308


10 Seiten

DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 19 - NEUES LEBEN

Romane/Serien · Spannendes
Einen Monat später war es soweit. Es geschah zu den Saturnalien am finstersten und kürzesten Tag des Jahres. Draußen wurde gefeiert, aus den Tavernen ertönte Trommel- und Flötenklang, Betrunkene grölten, Frauen kreischten, andere lachten irre vor sich hin.
Die Wehen fingen mit einem leisen Ziehen an und steigerten sich dann zu einem permanenten Schmerz.
Vanadis hatte Angst. Sie überlegte, ob sie eine Hebamme kommen lassen sollte, aber diese würde ihre wenigen Ersparnisse sofort aufbrauchen, und sie hatte die paar Sesterzen doch so nötig, um das Kind aufzuziehen. Denn wenn es wirklich ernsthaft krank wurde, dann musste sie einen Arzt konsultieren, und Ärzte waren teuer…
Was für ein Dilemma, sie wand sich in Krämpfen, es tat so weh! Aber Ladonia, die ältere römische Bürgerin stand ihr bei, sie kannte sich ein bisschen aus mit der Geburtshilfe, zumindest hatte sie schon selber Kinder geboren. Als erstes ging sie hinunter ins Erdgeschoss, um heißes Wasser zu ordern. Das war wohl wichtig. Und sie besorgte Leinentücher, zwar keine neuen, aber penibel saubere. Das bekam Vanadis mit, als der Schmerz eine kurze Pause machte.
Dann spürte sie, dass die Ladonia ihr die Hand hielt und sie tröstete sie, dennoch war er nicht zu ertragen, dieser Schmerz, der immer wiederkam, der immer größer wurde. Sie schrie auf in einem Augenblick der Unbeherrschtheit, das hatte sie nicht gewollt, aber im Haus schienen ihre Schreie keinen zu stören. Also schrie sie noch lauter. Es ging nicht anders…
Drei Stunden später, nach furchtbaren Qualen, nein, so hatte sie sich das nicht vorgestellt, während derer sie den Vater des Kindes verfluchte und schließlich nur still vor sich hin wimmerte, geschah es dann endlich: Es wurde geboren, ihr Kind.
Zum Glück wusste ihre Nachbarin was zu tun war, denn Vanadis wäre dazu nicht fähig gewesen, abgesehen davon, dass sie auch nicht wusste, was zu tun gewesen wäre…
Das hatte die Mutter ihr nicht beigebracht. Sie wollte es sich wohl für später aufheben. Ach Mutter, wärest du stolz auf dein Enkelkind? Es ist in Sklaverei geboren, und wenn sie mich erwischen, wird es sein Leben lang in Sklaverei verbringen müssen. Würde dir das gefallen? Vermutlich nicht.
„Lebt es?“, fragte sie kraftlos und versuchte sich aufzurichten. In diesem Augenblick gab das Kind einen kräftigen Schrei von sich.
„Bleib liegen und ruhe dich aus“, sagte die Nachbarin, und ihre Stimme hörte sich freudig an. „Es lebt, und es ist ein gesunder Junge. Du willst ihn doch bestimmt mal halten…“
„Ja!“, Vanadis atmete tief ein. In diesem Augenblick war sie glücklich. Sie hatte einen Sohn, und er würde leben. Sie vergaß ihre Angst und streckte die Arme aus, um ihn an sich zu nehmen. Sie betrachtete ihn. Er war so klein, so hilflos. So schön und bezaubernd… Was sagst du nun, Mutter? Gefällt er dir, dein Enkel? Er ist wunderbar, hörte sie die Stimme ihrer Mutter sagen. Welchen Namen wirst du ihm geben? Ich weiß nicht, Mutter. Nenne ihn Marcus, das ist ein schöner Name, und er passt zu ihm.
Ach was, alles nur Einbildung, aber ihr Sohn war wirklich schön und bezaubernd. Sie konnte ihn gar nicht mehr loslassen und empfand schon jetzt eine Liebe, die sie bis jetzt noch nicht kennengelernt hatte. Keine unschuldige und verklärende Liebe wie zu dem Thumelicus. Keine leidenschaftliche Liebe wie zu Marcus, dem Vater ihres Kindes – falsch, das war keine Liebe, nur vorübergehender Irrsinn, korrigierte sie sich, aber das Resultat daraus war es allemal wert – nein, es war eine Liebe, die darüber hinausging.
