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Schneewilli oder Die Märchenstunde

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©  ISA   
   
ALLEINVERZIEHEND - Alltägliche Episoden und Katastrophen

Schneewilli oder Die Märchenstunde

Es war acht Uhr abends am Samstag und mein fünfjähriger Sohn Dustin bestand unmissverständlich auf seinem Recht.
» Wann kommst du endlich und liest mir ein Märchen vor, Mama? Mama! Mamaaaaa!«
» Gleich, Süßer, gleich. Mami ist sofort fertig mit Schönmachen«, flötete ich und schob ihn aus dem Badezimmer zurück in sein Bett.
Mit seinen großen braunen Rehaugen betrachtete er zweifelnd meine grüne Avocadomaske. » Mama, das sieht aber gar nicht so schön aus. Und ich will ein Märchen. Jetzt.«
» Thalia! «, rief ich verzweifelt nach meiner sechzehnjährigen Tochter, die sich ausnahmsweise an diesem Abend dazu herabgelassen hatte, den Babysitter für ihren kleinen Bruder zu spielen. Gleich darauf stand eine düstere Erscheinung in der Kinderzimmertür, ganz in Schwarz gewandet und mit todernster Miene. Zur Zeit durchlebte sie nämlich ihre mythisch-spirituelle Phase, die mittlerweile drei Wochen andauerte.
» Kannst du ihm bitte etwas vorlesen? Vivienn kommt gleich und holt mich ab, und ich bin absolut gar nicht fertig! «
Sie entschwand daraufhin wortlos in ihr Zimmer und kehrte mit einem schwarzen Buch in den Händen wieder.
» Poe? «, rief ich entsetzt aus.
» Man kann gar nicht früh genug mit Edgar anfangen! «, erwiderte sie mit strenger Arroganz.
» Das ist kein Buch für Kinder! «
» Entweder Edgar oder gar nicht.«
» Mamaaa! Komm doch endlich mal! Immer muss ich erst böse werden «, tönte es vorwurfsvoll aus dem Kinderzimmer. Frechdachs!
Glücklicherweise klingelte es an der Tür und meine beste Freundin, top gestylt in Kostüm und mit glänzendschwarzem, tadellos sitzenden Bobschnitt, rauschte mit entnervtem Gesicht herein. » Bis man hier in Düsseldorf einen Parkplatz findet! Mensch, Gabi! Wieso bist du noch nicht fertig? «
» Weil meine Mutter zwischendurch kurz angerufen hat. Von sechs bis eben, eben. Könntest du Dustin nicht ein Märchen vorlesen, während ich mich schnell fertigmache? «, fragte ich flehentlich, was einen vernichtenden Blick aus großen blauen Augen nach sich und auf mich zog. Meine beste Freundin ist wirklich ein großartiger Mensch, eine taffe Geschäftsfrau mit Herz, nur mit Kindern kann sie überhaupt nicht umgehen, geschweige denn mit meinem kleinen Engel Dustin. Nun ja, zugegeben… vielleicht ist er ein wenig schwierig und was Märchen angeht, ein überaus kritischer Zuhörer, der gerne logische Lücken beanstandet und dramaturgische Unklarheiten aufgeklärt haben möchte und – nun ja, ich will damit sagen, dass ich für ein Märchen von vier Seiten kaum drei Stunden benötige. Wenn Dustin schon ein wenig eher müde wird, sind es sogar nur zweieinhalb.
» Gabi, tu mir das nicht an! «, rief Vivienn zutiefst erschrocken. Doch angesichts der Tatsache, dass ich immer noch mit Schönheitsmaske und Bademantel vor ihr stand, seufzte sie schließlich resigniert und schritt mit trotziger Würde ins Kinderzimmer wie zu einer Hinrichtung, so dass ich im danebenliegenden Badezimmer mit meiner Oberflächensanierung fortfahren konnte.
