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5 Seiten

Ahrok 2.Band - 34. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Vierunddreißigstes Kapitel: Dunkelheit

Keine Erinnerung.
Schlafen, Wachen, Phantasieren – die Grenzen waren fließend und für ihn nicht mehr zu erkennen. War es früher auch schon so gewesen? War es vielleicht schon immer so gewesen? Er wusste es nicht mehr. Er wusste gar nichts mehr. Wo war er? Wer war er? So viele Fragen, so viel Schmerz. Wissen… die Stimmen wollen immer alles wissen.
Kein Schlaf.
Nicht einschlafen.
Schlaf lockt nur die bösen Stimmen an. Wenn er einschlief, dann weckten ihn die Stimmen, um ihm wieder zu weh tun.
Bleib wach. Bleib wachsam.
Wenn man nur lange genug im Dunkeln eingesperrt war, gewöhnten sich die Augen an die Finsternis und dann zeigte sie einem Dinge. Dinge von denen er in einem früheren Leben gewusst hatte, das sie nicht real waren, aber das war lange her. Wände kamen und gingen, bogen sich wie Blätter im Wind und wurden dann doch wieder hart wie Stein. Mal war unten oben, mal war es umgekehrt. So etwas wie Physik und Zeit gab es nicht mehr, nur noch Dunkelheit und Schmerz.
Schritte, das Klappern von Schlüsseln. Weit weg… oder doch ganz nah?
So oft gehört und doch auch so oft nicht gehört.
Allein das Geräusch der rasselnden Schlüssel ließ seine Wunden wieder aufbrechen und ihn die Schmerzen fühlen.
„Bernhard Schreiber. Aufstehen.“
Sie kamen wieder. Die Stimmen. Sie kamen um ihn zu holen.

Dunkelheit.
Zwei Wochen lang nur Dunkelheit.
Wohltuendes Nichts. Hier im Rumpf des Schiffes gab es nur das Geräusch der Wellen und das der knarrenden Planken. Schlimm stand es dennoch um ihn. Sogar noch schlimmer als bei ihrer ersten Reise über das Meer, vielleicht bildete er sich das aber auch nur ein. Weder die Übelkeit noch das Kribbeln in den erschlafften Muskeln oder die Halluzinationen wichen in der Zeit an Bord von seiner Seite.
Möglicherweise war es nicht nur die See, die seinem Magen zu schaffen machte, denn je näher der Tag ihrer Rückkehr kam, desto unwohler wurde ihm. Obwohl es in seinem erbärmlichen und todesnahen Zustand schwer war, das festzustellen. Der Brief, in den er all seine Hoffnungen gesetzt hatte, war noch immer nicht geschrieben und die Vermutung, für sein Versagen von Arianes Familie fortgestoßen zu werden, formte sich mit jedem Tag weiter zu einer mittlerweile unverrückbaren Gewissheit, die sich zentnerschwer auf seine Brust legte.
Wenn er die Augen schloss und sich ihr Gesicht vorstellte, dann sah er nur noch verschwommene Umrisse mit angewiderten und enttäuschten Augen und wenn er dann zwischen all den Abgründen seiner geschundenen Existenz tatsächlich einmal schlief, dann riefen ihm manchmal Stimmen zu, doch er verstand nicht, was sie sagen wollten. Er wusste nur, dass sie ungehalten waren. Vielleicht war es sein Gewissen, vielleicht sprach seine Mutter im Traum zu ihm, aber vielleicht war es aber auch nur Ragnar, der an seiner Schulter rüttelte.
Dann wieder diese unheimliche Stille, nur hier und da durchbrochen von leichten Würggeräuschen, später dann das Knarren von Holz und ungewöhnlich laute Geschäftigkeit an Deck. Mit etwas Pech ging das Schiff jetzt auch noch unter. Es wäre zwar nicht schön, fernab der Heimat im eigenen Erbrochenen als Seeungeheuerfraß zu enden, aber wenigstens wäre sein Leiden dann vorbei.
Die Minuten, die er daraufhin verbrachte, auf das unvermeidliche Bersten von Planken und Segelmasten zu lauschen, waren die schönsten der letzten Wochen, da er in ihnen zumindest seine Übelkeit vergaß. Als er nach einer Weile dann enttäuscht zurück in seine durchgeschwitzte Koje sank, war er noch nie so unglücklich darüber gewesen, gerade dem Tod entronnen zu sein. Wenn er so darüber nachdachte… war der Verlust seines Beines längst überfällig gewesen. In Gedanken ging er seine Kämpfe des letzten Jahres durch und befühlte mental jede seiner Narben.
Spätestens das Feuer, in dem er beinahe umgekommen war, hätte ihm doch als Weckruf dienen müssen, und wenn nicht dies, dann der Messerstich in seine Eingeweide, der ihn bis direkt vor Thans Pforten geschickt hatte. Das Abenteurerleben war eben nichts für ihn. Er hatte es sich selbst schon so oft gesagt, aber nicht zugehört, denn sein eigenwilliger Traum von Ruhm und Ehre war dieser Erkenntnis immer im Weg gewesen. Bis heute. Bis hierhin und nicht weiter. Von nun an würde er den Rest seiner Energie nur noch darauf verwenden, seiner Verlobten ein guter Mann zu sein. Es war für alle das Beste und er war sich sicher, von all den Dingen, die er in seinem Leben versucht hatte, zumindest das gut hinzubekommen. Ganz bestimmt! Ganz bestimmt…
Erstaunlicherweise schaukelte das Schiff nun nur noch leicht im Wellengang und es waren weit mehr Schritte über ihm zu hören, als sonst. Sollten sie etwa tatsächlich…?
„Aufsteh´n Stummelchen. Wir sind da.“, erklang eine raue Stimme von der Tür und eine riesige Ratte oder vielleicht auch ein untersetzter, kleiner Mann zog ihn sich quer über die Schulter. „ Aber wehe du kotzt mir wieder auf die Haare.“

