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Teestubengeschichten Kap. 5 Peter schreibt mit links

Romane/Serien · Nachdenkliches
Großmutter saß schon im Wintergarten der „Teestube“, als Peter die Treppe zum ersten Stock hoch stürmte. „Ich weiß, ich hab mich verspätet, nicht schimpfen, Oma!“ Er drückte ihr einen dicken Kuss auf die linke Wange.
„Kind, du bist ja ganz kalt.“ Oma griff seine Hände. „Hast du einen Umweg über den Nordpol gemacht? Die Schule ist doch gerade um die Ecke.“
„Ja, mit dem Finger auf der Landkarte während der Erdkundestunde“, grinste Peter frech. Die Bedienung kam und nahm die Bestellung auf. „Wie immer“, sagte Großmutter und meinte damit eine Kanne Karamellsahnetee und einen Schokomuffin. „Darf ich einen heißen Kakao mit Zimt und Sahne haben“, fragte Peter. „Machen sie eine große Tasse“, ergänzte Großmutter. „Und wie läuft´s in der Schule?“ „Frag nicht“, winkte Peter genervt ab, „die doofe Hartmann will, daß wir einen Aufsatz bis Ende nächster Woche abliefern. Das Thema: - Persönliche Erfahrungen und Entwicklung, und er muss handschriftlich sein.“ Peter regte sich furchtbar auf, „die katapultiert uns zurück ins Mittelalter und was geht die überhaupt meine persönlichen Erfahrungen an, nee, das geht so was von gar nicht!“
Über Großmutters Gesicht huschte spontanes Grinsen. „Hätte ich gewusst, was mich auf ´m Gymnasium erwartet , ich hätte Papas Rat befolgt, wäre auf der Hauptschule geblieben und hätte danach gleich bei Onkel Rainer die Schreinerlehre begonnen, so wie er es mir angeboten hatte. Wieso hab ich auf Mutter und dich gehört?“ „Oh, das tut mir leid, daß wir dein Leben versaut haben“, kicherte Großmutter, „ich sehe ein, es wäre für dein Leben viel schöner, wenn du die zweite Ausgabe von Onkel Rainer würdest.“ „Was meinst du damit?“ „Na, du kennst ihn doch“, erwiderte Großmutter, „ freut sich Woche für Woche auf den gleichen Tag, nämlich auf Samstag, an dem er seine Skatkumpel trifft und Sonntag, wenn er morgens zum Frühschoppen ins „Bräuhaus“ geht und nachmittags angeschickert nach Hause kommt, um bloß nicht das Gejammer von Tante Gerda mit zu kriegen die meint, jeden Sonntag Braten kochen und auf den Tisch stellen zu müssen um sich danach in der Küche zu beschweren, daß niemand ihr beim Saubermachen hilft.“ „Wieso schimpfst du denn jetzt auf Onkel Rainer“, verteidigte ihn Peter, „du spielst doch selber Karten.“ „ Ja, aber es gibt auch noch andere Spiele; Rommee zum Beispiel, es gibt Canasta, meinetwegen auch „schwarzer Peter“ …. „Och, das ist Kinderkram, Erwachsene spielen so was nicht“, unterbrach ihr Enkel sie. „Ich wusste nicht, daß ich keine Kinderspiele mehr machen darf“, schmollte Großmutter belustigt. „Ach, du weißt, wie ich´s gemeint hab. Aber zurück zum Aufsatz; ich weiß echt nicht worüber ich schreiben soll und dann auch noch so – schön und mit der Hand verfasst“, - er äffte seine Deutschlehrerin nach. „Ach“, winkte Großmutter ab, „das schaffst du mit links. Hier!“, - sie legte einen Zwanzig Euro Schein auf den Tisch, „den wette ich, daß du eine Zwei bekommst.“ Beim nächsten Treffen kannst du ihn dir abholen.“ „Oma, du weißt doch daß ich auf den neuen Laptop spare, kannst du mir den nicht gleich geben und ich zeig dir die Note in zwei Wochen“, grinste Peter. Großmutter beugte sich zu ihrem Enkel über den Tisch und flüsterte, „du weißt doch was die Götter vor den Erfolg gesetzt haben ...“ Sie zwinkerte ihm zu und steckte den Geldschein zurück ins Portemonnaie. „Wenn ich nur wüsste, was ich schreiben soll“, seufzte er. „Das machst du mit links“, erneuerte Großmutter ihre Zuversicht die sie in den Jungen hatte. „Vom wiederholen wird’ s auch nicht besser, Oma“, maulte der zurück.
Abends saß er an seinem Schreibtisch und blickte zum Fenster hinaus, wo es so finster aussah wie in seinem Kopf. Er schaute sich im Zimmer um und spielte mit dem Kugelschreiber in seinen Händen. Unbewusst malte er mit der linken Hand einige Zeichen und Buchstaben auf das leere Blatt Papier Interessiert blickte er auf die Buchstaben und fand, daß sie gar nicht schlecht aussahen. Nicht regelmäßig, einige lagen krumm auf oder über der Hilfslinie, andere hingen dazwischen oder darunter. Es wirkte alles etwas chaotisch aber es war lesbar. Er malte weiter und versuchte bewusst, Worte zu schreiben. Das ganze machte ihm mit einem mal großen Spaß. Mittlerweile war es aber fast halb elf abends. Mutter und Vater klopften abwechselnd an die Tür und erinnerten ihn, daß es allerhöchste Zeit für´s Zähne putzen und ins Bett gehen war.
Bald darauf war herrschte Stille in der Wohnung. Die Eltern waren zu Bett gegangen. Peter schaute nicht mehr auf die Uhr. Er schrieb gefühlte tausend Male seinen Namen mit der linken Hand. Das T schaute manchmal aus wie der Pariser Eiffelturm und das P wie eine Schlange die sich den Magen verdorben hatte. Trotzdem erzählte er gleich am nächsten Morgen am Frühstückstisch stolz von seinem Erlebnis, mit der linken Hand zu schreiben.
Auch in der Schule versuchte er es, was natürlich nicht leicht war und auch seinem Nebensitzer auffiel. Roland, der selbst Linkshänder war, beobachtete ihn amüsiert und gab ihm Tipps, zum Beispiel während des Schreibens das Schreibheft schräg zu legen. Er selbst musste jahrelang mit der rechten Hand schreiben obwohl er lieber mit der linken Hand schrieb, deswegen fand er es interessant, daß sich jemand freiwillig die Mühe machte mit der anderen, als der gewohnten Hand zu schreiben.

