tatsächlich Leute. Ariane neben ihm trug ein weinrotes Kleid mit eher unzüchtig tiefem Ausschnitt. Die weiten Ärmel waren mit einer goldfarbenen Bordüre mit Blumenmustern bestückt. Ihrem Gesicht nach zu urteilen war sie glücklich, aber was wusste er schon. Versuche, dieses Mädchen zu durchschauen, hatten ihn Jahre gekostet und dennoch nicht gefruchtet.
„Ich bin froh, dass du doch noch einen Partner für sie gefunden hast. Die Zeit wurde doch sehr knapp.“
„Wir sind alle sehr froh, Marius. Ist es nicht das Schönste im Leben, seine Kinder so glücklich zu sehen.“
„Eine Seltenheit bei solchen Anlässen. Sag, woher kommt der Bursche? Ich kenne ihn nicht und sein Gesicht kann ich keinem der mir bekannten Häuser zuordnen.“
Graf von Lichtenstein leerte den Weinbecher, um dieser Frage für ein paar weitere Augenblicke aus dem Weg zu gehen.
„Ach, weißt du, Marius…“, er schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Das hier war nicht leicht. „Also es ist so. Der Junge ist kein Edelmann.“
Die von ihm befürchtete Szene blieb aus, stattdessen nickte sein Freund nur.
„Ein Bürgerlicher also.“
„Na ja… fast ein Bürgerlicher.“
„Oh, Herbert. Sag nicht, du bist durch die Dörfer gezogen, um jemanden zu finden, der deine Nichte ehelicht, nur um dem Herzog nicht nachgeben zu müssen.“
„Nein, so war es nicht. Es war ihre Wahl, diesen Burschen zu sich zu nehmen, so als gäbe es keine Stände in unserer Gesellschaft.“
„Ich hab dich gewarnt. Ich hab dich schon vor Jahren gewarnt, dass deine liberale Erziehung irgendwann in so etwas mündet. Hab ich nicht?“
„Sie ist glücklich.“
„Eine solche Ehe wird nie genehmigt werden.“
„Und das wiederum macht mich glücklich.“
Der Graf schnaufte und er betrachtete Ahrok, wie er die Glückwünsche der Gäste und Dienerschaft entgegennahm.
„Kann er ein Schwert führen?“
„Es ist, soweit ich weiß, sogar das Einzige, was er kann.“
„Nun, ich bin zwar nicht glücklich, aber wir können jetzt wohl nicht mehr viel daran ändern. Er wird jedoch nicht unter uns reiten können, sondern muss im Tross der Dienerschaft reisen.“
„Das ist eine vernünftige Idee. Bitte sorge dafür, dass er so wenig wie möglich mit den anderen Edelleuten in Kontakt kommt. Seine ungeschliffenen Manieren könnten ein schlechtes Licht werfen.“
„Diese Reise hat noch nicht begonnen und dein Mann bereitet mir schon Schwierigkeiten.“
„Nun, eigentlich sind es zwei Männer. Aber der andere wird dir auch nicht viel besser gefallen…“
 
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Kommentare  

Ariane weiß, dass sie sich von Ahrok trennen muss und er ist so schön. Zum schmunzeln ist der alte Graf, ein typischer Ausbeuter eigentlich.

Petra (05.04.2012)

Also ich finde diesen Teil nicht schwermütig, eher amüsant, denn diese Adelsleute sind witzig in ihrer fiesen Art. Für Ariane ist es natürlich traurig, dass ihr Geliebter gehen muss um diese geheimnisvollen Caer zu finden. Ich habe noch in Erinnerung, dass da großartige Kämpfe stattfanden und die grässlichsten Untiere lauerten und darum ist es auch gut , dass Ahrok hart trainiert hat. Das wird noch sehr spannend Übrigens gefällt mit der alte gehässige Graf, der auch irgendwo eine weiche Stelle zu haben scheint, richtig gut. Ein netter Fiesling.

Jochen (04.04.2012)

Schön, dass euch auch dieser ruhige und recht schwermütige Teil gefällt, da er doch wieder ein bisschen im Kontrast zum Rest der Geschichte steht - aber eben diese Gegensätze sind mir wichtig.

Jingizu (03.04.2012)

ahrok grübelt tatsächlich über sich nach, immerhin fühlt er etwas wie bedauern, dass er fort muss. Das fortmüssen stellt sich dann als längere reise heraus zu einem ungeöffneten caer (was auch immer das ist). es regnet am verlobungstag, und das hat bestimmt eine symbolische bedeutung... ;-) ein melancholischer teil, wie ich finde, aber gut!

Ingrid Alias I (02.04.2012)

Sehr schön, jetzt gehts es also bald auf die Reise und ins Abenteuer.
Ahroks stumme Zwiesprache mit seinem Spiegelbild gefällt mir sehr, das bringt einem die Figur noch ein wenig näher.

Nun denn, ich bin weiterhin gespannt.


Tis-Anariel (01.04.2012)

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