... für Leser und Schreiber.  

Entfliehen

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©  PoetySmurf   
   
15.03.2005

Er möchte laufen, in die Dunkelheit entfliehen, steht jedoch auf der hellen Seite der Scheibe. Wäre es anders, wenn er bereits liefe? Wohl kaum, sein Weg würde ihn einmal mehr im Kreis führen. Dann stünde er wieder an der Scheibe, die Hand aufs kalte Glas gelegt, der Blick wäre einmal mehr starr vorbei an den Lichtern der Laternen und denen der anderen Häuser in die Dunkelheit gerichtet, und auch die Gedanken blieben schwermütig. Es ist jedoch nicht die Liebe zur Dunkelheit oder Einsamkeit der Nacht, die ihn hinaus treibt. Vermutlich ist es das Gefühl, wie der kalte Wind über seine Haut peitscht. Ist das Gefühlskälte? Die frische Luft bringt ihn zum Nachdenken, schneidet unkontrolliert Bilder in seinem Kopf zu einem Film zusammen. Die Nächte, wo es ihn nicht nach draußen zieht, droht er zu ertrinken. Wasser ist nicht die einzige Flüssigkeit, in welcher man ertrinken kann. Ich verschenke gelbe Rosen, die Frage ist nur, wer der Empfänger ist. Möchte er doch laufen, so sehnlich, er will vom Dunkel der Nacht verschlungen werden. Es kann losgehen Trainingshose, zwei T-Shirts, Pullover und sogar eine Mütze und auch der Stützverband ist am Knie angelegt. Halt warte, dir fehlt etwas, das Werkzeug eines Läufers, die Schuhe! Ihm fehlen seine Laufschuhe. Er durchwühlt das ganze Haus, mehrmals. Aber sie bleiben unauffindbar. Frustriert stellt er sich an die Haustür und blickt durch die Scheibe ins Dunkle. Seine Blicke sind diese Nacht vermutlich das Einzige, was von der Dunkelheit verschlungen wird. Das Glas der Haustür, getränkt mit der Kälte, beschlägt unter seinem langsamen aber beständigen Atem. Der Scotch ist leer, also heute Abend kein Hinausschwimmen aufs weite Meer. Stattdessen wird ihm, während ein anderes Meer sich seiner bemächtigt, die Realität bewusst. Es entstehen Schmerzen ohne Blut, Tränen fließen ohne Gewalt und es ist kein Knochen, der gebrochen wurde. Keine Ecke ist dunkel genug. Nur die Weite der Nacht gewährt ihm die ersehnte Ruhe. Aber sobald er von Stille umgeben ist, findet seine Gedankenwelt keine Ruhe und sucht nach Antworten, für die noch nicht einmal die Fragen gestellt wurden. Er fühlt und hört sein eigenes Herz schlagen. Ob er noch an dieses glaubt, weiß man nicht, jetzt jedenfalls noch nicht. Der Schlaf fängt ihn ein, erlöst ihn für diese Nacht von seinen Qualen, doch das Jahr hat 365 Tage und ebenso viele Nächte. Ferner sei zu erfahren, wie es bei ihr erst aussieht.
 

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