... für Leser und Schreiber.  

L(i)eben

204
204 Stimmen
   
©  Middel   
   
Wie gefallene Engel liebten wir uns durch die Hölle der Vergänglichkeit. Ewig zu leben widerstrebte uns, doch für ewig zu lieben hatten wir uns geschworen. Und nun hungern wir uns durchs Tal der Unnahbarkeit, jeder für sich. Der Wind, der mir ins Gesicht weht, hat dich noch nicht erreicht. Doch auch du wirst ihn spüren, wenn er kälter wird – und stärker. Noch ist er schwach und warm, leicht zu verwechseln mit einer wohltuenden Abendbrise nach einem langen, heißen Tag.
Doch es ist nicht der Wind, der mir Angst macht. Er hat alleine keine Macht. Es ist die Angst, die den Wind macht. Und je stärker sie wird, desto mehr Kraft bekommt er. Die Angst zu verlieren, was uns ausmachte. Und im Wissen, dass gerade diese Angst der Auslöser sein könnte, verlieren wir den Halt, den wir uns gaben.
Zusammen waren wir mehr ... Mehr Liebe ... Mehr Treue ... Mehr Verlässlichkeit ...
Wir stahlen uns die Zeit, die wir zum Lieben brauchten. Und ohne ein einziges gesprochenes Wort philosophierten wir uns durch die Nacht. Wir schrieben uns gegenseitig Liebesbriefe ins Herz. Doch unser Diebesgut wurde rarer und die Innigkeit schwand. Wir verstanden unsere Briefe nicht mehr und Zeit für Erklärungen wurde getauscht gegen wortlose Unverständnis.
Und trotzdem möchten wir nicht loslassen. Ist es die Erinnerung an unser Versprechen? Sind es die noch vorhandenen Gefühle? Oder einfach nur die Furcht vor Einsamkeit und die damit verbundene Frage: Ewig zu leben widerstrebt uns, ewig zu lieben auch?
 

http://www.webstories.cc 04.05.2024 - 02:15:28