Wie schön er war! Sie küsste den Kleinen auf seine runde Stirn und wiegte ihn in ihren Armen. Ihr Leben hatte einen Sinn bekommen. Für ihren Sohn würde sie alles tun.
„Hast du schon einen Namen für ihn?“, fragte die Ladonia.
„Marcus soll er heißen.“ Vanadis wusste nicht, warum sie das gesagt hatte – es lag bestimmt an ihrer Mutter…
Nicht viel später musste sie feststellen: Es war nicht einfach, den kleinen Marcus zu betreuen, Vanadis wusste nicht, was sie als Windeln benutzen sollte, es gab kaum etwas, um die Ausscheidungen des Kleinen aufzufangen. Leinen war teuer, und es saugte nichts auf. Wickeln wollte sie ihn nicht, das taten die höheren Schichten Roms, und wahrscheinlich quoll die Scheiße irgendwann aus dem Gewickelten hervor. Das Wickeln diente angeblich zur Festigung der Glieder des Kleinkinds, aber Vanadis hegte den Verdacht, dass man damit nur die Kinder ruhigstellen wollte. Und das würde sie ihrem Sohn nicht antun!
Sie fragte den Schemuel danach. Und oh Fortuna, er kannte sich mit dem Kinderaufziehen aus, er war glücklich verheiratet und hatte schon drei Söhne, jeder von denen war gesund mit strammen Gliedmaßen – und das ohne Wickeln.
„Als erstes brauchst du Wolle. Dann ein paar alte Leinensachen, die kann ich dir besorgen, du musst sie in Streifen reißen, um damit die Wollreste am Kind, nun denn… festzumachen.“ Schemuel kicherte in sich hinein und fuhr fort: „Es gibt jede Menge Wollreste, die zum Spinnen nicht gut genug sind – oder ausrangierte Wollkleidung, und das hier ist die beste Art, sie zu benutzen…“
„Aber kratzt das nicht fürchterlich?“, fragte Vanadis skeptisch.
„Natürlich Vanadis, und das wollen wir dem Kleinen ja nicht antun. Deswegen brauchen wir auch die Seide…“
Vanadis erinnerte sich an die Gewänder, welche die Sidonia getragen hatte. Sie bestanden fast alle aus Seide, gefertigt auf der Insel Kos, gesponnen aus Schmetterlingsraupen. Und sie waren so zart und weich. Genau das Richtige, um den Popo eines Kleinkinds zu schonen.
„Das ist gut, Schemuel, ein Stück Seide auf die Haut, darüber dann die Wolle – und alles mit Stoffstreifen festgebunden!“ Vanadis hatte nie vorher drüber nachgedacht, wie man ein Kind aufzog, geschweige denn wie man mit dessen Ausscheidungen umging. Also wartete sie gespannt auf weitere Informationen zu diesem Thema.
„Die ... gebrauchten Wollwindeln schmeißt du in den Kanal, du kennst doch diese runden Löcher in den größeren Straßen, das Wasser darunter wird den Dreck fortspülen bis ins Meer. Und die Fische werden sich darüber freuen...“
„Nicht nur die Fische werden sich freuen!“, lachte Vanadis. „Das ist wunderbar, Schemuel! Und jetzt sage mir nur noch, wo ich diese Wollreste bekommen kann. Und vor allem die Seide.“
Es stellte sich heraus, dass der Schemuel selber damit handelte, er handelte praktisch mit allem, was gebraucht wurde, nicht nur mit altem Leinen, sondern auch mit jeder Art von Wollresten, und vor allem mit Seide, die von den abgetragenen Gewändern stammte, welche die Reichen weggeworfen hatten.