» DU darfst mir kein Märchen vorlesen. Mamaaa! «, brüllte Dustin sogleich los, den mit Vivienn eine innige Hassliebe verband.
» Mama kann jetzt nicht. Das ist also deine einzige Chance, ansonsten musst du ohne eine Gutenacht-Geschichte einschlafen «, zischte Vivienn.
» Aber dann muss ich weinen ... «
» Gott bewahre uns. Jetzt sei schön lieb und hör zu.
Rotkäppchen.
Es war einmal ein kleines Mädchen-«
» Wann denn? Gestern?«
» Vor zehn Tagen. Ein kleines Mädchen, das hatte jedermann lieb, der es nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wusste gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte-«
» Am besten Playstation «, erklärte Dustin mit sehnsüchtiger Stimme.
Von wegen! So ein Ding würde nicht in mein Haus kommen!
» Die hat sie schon. Einmal also schenkte ihre Großmutter ihr ein Käppchen aus rotem Samt, und weil es ihm so wohl stand, nannte es jeder nur noch Rotkäppchen-«
» Und wie heißt Rotkäppchen richtig? «
» Na, Rotkäppchen, logischerweise.«
» Nein, Ayşe.«
» Genau. Ayşe Rotkäppchen. Ihr Vater ist auch Türke, so wie deiner. Jetzt sei ruhig und hör zu. Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm: ›Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist krank und-«
» Wieso kommt der Doktor dann nicht? «
» Weil die Großmutter kein Telefon hat, um ihn anzurufen. «
» Aber ein Handy.«
» Auch nicht.«
» Aber ein Fernsehen.«
» Nein. Gar nichts, nur eine elektrische Heizdecke.«
» Und ein Handy.«
» Ja! Ja, sie hat ein Handy und eine elektrische Heizdecke «, grummelte Vivienn ungeduldig.
» Wo waren wir... Ach ja. ›Ich will schon alles gut machen‹, sagte Rotkäppchen zur Mutter und gab ihr die Hand darauf. «
» Immer muss Rotkäppi gehen! Wieso geht denn ihre Mama nicht selber? «
» Ihre Mutter hatte keine Zeit, weil… sie musste Gute Zeiten, Schlechte Zeiten gucken.
Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. «
» Gar nicht. Im Wald gibt es keine Omas mehr. «
» Ach, und wieso nicht?«
» Weil, die hat schon alle der megastarke superböse Werwolf gefressen. Jawoohl! Der ist nämlich superstark, totaaal und hat ganz große Zähne und macht grrrroaarrhammm!«
Ein schneller Blick aus dem Bad ins Kinderzimmer offenbarte mir, dass Dustin gerade höchst anschaulich und ausdauernd den Werwolf imitierte und Vivienn sich einen tiefen Atemzug gönnte, um nicht die Nerven zu verlieren.
»Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war, und-«
» Und dann hat sie die Power Rangers geholt.«
» In diesem Märchen gibt es aber keine Power Rangers.«
» Jawoo-hool. Du weißt das gar nicht. Hat deine Mama dir nie ein Märchen vorgelesen? Gleich kommen die Power Rangers und schießen auf den megastarken Werwolf. So: Wooom! Guck, so!«
Zur Bekräftigung war Dustin offenhörlich aus seinem Bett gesprungen und zu seiner Spielkiste gestürzt, um seine Plastik-Laserkanone hervorzuwühlen. Hierbei handelte es sich um ein gottverdammtes Ding, welches sich nur ein Mensch ohne eigene Sprösslinge ausgedacht haben konnte. Es vermochte nicht nur in allen Tonlagen zu jaulen, zu knattern und zu quäken, sondern war meiner Meinung nach mit all seinen unzähligen blinkenden Lämpchen durchaus dafür geeignet, ein Flugzeug, das sich im Landeanflug auf den nicht allzu weit entfernten Düsseldorfer Flughafen befand, vom Kurs abzubringen und irrtümlich auf unser Viertel niedergehen gehen zu lassen.
