... für Leser und Schreiber.  

Einer dieser Tage

162
162 Stimmen
   
©  Middel   
   
Es war einer dieser Tage, wo man sich ganz fest vornimmt, dass man etwas ändern möchte. Ich weiß nicht, ob ihr solche Tage kennt, aber bei mir kamen sie leider häufiger vor, als das sich wirklich etwas änderte. Sommeranfang war es und schon früh Morgens so warm, dass ich in Minirock und Bluse unterwegs war ohne zu frieren – und ich friere leicht.
Das Telefon hatte geklingelt, als ich mich auf dem Weg machen wollte, aber da ich es eilig hatte, überließ ich es dem Anrufbeantworter mich zu entschuldigen. Ich würde mir bei meiner Rückkehr anhören, wer mich da wohl sprechen wollte.
Denn an diesem Tag wollte ich es endlich hinter mich bringen. Ich wollte Schluss machen mit der ganzen Lügerei und ihm endlich reinen Wein einschenken. Stefan sollte erfahren, dass ich ihn weder liebte, noch jemals in der Lage dazu wäre, dies zu tun. Ich empfand sicherlich Sympathie für ihn, vielleicht auch ein wenig mehr, doch Liebe, so viel stand damals für mich fest, war es nicht!
Ich schwang mich auf mein Fahrrad und machte mich auf den Weg ins Nachbardorf, dorthin, wo Stefan wohnte. Während meiner 15minütigen Fahrt ging mir einiges durch den Kopf. War ich schlecht, weil ich ihn so lange Zeit habe in dem Glauben lassen, dass mehr aus uns werden könnte? Würde er mich dafür vielleicht sogar hassen? Und wäre das eventuell sogar noch das Beste? Mein Herz raste und ich begann langsam zu verstehen, wie dumm es von mir gewesen war, dieses Gespräch solange aufzuschieben. Schließlich ging dieser Junge nun davon aus, wir beide könnten eines Tages als Paar ... Plötzlich stoppte ich. Vor mir war etwas schreckliches passiert. Ein Unfall. Ich stieg vom Rad und sah wie mehrere Feuerwehrmänner einen Verletzten aus einem völlig zerstörten Auto bargen. Mir stockte der Atem. Das Auto kannte ich. Völlig außer mir und ohne nachzudenken rannte ich los. Ich vergaß alles um mich herum und wollte nur so schnell wie möglich zu diesem Verletzten. Erst als zwei Polizeibeamte mich am Weiterrennen hinderten, kam ich einigermaßen zu mir. Ob ich den verletzten Jungen kennen würde? Mein Gott ... Ja! Es war Stefan. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Meine Hände zitterten und ich glaubte zu schreien, doch meine Lippen blieben stumm. Man nahm mich zur Seite und fragte wer ich sei. Die Freundin? Ich antwortete mit einem leisen „ja“ und bekam nur noch Satzfetzen mit. „LKW ... zu schnell gefahren ... Keine Chance ... Fahrerflucht ... TOD!“ Mir wurde schwarz vor Augen.
Wie ich später erfuhr brachte man mich ins Krankenhaus. Kreislaufkollaps. Ich musste eine Nacht da bleiben, vorsorglich. Noch in der gleichen Woche wurde mein „Freund“ beerdigt und insgeheim war ich froh, dass ich ihm nichts von meinen Absichten mehr habe erzählen können. Bei der Beerdigung war Stefans gesamte Familie anwesend. Sie umarmten mich und waren der Meinung mich trösten zu müssen. SIE trösteten MICH. Ich kam mir wieder unendlich schlecht dabei vor, behielt dies aber für mich. Angelika, Stefans Mutter, gab mir noch einen verschlossenen Umschlag. „Ein Brief von Stefan ... er hatte ihn bei sich und es stand dein Name drauf, deshalb ... nimm du ihn!“ Es fiel ihr sichtlich schwer mir diese wohl letzte Hinterlassenschaft zu überreichen. Aber sie tat es in dem Glauben mir damit vielleicht ein wenig helfen zu können.
Abends zuhause fiel mir auf, dass ich seit Tagen den Anrufbeantworter nicht abgehört hatte. Völlig auf den Brief konzentriert, den ich zu öffnen nun fest entschlossen war, schaltete ich das Gerät ein. Ich las: Liebe Sonja, lange hab ich mir überlegt, wie ich es am besten Anfange dir von meinen Gefühlen zu berichten ... ich hörte: „Sonja, ich muss dir unbedingt etwas überreichen, das kann nicht warten. Ich mach mich auf den Weg ...“ ... Ich las: ... ich bin einfach nicht verliebt ... Ich hörte: „...hoffentlich bist du dann zuhause, ich halt es hier nicht mehr aus ...“ ... Ich las: „... es keine Zukunft für uns ...“ Meine Tränen tropften auf das Blatt Papier. Mir wurde wieder heiß und kalt, während ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Es gelang mir nicht. Ich legte den Brief beiseite und schwor mir nie wieder etwas aufzuschieben in meinem Leben.
 

http://www.webstories.cc 04.05.2024 - 00:30:58