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Mein Weg zum akademischen Versager - Teil 8

Romane/Serien · Erinnerungen
Meine Angst vor dieser Prüfung steigerte sich von Tag zu Tag. Meine Laune wurde zunehmend schlechter. Wenn ich diese Prüfung nicht bestand, musste ich noch ein halbes Jahr dranhängen und dazu hatte ich absolut keine Lust, und wer weiß, ob ich es beim nächsten Anlauf schaffen würde. Ich wollte einfach nur fertig werden und nicht noch mehr Zeit verlieren. Mir war auch die Note völlig egal, eine „4“ reichte mir völlig aus, ich wollte anschließend sowieso studieren. Natürlich war ich mir bewusst, dass ein Studium schwieriger ist als eine Ausbildung und dass ich dort auch Prüfungen machen musste. Aber das war nicht das Entscheidende, was zählte, war die Motivation. Außerdem konnte man sich beim Studium Fächer wählen, was ich bei der Ausbildung nicht konnte.
Am Abend vor der Prüfung legte ich mich um 21 Uhr ins Bett, doch konnte vor Nervosität nicht einschlafen. Ich wälzte mich wahrscheinlich noch bis vier Uhr morgens hin und her, bis ich endlich einschlief und um sieben Uhr musste ich schon wieder aufstehen. Nur etwa drei Stunden Schlaf vor einer vierstündigen Prüfung, bei der 100%ige Konzentration erforderlich war, war natürlich die ideale Grundlage. Ich bekam keinen Bissen herunter, stattdessen nahm ich Baldriantropfen, die aber meine Prüfungsangst auch nicht linderte. Ich hatte das Gefühl, überhaupt nichts zu können und fühlte mich total unvorbereitet, obwohl ich es nicht war.
Die Prüfung lief sogar noch schlechter, als ich es erwartet hatte. Alles, was ich in Rechnungswesen berechnete, konnte unmöglich richtig sein, zumindest kamen mir die Ergebnisse falsch vor. Nicht alle Aufgaben beinhalteten dort Multiple Choice Fragen, aber es zählte nur das Ergebnis. Die Rechnungswege wurden nicht überprüft. Der Lösungsweg konnte völlig richtig sein, es musste nur ein Rechenfehler vorliegen und schon war die ganze Aufgabe falsch. In einer Klausur wäre dafür vielleicht ein Punkt abgezogen worden, aber bei der IHK gab es dafür dann keinen Punkt. Und in BWL lief es auch nicht besser. Wie es bei den anderen lief, wusste ich nicht. Ich war so sehr durch den Wind, dass ich nichts um mich herum mitbekam. Ich wollte auch einfach nur weg und hatte keine Lust, mich noch mit irgendjemand auszutauschen. Kreidebleich fuhr ich nach Hause. Als meine Mutter die Tür öffnete, kamen mir fast die Tränen.
„Lief es nicht gut?“, fragte sie. Ich schüttelte nur mit dem Kopf und ging auf mein Zimmer. Abends erklärte ich meinen Eltern, dass es keinen Sinn mache, zum zweiten Teil der Prüfung am nächsten Tag noch hinzugehen.
„Du spinnst wohl. Vielleicht läuft es da ja besser“, meinten meine Eltern.
„Das kann ich aber unmöglich ausgleichen.“
„Das weißt du doch noch gar nicht. Das wirst du erst sehen, wenn du dort hingehst. Du wirst da schön morgen hingehen.“
Eigentlich hätte ich noch etwas lernen müssen, aber das hätte wahrscheinlich auch nichts mehr genützt. Was ich bis dato nicht konnte, konnte ich an einem Tag wohl auch nicht mehr lernen. Widerwillig ging ich am nächsten Tag also wieder zur Prüfung. Wahrscheinlich wäre ich auch sowieso gegangen, auch wenn meine Eltern nichts gesagt hätten. Irgendwie kämpfte ich immer bis zum Ende, auch wenn es aussichtslos war. Es könnte ja immer noch plötzlich ein Wunder passieren.
Tatsächlich schien es an dem Tag auch nicht gut, aber schon einmal besser als am vorherigen Tag zu laufen. Ich konnte mir vorstellen, dass ich diesen Teil der Prüfung knapp bestanden hatte. Das reichte zwar nicht um den ersten Teil auszugleichen, aber vielleicht bestand dann noch die Möglichkeit, die schriftliche Gesamtnote durch die mündliche Prüfung auszugleichen. Aber das würde ich erst wissen, wenn ich das schriftliche Prüfungsergebnis hatte. Und bis dahin musste ich erst einmal einen Monat warten – und Angst haben. Ich stellte mich aber sehr darauf ein, dass ich die Prüfung in einem halben Jahr noch einmal machen „durfte“.
„Auf ein Neues“, meinten meine Eltern, als ich sie darauf eingestellt hatte, dass ich höchstwahrscheinlich durchgefallen war. Mich wunderte es schon, dass sie so locker blieben. Mir graute es auch schon vor dem nächsten Tag, an dem ich allen Leuten auf der Arbeit, mit denen ich täglich zu tun hatte, sagen musste, dass ich die Prüfung vermasselt hatte. Zwar gab es keinen Ärger von ihnen zu befürchten – außer von meinem Ausbilder – aber angenehm ist es trotzdem nicht, mit dem Thema in Verbindung gebracht zu werden.
Völlig demotiviert betrat ich am nächsten Morgen das Büro. Herr Kuntmann saß schon an seinem Arbeitsplatz.
„Guten Morgen“, grüßte ich, ich bemühte mich, mich halbwegs neutral anzuhören.
„Na, wie war die Prüfung“, fragte er auch schon.
„Gar nicht gut“, meinte ich.
„Oh. Das klingt nicht gut. Aber glauben Sie, dass Sie trotzdem bestanden haben?“
„Leider nicht. Die ging total daneben.“
„War die Prüfung sehr schwierig?“
„Mir kam es auf jeden Fall so vor, als wenn sie schwieriger als die vorherigen waren, die wir in der Berufsschule immer geübt hatten.“
„Morgen Herr Meier“, begrüßte mich Herr Bayer, der Gruppenleiter, der zu uns ins Büro kam. „Und sind Sie dem Industriekaufmann schon näher?“
„Nein, leider nicht“, meinte ich und schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Oh, tut mir leid“.
„Die Prüfung war auch sehr schwer diesmal, habe ich gerade schon gehört“, erklärte ihm Herr Kuntmann.
Mir war das jetzt schon zu viel. Zu meinem Ausbilder wollte ich an jenem Tag nicht mehr gehen, beschloss ich. Da er wahrscheinlich auch sowieso beschäftigt genug war, würde er garantiert auch nicht dazu kommen, anzurufen. Und Monika und Jennifer, meine Ausbildungskolleginnen, hatte ich auch keine Lust aufzusuchen. Sie hatten wahrscheinlich sowieso bestanden. Es war nicht so, dass ich es ihnen nicht gönnte, natürlich gönnte ich es ihnen. Aber wenn man selbst durchgefallen ist, hat man nun einmal keinen Nerv zu hören, wie es bei anderen gelaufen ist. Stattdessen tauchten sie aber bei mir im Büro auf.
„Was war denn los gestern?“, fragten sie.
„Wieso?“
„Wir haben dich gestern gerufen, weil wir noch mit dir sprechen wollten. Hast du es nicht gehört?“
„Nein, sorry. Habe ich echt nicht mitgekriegt. Ich war auch gestern und vorgestern so durch den Wind, ich hab da sowieso nichts um mich herum mitgekriegt.“ Das war nicht gelogen.
„Wie war es denn bei dir?“, fragten sie dann.
„Kann ich noch mal machen“, meinte ich nur.
„Lief bei uns nicht anders“, meinte Jennifer. Das sagen sie immer und am Ende haben sie doch die besten Noten.
„Wirklich jetzt“, sagte sie darauf, als könnte sie meine Gedanken lesen. „Und nicht nur bei uns, fast alle hatten Probleme.“
„Warst du schon beim Rahneberg?“, fragte Monika dann.
„Nein, ihr?“
„Wir auch nicht. Am besten wir gehen da morgen alle drei gemeinsam hin.“

