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10 Seiten

Ahrok 2.Band - 2. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Zweites Kapitel: Elfen

Dass ihr Wagen ungewöhnlich schnell die märkteburger Straßen entlang brauste, bemerkte Ahrok gar nicht. Es hatte keine fünf Minuten gedauert, da war er auch schon trotz der Kälte, der harten Sitzbank und des ewigen Rumpelns des Wagens eingeschlafen. Zu lang und zu ernüchternd war die letzte Nacht gewesen. Nun, da auch das letzte bisschen letzte Hoffnung auf ein geruhsames, glückliches Leben verflogen war, hatte die Müdigkeit ihren längst überfälligen Tribut eingefordert. Ahrok lag zu den Füßen des Valr zusammengekauert und schlief den ersten ruhigen Schlaf seit vielen Tagen.
Hier draußen auf der Ladefläche eines morschen Wagens, wo es nichts weiter gab als zwei schweigsame Zwerge und den sternenklaren Himmel über ihm, konnte er zum ersten Mal all seine Sorgen und Ängste vergessen und einfach nur schlafen. Der Kerker, die Bosheit der Menschen, all das Blut und die Morde und der Zwist – alles war für diesen kleinen Augenblick vergessen und so weit weg, als wäre es in einem anderen Leben gewesen.
Ahrok träumte von sommergrünen Wiesen, in denen sich Klatschmohn und Kornblumen gegenseitig zunickten. Er fühlte das Kitzeln des Grases an seinen Fußsohlen, als er mit seinem Bruder zusammen zum kleinen Bach hinter dem Feld lief, um dort im kühlen Nass zu plantschen. Vater würde es nicht gefallen, dass sie die Arbeit vernachlässigten, um herumzutoben, doch an diesem Sommertag war das nicht von Belang. Sie beide tollten herum, bespritzten sich mit Wasser und jauchzten fröhlich, wie nur Kinder es konnten. Doch dann veränderte sich der Traum.
Sebastian hatte sich mit einem Mal aufgelöst und die väterliche Hütte verschwand immer weiter dem Horizont entgegen. Nun stand er allein mit nasser Kleidung in dem kalten Wasser und bibberte einsam vor sich hin.
Als sein Kopf plötzlich gegen das Holz der Bank stieß, erwachte er ruckartig aus seinem kurzen Schlaf. Es dauerte einen kleinen Moment ehe er sich im Halbdunkel dieser anderen Welt zurechtfand. Der Mauer hinter ihnen zu urteilen, hatte der Wagen im Umland vor den Toren Märkteburgs angehalten.
Ahrok richtete sich in eine sitzende Position auf. Seine restliche Müdigkeit wich nur langsam der Kälte an diesem Frühlingsmorgen, während ein schwaches Orange die Dunkelheit hinter den Wäldern im Osten verdrängte. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit befand er sich nicht mehr innerhalb der Mauern Märkteburgs. Die große Stadt, von der er noch vor einem Jahr so aufgeregt phantasiert hatte, lag dunkel und entmystifiziert im Norden. Sie hatte ihm die Unschuld geraubt, hatte ihm die dunkelsten Orte der menschlichen Seele gezeigt und hatte Erinnerungen aufgescheucht, die er lang vergessen hatte. Jetzt lag sie dort vor ihm. Sie grinste ihn an, lachte ihn hämisch aus, denn sie hatte den Ritter Ahrok getötet.
Er verspürte den Drang zu schreien, sie anzuspeien, doch dann blieb es bei einem nüchternen Vorsatz, nie wieder hierher zurückzukehren. Heute war er wieder dort, wo er am Anfang seiner Heldenreise gestanden hatte. Ganz allein und noch ein bisschen desillusionierter.
Jetzt hatte er wirklich keine Familie mehr.
Vater und Bruder waren tot und seine neue Familie hatte sich als noch schlimmer herausgestellt, als es seine alte gewesen war. Der Beinahe-Onkel hasste ihn und seine rein geschäftlich mit ihm verlobte Ariane hatte nach ihrem kleinen Streit nicht einmal mehr eine Aussprache gesucht, obwohl die Frau doch sonst immer alles so gern beredet hatte.
Nein, an diesem Ort gab es nichts mehr für ihn.
Diese Reise war das Beste was ihm passieren konnte.
Als er sich umdrehte, konnte er ein Stück weiter südlich eine ganze Heerschar erkennen, die unweit neben ein paar notdürftig zusammengezimmerten Bretterbuden lagerte. Ahrok zählte dort zwölf große Wagen und mindestens fünfzig Reiter. Einige von ihnen steckten in großen, schillernden Rüstungen, die im Schein der drei Lagerfeuer abenteuerlich blitzten und blinkten. Zwischen all den bereits sehr geschäftigen Leuten wehten neun verschiedene Banner im Morgenwind.
Das der von Lichtensteins war ebenfalls dabei.
Der alte Herbert hatte natürlich dafür gesorgt, dass die Beteiligung seiner Familie an dieser Expedition niemandem ein Geheimnis blieb.
Ein einzelner Reiter löste sich aus der Gruppe und näherte sich ihnen in wildem Galopp. Seine Silhouette war die eines beeindruckend muskulös gebauten Mannes, aber diese Plattenpanzer waren oft so wuchtig, dass man von ihnen nur sehr selten auf den wahren Körperbau ihres Trägers schließen konnte. Er lenkte sein Pferd bei und Ahrok konnte ein bartloses, jugendliches Gesicht blicken.
„Sind das die Abgesandten das Grafen von Lichtenstein?“, fragte er und bedachte ihn und Ragnar mit einem unverhohlen verächtlichen Blick.
„Das sind sie, Herr“, bejahte der Kutscher.
„Es sind die Letzten. Sie sollen sich auf dem hintersten Wagen einen Platz suchen. Dann können wir endlich aufbrechen.“

