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Verbotene Liebe

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© Susan Quark   
   
Der Sommer hatte es noch einmal gut gemeint und der Südküste Cornwalls einen letzten nicht endend wollenden Tag geschenkt. Zwischen blühenden Hecken, deren Farbenspiel von blutrot über pastell bis zu schneeweiß reichte, lief Jessica den schmalen Pfad entlang, den sie seit ihrer Kindheit kannte. Das Licht der Abendsonne ließ alle Dinge aus sich heraus strahlen, wie auf einem Gemälde von Thomas Kinkade. Ihr weites Kleid wehte schwerelos hinter ihr her und ihre leichten Schritte wurden begleitet vom gleichgültigen Murmeln des Baches, der hinter ihr an dem gemütlichen Cottage vorbeifloss und dann die Klippen dahinter ins Meer stürzte, das sich nur durch den weiten Horizont erahnen ließ. Die putzigen Fenster ihres Elternhauses waren trotz der frühen Abendstunde bereits erleuchtet und aus dem gedrungenen Kamin kräuselte sich eine dünne Rauchfahne, die verriet, dass sich jemand bereits in der Küche zu schaffen machte.

Jessica beschleunigte ihre Schritte als die alte moosbewachsene Steinbrücke in Sicht kam, die die Abzweigung zum Nachbargehöft darstellte. Zwischen den Büschen hindurch, die auf der Böschung wuchsen schlüpfte sie unter den beschützenden Bogen, dorthin, wo Mortimer bereits auf sie wartete. Wie immer trug er die schneidige Offiziersuniform, in der er unwiderstehlich gut aussah. Fast zu gut, denn alle Frauen der Umgebung bewunderten ihn, aber Jessica wusste, dass er nur Augen für sie hatte.
„Oh, Jessica, du bist so schön wie die Morgenröte“ – auch wenn sie diese Worte schon oft aus seinem Munde gehört hatte, trieben sie wieder eine leichte Röte in Jessicas zarte Wangen, während sie den Mund ihres Geliebten mit einem brennenden Kuss verschloss.
„Oh, Mortimer, mein Mortimer, wie liebe ich dich doch“ flüsterte Jessica in sein Ohr.
Doch diesmal war die Harmonie, die sonst immer zwischen ihnen war getrübt. Etwas, einem dunklen Schatten gleich, hatte sich zwischen sie geschoben, etwas, was Jessica mitgebracht hatte und sie umgab.
„Jessica, Liebes, warum nur zitterst du wie Espenlaub?“
Die junge, gerade erblühte Frau wischte sich eine Träne von ihrer Wange, bevor Mortimer Gelegenheit fand, sie wegzuküssen.
„Ach, wie schwer ist es um mein Herz, es treibt mich schier in den Wahnsinn“ war alles, was sie antworten konnte.
Mortimer lief ein Schauer über den Rücken.
„Es ist der Schurke de Puce!“ erriet er mit untrüglichem Instinkt.
„Ja, mein Herz, es ist de Puce, der unsere Verlobung hintertreibt. Er erpresst meinen Vater.“ schluchzte Jessica.
„Niemals!“ Mortimers Stimme klang gepresst.
„Doch, ich werde ihn heiraten – müssen!“ entgegnete Jessica, die den Tränen nun keinen Einhalt mehr gebieten konnte.
Mortimer stiess Jessica, die er eben noch eng umschlungen hatte, zurück.
„Wie das?“
Jessica schien der Ohnmacht nahe, so dass er sie schnell wieder in seine starken braungebrannten Arme zurückzog. Sie vergrub ihr Gesicht in seinen dunklen Locken. Mit Schaudern dachte sie an ihren verwachsenen Cousin, eine Karikatur von einem Mann, der es geschafft hatte, ihren Vater damit zu erpressen, indem er den Befehln gab, ein unschuldiges Dorf zu zerstören. Von dem er genau wusste, dass Mortimer ihn niemals ausführen würde, ja ihn nicht ausführen konnte. Aber es war Krieg und Befehl war Befehl. Wenn ihr Vater nicht gewesen wäre, der die Depesche abgefangen und vernichtet hatte – Jessica war ihm unendlich dankbar.. Aber de Puce hatte vorgesorgt und hatte ihn in der Hand. Und Mortimer wusste von nichts!

Sie dachte an das verzerrte Grinsen, das de Puce an den Tag gelegt hatte, als ihr Vater widerwillig ihre Verlobung mit dem Scheusal verkündet hatte und an die kalten Hände, mit denen jener sie begrapscht hatte wie seinen Besitz, seine lüsternen Augen, mit denen er sie förmlich ausgezogen hatte.
Sie dachte an ihren gütigen alten Vater, ein Gentleman der alten Schule, der nicht weit entfernt in dem Landhaus auf sie wartete. Sie wußte, es würde ihm das Herz brechen, wenn sie unglücklich würde. Er würde es nicht überleben; de Puce nahm seinen Tod billig in Kauf um ihrer habhaft zu werden.
„Niemals wird de Puce dich bekommen, vorher bringe ich ihn um!“ Mortimer machte einen zu allen entschlossenen Eindruck.
„Aber Schatz, wie könnte ich mit dir zusammenleben, wenn du eine solche Sünde begangen hättest! De Puce mag ein schlechter Mensch sein, aber wir dürfen ihn deshalb nicht hassen!“ gebot Jessica ihm Einhalt.
Mortimer blickte sie einen Moment zögernd an bevor er verlegen seine Augen senkte.
„Niemals wird de Puce dich bekommen!“ wiederholte Mortimer leise aber fest „Lieber sterbe - ich!“
Jessica brachte nur ein Nicken zustande.
In trauter Zweisamkeit wurde den beiden Liebenden in diesem Augenblick mit aller Konsequenz klar, daß ihre beider Leben keinen Pfifferling mehr wert waren.
Mortimer nahm ihre Hand und blickte Jessica fest in die Augen. Ihr gefror das Blut in den Adern.
Der Entschluss war gefasst.
„Ja. Wir folgen dem Regenbogen und sehen die Sonne wieder in einem anderen Leben wieder aufgehen.“ hauchte sie.
Mortimer liess ihre Hand nicht los, als sie festen Schrittes in das kalte klare Wasser des Baches schritten wie die Motten ins Licht, während glühend heisse Tränen über ihre Wangen wie Perlen rannen.
Und während hinter den Klippen Cornwalls die letzten Sonnenstrahlen ihre Finger in den Himmel ausstreckten, als wollten sie die beiden Liebenden zurückhalten, machte sich eisige Kälte in ihren Gliedern breit.

Aber der Bach war zu seicht und die Gesundheit der beiden zu robust, als dass sie darin hätte sterben können. Nachdem sie sich beide eine Erkältung geholt hatten, beschlossen sie lieber, wie der geölte Blitz nach Frankreich durchzubrennen. Mochte de Puce zur Hölle fahren. Das gute alte Cornwall mit seinen Bächlein und Moosbrücken, war ganz nett, aber Paris hatte auch etwas..
 

http://www.webstories.cc 25.04.2024 - 15:15:59