Mittlerweile herrschte feuchtkalt der Winter. Manchmal schaute sie durch die Luke in den Sternenhimmel. Ein wunderbarer Anblick, er ließ sie den Gestank des Kohlebeckens vergessen, der in ihrem winzigen Wohnraum stand und den sie tagsüber für ein paar Stunden mit Holz und manchmal sogar mit Holzkohle fütterte. Er ließ sie auch die Angst vergessen, dass irgendein anderer Mieter die Kontrolle über sein Kohlebecken verlor – und dann der ganze Häuserblock in Flammen aufging. Das alles war schon oft passiert, so hatte der Schemuel es ihr erzählt.
Der Himmel ließ sie die schlechte Luft vergessen, die im Winter herrschte. Die Leute auf den Gassen keuchten vor sich hin, kein Wunder, so viele vor sich hinglühende Kohlebecken… Dazu kamen noch die Dünste aus den Meilern, in denen die Holzkohle hergestellt wurde. Bei ungünstigem Ostwind vernebelten sie Rom geradezu.
Sie musste ihrem Sohn ermöglichen, aus dieser furchtbaren Stadt wegzuziehen. Nur wie?
Dann schlich sich ein anderer Gedanke in ihren Kopf. Ob die Colonia sie finden würde? Sie hatte ihr ja eine falsche Adresse gegeben. Das Geschäft des kaiserlichen Bettenbauers befand sich ein paar Straßenzüge entfernt, Vanadis atmete auf, nein die Kleine würde sie nicht finden. Aber es tat ihr leid, dass sie die Colonia anlügen musste, denn sie liebte dieses Kind wie eine Tochter.
Als nach einem verschwenderischen kurzen Frühling der Sommer über Rom hereinbrach, hatte die Colonia sie immer noch nicht besucht. Vanadis verspürte seltsame Gefühle daraufhin: Einerseits bedauerte sie es, andererseits wäre es fatal, wenn die Kleine sie mit einem Säugling antreffen würde. Dutzi, dutzi, ist der süß!!! Und wer ist der Vater?
Sie verdrängte den Gedanken an die Colonia und widmete sich ihrem Sohn. Er war unglaublich, so süß, so schön, so kräftig, so klug. Die Windeln taten ihm gut. Ab und zu hatte er natürlich Blähungen wie andere Säuglinge auch, aber Vanadis gab ihm daraufhin ein Kraut namens Schafgarbe. Sie hatte es im Sommer entdeckt und sich dabei an ihre Mutter erinnert. Diese hatte das Kraut immer zerkleinert, getrocknet und dann mit heißem Wasser übergossen. Und wirklich, es half!
Das Geschäft lief ausgezeichnet, alle paar Wochen verdiente sie drei Sesterzen mit der Fälschung eines Freigelassenen-Briefes, manchmal machte sie es auch billiger. Sie konnte davon viel zurücklegen und sich abwechslungsreich ernähren: Früchte, Honigwaben, Wein, Brot, Oliven, Käse, und ab und zu sogar Fleisch. Aber als noch gewinnbringender erwies sich die Met-Produktion. Mit Bestellungen kamen sie kaum nach.
Eigentlich hatte sie ein gutes Leben. Trotzdem bohrte etwas in ihr, eine gewisse Leere, eine ungewisse Hoffnung. Diese eine Nacht kam ihr dauend in den Sinn, ihre Lust, die Schwäche ihrer Glieder, als sie sich ihm hingab… Verdammt verdammt, manchmal träumte sie sogar davon. Sie hasste ihn doch, verabscheute ihn, er war Römer! Er war mit einer grauenvollen Frau verheiratet, die ihn betrogen und den Kaiser verraten hatte, und dennoch wollte er sie retten. Und das zwei Mal! Der Mann war doch nicht normal. Schluss, aus, sie schüttelte den Kopf. Es ging ihr gut, und ihrem Sohn ging es auch gut.

………………….………………….~*~*~………………….………………….

Bis jetzt hatte er immer Glück gehabt: Von den zahlreichen Verletzungen, die er sich im Kampf zugezogen hatte, konnte er sich immer erholen. Alle Wunden heilten, und zurück blieben nur unbedeutende Narben. Aber diesmal war es anders. Es ging um die Piraten. Zuerst hatten sie ihre Raubzüge auf die Ägäis beschränkt, aber nun, vorwitziger geworden, traf man auch im Tyrrhenischen Meer auf sie. Wegen des ungewohnt heißen Sommers war das Getreide knapp und teuer, und sie lauerten bevorzugt in der Nähe von Portus, dem neuen Hafen Roms, um dort Schiffe auszurauben, die Weizenlieferungen von Ägypten in die Hauptstadt des Imperiums brachten.
