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Die Fliege

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Wer Paris besucht, geht in den Louvre, wer in den Louvre geht, wird die Mona Lisa aufsuchen, um dann in dichtem Gedrängel festzustellen, wie klein sie doch ist. Aber das ist Gesetz, einerseits, das der gekoppelten Zwangshandlungen, andererseits, dass Prominente immer kleiner sind, als man sie aus Film, Funk, Foto oder Imagination kennt. Als irgendwann mal die Dame entwendet wurde, war der Andrang sogar noch größer. Was wollten die Leute dort sehen? Eine Lücke? Feststellen, dass die von Frau Lisa hinterlassene Lücke kleiner als die Lücke in ihrer Vorstellung ist?
Wenn Thomas Bernhard in Wien war, ging er stets ins Kunsthistorische Museum, was man so hört, wohl nicht so häufig wie die Figur des Herrn Reger in “Alte Meister”, der seit mehr als dreißig Jahren jeden zweiten Tag, außer montags, das Museum aufsucht, um sich im “sogenannten” Bordone-Saal gegenüber Tintorettos “Weißbärtigem Mann” niederzulassen, und ihn anzustarren, ich weiß leider nicht mehr, warum, was er an dem Bild findet, und wie das Ding dann noch ausgeht, aber ich bin dann sogar auch mal in den “sogenannten” Bordone-Saal gepilgert, um mir die Sache anzusehen, den weißbärtigen Mann, und konnte außer einem magenkrank bis apathisch blickenden Opa nichts besonderes entdecken, jetzt gibt es sogar im Museumsshop eine Postkarte von dem Knaben, möglicherweise, weil so viele Bernhard-Hooligans danach gefragt haben, das ist an das Seipelohr gedrungen und er hat den Druck veranlasst. Auch ich kaufte mir die Postkarte, sie steckt jetzt als Lesezeichen in “Alte Meister”, für den Fall, dass ich es schaffe das Buch nochmal zu lesen.
Auch ich habe ein ganz bestimmtes Bild, sozusagen meine weißbärtige Mona Lisa (um mal ein ganz billiges Witzchen zu machen), das ich immer wieder und immer wieder gern aufsuche, nur kennt das kein Schwein, weil es so versteckt ist und ein einsames Dasein fristet. Es befindet sich im Unteren Belvedere, im “sogenannten” Mittelaltersaal, da muss man durch die ganzen Barocksäle latschen, im letzten ist eine Tapetentür, die führt ins Freie, dann geht man durch einen Park und kommt zum Mittelaltersaal, und da, ganz hinten, in einer Ecke ist ein winzigkleines Bild, dass nicht größer in meiner Vorstellung sein konnte, weil ich es ja zuvor gar nicht kannte. Das Gemälde eines unbekannten tiroler Malers heißt “Bildnis Erzherzog Sigmunds des Münzreichen” und ist datiert um 1490.
Es stellt einen Mann dar, physiognomisch einer Kröte nicht unähnlich, zwischen seinen Fingern hat er eine Kette, wohl eher kein Rosen- sondern eine Geldzählkette, funktioniert wahrscheinlich ähnlich wie ein Abacus. Die Sensation, das eigentlich großartige an diesem Bild ist aber eine winzigkleine Fliege auf seinem Wams, genau an der Stelle, wo ein paar Jahrhunderte später Lacoste sein Krodil hinnähte, keinem Menschen fällt sie auf, am letzten Sonntag, als ich wieder mal vor ihr meditierte, kamen 3 Touristen vorbei, ich wies sie auf das Insekt hin, vom ersten dachte ich es sei ein Amerikaner, ich sagte “Look, a fly!”, er: “Jössas ja, a fly”, es folgten noch ein völlig verblödetes spanisches Paar, die angstvoll “mosca” murmelten, irgendwo hab ich mal gelesen, dass die Fliege ein Symbol des Teufels sei, beim Rausgehen, durch die endlosen Fluchten der Barockabteilung trug eine Museumsfrau eine Katze im Arm, ich fragte, ob das die Museumskatze sei, sie meinte: Ja, sie schleiche sich hier immer wieder rein. Ist das nicht schön? Krötenmann mit Wamsfliege, bewacht von Museumskatze.
 

http://www.webstories.cc 27.04.2024 - 11:49:01