... für Leser und Schreiber.  

Der Mann mit dem Telefonhörer

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© Homo Faber   
   
Was anderes konnte er nicht mehr, essen, sich bedienen lassen und telefonieren. Ja, telefonieren, das war eine Sucht, er konnte schon gar nicht mehr ohne Telefonhörer. Andere waren fernsehsüchtig, andere arbeitssüchtig, und er war telefoniersüchtig. Er saß nur noch Tag für Tag, von morgens bis abends in seinem Zimmer und telefonierte. Nicht einmal zum Essen verließ er das Zimmer, sondern aß dort, während er telefonierte. Seinen Schreibtischsessel hatte er vor Jahren gegen einen Toilettenstuhl ausgetauscht, so brauchte er das Zimmer gar nicht mehr verlassen.
Seine Eltern waren auch telefoniersüchtig, man sagte, sie telefonierten sogar miteinander, wenn beide in der Wohnung waren, und es gab das Gerücht, dass er beim telefonieren gezeugt worden sei.
So telefonierte und telefonierte er, wurde über die Jahre älter, dicker vom nur da sitzen, grauer, verlor Haare und schließlich seine Frau, die es nicht mehr ertragen konnte. "Du Häbbert, dat geht so nich mehr, ich verlass dich getz", sagte sie eines Tages. "Momment Helga, ich hab getz keine Zeit, ich telefoniere", erwiderte er.
Seine Frau war weg, aber er merkte es gar nicht, hauptsache, er konnte telefonieren.
Irgendwann starb er, mitten beim Telefonieren.
Sein Wunsch war es gewesen, dass ihm ein Telefon mit ins Grab gelegt wurde.
 

http://www.webstories.cc 30.04.2024 - 05:59:52