Der Tag an dem die Aufsätze abgegeben werden sollten, rückte näher und noch immer hatte er nichts worüber er schreiben sollte. Großmutter rief an und wollte mit seiner Mutter sprechen und fragte beiläufig wie es in der Schule ging, ob er den Aufsatz schon fertig hätte. Peter grummelte in den Telefonhörer: „Nö du, mir ist noch immer nichts eingefallen. In vier Tagen ist Abgabetermin. Ich krieg Panik.“ Na, dann schreib doch über das was du gerade tust oder worüber du nachdenkst“, riet Oma, „ in deinem Alter hab ich über tausend Dinge ...“ „Halt, Oma, ich hab´s“, unterbrach Peter sie strahlend. Genau das war´s er hatte plötzlich die zündende Idee.
Zwei Wochen später ; seine Großmutter und Mutter saßen im Wohnzimmerseparee der „Teestube“, tauchte Peter verschmitzt lächelnd und wie immer zu spät auf. Mutter schaute kurz auf ihre Uhr, „und was kam diesmal dazwischen, daß du zwanzig Minuten zu spät bist? „Zu Weihnachten gibt’ s eine neue Armbanduhr“, witzelte Großmutter, „die letzte ist ja schon drei Monate alt … .“ „Dann will ich aber eine für 100 Euro haben, Oma“, gab Peter zurück, „die hab ich mir verdient.“ „Jetzt bin ich aber gespannt“, entgegnete seine Großmutter amüsiert und erstaunt. Peter setzte sich, holte seinen Aufsatz aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. „Für dich, zum Lesen“, er hielt die rechte Hand auf und grinste, „ willst du mir die zwanzig Euro gleich geben oder später?“ „Benimm dich“, herrschte ihn Mutter an. „Ich hab´s ihm versprochen“, beruhigte sie Großmutter, „aber erst will ich mir das Werk anschauen.“ Sie nahm den Aufsatz und begann zu lesen.