Marcus hatte Zeit genug, um darüber zu grübeln, während seiner Fieberschübe gab es Pausen, die ihm das ermöglichten. Er wusste nicht, wo er war, er wusste nur, dass er noch lebte. Und er wollte nach Hause. Nach Hause … Seltsam, früher hatte er Rom nie als sein Zuhause bezeichnet, daheim fühlte er sich nur in Capua, wo er seine Kindheit verbrachte. Und eigentlich wollte er auch nie dem Militärdienst beitreten, er wollte nur in Ruhe sein Land bestellen, denn die Colonii waren im Grunde Bauern, doch dann war alles aus dem Ruder gelaufen, ein Schicksalsschlag traf seine Familie, und er musste sich diesem unterordnen. Natürlich geschah es freiwillig, er liebte seine Familie und würde alles für sie tun. Er hatte auch sein Bestes versucht, um seine Frau zufrieden zustellen, um sie zu lieben, wie es einer Ehefrau zustand. Nein, das hatte er nicht, er hatte ihr einiges versagt, und sie hasste ihn dafür. Sidonia richtete sich selber mit dem Dolch, den der Kaiser ihr gewährte. Er träumte oft davon. Sah sie in ihrer Zelle, sah, wie sie ihn anstarrte und dann hämisch sein Angebot ablehnte. Hörte ihre verletzenden Worte. Nein, sie hatten ihn nicht verletzt, sie waren ihm egal.
Dennoch… hätte er es verhindern können? Wollte er es verhindern? Er kam zurück aus dem Tempel des Bacchus, fand seine Tochter vor dem Palast, und sie weinte. „Ist sie tot“?“, fragte er sie. Sie sagte tonlos: „Ich weiß es nicht, sie wollte mich nicht sehen… Wollte mich nie…“ – und fing wieder an zu weinen. Seine Wut steigerte sich ins Unermessliche, nie hätte er gedacht, jemanden so hassen zu können – und er ging ein zweites Mal in den Palast hinein. Aber sie war schon tot, und das machte ihn noch wütender.
Gedankensplitter stürmten auf ihn ein. Die Träume wurden wirr und verstörend. Was ist aus mir geworden, was hat sie aus mir gemacht, dachte er, und immer tauchte das Gesicht einer anderen Frau auf. Er konnte es nicht verdrängen. Und auch kein Wort, das er gesagt hatte:
„Es ist nett von dir, dass du mich besuchst. Ich hatte ja lange schon die Vermutung, dass du etwas für mich empfindest...“ Warum hatte er so gesprochen? War es das schlechte Gewissen, er hatte seine Frau gerade tot gesehen – und es nicht bedauert. „Du bist schön, so schön“, er zog sie sachte an sich. „Und ich möchte einmal im Leben glücklich sein…“ Ja, das wollte er, das hatte er immer gewollt.
Ja, und er hegte er die irrsinnige Hoffnung, dass diese Frau irgendwann zurückkommen würde. Vermutlich nur ein Wunschtraum, sie liebte ihn nicht, sondern verabscheute ihn, so wie seine Frau ihn verabscheut hatte. und niemand wusste, wohin sie gegangen war und vor allem nicht, warum sie gegangen war. Es musste mittlerweile über vierzehn Monate her sein, und er hätte liebend gerne nach ihr gesucht, aber immer wurde er abkommandiert, entweder in irgendwelche Ecken des Imperiums, wo es Aufstände gab, aber hauptsächlich zur Piratenbekämpfung, denn richtige Kriege gab es kaum noch, alles nur Denkbare war von Rom erobert worden.
Er stöhnte auf... sie hatten das Piratenboot geentert, aber dann kam diesem ein zweites Schiff zu Hilfe. Es konnte sich im Morgennebel unbemerkt nähern.