Die mittlere Kerze im Kandelaber war gerade heruntergebrannt und lag nun flackernd in ihren letzten Zügen, während sich ihre Brüder links und rechts von ihr tapfer bemühten die nächtliche Dunkelheit aus diesem Zimmer zu vertreiben. Normalerweise hätte das ständige Auf- und Abschwellen des Lichtes ihn in seiner Lesestunde gestört, aber der Graf von Lichtenstein war ohnehin nicht mehr ganz bei der Sache. Das Buch, er wusste schon nicht einmal mehr welches, lag schon seit einer halben Stunde aufgeschlagen zwischen seinen Knien, während er an den Zeilen vorbeistarrte, als gäbe das vergilbte Papier dahinter die Antworten auf all die Fragen, die ihn momentan so quälten.
Hatte das Unglück seine Familie befallen, als dieser Ahrok in ihr Leben getreten war, oder doch erst, als er es wieder verlassen hatte? War es für eine gebranntmarkte Adelsfamilie schlimmer den Schlächter von Märkteburg im Haus zu haben oder einen Magier? So oder so, dass die Familie von Lichtenstein der ewigen Verdammnis anheimgefallen war, pfiffen die Spatzen bereits von den Dächern der märkteburger Adelshäuser. Als er neulich versucht hatte, doch noch so etwas wie eine sorgenfreie Zukunft für seine Nichte zu arrangieren, hatte ihm selbst der sonst so lüsterne und heiratswillige Herzog von Bärenburg die Tür vor der Nase zugeschlagen. Bildlich gesprochen natürlich. Man hatte ihn nicht einmal bis zum Herzog durchgelassen, jedoch hatte der Mann ihm durch seine Dienerschaft unmissverständlich mitteilen lassen, dass der Herzog keinerlei Interesse an einer Liaison mit einer von Lichtenstein hatte und dass, wenn er jemals Andeutungen in dieser Richtung gemacht hätte, dann dies ein reines Missverständnis gewesen wäre.
Was konnte er nur tun, um sich und seine Nichte aus dem Loch zu befreien, dass ihnen die Ereignisse der letzten Jahre und Monate gegraben hatten.
Herbert Gunther von Lichtenstein horchte auf, als die Schritte seines Hofmeisters ungewöhnlich schnell über das neue Tafelparkett trippelten, denn für gewöhnlich brachte Albert Steiner nichts derart aus der Fassung, dass er nicht seine ihm angeborene Contenance wahren konnte.
Er legte den Roman beiseite und wartete geduldig in seinem Sessel darauf, dass sich die Schritte seinem Arbeitszimmer näherten. Direkt vor der Tür verstummten sie und man konnte hören, wie sich jemand die Kleidung gerade strich, bevor es kurz, aber rhythmisch exakt drei Mal klopfte.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Jeden Tag in den letzten Wochen hatte er bangen Herzens auf ein Zeichen, einen erneuten Besuch oder eine Nachricht gewartet und war jede Nacht halbwegs erleichtert in die Kissen gesunken, wenn nichts davon eingetroffen war. Keine Nachrichten waren besonders gute Nachrichten, wenn der Familie die Inquisition im Nacken saß.
„Ja bitte.“, der Graf schlug die Beine übereinander und lehnte sich in einer standesgemäß hochgräflichen Geste in die weichen Polster. Die letzten kurzen Augenblicke, bevor sich die Tür öffnete verwendete er dafür, sich die frischen Schweißperlen von der Stirn zu tupfen. Wer auch immer dort vor der Tür stand würde sehen, dass ein von Lichtenstein mit geradezu ehrfurchtgebietender Selbstbeherrschung unterging.
Entgegen aller Erwartungen betrat nur Albert Steiner das Zimmer. Sein Hofmeister schlug in militärisch korrekter Haltung die Hacken zusammen und überreichte ihm zwei versiegelte Umschläge.
Während das Papier des einen nur von einem kleinen Klecks Wachs zusammengehalten wurde, prangte auf dem anderen das Siegel der Familie von Greifenfels. Dem Grafen fielen gleich zwei Steine vom Herzen als er registrierte, dass diese hier keine offiziellen Einladungen zu seiner Verbrennung waren, sondern Nachrichten von der Abenteuergesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, diesen versteckten Caer zu finden. Monatelang waren Informationen über ihren Verbleib nicht bis zu ihm durchgedrungen. Hoffentlich gab es jetzt etwas Gutes zu berichten.
Er brach das Siegel des ersten Schreibens und hastete durch die wenigen Zeilen. Sein Freund hattet tatsächlich den Caer gefunden, geplündert und war nun, weit früher als geplant, auf dem Rückweg. Genauer gesagt würde die ruhmreiche Reisegruppe bereits in wenigen Tagen wieder in Märkteburg eintreffen.
Sein Herz machte einen wilden Freudensprung.
Die Beteiligung seiner Familie an solch einer bedeutenden Entdeckung konnte ihm sicher einigen Schutz vor der Inquisition bieten, solange seine nichtsnutzigen Gesandten nichts Dummes angestellt hatten, um das noch zu verhindern. Freudig darüber, wohl auch in naher Zukunft noch am Leben zu sein, widmete er sich der zweiten Nachricht.
Sein Lächeln fiel in sich zusammen, als er den Adressaten las.
Es war ein gar nicht mal so stümperhafter Liebesbrief dieses Massenmörders Ahrok an seine Nichte. Der dreiste Wicht sprach von Liebe, Sehnsucht und baldiger Heimkehr. Er hatte sogar eine komplizierte und eher von zwergischen Barden genutzte Reimform verwendet, um seinem schmalzigen Schmachten poetischen Tiefgang zu verleihen.
Herbert tauschte ein paar fassungslose Blicke mit seinem fragend dreinschauenden Hofmeister aus, bevor er sich entschied als verantwortungsbewusster Vormund das einzig Richtige für seine Nichte zu tun und den unheilbringenden Wisch dem Kamin zu überantworten.
 
