... für Leser und Schreiber.  

Blut

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©  Namida   
   
Einige Kerzen beleuchteten den Raum und spendeten ein schummriges Licht. Das schwarze Cape der jungen Frau wehte, als sie ihn betrat. "Ihr habt mich gerufen, Meister?" fragte sie und ein alter aber robuster Mann im - ebenfalls schwarzen - Cape trat ins Kerzenlicht. "Du bist noch jung, und hast noch eine Menge zu lernen, meine Schülerin, aber ich vertraue dir!" Ganjas Gesicht zeigte nicht eine Gefühlsregung und der alte Mann fuhr fort: "Darum will ich dich mit einem Auftrag von essentieller Bedeutung betrauen: Eine menschliche Forscherin hat enormes Wissen über uns angesammelt und es ist ihr gelungen eine Waffe zu entwickeln, die die Macht hat uns alle zu zerstören. Wenn es dir nicht gelingt sie aufzuhalten, dann wird es keinen von uns mehr geben. Auf der ganzen Welt! Keinen einzigen Vampir mehr." Eine Weile war die Stille zwischen dem Meister und seiner Schülerin vollkommen.
"Aber Meister!", warf sie schließlich ein, er jedoch ließ sie nicht weiterreden. "Nur du, meine Schülerin, hast die Macht sie aufzuhalten. Lidia wird dich morgen Nacht zu ihr bringen. Dann bist du auf dich alleine angewiesen." Mit einer Handbewegung gab er ihr zu verstehen, dass sie den Raum nun verlassen konnte, dann trat er zurück in die Dunkelheit, aus der er gekommen war, und war verschwunden.

Die Nacht ging dem Ende zu und Ganja, eine recht junge aber intelligente Vampirin, begab sich wie all die anderen zu ihrer Ruhestätte.
Gerade als die Dämmerung am nächsten Tag einsetzte, erschien - wie der Meister angekündigt hatte - Lidia, sie war etwas älter als Ganja und eine der Wenigen, die sie als ein Vorbild bezeichnet hätte, was sie jedoch niemals irgendjemandem anvertraut hätte.
"Kommt!", sagte Lidia und mit diesen Worten führte sie Ganja hinaus in die Welt der Menschen, die ihr so schrecklich fremd geworden war. Sie durchschritten die dunklen Gassen einer Kleinstadt und in einer Einfamilienhaussiedlung der Mittelklasse blieb Lidia stehen und deutete auf ein altes, goldgelb gestrichenes Haus, ihr Blick ließ eine Spur von Mitleid erahnen. "Dieses ist es! Von nun an müsst ihr alleine weitergehen." Und noch bevor Ganja etwas erwidern konnte, war sie verschwunden.
Ängstlich und verunsichert, von der fremden, durch den Vollmond so schrecklich hell erleuchteten Welt um sich, schlich Ganja weiter auf das Haus zu. Alle paar Sekunden wurde sie dabei von einem Geräusch erschreckt. Mal war der Schrei eines Raben oder auch nur ein vorbeifahrendes Auto.
Schritt für Schritt ging sie weiter. Kämpfte gegen ihre Angst an und erreichte schließlich das Haus. Sie konnte die Wissenschaftlerin erkennen, von der der Meister gesprochen hatte. Sie stand auf der Veranda des Hauses und starrte nachdenklich in die Dunkelheit. Als Ganja sich noch ein paar Schritte näher heranwagte, konnte sie ihr Gesicht sehen ...
... und starrte in ihr Ebenbild. Unvorsichtig stolperte sie und verursachte dabei einen schrecklichen Lärm. Ihr Ebenbild hörte es und kam suchend in ihre Richtung. "Hallo? Ist da jemand?", fragte sie. Ganja wagte es nicht sich zu bewegen. Sie wartete, bis die junge Frau nahe genug war, um dann ihre Chance zum Biss wahrzunehmen. Die Wissenschaftlerin kam näher und näher. Sämtliche Muskeln Ganjas setzten zum Sprung an, doch irgendetwas hielt sie zurück.
Ganja zögerte es hinaus und hinaus. Unbewusst aber doch und schließlich hatte die Fremde sie entdeckt und einen Momentlang starrte auch sie Ganja vollkommen überrascht an, erholte sich jedoch deutlich schneller von dem Schrecken als die Vampirin. "Ganja?", fragte sie, "bist du es wirklich?" Wie ein Tier spannte Ganja abermals alle Muskeln zum Sprung. "Ganja? Erkennst du mich denn nicht wieder? Ich bin`s! Julie, deine Schwester!", sagte die Fremde, Julie.
Irgendetwas tat sich bei der Erwähnung dieses Namens und einen Moment lang schien es fast, als würde etwas Altes die Macht in Ganjas Körper wiedererhalten doch stattdessen übernahmen ihre Instinkte die Kontrolle. "Ich habe keine Schwester!", stieß sie wütend hervor und fletschte ihre Zähne.
Julie fiel es wie Schuppen von den Augen: "Oh mein Gott!", stieß sie hervor, "Du bist eine von ihnen!" Dabei wich sie vorsichtig, Schritt für Schritt, zurück.
"Ganja,", sprach sie mit ruhiger aber energischer Stimme auf ihre Vampir-Schwester ein. "Erinnerst du dich denn an gar nichts mehr? Sieh mich an! Du kennst mich! ... als wir 15 waren, waren wir im Sommer am Badesee draußen. Mit Tim, Daniel, Onkel Peter und seiner Tochter Susi. Susi konnte nicht schwimmen, erinnerst du dich? Und als sie trotzdem ins Wasser ging, hast du sie wieder herausgeholt! Du hast sie damals gerettet!" Für einen Sekundenbruchteil glitt ein Lächeln über Ganjas Lippen, doch dann erlangen ihre Instinkte die Kontrolle zurück. Sie fletschte abermals die Zähne und knurrte bedrohlich. Näher und Näher kam sie ihrer Schwester, die sich nur in Zeitlupe zu bewegen schien. Schon war sie nahe genug und endlich setzte sie zum Sprung an. Spannte alle Muskeln an und ...
... es wurde dunkel um Ganja.