Obwohl er als Stabsoffizier meistens nicht in den direkten Kampf verwickelt war, hatte er sich in diesen eingemischt. Die Piraten kämpften klug, ihre Lanzen verhinderten, dass man nahe an sie herankam, während sie selber eine große Reichweite damit hatten. Das Gemetzel war zu grauenhaft, er konnte seine Männer nicht alleine kämpfen lassen, drei Gegner fielen über ihn her, zwei von ihnen tötete er, aber der letzte verpasste ihm eine Wunde am Bein. Mit einer Lanze.
Er träumte diesen Augenblick immer wieder, erlebte die Hilflosigkeit aufs neue, als ihm das Bein aufgeschlitzt wurde, die Zeit verlängerte sich, und er konnte jede Einzelheit erkennen, die schmutzige Lanzenspitze, das wütende Gesicht des Piraten, hörte dessen triumphierenden Aufschrei, er kam ihm vor wie ein langes dunkelgefärbtes Lied.
Zuerst verspürte er gar keinen Schmerz, nur Wut gegen den Angreifer, er stieß ihm das Schwert in den Körper, das Blut strömte heraus – genauso wie aus seinem Bein. Um ihn herum war alles rot. Blut, soviel Blut, sein eigenes und das der anderen. Er hieb weiter, wie ein Tobsüchtiger schlug er auf alles ein, was nach Piraten aussah. Auf die Lanzen achtete er nicht.
Er schaute sich um, sie hatten die Schlacht gewonnen, die Feinde lagen tot auf dem Schiffsdeck verstreut. Dann holte der Schmerz ihn ein, und er stürzte zu Boden.
Seitdem vegetierte er nur noch vor sich hin. Er war nicht mehr auf diesem Schiff, sondern woanders. Aber wo? Es war ihm egal. Sein Bein pochte und schmerzte, sein ganzer Körper war heiß und kalt zugleich, er schwitzte und fror gleichzeitig, er fühlte sich unendlich schwach und hilflos, fühlte sich schlecht, hatte üble Träume, träumte wieder von der Sidonia und wie sie gestorben war. Durch eigene Hand, durch den Dolch… Träumte von der Nacht, in der er glücklich war.
Er träumte von seinem Vater, der vor kurzem gestorben war, warum war er selber nicht tot, er wusste es nicht.
Der Schmerz in seinem Oberschenkel war kaum auszuhalten, und er spürte, wie er innerlich verglühte. Und mit dem Verglühen kamen seine Träume zurück. Und ihr Gesicht. Ich sterbe, dachte er, bevor er sein Bewusstsein verlor. War es das? Wo ist sie? Hoffentlich geht es ihr gut.

………………….………………….~*~*~………………….…………………

Der Sommer war hereingebrochen, mit all seiner Hitze und Trockenheit. Schon nach wenigen Wochen war es in den Bädern nicht mehr auszuhalten, Schade drum, es war zwar teuer, sich ein paar Stunden in dem separaten Bereich für Frauen und ihre Kinder zu entspannen und sich zu reinigen – Männer mussten nur ein Ass bezahlen und Frauen das Doppelte, aber nun war das Wasser so trüb und braun, dass es abgesehen von der fehlenden Erfrischung bestimmt schädlich wäre, davon etwas zu schlucken.
Natürlich wurden die reichen Bürger immer noch gut mit frischem Wasser versorgt, und danach wurden die allgemeinen Brunnen gefüllt. Immerhin, dachte Vanadis.
Dennoch war es viel zu heiß, manchmal brachen Krankheiten unter den Bewohnern der ärmeren Stadtteile aus, und manchmal starben sie auch daran.
Vanadis hatte bis jetzt Glück gehabt. Sie verdünnte das Brunnenwasser mit Wein und Essig, weil das die Gefahr des Erkrankens verminderte – Essig schien ein wahres Wundermittel zu sein in Bezug auf Erkrankungen – und ihren Sohn stillte sie immer noch, also kam er nicht direkt mit dem Wasser in Verbindung.
Wenn Vanadis keinen Auftrag hatte, dann nahm sie ihren Sohn, band ihn in ein Tuch und hievte sich ihn auf den Rücken wie eine Sklavenlast, aber diese Last war viel leichter und erfreulicher. Es drängte sie an die frische Luft, denn in der Subura herrschten so hohe Temperaturen, dass es kaum auszuhalten war, außer in den ganz frühen Morgenstunden.