Natürlich freute ich mich nicht, dass es bei den beiden ähnlich lief. Aber wenn fast alle solche Probleme hatten, handelte es sich nicht nur um eigenes Versagen. Am nächsten Tag in der Berufsschule bestätigten fast alle Mitschüler, dass die Prüfung sehr schwierig war, als wir im Unterricht darüber sprachen. Selbst Jens Wegner, dem alles immer so zuflog, der immer betonte, dass er kaum etwas tun müsse und trotzdem nur 1en und 2en schrieb und sich für etwas Besseres hielt, gab zu, dass er Probleme hatte.
„Ich glaube zwar, dass ich bestanden habe, aber ich kann auch nur sagen, dass ich die Prüfung sehr schwer fand und ich nicht damit gerechnet hätte“, sagte er zu unserem Lehrer. Der Lehrer erzählte, dass es auch den Schülern aus der Parallelklasse so erging wie uns. Aber auch wenn es letztendlich nicht an mir lag und nicht der einzige war, Fakt blieb, dass ich in einem halben Jahr die Prüfung noch einmal machen musste und so Zeit verlor. In einem halben Jahr wollte ich schon längst im Studium sein. Ich wurde ja in ein paar Monaten schon 25. Und wen ich schon ganz vergessen hatte, war die Braun. Die hielt mich ja für dumm und für sie wäre es wahrscheinlich ein echtes Vergnügen mitzubekommen, dass ich die Prüfung nicht bestanden hatte. Ich sah es vor meinen Augen, wie sie über mich lachte. Irgendwie störte mich das noch mehr als alles andere an der Sache.
 
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