Als sie wieder erwacht war, lag sie auf der beigen Ledercouch der Schwester in deren Wohnzimmer. Julie saß neben ihr auf der Couchkante und sah sie mit unglaublich verständnisvollem Blick an. "Wie Mutter das immer getan hat!", dachte sich Ganja. Auf einmal war ihr alles so klar, wie es seit Jahren nicht mehr gewesen war. Der Sommer, als sie 15 gewesen waren und auch jene Nacht als sie sie geholt hatten. Einfach alles!
"Ganja?", fragte Julie mit unendlich sanfter Stimme und lächelte die Schwester aufmunternd an. "Was ist passiert?" wollte dieses wissen und Julie gab bereitwillig Auskunft: ?Ich habe dir ein Mittel gegeben, das dich wieder zu der macht, die du bist, wie geht es dir?"
"Ich habe Kopfweh!" meinte Ganja und lächelte dabei schwach.
"Woran erinnerst du dich?", wollte Julie nach einer Weile wissen.
"An zu viel!" seufzte Ganja, "An alles eigentlich. Dass der Meister mich her geschickt hat, wegen irgendeiner Waffe." fügte sie nach einem Augenblick hinzu. In Julies Kopf schien es zu arbeiten: "Hat er sonst noch etwas gesagt?? Ganja dachte einen Moment lang nach: "Ja, dass nur ich diese Waffe zerstören könne."
"Das klingt plausibel.", sagte Julie mehr zu sich als zu Ganja, "du bist meine Zwillingsschwester. Niemand kennt mich besser und ich liebe dich." Ganja ließ sich in die Kissen zurückfallen. "Nun, da ich jetzt wieder ein Mensch bin, sollte die Gefahr doch gebannt sein."
Julie wurde unglaublich traurig und schüttelte den Kopf. "Das Mittel wirkt nur ein paar Stunden." Ganja sah sie entsetzt an: "... dann werde ich wieder zum Vampir?" Julie nickte nur und brachte es nicht mehr fertig ihrer Schwester in die Augen zu sehen: "Ich kann dir nicht mehr davon geben! Es würde dich töten!"
"Aber...? " stammelte Ganja. "Dieses Virus, Ganja, und der Schaden den es anrichtet, ist irreversibel! Du kannst kein Mensch mehr werden. Nie wieder.2 Eine Weile sahen sie sich einfach nur an. "Dann gibt es nur eine Möglichkeit!", meinte Ganja.
Ihre menschliche Schwester starrte sie entsetzt an. "Das kommt nicht in Frage! Ich werde etwas finden um dich zu heilen!? Ganja schüttelte traurig den Kopf. "Du sagtest selbst, es wäre nicht möglich!"
"Es muss einen Weg geben!", blieb Julie stur, doch Ganja sah sie fest an und sah eine Träne über Julies Wange rollen. Beide wussten, dass es keinen anderen Weg gab. Es musste sein.

Julie kochte Tee und den Rest der Nacht saßen die Schwestern auf der Veranda des Hauses. Es gab eine Menge zu erzählen. Eine Menge das Julie helfen konnte ihren Kampf zu gewinnen und eine Menge das Ganja zum Lachen brachte. Die Stunden vergingen wie im Flug und als der Himmel langsam heller wurde und die Dämmerung einsetzte war es für die Schwestern Zeit das letzte mal Abschied zu nehmen.
"Sei nicht traurig!" meinte Ganja doch dabei rann eine Träne über ihre Wange, "Ich bin sicher, irgendwann werden wir uns irgendwo wiedersehen!" "Denkst du?", wollte Julie wissen.
Die Vampirin nickte energisch. "Ich bin mir sicher."
"Ich liebe dich!", sagte Julie, bevor die aufkommenden Tränen ihr das Reden unmöglich machten.
"Ich dich auch!", brachte Ganja noch hervor, dann stieg die Sonne über den Horizont...
 

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