Am frühen Tag lief sie mit dem kleinen Marcus die Treppen hinunter, schaute kurz beim Schemuel vorbei, plauderte mit ihm, erhielt von ihm etwas Brot mit Käse, ein paar Früchte, einen Schlauch mit Wasser und Wein, und danach trieb es sie unaufhaltsam aus der Subura hinaus.
Um sie herum summten die grünen Schmeißfliegen, sie fingen schon an, ihre Eier auf alles zu legen, was in den Gassen der Subura verweste. Dem Himmel sei Dank gab es in ihrem Haus einen Abfluss, in den man die Nachttöpfe entleeren konnte und auch kleinere Abfälle. Das war nicht in allen Mietshäusern der Fall. Dort wurde alles auf die Straße gekippt – oder in die Gruben der Gerber.
Sie war alleine, kein anderer Bewohner Roms wollte ins Freie hinaus, alle trieben sich wahrscheinlich im Theater herum bei den Spielen, diese fanden unregelmäßig statt, es gab zwar viele Feiertage in Rom, an die einhundertfünfzig, aber manchmal entschloss sich der Kaiser, spontan einzuladen zu den Spielen. Die ärmeren Bürger waren es zufrieden: Getreide für ihren Brei bekamen sie als Zuteilung und die Spiele dazu. Aber Vanadis wollte nicht in das erhitzte Stadion mit den brüllenden Zuschauern, wo Tiere gehetzt wurden und Menschen sich gegenseitig umbrachten. Sie wollte hinaus aus der Stadt.
Erst ging sie in Richtung Sonne, dann mehr nach links, bis sie schließlich das Marsfeld erreichte. Ein riesiger toter Ort war das, vollkommen unbewohnt diente er nur dazu, um Großprojekte für die jeweiligen Kaiser zu erschaffen. Oder Tempel für diverse Götter, Siegeszeichen, Opferstätten… Sie musste an die Nacht des Bacchus denken und an ihre Hilflosigkeit. Wo war dieser Tempel? Sie wusste gar nicht, wie er aussah, hatte ihn ja nur von innen gesehen, kannte ja nur die grässliche unterirdische Höhle. Sie schüttelte sich leicht und verdrängte den Gedanken an diese Nacht.
Sie hielt sich nicht lange mit dem Tempelkram auf, sie hatte es eilig, wollte zu ihrem Ziel. Bis sie es schließlich erreichte: den Tiber, den Fluss Roms.
Auch dessen Ufer waren schon besiedelt, die Stadt erweiterte sich immer mehr, denn die sieben legendären Hügel Roms waren so dicht bevölkert, dass Freiräume kaum noch existierten.
Doch Vanadis kannte sich aus, sie schlenderte mit ihrem Sohn am Flussufer entlang, dort wo es noch keine großen Villen gab und man stattdessen wundervolle bunte Blumen sah und riesige Büsche mit Liebstöckel fand, damit konnte man Speisen würzen, wenn man kein teures Salz hatte .
In diesem Abschnitt war der Tiber noch unschuldig, später würde sein Wasser rot gefärbt sein vom Blut der Schlachthöfe. Aber daran wollte Vanadis jetzt nicht denken. Sie wollte nur ein paar Kräuter sammeln, die sie von ihrer Mutter her kannte und auch von ihrer Nachbarin zur rechten. Die hatte sie auf eine unscheinbare Pflanze aufmerksam gemacht, es handelte sich um ein winziges Blümchen mit weißen Blütenblättern, die sich um einen gelben Kern herum gruppierten, die Pflanze liebte wohl die Gemeinsamkeit und trat immer büschelweise auf. Der Tee aus den kleinen Blüten sollte heilkräftig sein, egal ob man ihn trank oder ob er äußerlich auf Wunden aufgetragen wurde. Und das Kraut wuchs dem Hörensagen nach fast das ganze Jahr über.
Und sie fand es. Es war wirklich klein, aber so schön, so lebendig angeordnet in einem Familienverband. Vorsichtig pflückte sie ein paar Blüten ab, um sie dann in einem Beutel zu verstauen. Vielleicht brauchte sie die irgendwann.
