... für Leser und Schreiber.  

Iggy inda house - part X2 - Schrei mal, wenn du schraubst...

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© Ingrid Alias I   
   
„Du solltest besser hierhin gucken!!!“

Was? Wieso? Was meint er?
Ach ja - ich muss diese Schraube halten, und er meint, ich wäre nicht richtig bei der Sache. Das stimmt. Ich habe tatsächlich über anderes nachgedacht. Unverschämterweise.
Wo ich doch meine Aufmerksamkeit nur auf diese Schraube richten sollte, auf diese Schraube, die mein Göttergatte gerade fluchend in irgendeine Holzlatte schraubt. Natürlich flucht er nicht auf sich selber und auf seine Unfähigkeit, diese Schraube in jene Holzlatte zu schrauben - nein, er flucht über die Unzulänglichkeit des Seins, über die Unzulänglichkeit von Schrauben und von Holzlatten, über die Unzulänglichkeit von Ehefrauen, die ihre Gedanken von diesen unzulänglichen Schrauben abwenden und an andere Sachen denken.

HOCH SOLL ER KLEBEN, HOCH SOLL ER KLEBEN, DREIMAL HOCH!

Meine Gedanken schweifen schon wieder ab. Ich hasse das Renovieren. Blöderweise haben wir ein marodes Haus. Es verrottet uns unter Händen und Füßen und ist einfach scheußlich: Ein Haus der vierziger bzw. der fünfziger Jahre, als die Erbauer jeden erdenklichen Schrott verwendeten: Hauptsache erhältlich. Und als Nebeneffekt dauerhaft hässlich.
Wenn ich nur an die Bank im Garten denke, dieses Betonobjekt! Als wir sie entfernen wollten, stellten wir fest, dass sich der obere Teil zwar relativ leicht abnehmen ließ (Freude!), aber die beiden Stützpfeiler der Bank so tief im Boden einzementiert waren – circa bis zum Mittelpunkt der Erde – dass man sie ohne Sprengung nicht hätte entfernen können. Was haben sich die Erbauer dabei gedacht? Hatten die Angst davor, die Bank könne sich der Schwerkraft entziehen und in den Himmel entfleuchen?
Was tun? Antwort: verkleiden, ummanteln, einwickeln ... Und so erging es uns eigentlich mit dem ganzen Haus.
Hatte ich übrigens schon erwähnt, dass ich das Renovieren hasse?
Vor ein paar Tagen war dann wieder so weit: Unter anderem wollten wir etwas mit der billigen weißen Laminatholzdecke machen, ferner tapezieren und alle Türen und Rahmen streichen. Ich tapeziere gerne, wenn auch unorthodox - zur Not tapeziere ich quer, es kommt mir nur darauf an, dass es hinterher gut aussieht. Jeder Handwerker würde sich mit Grausen abwenden - und deshalb arbeite ich gerne alleine, da kann mir keiner reinreden, weder Mann noch Handwerker. Leider stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass Bobo dieses Mal mit mir zusammen tapezieren wollte und mich packte ein mittelschweres Grausen. Er würde alles anders machen wollen als ich. Und vor allem besser ...
Zu meiner Überraschung lief es aber ganz gut. Wir arbeiteten über eine Woche lang ganz nett zusammen. Er meckerte nicht soviel herum wie sonst, und ich versuchte, das bisschen Gemecker zu ignorieren und auch meine eigenen bissigen Bemerkungen zurückzuhalten. Er hat es nämlich drauf, mich zu erzürnen. Bei der letzten Renovierung, als ich gerade die allerletzte Tapetenbahn an die Wand kleben wollte, da sagte dieser Kerl doch tatsächlich: „Willst du das nicht fertig machen?“
Woraufhin ich erwiderte: „Ach nee, eigentlich nicht.“ In einem sehr ironischen Ton – wie ich dachte.
„Dir traue ich alles zu“, war SEIN Kommentar und mir fehlten die Worte. Der Mann ist einfach unglaublich. Und wenn er das noch mal tut, klatsche ich ihm die letzte schleimige Tapetenbahn um die Nase und rufe: „Habe fertich!“
BEIM KLEEEBEN, BEIM KLEEEBEN GEHT MANCHES MAL DANEEEBEN...
Tolle Ideen waren aber immer vorhanden. Vor zwei Jahren wollten wir die Terrasse fliesen, und Bobo hatte keine Lust, mit der Kreischsäge die Fliesen zu bearbeiten – der einfache Fliesenschneider hatte nämlich versagt. Also mussten wir kreativ umdenken: Erst legten und klebten wir die Fliesen diagonal, dann zertrümmerten wir mit einem dicken Hammer andersfarbige Fliesen und füllten die leeren Stellen mit einem wilden Mosaik auf.
Und man glaubt es nicht: Auch fünfzehn Jahre später sieht es fantastisch aus.
Außerdem war es lustig, im Baumarkt die Fliesen zu kaufen und Witze darüber zu machen, dass man dort nicht ausprobieren konnte, was die Fliesen beim Kaputthacken für Stücke bilden würden, eher bizarre spitze oder eher rechteckige glatte… Und beim Transport lachten wir uns darüber kaputt, dass wir uns so viel Mühe machten, die Fliesenpakete unbeschädigt nach Hause zu schaffen – um dann zuhause mit einem Vorschlaghammer wie wild auf sie einzuprügeln ...
Auch unser Badezimmer war von ergreifender Abscheulichkeit. Die Sanitärkeramik (Klo, Waschbecken und Badewanne) im Gummiwärmflaschenrostbraun, dazu aparte Fliesen, die aussahen wie Mönche, auf die Vögel gekackt hatten. Wir hätten alles von Grund auf erneuern lassen können, aber wir hatten nach dem Kauf dieser uralten Klitsche keinen Cent mehr übrig. Also renovierten wir auf Risiko: Die beschissenen Mönche überstrichen wir mit einer Spezialfarbe. Klo und Waschbecken ließen wir erneuern, die Badewanne fliesten wir mit kleinen blauen Knopffliesen. Von innen… War eine saumäßige auf den Rücken und an die Nerven gehende Arbeit.
Aber es hielt und hält immer noch, und es sieht fantastisch aus.
Wo war ich? Ach ja, die hässliche Kunstholzdecke im Wohnzimmer. Ich hatte mir von einer Schreinerei einen Kostenvoranschlag machen lassen. Die neue Decke sollte Balken haben und dazwischen Rigips-Platten. Leider war die Summe doppelt so hoch, wie ich gedacht hatte. Ich musste herzhaft lachen - wir sind zwar bescheuert, aber so bescheuert nun auch wieder nicht.
Also setzten wir uns hin und dachten über Alternativen nach. Wir kamen schließlich auf eine künstliche Balkendecke. Mit dicken, verzierten Holzleisten, die wir ebenholzfarbig (also fast schwarz) lasierten, wurden die Balken simuliert. An die Ränder der Decke kamen dunkle Leisten, aber etwas schlichtere. Es war natürlich eine Heidenarbeit, die Dinger ohne Auto (wir haben seit Jahrzehnten keins mehr) zu transportieren und vor allem zu lasieren, doch die Mühe hat sich gelohnt: Die Decke sieht jetzt kostbar aus, und sie macht den Raum höher.
Auch die vorherige Tapeziererei war nicht so schlimm, Bobo half mit, er meckerte zwar über jeden Kleisterfleck, und ich war mehr mit dem Abwischen des Kleisters beschäftigt als mit dem Tapezieren selber...
…Es ging alles gut, bis wir am Wochenende Besuch von Freund H. bekamen, der ganz heiß auf Renovierungsarbeiten ist und der uns beim Verlegen des Dielen-Laminats helfen wollte. Einen Tag vorher hatte ich in aller Schnelle noch die Diele tapeziert. Die Diele ist ein Horror, sie hat vier Türen, und es müssen circa hundert Tapeteneinzelteile geschnitten werden. Ich wandte einen Trick an, den ich jedem empfehlen kann. Ich tapezierte nämlich die untere Hälfte der Diele mit einer anderen Tapete als die obere. Es ging viel schneller, denn die elend langen Stücke entfielen, und da wo Steckdosen waren, konnte ich aus den kurzen Stücken viel besser die Löcher herausschneiden.
Zwischen die beiden Tapeten klebte ich zuletzt eine breite Bordüre, und tatsächlich habe ich es in drei Stunden geschafft. Neuer Rekord!
Nach dem Tapezieren war also das Laminat an der Reihe. Ein anderer Freund, Freund J. brachte uns eine Kreissäge und den alten Holzhobel seines Vaters vorbei. Dieser Hobel war allerdings so fein eingestellt, dass er kaum etwas (eigentlich gar nichts) hobelte. Vielleicht hobelte er ein paar Moleküle ab, aber die schienen mir unsichtbar zu sein.
Da auf dem Terrassentisch schon eine Tür lag, die wir gestrichen hatten, musste das Laminat auf dem Tapeziertisch gesägt werden. Außer der Kreissäge, dem Hobel, diversem Werkzeug und einem Zweieinhalb–Liter-Eimer weißer Farbe stand nichts darauf...
Ich kam gerade aus dem Garten und musste zusehen, wie der Tapeziertisch auf einer Seite mit den Beinen nachgab und wie in Zeitlupe das Zweieinhalb-Liter-Gebinde weißer Farbe vom einknickenden Tapeziertisch auf den Terrassenboden knallte.
D E R D E C K E L L Ö S T E S I C H , J E D E M E N G E W E I ß E F A R B E F I E L U N A U F H A L T S A M W I E I N Z E I T L U P E A U F D E N T E R R A S S E N B O D E N H I N A B U N D S A U T E D O R T A L L E S V O L L . V O R A L L E M D I E F U G E N . O O O O H S C H . . . . ! ! !