» Und vorher nämlich, da frisst der Werwolf Rotkäppi auf, weil ... er hat kein Slimfast mehr. Wie Mama. Aber die isst dann Schokolade.«
» Stimmt, diese Ausrede kommt mir sehr bekannt vor ...«, seufzte Vivienn matt.
» Aber dann, dann kommen die Power Rangers und schießen padabommm ganz viele Bomben auf den Werwolf. Bis er explolotiert!« Um der Dramatik dieser Szene mehr Ausdruck zu verleihen, schoss Dustin im Kinderzimmer umher und zeigte Vivienn sämtliche Funktionen seiner Laserkanone.
» Duschtin! Höö schowoot auw!« rief ich mit dem Mund voller Zahnpasta ins Kinderzimmer hinein.
» Genau «, sagte meine Freundin daraufhin grimmig.
» Und alle sind tot. Und weil sie gestorben sind, ist das Märchen jetzt aus.«
» Will ein anderes Märchen, du hast das gar nicht richtig gemacht!«
» Wie lange brauchst du noch, Gabi?« hörte ich Vivienn rufen.
» Muss nur noch die Beine rasieren!«
Wieder seufzte es im Kinderzimmer aus tiefster Seele.
» Aber nur noch eins, verstanden? Deine allerletzte Chance, Dustin!«
» Okay! Ja! Ja!«
Ich hörte an dem zufriedenen Quietschen des Bettes, dass Dustin freudig darauf herumsprang.
» Gut. Schneewittchen. Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß-«
» Der Weihnachtsmann, mal wieder.«
» Nein, eine Königin «, fuhr Vivienn tapfer fort.
» Nämlich Königin ... Silvia. Sie saß an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger.«
» Kommt JETZT endlich mal der Doktor?«
» Nein, es fielen nur drei Tropfen Blut in den Schnee, dann hat sie ein Pflaster draufgetan. Mit Benjamin Blümchen drauf. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich ›Ich hätte gern ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen.'«
» Und dann kommt der Weihnachtsmann und versteckt für sie einen kleinen Jungen unter dem Weihnachtsbaum.«
» Nein, sie bekommt ein Mädchen und das heißt Schneewittchen.«
» Immer nur Mädchen! Das finde ich doof. Wieso will die Königin kein Jungen? «
» Weil sie dich und Mama kennt. Na gut, kriegt sie eben einen Jungen.«
» Mhm. Und der heißt nämlich ... Schneewilli! Der ist ein verzauberter Wal. Und der ist total megastark und mutig wie Vegeta. Soll ich dir mal zeigen, wie schnell der rennen kann?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, flitzte Dustin wohl zur Tür und wieder zurück. Und wieder zur Tür und wieder zurück.
» Und wie das Kind geboren war, starb die Königin.«
Schlagartig hielt Dustin inne.
» Ich hatte auch mal Windpickeln.«, erklärte er dann mit ernster, bewegter Stimme. » Wieso hat die Königin keine Medizin gekriegt?«
» Weil der Doktor Bauchschmerzen hatte und auf dem Klo saß. Aber dann hat der König – König Arnold eine neue Frau bekommen. Vom Weihnachtsmann.«
» Magst du den Weihnachtsmann?«
» Klar, du etwa nicht?«
» Nein! Ich wollte Playstation, aber keine Bauklötze. Der hat das gar nicht richtig kapiert.«
» Tja, er ist ja auch schon uralt und hört schlecht. Und weiter geht’s: Die neue Frau von König Arnold war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig, und konnte nicht leiden, dass sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie: ›Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?‹ , und der Spiegel antwortete 'Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, «
» Aber Schneewilli ist tausendmal schöner als du. Und tausendmal stärker. Nämlich, als der Werwolf!«
» Genau, Dustin. Und deswegen wollte sie Schneewilli töten.«
» Aber dann kommen die Power Rangers.« Zum Beweis knatterte einmal kurz die Laserpistole auf.