Gegen Mittag wurde es immer heißer. Vanadis entging der Hitze, indem sie sich im Schatten der hohen Bäume aufhielt, die am Ufer des Tibers wuchsen. Dort wehte ein leichter Wind, der sie kühlend umschmeichelte.
Verträumt schaute sie auf das sprudelnde Wasser des Flusses. Sie spielte mit dem kleinen Marcus und neckte ihn. In einer Bucht kühlte sie ihre Schläfen und ging mit nackten Füßen in das flache Wasser. Der kleine Marcus bekam manchmal ein paar Spritzer mit, aber das schien ihm zu gefallen, denn er kreischte und lachte.
Am Nachmittag aß sie das Brot, später den Käse, noch viel später die Früchte, trank ein wenig von dem mit Wasser verdünnten Wein – und wünschte sich, für immer hierbleiben zu können. Jenseits der Stadt, jenseits des Sklaventums… Bis sie dann doch bei Sonnenuntergang zurückging.

So liefen ihre Ausflüge normalerweise ab. Doch an diesem Tag war es anders. Etwas verschattete ihr Glück, es war, als ob der Himmel Risse bekommen hätte, als ob die Sonne nicht mehr richtig scheinen würde. Ein seltsames Gefühl überkam sie, etwas zog sie nach Rom zurück, in ihre aufgeheizte Dachgeschosswohnung in der Subura. Es war seltsam, eigentlich wollte sie doch hierbleiben, trotzdem fing sie an, ihre Sachen einzusammeln, den Weinschlauch, den Rest der Früchte, sie hievte sich ihren Sohn auf den Rücken – er war schon schwer, lange würde sie ihn nicht mehr tragen können – und machte sich eilig auf den Heimweg.
Als sie die endlos hohe Treppe zu ihrer Wohnung empor gestiegen war, erfasste sie ein gewaltiger Schrecken: Ihre Tür, ein notdürftiger Bretterverschlag, stand halb offen, und Vanadis blieb angsterfüllt davor stehen. Oh Göttin, lass es keine Einbrecher sein, flüsterte sie vor sich hin. Sie hatte die Tür nicht verriegelt, wozu auch? Es gab kaum etwas zu stehlen dort, ihre Sachen waren nichts wert, und ihre paar Sesterzen hatte sie dem Schemuel zur Verwahrung gegeben. Bei ihm waren sie sicherer.
Trotzdem konnte es gefährlich sein. Behutsam setzte sie den Kleinen ab und tastete nach dem schmalen Dolch, den sie immer unter ihrer Tunica versteckt bei sich trug.
„Wer ist da?“, fragte sie mit fester Stimme. „Gib dich zu erkennen, oder ich komme und haue dir eine Axt über den Schädel!“
Mutig gesagt. In Wirklichkeit hatte sie furchtbare Angst – und auch keine Axt zur Hand. Aber der Dolch würde es auch tun…
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

danke schön, doska! es wird jetzt leicht eklig, aber hoffnungsvoll. vielleicht... ;-)

Ingrid Alias I (18.03.2015)

Schön spannend.Wer mag das wohl sein, der in Vanadis Wohnung eingekehrt ist?
Sehr echt ist auch beschrieben, wie Vanadis ihren Sohn gebiert und was sie danach empfindet. Auch Markus Gefühle und Gedanken sind sehr zu verstehen. Dadurch wird einem klar, weshalb er nie nach Vanadis gesucht hat. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.


doska (14.03.2015)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
SUPERMARKT des Lebens  
KATER und KRÖTEN  
Halt mich fest ...  
Tussen de meeren, Teil 6 von 6 - ZUKUNFT  
Tussen de meeren, Teil 5 von 6 - ERWACHEN  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
Kopfbahnhöfe, Teil 13 - HÄSSLICHE WAHRHEITEN  
Von der Prosa zur Lyrik  
Die Frauen von Kampodia/Kapitel 20 – ABGESANG   
DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 10 - BEGIERDEN EINER KAISERIN  
DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 23 - WAHRHEITEN  
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De