... für Leser und Schreiber.  

Es hätte nicht sein müssen...

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© Lena N.   
   
Er wusste nicht, wie die Anderen das machten... Einfach lachen, fröhlich sein, obwohl es doch so viel Schlimmes gab auf der Welt.
Mit jedem Tag, an dem es ihm schlecht ging, wandten sich mehr Freunde von ihm ab. Es war ihnen allen zu anstrengend, sie verstanden nicht, warum er immer so deprimiert war, sie wollten Spaß haben, das Leben genießen. Da passt jemand, dem das schwer fällt, nicht ins Bild. Also zog er sich zurück in seine eigene Welt, wo niemand sich von seiner schlechten Laune gestört fühlte. Stundenlang saß er da, träumte vor sich hin, schrieb auf, was ihm gerade so in den Sinn kam. Seitenweise ergossen sich seine Gedanken auf das Papier. Den wenigen Menschen, die er noch ab und zu traf, erzählte er nichts von diesen halb-literarischen Versuchen, die er zu unternehmen begonnen hatte. Sie hätten es ja doch nicht verstanden, ihn wahrscheinlich sogar noch ausgelacht...
Tage, Wochen, Monate brachte er so zu, schreibend, träumend, hoffend, dass jemand merken würde, wie schlecht es ihm ging.
Doch erst als es zu spät war, und seine Mutter mit Tränen in den Augen sein letztes Gedicht vorlas, verstanden die, die ihm früher nahe gewesen waren, was sich in ihm abgespielt hatte, dass er nicht einfach nur ein bisschen deprimiert gewesen war:


Winter in mir

Du fragst, ob ich die Sonne spüre,
fragst, ob ich den Frühling schmecke.
Doch geschlossen ist die Türe,
viel zu dicht die graue Hecke.
Ich fühle mich, als ob es regnet,
hätt’ geschworen, dass es schneit.
Ich wurde nicht damit gesegnet
froh zu sein, trotzt Frust und Streit.


Er hätte nur einmal um Hilfe rufen müssen, und alles wäre anders gekommen. Das war der entscheidende Fehler gewesen: Er hatte erwartet, dass andere seine Gedanken lesen würden.
 

http://www.webstories.cc 23.05.2024 - 08:37:40