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2 Seiten

Die Sonne

Trauriges · Kurzgeschichten
Sie konnte nicht verstehen, was los war. Ihre Eltern waren die ganzen vergangenen Tage über schon so merkwürdig, irgendwie richtig nervös. Ständig saßen sie vorm Fernseher, schickten sie dann aber immer auf ihr Zimmer, wenn sie dazu kam und wichen aus, wenn sie fragte, was los sei. Dann baute ihr Vater auch noch irgendetwas am Schrank. So etwas wie eine kleine Kammer im Schrank, sagte aber nicht, warum.
Heute Nacht kam er plötzlich ganz aufgeregt in ihr Zimmer gerannt, holte sie hastig aus dem Bett und trug sie zu dem Schrank.
„Versteck dich hier im Schrank hinter der Wand. Er hat eine doppelte Rückwand und bleibe dort und egal, was passiert, du musst leise sein. Hörst du?“
Sie nickte. Kurz nachdem sie sich dort versteckt hatte, hörte sie Lärm, irgendwelche Leute waren wohl in die Wohnung gekommen, wahrscheinlich Einbrecher. Ihre Eltern schrieen. Sie wollte auch schreien, aber sie durfte es ja nicht. Sie hatte Angst. Schreckliche Angst. Wer waren diese Leute? Was wollten sie?
Jetzt kam gerade jemand in das Zimmer. Die Schritte waren langsam und klangen unheimlich. Sie schloss die Augen. In dem Moment wurde die Schranktür aufgemacht. Sie zuckte zusammen. Sie hörte, dass jemand die Kleiderbügel zur Seite schob, um zu sehen, ob sich dort hinter jemand versteckte. Sie hielt ihren Atem an. Wenn er jetzt merkte, dass sich hinter der Schrankwand ein Zwischenraum befand, war es aus. Offensichtlich merkte der Eindringling nichts, nach einigen Sekunden wurde die Schranktür wieder verschlossen. Der Mann rief den anderen etwas zu, sie konnte jedoch nicht verstehen, was er sagte, da er eine andere Sprache sprach. Vermutlich teilte er den anderen mit, dass sich niemand in dem Zimmer befand. Die Schritte bewegten sich nun wieder aus dem Zimmer hinaus.
Erleichtert atmete sie auf. Doch die Angst war nicht verschwunden. Was war mit ihren Eltern? Wie lange musste sie sich hier verstecken? Ihr Vater würde bestimmt gleich kommen und sagen, dass sie sich nicht mehr verstecken brauche. Sie wartete. Er kam nicht.
Nach einer halben Stunde traute sie sich langsam und leise aus ihrem Versteck hinaus. Es war nichts zu hören, die Einbrecher waren wohl verschwunden. Mit vorsichtigen Schritten verließ sie das Zimmer und ging durch das Haus, um ihre Eltern zu suchen. Niemand war zu sehen.
„Mom?...Dad?“ Keine Antwort. Die Haustür war geöffnet. Die Einbrecher hatten ihre Eltern einfach mitgenommen! Was sollte sie denn jetzt tun? Sie begann zu weinen. Sie war doch erst sieben Jahre alt. Sie rannte zum Nachbarhaus. Auch dort war die Tür geöffnet und niemand befand sich im Haus. Kein Mensch weit und breit.
Weinend ging sie zurück ins Haus und verschloss die Tür. Sie setzte sich ans Fenster, vielleicht würden ihre Eltern ja bald zurückkommen. Plötzlich sah sie die Sonne am Horizont, obwohl es mitten in der Nacht war. Und wie schnell sie aufgegangen war, innerhalb einer Sekunde war sie da. Irgendwie sah sie auch viel greller aus als sonst. Seltsam. Und warum wurde es trotzdem draußen nicht hell? Nach ein paar Sekunden war die Sonne plötzlich wieder weg. Nun verstand sie gar nichts mehr, aber eigentlich war es auch egal, denn die blöde Sonne brachte ihr ihre Eltern ja auch nicht zurück.
Kurze Zeit später begann es plötzlich zu schneien – mitten im Sommer. Das hatte sie noch nie gesehen. Dieser Anblick ließ ihre Sorgen für einen Moment fast vergessen und ein Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. Singend verließ sie das Haus.
„Schneeflöckchen, Weißröckchen…“
Vielleicht würde sie mit ihren Eltern einen Schneemann bauen, wenn sie wieder zurückkämen.
 
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Kommentare  

Wunderschön geschriebene Geschichte, sehr
spannend. Und doch lässt sie viele Fragen offen.
Was hat es mit der Sonne und dem Schnee auf sich
und an was dachtest du während du die Geschichte
geschrieben hast?


Emilia Wayne (15.07.2014)

Ein sehr ernstes Thema und sehr gut geschrieben.

Sabine Müller (04.11.2012)

Beklemmend und wahnsinnig spannend. Fragen über Fragen tauchen auf, aber das schadet der Geschichte nicht- ganz im Gegenteil.

Gerald W. (11.10.2012)

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