» Nein. Die bringen doch Ayşe Rotkäppchen nach Hause zu ihrer Mami. Da rief die böse Königin einen Jäger und sprach ›bring das Kind hinaus in den Wald-«
» Schon wieder? Immer in den Wald! Warum nicht zu Börgerkind?«
» Dieses Burgerking ist ja im Wald.«
» Ha, jetzt weiß ich das wieder! Und da wohnen die Hexe und Hänsel und Grensel. Und die Sieben Zwerge. Und die machen sieben Hamburger.«
» Ähm ... Ja. Der Jäger gehorchte und führte Schneewilli zum Burgerking im Wald, und als er sein Messer gezogen hatte und Schneewillis unschuldiges Herz durchbohren wollte-«
» Da hat Schneewilli ihm seine Escodia-Karte von Yugioh gegeben. Weil die jeder haben will. Und ich. Du auch?«
» Ja, mehr als alles andere. Gut, nachdem der Jäger die Karte hatte, ließ er Schneewilli am Leben und ging davon.«
» Und wohin? Oder zu den Sieben Geistlein, ne?«
» So ist es. Sie hatten ihn auf dem Handy angerufen, weil der Wolf in ihr Haus einbrechen wollte.«
» Und Schneewilli wohnt jetzt in Börgerkind und gibt allen Kindern was umsonst.«
» So ein netter Schneewilli.«
» Aber nicht dir, egal ob du weinst!«
» Schade. Und dann hat die böse Königin wieder den Spiegel gefragt, weil sie ja dachte, der Jäger hätte Schneewilli getötet: ›Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«
» Und der Spiegel hat ihr die Zunge rausgestreckt bäääh und gesagt: du-hu nicht, du-hu-hu nicht... Aber mach doch mal das grüne komische bei dir am Gesicht ab, vielleicht sag ich dann was anderes.«
Hmpf! Was für ausufernde Fantasie dieses Kind nur besaß! Zu allem Überfluss kicherte Vivienn auch noch ungehemmt.
Zwei Stunden Avocadomaske reichten zugegebenermaßen vielleicht dann doch aus, um meine gestresste Haut in eine zarte, weiche Pfirsichlandschaft verwandelt zu haben. Tatsächlich sah sie ziemlich erholt und glatt aus, im Gegensatz zu meinen Unterschenkeln, wo mir ein paar Mal in der Hektik der Ladyshaver ausgerutscht war. Dann eben kein Minirock. Ich musste wohl oder übel erneut meinen Kleiderschrank durchforsten!
Und Vivienn musste wohl oder übel weiter versuchen, das Märchen von Schneewilli über die Bühne zu bringen. » Da erschrak die böse Königin, denn sie wusste, dass der Spiegel die Wahrheit sprach, und merkte, dass der Jäger sie betrogen hatte und Schneewilli noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs Neue, wie sie ihn umbringen wollte; denn solange sie nicht die Schönste – und vor allem Stärkste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte-«
» Da hat sie ihr Mega-Laserschwert genommen und ist zu Börgerkind gegangen, mit Schneewilli kämpfen!« Es folgte wildes Laser-Schwert-Geknatter, Matratzengequietsche und Kampfesschreie meines kleines Helden.
» Das nenne ich mal eine Powerfrau: Kämpft gegen einen verzauberten Wal. Ich geb’s auf, Gabi!« rief Vivienn.
» Wo bist du, Acadohexe? Ich find dich überall, ich schwöre! Wommm!«, erklärte Dustin grimmig und verlieh seinen Worten mit einer Knatterladung glaubhaft Gewicht.
» Jetzt versteckt sie sich unterm Bett!«, meinte Vivienn ironisch und resigniert zugleich. »Nein, sie ist nach drüben geflogen!«.