Ahrok rutschte unruhig auf der hölzernen Bank ihres Planwagens herum, konnte aber keine Sitzposition finden, in welcher sein Hintern nicht binnen Minuten einschlief. Wenn das wirklich eine so teure Expedition war, wie der Graf so oft beteuert hatte, dann hätten die ruhig ein paar Kissen besorgen können.
Ein paar Wochen auf diesen unbequemen Bänken zu verbringen kam ihm jetzt schon wie eine grausame Strafe vor. Wahrscheinlich war dies nur eine weitere grausame Botschaft von Herbert, der ihnen jedem Augenblick auf dieser Reise so unangenehm wie möglich machen wollte.
Doch sein kribbelnder Hintern war aber bei weitem nicht das Einzige, was ihn im Moment störte. Man hatte sie in den allerletzten Wagen der Karawane verfrachtet und damit ganz sicher nicht zu Leuten gesteckt, die blaues Blut in ihren Adern hatten oder auch nur im entferntesten für einen Adligen arbeiteten.
Neben Ragnar und ihm saß Abschaum. Acht verwahrloste Kerle, denen er auch nicht nur einen Zoll weit traute. Vernarbte, wettergegerbte Gesichter mit zumeist kahlgeschorenen Häuptern sahen ihn durch diese kleinen, stechenden Schweinsäuglein an, die ihm beinahe Angst machten. Drei von denen sahen so aus, als ob sie ein Genick mit bloßer Hand zerbrechen konnten und er ging jede Wette ein, dass die so etwas vor nicht allzu langer Zeit auch getan hatten.
Doch nicht nur ihre Gesichter und Hände, sondern ihre ganze Erscheinung war wenig vertrauenerweckend. Ihre Kleider standen vor getrocknetem Blut, Wein und Dreck. Der herbe Gestank von Schweiß, Fett und anderen alltäglichen Gerüchen lag wie eine dicke Wolke über ihrem Wagen. Allein ihre Waffen und Rüstungsteile waren blitzsauber und zeigten nicht den geringsten Makel. Weder Blutflecke noch Rost, ja nicht einmal ein störendes Staubkorn war darauf zu finden.
Noch schlimmer war das nahezu boshafte Schweigen dieser Kerle.
Während von der vorderen Wagen Rufe, Gesänge und Gelächter leise zu ihnen herüberflogen, herrschte auf diesem Gefährt hier eisige Stille. Seit sich die Karawane in Gang gesetzt hatte, hatte noch niemand ein Wort gesprochen.
Alle schwiegen sich ausdauernd an, aber warfen sich dafür ständig abschätzende oder abwertende Blicke zu, unter denen vor allem er und Ragnar zu leiden hatten. Von Minute zu Minute wurde diese unerschütterliche Ruhe zu einer immer größeren Last. Er konnte nicht schlafen, da sein Hintern bereits vor dem Rest seines Körpers eingenickt war und er sich außerdem nicht an seinen Nebenmann lehnen wollte, also musste etwas gesagt werden, um diese bedrückende Stille zu durchbrechen.
Er wusste nur nicht, was.
Als er seinen Blick also erneut durch die Runde gleiten ließ und er an Ragnar hängen blieb, traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. Dieser Abschaum hier, dieser Bodensatz der Gesellschaft unterschied sich kaum von ihm und dem Valr. Erst in diesem Augenblick wurde ihm klar, wie er doch auf Ariane und den Grafen gewirkt haben musste.
Er war nur ein dreckiger, unbedeutender Lump mit einem Schwert, wie es sie zu Hunderten gab, dennoch hatte sie es geschafft hinter all das zu blicken und hatte ihm ihr Herz geöffnet… und dann hatte er es an einem einzigen Abend verbockt. Er blickte noch einmal nach Norden, aber die Umrisse der Stadt waren schon längst hinter zartgrünen Baumkronen verschwunden.
Zum Umkehren war es dieses Mal wirklich zu spät. Vielleicht… sollte er doch am Ende dieser Reise zurückkehren, um alles wieder zu richten.
„Nettes Schwert“, nickte ihm der Elf von gegenüber zu.
Das Haar des Mannes war lang wie das einer Frau und noch dazu zart rosa. Ahrok wusste nie, ob diese Wesen ihr Haupt färbten oder wirklich so dämliche Haarfarben besaßen, aber er wollte auch nicht nachfragen, um nicht gleich mit den ersten Worten einen Streit mit dem jungen Elfen vom Zaun zu brechen. War das überhaupt ein junger Elf? Sein Gegenüber hatte zwar sehr jugendliche Züge, aber das musste bei den spitzohrigen Gesellen ja nichts bedeuten. Die sahen wohl so gute vierzig Jahre lang so aus.
„Danke“, antwortete Ahrok knapp.
„Sieht schwer aus.“
„Ist es auch.“