Die richtige und die falsche Hand

Zum ersten mal schreibe ich heute – mit der linken Hand. Während die Buchstaben noch unbeholfen entlang der Hilfslinie, fast diagonal von links unten nach rechts oben klettern, – das Papier liegt jetzt schräg vor mir - fühle ich mich wie in der ersten Klasse vor etwa sieben Jahren. Ich kann mich noch daran erinnern. Das Schreiben lernen war keine Pflicht, uns hat es großen Spaß gemacht. Es war als ob wir ein Geheimnis gelernt oder Zeichen entschlüsselt hatten. Zuerst malten wir das Alphabet, Buchstabe für Buchstabe, dann erfuhren wir, daß es zwei verschiedene Schriften für jeden Buchstaben gibt.
Zum einen die Blockschrift, die einfach, schnörkellos ist und klare Linien hat, aber auch ehrlich gesagt, langweilig ist.
Die Blockbuchstabenschrift unterteilt sich in Groß – und Kleinbuchstaben. Die zweite Schriftform, mit der die meisten Leute hier in Europa, in Amerika und Australien, schreiben, ist die lateinische Schrift. Auch hier gibt es Groß – und Kleinbuchstaben. Mehrere Buchstaben zusammen geschrieben ergeben ein Wort, mehrere Worte ein Satz und so entsteht ein Text.
Unsere ersten Hefte und Papierblöcke besaßen keine Linien und auf ´s Schönschreiben kam ´s unserer Klassenlehrerin am Anfang auch gar nicht an. Nach dem ersten halben Jahr aber wollte sie, daß wir Hefte mit Linien in den Unterricht mitbringen. Von da an musste das -B- akkurat neben dem -u- oder einem -a- stehen, genau auf der Hilfslinie, die Großbuchstaben oben sauber an die obige Hilfslinie stoßen, die Kleinbuchstaben etwa halb so groß wie die Großbuchstaben sein. Die Abstände zwischen den Worten wurden gleichmäßiger und wir bekamen ein Gefühl für ein „harmonisch wirkendes Schriftbild“ wie unsere Lehrerin es ausdrückte. Während ich diesen Aufsatz schreibe fällt mir auf, daß die rechte Hand die Schrift über das Blatt „zieht“, während die Linke die Buchstaben eher „schiebt“. Auch das Schriftbild ändert sich. Ich mühe mich ehrlich ab, die Bögen, Striche, Kreise und Schleifen aussehen zu lassen wie sie die rechte Hand schreibt, aber die linke Hand scheint ihre eigene Schriftform zu haben. Auch meine Schreibtischlampe muss ich anders stellen, wenn ich mit der linken Hand schreiben will. Kommt das Licht von Links während ich mit der rechten Hand schreibe, hält es den Schatten der Hand vom Papier, doch sobald die linke Hand das Schreiben übernimmt, legt sich der Schatten über den ganzen Text, was ziemlich nervig ist.
So wie die Lampe ihr Licht aus einem anderen Winkel auf Tisch und Blatt wirft, so fange ich an die Welt durch Rolands Augen zu sehen, – er hat´s mir erlaubt seinen Namen im Aufsatz zu nennen. Ich habe gehört, daß viele Eltern und auch Lehrer versucht haben - es zum Teil immer noch tun -, uns Schüler zu zwingen mit der rechten Hand zu schreiben. Das finde ich total blöd.Dabei fällt mir ein, Fräulein Dutt aus der ersten und zweiten Klasse, hat auch immer mit der linken Hand an die Tafel geschrieben. Den Eltern sollte man ruhig sagen, wer von den berühmten Leuten alles Linkshänder war, nämlich der Albert Einstein, Jimi Hendrix, Leonardo da Vinci, Friedrich Nietzsche, Mozart, Picasso und Prince Charles, ja vielleicht würde es viel mehr berühmte Leute geben wenn man uns so schreiben ließe wie wir wollten. Ich mache das freiwillig, aber wenn ich gezwungen würde, das wäre echt anstrengend und würde mir, glaube ich, auch keinen Spaß machen.
Am liebsten wäre ich ein berühmter Mensch. Ich mache aber auch gerne was mit Holz. Mein Onkel besitzt eine Schreinerei und bot mir schon eine Lehrstelle an, wenn ich mit der Schule fertig wäre. Damals ging ich in die Hauptschule. Ich nahm aber den Rat meiner Großmutter und Mutter an und wechselte auf´s hiesige Gymnasium, was mir auch Spaß macht. Aber mir fällt im Moment nichts ein, was ich machen will. Bei Herrn Wichert, unserem Handwerkslehrer, bekam ich vor zwei Monaten eine Zwei plus, für mein Holzpferd. Die Großeltern waren letztens zum Essen bei uns. Als Vater mich wieder mal fragte was nach der Schule geschehen solle, studieren oder doch gleich in eine Ausbildung, kamen wir wieder auf Onkel Rainer und sein Angebot zurück. Opa lachte laut und sagte, ich solle dann aber ganz schnell den Quatsch mit dem links schreiben aufgeben und die richtige Hand benutzen. Mich hat das geärgert. Wir haben doch von Geburt an zwei Hände, jedenfalls die meisten von uns. Wenn eine Hand die richtige ist, müsste dann die andere Hand automatisch die falsche Hand sein. Falsch für was?
Ich weiß nicht ob alle Handwerker automatisch Rechtshänder sind, ich kann´s mir nicht vorstellen. Wenn ich Roland beim Schreiben zusehe, kommt mir das auch normal vor, also bei ihm. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er den Füller in der rechten Hand hält.
So, Frau Hartmann, ich hoffe der Aufsatz ist gelungen.“

Als Note gab es eine 2.
Unter dem Aufsatz hatte Frau Hartmann einen Kommentar hinterlassen:

Inhalt Top, Schrift Flop! Bitte üben! Gruß von deiner Lehrerin Ute Hartmann

Großmutter öffnete das Portemonnaie. „Willst du denn ab jetzt nur noch mit deiner linken Hand schreiben?“ „Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht, Oma“, zuckte Peter mit den Achseln, „ aber es ist interessant, wenn man das was man immer macht, mal anders macht.“ Mutter lachte schallend: „Eigentor!, ab jetzt gibt’ s keine Ausreden mehr, wenn die rechte Hand verstaucht sein sollte.“
 
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