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Ewige Liebe

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© Lena N.   
   
Sie waren achtzehn, sie waren verliebt, sie waren glücklich. Schon seit acht Monaten waren Karl und Tatjana ein Paar. Eine lange Zeit in ihrem Alter…
Der große, schlanke Karl und die kleine, aber ebenso schlanke Tatjana waren beide immer von allen Klassenkameraden umschwärmt worden, seit sie sich gefunden hatten, galten sie als unschlagbares Traumpaar der Schule. Der Abiturstress tat ihrer Liebe keinen Abbruch, sie trafen sich täglich zum Lernen, fragten sich gegenseitig ab und fanden trotzdem noch Zeit für das, was junge Liebespaare eben gern tun. Fast jeden Abend spazierten sie durch den idyllischen Park der Kleinstadt, setzten sich zum Schmusen unter die große Weide mit den tiefhängenden Zweigen und träumten von ihrer gemeinsamen Zukunft.
Das Abitur bestanden sie dann auch beide mit recht guten Noten und es ging ans Überlegen, was man wirklich mit seiner Zukunft tun sollte. Für Karl war klar, er wollte eines Tages die Firma seines Vaters übernehmen, also würde er in der nächsten Stadt BWL studieren und abends nach Hause fahren, um den Betrieb des Vaters besser kennenzulernen.
Tatjana allerdings wollte die Welt sehen, sie wollte frei sein, die elterliche Kleinstadt verlassen. So entschied sie sich, zunächst einmal ein Jahr in Australien und Neuseeland zu verbringen. Sie erzählte Karl eines Vormittags kurz nach dem Abschlussball von ihren Plänen. Er war entsetzt, hatte er doch so eine Ahnung, dass ihre Liebe dieses Jahr nicht überstehen würde. Hilflos stellte er sie vor die Entscheidung: Australien oder er. "Ich werde heute Abend an der Weide im Park warten, wenn du kommst, heißt das, du bleibst. Wenn du nicht kommst, so werde ich zwar immer auf dich warten und dich immer lieben, aber ich werde wissen, dass es vorbei ist. Ich hoffe sehr, dass du kommst, ich möchte ungern den Rest meines Lebens mit Dasitzen und Warten verbringen!"
Tatjana schwankte zwischen Rührung und Belustigung ob seiner romantisch-kitschigen Rede und antwortete ihm, sie werde am Abend sehen, was ihr Bauch ihr zu tun rate. Sie küsste Karl innig, dehte sich um und ging nach Hause, um zu einer Entscheidung zu kommen. Karl blieb traurig stehen und fragte sich, ob er sie wohl je wieder sehen würde. Und was er machen sollte, wenn nicht. Tatjana war seine große Liebe, eine andere Frau kam für ihn trotz seines zarten Alters nicht in Frage.
Schon zwei Tage später saß Tatjana im Flugzeug Richtung Australien. Dort verbrachte sie zwei herrliche Monate, die sonnengebräunten Surfer ließen sie Karl schnell vergessen. Dann flog sie weiter nach Neuseeland. Es kam wie es kommen musste - sie verliebte sich, heiratete, bekam zwei Kinder und hielt sich für glücklich, bis sie eines Tages nach Jahren und Jahren der Ehe dieses rote Höschen unter dem Kissen ihres Mannes fand. Ihres war es nicht, und ihm konnte es auch kaum gehören. So verließ sie ihn Hals über Kopf, die Söhne waren sowieso vor einiger Zeit aus dem Haus, um ihrerseits als surfende Weiberhelden glücklich zu werden.
So entschied sich Tatjana, ihrer alten Heimat einen Besuch abzustatten. Irgendwo tief in ihrem Innersten hoffte sie, Karl wiederzutreffen, der war keiner, der rote Schlüpfer unter seinem Kissen versteckte…
Als sie jedoch in ihrer Heimatstadt ankam, wurde ihr erzählt, dass Karls Eltern vor langer Zeit aus Trauer über das Verschwinden ihres Sohnes gestorben seien. Karl sei eines Abends aus dem Haus gegangen und nie wieder gesehen worden.
Traurig und verwundert ging Tatjana die Straße entlang Richtung Stadtpark. Karl hatte doch unbedingt studieren, die Firma übernehmen, erfolgreich werden wollen. Was konnte nur in ihn gefahren sein? Ob es ihn doch auch zu einem Abenteuer wie dem ihren getrieben hatte? Vielleicht war diese seltsame Postkarte vor vielen Jahren ja doch von ihm gewesen und er war ihr gefolgt? Dann hatte er sich vielleicht nicht getraut, sie in Neuseeland wirklich aufzuspüren.. Möglich wäre es. Sie hatte die Karte damals für einen Streich ihrer Freundin Katja gehalten. "Bis bald, K." war darauf gestanden und Katja hatte sie ja tatsächlich kurz darauf besucht. Dass sie behauptete, die Karte sei nicht von ihr, passte ganz gut zu ihrer Art.
Sie spazierte lange durch den Stadtpark, bis sie sich zufällig vor der alten Weide wiederfand. Hier hatte Karl damals auf sie warten wollen, sie war nicht gekommen, um ihr Glück stattdessen in der Fremde zu suchen…
Sie schlüpfte zwischen den Zweigen hindurch in die grüne Höhle aus Laub und Geäst. Gerade wollte sie sich hinsetzen, da fiel ihr Blick auf etwas weiß-graues, das am Boden herumlag. Zuerst bekam sie einen riesigen Schrecken, doch dann sagte sie sich, dieses Skelett müsse wohl ein makabrer Halloweenstreich der Dorfjugend sein. Ja, es kam ihr sogar bekannt vor, es war wohl das Anschauungsobjekt aus dem Biologiesaal des örtlichen Gymnasiums. Kopfschüttelnd ging sie weiter. Ob sie doch nach Neuseeland zurückkehren und Karl dort suchen sollte?
 

http://www.webstories.cc 05.05.2024 - 10:07:21