Der Elf grinste und spielte nebenbei mit seinen Wurfdolchen, die er in einer Schärpe quer um die Brust trug. Er war unnatürlich flink dabei und wirbelte die blitzenden Klingen um seine Finger, als ob er sein Leben lang nichts anderes getan hätte.
„Ich für meinen Teil halt mich lieber an die hier.“
„´N bisschen klein für meinen Geschmack.“
Ein wölfisches Grinsen legte sich auf die Gesichtszüge des Mannes: „Vielleicht, aber es macht keinen Unterschied, ob du eins von meinen Babys im Herzen stecken hast oder das große Teil da. Tot ist tot.“
Ahrok zuckte mit den Schultern: „Ja... kann schon sein, dafür jagst du mit deinem Spielzeug aber niemandem Angst ein.“
„Nur Leuten, die mich kennen, Bursche.“ Der Elf grinste schon wieder. „Wie wäre es mit einem kleinen Spielchen, um die Zeit etwas totzuschlagen?“
„He, Neuer, pass bloß auf! Wenn dir Kazuki ein Spielchen vorschlägt, dann lehn lieber ab. Der Elf zieht dich bis aufs letzte Hemd aus und zuckt nicht mal mit der Wimper dabei“, mischte sich jetzt ein Troll in ihr Gespräch ein. Scheinbar kannte man sich hier doch schon etwas.
„Hör nicht auf den alten Ark´Torr, der ist nur zu langsam, um mit jemandem wie uns zu spielen, aber du bist noch jung und hast ein schnelles Auge. Die Fahrt ist noch lang und so ein Spiel vertreibt die Zeit.“
Ahrok nickte zustimmend: „Ich mag Spiele, also sag an, was schwebt dir so vor?“
„Du gefällst mir, mein Junge, du gefällst mir!“, rief Kazuki. „Jetzt pass auf, hier kommt meine Wette. Es ist ganz leicht zu verstehen. Ich werfe dieses Holzstück in voller Fahrt in die Luft, danach…“, er fächerte drei Dolche auf, „… werfe ich diese drei hier hinterher.“
„Aha…“
„Und alle drei Dolche werden das Holzstück noch im Flug treffen!“
Die Leute um Ahrok herum raunten beeindruckt, nur Ragnar rollte verächtlich mit den Augen, was sicher eher an seinem angespannten Verhältnis zu Elfen lag, als an dieser spannenden Vorführung.
„Das ist die Wette. Eine Bodenwelle? Mein Pech. Ein zu starker Windzug und das Holzstück fliegt davon? Ihr gewinnt. Ich halte alle eure Einsätze zwei zu eins. Wer ist dabei?“, heizte der Elf auch die letzten desinteressierten Mitfahrer an.
Beinahe jeder auf dem Wagen betätigte sich an der Wette mit ein paar Silberstücken oder zumindest allerlei Mutmaßungen und Einschätzungen. Selbst der Troll, welcher Ahrok vor diesen Spielen gewarnt hatte, setzte zwei silberne Münzen. Abgesehen von Ragnar, der sich wie gewöhnlich als Spielverderber betätigte, blieb nur ein einzelner Mensch ruhig und in sich versunken auf seinem Platz sitzen, als ob nichts geschehen wäre.
„Was ist denn mit dem da los? Ist der taub?“, wollte Ahrok aus reiner Neugier wissen.
„Ach, lass ihn einfach. Der gute Vater Pride redet ganz sicher gerade mit dem Namenlosen.“
Der Mann in der Kutte hob seinen Kopf: „Gebete sind auf dieser Reise wahrlich auch sehr nötig. Ihr werdet mir noch sehr dankbar sein.“
„Aha…und äh… antwortet er dir auch? Also der Namenlose? Kann er dir auch sagen ob der Elf das hinkriegt?“
Die Augen des Mannes verengten sich zu schmalen Schlitzen und dann schwieg wieder.
„Na, was denn nu? Kann er?“
Der Troll legte Ahrok die Hand auf die Schulter: „Auf diese Frage antwortet er nie. Du bist nicht der Erste, der ihn das fragt. Entweder antwortet der Namenlose bei Wetteinsätzen nicht, oder aber der gute Pride will seine Geheimnisse für sich behalten. Jetzt lass ihn eine Weile in Ruhe, er bockt grad rum.“
„Tu ich gar nicht!“, bellte der Mensch, verschränkte die Arme. „Ich... oh, ihr könnt mich alle mal.“
Nach diesem kleinen Ausbruch drehte er den anderen den Rücken zu und murmelte noch ein halbherziges „Der Herr sei mit euch, ihr dämlichen Wichser“.
Kazuki sprang in die Mitte des Wagens und zog damit wieder alle Aufmerksamkeit auf sich: „Na dann, passt mal auf! Die Wetten sind gesetzt, liebe Zuschauer und Mitspieler. Nun kann das Meisterstück beginnen!“
Ahrok starrte gespannt auf den Elfen und auch Ragnar wandte sich plötzlich dem Schauspiel zu. Drei Dolche in ein fliegendes Stück Holz zu werfen klang so auf Anhieb verdammt schwierig, allerdings hatte er keine Ahnung vom Messerwerfen. Vielleicht war es auch ganz einfach.

