... für Leser und Schreiber.  

Beisetzung einer flüchtigen Bekannten

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©  Middel   
   
Die leise Orgelmusik verstummt, aufgebahrt liegt die Tote in einem ärmlichen anmutenden Sarg, nur ein kleiner Kranz zeugt davon, dass sie vermisst werden wird. Du hältst die Rede während der Trauerfeier, obwohl du die Verstorbene nur flüchtig kanntest. Während die Menschen um dich herum weinen, versuchst du zwanghaft, die Verschiedene zu beschreiben, doch ist dir schnell klar, dafür kanntest du sie einfach nicht gut genug. So prallen deine Worte bei den Anwesenden ab, man merkt es ihnen deutlich an, auch wenn sie schweigend trauern. Sie sitzen apathisch in den spärlich besetzten Reihen der alten Kapelle und erinnern sich an die Zeiten, als die sympathische und zutiefst ehrliche Erscheinung noch unten ihnen weilte. Sie Gedenken ihrer in stiller Schwermut, unterbrochen nur durch das leise Schnaufen in weiße Taschentücher hier und da. Du beendest deine fadenscheinige Rede mit den Worten: „...ist es fast so, als wäre sie noch unter uns!“ Und damit hast du zum ersten Mal Eindruck hinterlassen bei den anwesenden Freunden der Toten. Sie blicken dich an und beginnen zu lachen, erst einer, dann der zweite und irgendwann lachen sie alle hemmungslos. All die angespannte Trauer entlädt sich und sie beginnen zu verstehen... Man muss ihr nicht nachtrauern, man muss gar nicht trauern, man sollte lieber froh sein, dass sie gegangen ist, denn nun sind alle Blicke auf dich gerichtet und ohne sie wirst ihnen nicht standhalten. Und genau das macht die Menschen froh.
Als die Anderen nun strahlend den Raum verlassen, fühlst du zum ersten Mal Betroffenheit. Vielleicht stand dir die Verschiedene doch näher als du glaubtest, wie anders erklärst du dir das aufkeimende Gefühl der Einsamkeit? Und während du noch nach Erklärungen suchst, fällt dir der Spruch auf dem Kranz am Rande des Sargs auf: „Sie Ruhe in Frieden – Die Glaubwürdigkeit“
Und jetzt, da Niemand mehr da ist, wirst du sie eigenhändig begraben, mit den Taten, die deinen unehrlichen Worten folgten.
 

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