Natürlich war Bobo nicht schuld an dieser Katastrophe. Sondern die Gesamtsituation:
Wer stellt schon solche schweren hinterhältigen Sachen auf den Boden? Also wirklich!
Wir verloren nur eine Stunde, die mit Reinigungsarbeiten draufging, wobei sich Bobo auffallend zurückhielt. Ich meine mit Meckern und seiner Anwesenheit. Er hatte bestimmt was Wichtigeres zu tun.
Zum Glück handelte es sich um Acryl-Farbe, wasserlöslich und relativ leicht entfernbar. Freund H. und ich nahmen einfach unsere Hände zu Hilfe, schöpften damit Farbe und ließen sie wieder in den Eimer zurückfließen. Eine Sauerei war das!
Gott sei Dank war die geliehene Kreissäge nicht heruntergefallen, und auch der alte ehrwürdige Hobel war intakt geblieben.
Nicht auszudenken, wenn ich Freund J. den Familienhobel schön weiß eingefärbt zurückgegeben hätte...
Als ich diesen Gedankengang äußerte, brach Freund H. in Lachen aus, und sogar Bobo verzog seinen Mund zu einem widerwilligen Lächeln:

IST DAS KLEBEN NICHT WUNDERBAR?
 

http://www.webstories.cc 27.04.2024 - 19:53:56