Zwei Stunden später saß Ahrok mehr als nur ein bisschen angepisst auf seinem Platz zwischen Ragnar und einem Mann namens Derk.
Der Elf hatte ihm beinahe seine gesamte Reisekasse abgeknöpft und nur weil Ragnar ihn zurückgehalten hatte, nicht auch noch Schwert und Kleidung zu setzen, konnte er diese noch sein Eigen nennen.
Sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis der letzten Stunden spielte Kazuki weiter mit seinen Dolchen und ließ sie fröhlich um seine Finger herum tanzen.
„Ich hab´s dir doch gesagt“, murmelte der Troll, der soeben seine eigene, merklich dünnere Geldbörse unter dem Hemd verstaute.
„Ach, hör nicht auf den alten Griesgram. Ich hatte einfach nur Glück“, beschwichtigte der Elf, „Beim nächsten Spiel wird bestimmt auch einmal jemand von euch der Glückliche. Nicht einmal ich kann siebzehn mal in Folge gewinnen.“
Ahrok winkte missmutig ab: „Ja… später vielleicht.“
Sie hatten in der Zwischenzeit das erste Dorf passiert und die Sonne zeigte sich mittlerweile am Himmel. Die geschäftige Straße entlang säumten Gaukler, Bettler, fahrende Händler und andere Reisende. Zum Glück hatte sich bislang ein jeder von denen von ihnen ferngehalten. Keiner hatte versucht ihnen etwas anzudrehen, sie zu bestehlen oder sonst irgendwie zu nerven. Er hatte auch so schon genug von diesem Tag. Erst recht jetzt, wo er obendrein noch völlig blank war. Hoffentlich hatte Ragnar noch in einem seiner Beutel ein paar Münzen gebunkert. Schließlich war er als Zwerg doch prädestiniert für so etwas.
Um sich von seiner misslichen Lage wieder abzulenken lehnte er sich zurück gegen die Wand des Wagens und spähte in die geschäftige Umgebung. Wenn die Bäume wichen, dann hatte man einen ziemlich guten Blick über Felder und Wiesen und kleine Dörfer bis hin zum nächsten Waldstück, welches sich schon schwach am Horizont abzeichnete.
Langsam schloss er die Augen.
Verdammte Elfen.