Daraufhin hörte ich Dustin erneut im Zimmer umherrennen, schon ein wenig aus der Puste. » Ich gewinne! Ich hab Super Power! Egal, ob du Acado im Gesicht hast! Ha! Bommm! Padabommm!«
Erstaunt steckte ich den Kopf ins Kinderzimmer, wo Vivienn mit genüsslich übereinander geschlagenen Beinen auf dem Stuhl saß und amüsiert Dustins Kampfszene verfolgte. Dieser hechtete kreuz und quer durch sein kleines Reich, ließ sich zu Boden fallen, machte Rollen, sprang auf sein Bett und wieder hinunter und betätigte unermüdlich seine Plastikkanone, während sie hin und wieder dezent den aktuellen Aufenthaltsort der bösen Hexe verpetzte.
Ich wollte gerade den Mund öffnen, um diesem Tumult Einhalt zu gebieten, doch da wandte sich Vivienn zu mir um, den Zeigefinger auf dem Mund und mir zuzwinkernd. Wie gesagt, mit Kindern konnte sie eben nicht so gut umgehen. Ich zuckte mit den Schultern und ging ins Schlafzimmer, um ein neues Outfit herauszusuchen, während Vivienn einen Anfeuerungsruf durch den Lärm brüllte, den Dustin verursachte. » Da! Jetzt kommen die Sieben Werwölfe und wollen die böse Königin rächen! Achtung! Rumpelstilzchen will dich ins Bein beißen! Und pass bloß auf die Hexe Angela auf! Ja, du hast den Riesen besiegt, der gerade von drüben kam! Ohne zu gucken!»
» Welcher denn?« hörte ich meinen Sohn keuchen.
» Michael Jordan. Weiter, weiter, du bist echt gut! Mann, wie stark du bist, Schneewilli. Und so schön!«
Ich schloss die Tür und gab mich ganz meinem Kleiderschrank hin, der wie üblich überhaupt nichts Ausgehtaugliches enthielt, weswegen es erstaunlicherweise nur eine halbe Stunde dauerte, bis ich etwas einigermaßen männerfreundliches gefunden hatte und endlich ausgehfertig war.
» Vivienn, wir können! Vivienn?«
Unheimliche Stille erwartete mich im Kinderzimmer.
Dustin und Vivienn lagen im Kinderbett und schliefen.
Nein, was für ein herziger Anblick! Die gute Vivienn, bekennende Lesbe, die niemals Kinder haben wollte, lag im Arm meines kleinen Rackers und schnarchte leise.
Vorsichtig weckte ich sie auf.
» Dustin kriegt anscheinend aber auch jede Frau ins Bett.« sagte ich lächelnd.
Schlaftrunken erhob sie sich und sah dann kopfschüttelnd, aber mit einem winzigen Lächeln um die Mundwinkel auf Dustin hinunter.
» Dieses Kind landet eines Tages entweder in der Psychiatrie oder bei der Oskar-Verleihung.«
» Das hat er wohl von seinem Vater, diese orientalische blühende Fantasie.«, sagte ich, vollkommen erfüllt von mütterlichem Stolz.
» Können wir?« Sie warf einen Blick auf ihre Armband-Uhr. » Wir liegen gut in der Zeit. Es ist erst kurz nach neun. Wieso dauert es eigentlich sonst so lange, bis du den kleinen Freak zum Einschlafen bringst?«
» Na, das hast du doch wohl jetzt selber erlebt. Er möchte immer alles ganz genau wissen, selbst bei Märchen.«
» Erwähne dieses Wort nicht mehr! Diese paar Minuten haben mich für den Rest meines Lebens traumatisiert.«
» Schon gut.«, sagte ich, verständnisvoll lächelnd. » Kinder sind nichts für dich, das ist mir seit heute mehr als klar. Die würden dir nur noch auf dem Kopf herumtanzen.«


(Gewidmet meinen inspirierenden Sozusagen-Patenkindern Dilara, Denis und Devin in lebhafter Erinnerung an kreative Märchenstunden)
 

http://www.webstories.cc 28.03.2024 - 17:57:20