... für Leser und Schreiber.  

Geh sterben

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©  ThiloS   
   
Mir fallen die manchmal so in der Fußgängerzone auf. Vorwiegend junge Menschen in lebensbejahenden, fröhlichen schwarzen Klamotten, mit schwarzen Haaren, schwarzen Lippen, schwarzen Fingernägeln und erschreckend weißer Hautfarbe. Meist so düster blickend, daß die Zeugen Jehovas daneben wie überkandidelte Clowns auf Acid wirken. Irgendwie auch "tot" aussehend. Wie frische Wasserleichen. Und so ähnlich auch riechend. Mit Netzstrumpfhosen und religiösem Tinnefgebammel um den Hals. Und irgendeinem Tattoo. Vorzugsweise dem guten alten Drudenfuß. Natürlich auf dem Kopf stehend. Als Zeichen des Satans. Boah. Gruselig.

Diese hoffnungsvollen jungen Menschen, von denen ich eigentlich erwartet hätte, daß sie ein Mittel gegen Aids erfinden oder die weltweite Wirtschaftskrise lösen, bezeichnen sich selbst als "Gothics", was soviel wie "schwarzgekleidete Volldeppen" heisst. Gothics möchten gerne durch ihr Auftreten provozieren, aber gleichzeitig natürlich nicht beachtet werden, "nur weil wir anderster gekleidet sind und so". Was sehr viel über den Intellekt dieser Geisterschwarzfahrer aussagt.

Gothics beschäftigen sich am liebsten mit so optimistischen Themen wie Tod, Sterben, Satan, Fäulnis, Verwesung, Vergänglichkeit, "lebendig begraben werden", Friedhof, Sargprobeliegen und Beerdigungsinstituten. Deswegen sieht man eher einen frisch überfahrenen Passanten lächeln als einen dieser zwangsverkleideten Schwarzstiftlutscher.

Was mir auch aufgefallen ist: Gothics reden nicht. Weder miteinander noch gegeneinander. Sie reden einfach nicht. Tote reden ja auch nicht. Fische auch nicht. Tote Fische sowieso nicht. Also reden Gothics auch nicht. Außer, es ist eine Fernsehkamera in der Nähe. Dann wird über die intolerante Gesellschaft wie der Leichnam am letzten Weg gejammert.

Mir drängt sich unweigerlich die Frage auf, was die Schwarzkittel machen, wenn sie was los machen wollen. Was tun die dann? Sich die Pulsadern öffnen? Leichen ausbuddeln? Laut in der Kirche beten? In Gummiflossen bei Beerdigungen auftauchen? Mausoleen besetzen? Friedhöfe schänden? Satan mit dem Blut des Goldhamsters aus der Kinderzeit beschwören? Pentagramme von amerikanischen Militärfahrzeugen klauen?

Ich mein, gut, sie tun ja keinem was. Gothics stehen meistens irgendwo rum, wo sie sich schön von den orangenen Abfalleimern der Stadtreinigung abheben und sehen wie Grabsteinengel aus. Traurig, melancholisch, in sich gekehrt, introvertiert. Man möchte direkt ein rotes Grab-Lichtchen auf ihnen anzünden. Und dann find ich das schon wieder geil.

Kann man doch einem der Robert-Smith-Kopien einen Euro in die Hand drücken und ihm ein aufmunterndes "geh sterben" zurufen. Was hiermit getan sei.
 

http://www.webstories.cc 29.04.2024 - 21:15:35