Im Gegensatz zu der eintönigen Gesellschaft des Tages waren die Abende etwas vergnügter. Obwohl sich die Edelleute und ihre Ritter weit vom Rest der Truppe abschotteten, deren Nähe Ahrok und Ragnar suchten, so trafen sich doch zumindest alle anderen sechzig Mitreisenden zur Nacht an den drei großen Lagerfeuern, an welchen das dürftige Abendmahl zubereitet wurde.
Ahrok hatte es mittlerweile sogar geschafft, sich einige der Namen einzuprägen.
Er hatte bisher erfahren, dass hier längst nicht alle unterwegs waren, um den verschollenen Caer zu finden. Die meisten waren Söldner oder Freiwillige, welche im Süden gerade gutes Silber verdienen konnten. Terranische Truppenbewegungen nah der südwestlichen Grenze der Swanmark waren für den König Grund genug, durch ein ebenfalls großes Truppenaufkommen Stärke demonstrieren. Es ging ihm wohl darum durch ein bisschen Säbelrasseln einen offenen Konflikt zu vermeiden. Die aus der Swanmark entsandten Soldaten und Söldner sammelten sich in der Hafenstadt Weißklippe und von dort aus auf weitere Einsätze entsandt. Da ihr vorläufiges Reiseziel ebenfalls diese Stadt war, begleiteten sie diese frische Aushebung aus dem Norden der Mark bis dorthin. Auf diese Weise konnten sich die Grafen einiges Gold für Leibwächter sparen.
Auch die acht Männer aus ihrem Wagen waren nicht Teil der hochherrschaftlichen Expedition, sondern für den drohenden Krieg im Süden bestimmt. Die Gesellschaft hatte weder in Dörfern noch in Städten einen Platz für sie. Sie hatten ihrerseits auch nichts übrig für ehrliche Arbeit und nichts gelernt außer dem Kriegshandwerk. Einer stritt für den Ruhm der Swanmark, der nächste hoffte einfach nur, im Getümmel der Schlacht schnell das ganz große Geld zu machen und manch anderer wollte seine Hände ganz tief in warme Eingeweide tauchen und dafür auch noch bezahlt werden.
Es war, als blickte er in einen Spiegel, dessen Bild ihm nicht so recht zusagen wollte.
Dennoch fühlte er sich unter ihnen ganz wohl, und der Valr? Nun der erst recht.
An diesem Abend war er es, der mit den anderen immer neue Wettkämpfe und Turniere ins Leben rief, um sich von dem Alkoholmangel bei dieser Reise abzulenken. Mal gewann der Zwerg, mal verlor er lautstark, jedenfalls hielt sich seine Reisebörse wohl ungefähr die Waage.
Ahrok interessierten diese Spiele kaum noch, stattdessen spähte seit einiger Zeit zu den Elfen herüber, die sich etwas abseits des Feuers niedergelassen hatten. Sie hatten sich als Sammelplatz eine Esche ausgesucht und dort sangen sie leise mit ihren melodischen Stimmen. Ahrok vertrat mittlerweile immer mehr Ragnars Meinung, dass Elfen einfach... weibisch waren. Ein treffenderes Wort gab es einfach nicht. Welcher Mann sang denn schon freiwillig? Und dann auch noch derart öffentlich?
Dennoch lauschte er ihrem Lied. Früher hatte er nie was für solch unmännliches Zeug übrig gehabt, aber er musste neidlos anerkennen, dass es sich hierbei um eine wunderschöne Melodie handelte.
Sie reihte sich klammheimlich in den leisen Abendwind und das Knistern des Feuers ein. Selbst das Summen der Insekten und die Stimmen der Nachtvögel schienen sich in dieses Lied einzufügen. Ahrok lehnte sich zurück in das Gras und schloss die Augen. Der Gesang der Elfen war zwar leise, aber eindringlich zugleich und er stimmte ihn sogleich melancholisch. Obwohl er kein Wort verstand, so konnte er die Trauer und das Leid spüren, welches in den sanften Tönen mitschwang.
„Wenn diese Spitzohren auch sonst nichts vermögen und bei Hadwins prallen Eiern sie vollbringen ansonsten wirklich rein gar nichts, singen können sie.“
Ragnar war unbemerkt neben ihn getreten und hatte sich zu ihm in das Gras gesetzt. Der Valr massierte seine rechte Schulter, die noch immer von dem Armdrückwettbewerb lädiert war und blickte zu den Elfen hinüber.