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Kommentare  

Ach ist das schade, dass Ahroks Brief vernichtet wurde. Der Arme hat in letzter Zeit wirklich nichts als Pech. Und jetzt muss er auch noch die grässliche Schiffsfahrt durchstehen. Hauptmann Schneider geh es natürlich am schlimmsten. Was hat man mit ihm vor? Sehr spannend wieder.

Petra (15.09.2012)

Wie immer freut es mich, dass dem tragischen "Hauptmann" so viel Mitgefühl entgegenschlägt und auch, dass ihr immer noch jedes Kapitel kommentiert. Ich bin nämlich besonders gespannt auf die Reaktionen die nachfolgenden betreffend.

Jingizu (13.09.2012)

So, nun braut sich also wieder Unheil an allen Ecken und enden zusammen...ich kann mich Doska und Jochen nur anschließend, klasse geschreiben. Schön plastischt und bildlich hast du das Schicksals des Bernhard Schreibers dargestellt. Da tut einem der Kerl ja schon wieder fast leid.

Der arme Ahrok hat auch Mitleid verdient, schließlich muss er sich weidermit der Seekrankheit herumschlagen. Und nun landet auch ncoh sein mühsam erarbeiteter Liebesbreif an Arianne im Kamin. Ich fürchte die untreue Tomate wird dem armen Jungen das Herz brechen.

Nun denn..ich bin mal gespannt, was da noch kommen wird.


Tis-Anariel (12.09.2012)

Schaurig und auch dramatisch das wohl unabänderliche Schicksal des Hauptmanns. Ahrok scheint ebenfalls kein Glück zu haben. Du schilderst sein Schicksal mit sehr ähnlichen Worten, wie bei Bernhard Schreiber und selbst Ahroks - anscheinend recht gut geschriebener - Liebesbrief wird weggeworfen. Wieder alles sehr schön dargestellt, darum harre ich der Dinge, die da noch kommen werden.

Jochen (11.09.2012)

Danke doska und sei beruhigt, denn der Tiefpunkt im zweiten Band ist (beinahe) erreicht - von da an kann es dann ja nur noch bergauf gehen für "meine armen Leute"

Jingizu (11.09.2012)

Oha, nun braut sich gleich an einigen Ecken etwas Fürchterliches zusammen. Hauptmann Bernhard Schreiber tut mir inzwischen furchtbar leid - denn ich konnte deinen ganzen Roman lesen, als ich noch Zeit hatte und darum blicke ich durch. Er war ja ein fürchterliches Ar.....och, aber ich bin nicht für die Rache, vor allem nicht für solch eine endlose.
Ahrok geht`s inzwischen auch nicht grad gut - ja, ja, diese Schiffsreise.
Und graf Herbert von Lichtenstein muss auch bangen.
Was machst du denn mit deinen armen Leuten? Klasse geschrieben!


doska (11.09.2012)

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