„Kannst du verstehen was sie singen?“
„Ein wenig“, nickte der Zwerg. „Doch ich bin in Shingo nicht mehr so sehr bewandert. Da oben“, er deutete auf seine Stirn, „sind so einige leere Stellen, die früher voller Wissen waren. Dem Klang nach zu urteilen ist es das Lied Uta no Wazurai. Eines ihrer längsten und traurigsten Lieder. Obwohl das schwer zu sagen ist, da die Spitzohren nur lange und traurige Lieder singen. Sind immer nur am Jammern über alte Zeiten, anstatt heute mal etwas Großes zu vollbringen… ach, was reg ich mich auf.“
Ahrok nickte nur leicht. Irgendein Teil in ihm wollte sich darüber wunder, warum der Zwerg sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, die Sprache der verhassten Elfen zu erlernen, aber der Gedanke ging in der Gänsehaut unter, welche das Lied auf seine Arme zauberte.
„Soweit ich weiß, behandelt es tragische Ereignisse von vor etwa zweitausend Jahren. Als ein gewaltiger Streit die Nation der Elfen entzwei spaltete. Der sogenannte Ohrenkrieg.“
„Ohrenkrieg?“
„Spitzohr gegen Spitzohr. Wie soll man das sonst nennen wenn nicht ´Ohrenkrieg´?“
Ragnar schüttelte verständnislos den Kopf und sah ihn dabei mit diesem Blick an, der in etwa so viel sagte wie: „Ich weiß bereits, dass du ein dummer Mensch bist. Du musst es mir nicht jeden Tag auf´s Neue beweisen.“
„Aha… worum ging es in diesem Streit?“
Ragnar zuckte mit den Schultern: „Es ist nicht so einfach zu erklären. Vielleicht wissen sie es selber nicht mehr und haben sich deshalb einfach eine hübsche Geschichte um diesen Krieg gedichtet. Sie singen von Verrat, Intrigen, Mord, ein Kampf um die Thronfolge und einer ach so schmachtenden Liebe, die nicht sein durfte und dann endet das alles mit dem Bruch ihres ganzen Volkes… Hör einfach zu und du verstehst schon.“
Ahrok sah wie Ragnar die Augen schloss und sich der Musik der Elfen hingab. Erneut wunderte er sich über seinen kleinen Freund. Er hatte immer gedacht, dass Ragnar die Elfen verabscheute, aber jetzt schien in seinem Verhalten beinahe so etwas wie Bewunderung und Respekt zu liegen. Der Zwerg steckte heute voller Überraschungen.
Ganz heimlich verklang die Melodie und nur das verhalten knisternde Feuer störte die wundersame Stille. Dann stimmte der Sänger eine neue Strophe an und die zarten Töne trafen Ahrok erneut mitten ins Herz.
Seine Gedanken schweiften ganz unvermittelt zurück zu den vielen wehmütigen Momenten in seinem Leben. Zu Ariane und ihrer letzten Nacht, die sie getrennt verbracht hatten. Dann ging es in seinen Erinnerungen weiter zurück zu Sandra, welche ihn so schmählich hintergangen hatte. Mia, Sebastian, sein Vater...
„Ragnar?“
„Hm?“, brummte der Valr.
„Was singen sie gerade?“
Der Zwerg richtete sich schwerfällig auf.
„Das ist schwer zu übersetzen. Keine Worte meiner oder deiner Sprache können sich mit der Vielfalt und der Schönheit des Shingo messen…“ Ragnar sah den enttäuschten Gesichtsausdruck in Ahroks Gesicht. „Aber ich will mal versuchen es dir zu übersetzen…
Am Tor der Sonne, Hayashis Stirn,
zwischen dem Lachen der Zeitalter
weilt der ewige Hain in vergessenem Glanz,
so wie Paläste aus verlorenen Träumen.
Vergessene Blutsbande.
Vergessene Liebe.
Eine Träne fällt von den Säulen des Windes.
Weint um den verlorenen Bruder.
Einsam, ungesehen.
Trifft auf finstere Schatten
und erstarrt im frostigen Grab.“
Ragnar verstummte. Sein Blick schweifte wieder in die endlose Ferne.
Ahrok hob ungläubig die rechte Augenbraue. Das war´s jetzt? Ragnars Übersetzung hatte ihm das Lied auch nicht viel verständlicher gemacht. Als der Zwerg auch nach mehreren Minuten keinen weiteren Ton von sich gab, legte er sich wieder zu Boden und lauschte weiter dem Gesang der Elfen.


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Worterklärungen

Kazuki – „Ein Baum“
Uta no Wazurai – „Lied des Kummers“
Hayashi – wörtlich „Hain“ oder „kleiner Wald“ ehemaliger Sitz des elfischen Königshauses
 
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Kommentare  

Geht mir auch so wie den anderen. Ein verträumtes, wehmütiges Kapitel. Ein Reisetross voller abenteuerlustiger aber kaputter Leute. Ahrok und Ragnar schwanken zwischen Abneigung und Bewunderung gegenüber den Elfen.

Petra (25.04.2012)

Schön, dass dieses Kapitel, welches sich mehr den Charakteren widmet, seine Wirkung nicht verfehlt.

Jingizu (25.04.2012)

Ich finde das ist ein romantischer Teil, verträumt und auch irgendwie traurig. Du schildesrt hier sehr gut die vielen verlorenen Seelen, die ihr Glück in der Ferne suchen. Ist dir gelungen.

Jochen (24.04.2012)

Na das geht ja flott weiter.
Aber an diesen Teil erinnere ich mich, hat mir damals schon gut gefallen.Die Übersetzung des Liedes ist dir auch gelungen.
Vor allem Ragnar vielschichtiger Karakter kommt hier gut zur Geltung, finde ich. Er kann eben auch anders.
Nun bin ich auf kommendes gespannt.


Tis-Anariel (23.04.2012)

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