... für Leser und Schreiber.  

"Die fidele WG in Laboe"

 
   
© Jule Scholz   
   
Auszug aus meinem kleinen Buch "Die fidele WG in Laboe"

Nis Randers und der Club der toten Dichter

Vor Jahren während eines Laboe-Urlaubs, unser Projekt befand sich noch in der Anfangsphase malten wir uns in den schönsten Farben unser späteres Zusammenleben aus, sagte Maren: „Was wir unbedingt einführen sollten und was eine echte Bereicherung für uns alle sein könnte sind Literaturabende. Wir könnten uns zum Beispiel gegenseitig Gedichte vorlesen.“ Paul hatte gerade sein Bierglas angesetzt, konnte es noch gerade auf den Tisch zurücksetzen bevor er das, was er noch im Mund hatte, im Gudruns Richtung prustete, die sich aber noch schnell zur Seite drehen konnte.

Paul entschuldigte sich bei Gudrun und konnte sich nicht wieder einkriegen vor Lachen. Mit hochrotem Kopf sagte er: „Dass er der erste sein wollte, der die Gedichte vorliest. Mann, oh Mann lachte er weiter, wenn ich daran denke, was meine Versicherungskollegen sagen, wenn ich denen erzähle, in ein paar Jahren verlege ich meinen Wohnsitz nach Laboe und werde Gedichte vorlesen. Ich lach mich tot, ha, ha, ha.“ Ich wusste, dass mein Mann ähnlich dachte und schaute ihn kritisch von der Seite an. Er zog die Augenbrauen hoch und grinste mich an.

Maren blieb völlig unbeeindruckt. Sie merkte, dass wir Frauen einschließlich Dirk gar nicht so abgeneigt waren und erzählte weiter: „Kennt ihr den Film „Der Club der toten Dichter“. Nach dieser Frage rastete unser Paul völlig aus. Er bekam einen regelrechten Lachanfall, konnte sich kaum beruhigen und kippte fast mit seinen Stuhl um. Die Gesamtsituation war so komisch, dass wir anderen einschließlich Maren uns durch dieses Lachen so anstecken ließen, dass die ganze Gesellschaft in ein schallendes Gelächter ausbrach. Als wir uns endlich beruhigt hatten erzählte Maren weiter: „Die Institution Schule wäre in den letzten Jahrzehnten häufig in Kino- und Fernsehfilmen thematisiert worden, jedoch kaum ein Film erweckte dermaßen öffentliches Interesse wie der „Club der toten Dichter“. Man könne diesen Film als Kunstwerk ansehen, an dessen Erfolg der brillante Schauspieler Robin Williams in der Rolle des Lehrers John Keating nicht unbeteiligt gewesen sei.

Keating ermutigt seine Schüler zum selbständigen Denken. „Carpe diem! Nutze den Tag! Macht etwas außergewöhnliches aus Eurem Leben!“ Dieser Keating war zu seiner Schulzeit Mitglied im „Club der toten Dichter, einem Geheimbund, dessen Mitglieder sich in nächtlichen Sitzungen in einer Höhle fremde oder selbst geschriebene Gedichte vorlasen. Seine Schüler rufen diesen Club erneut ins Leben und trafen sich auch in dieser besagten Höhle um Gedichte zu zitieren.“

Das war natürlich wieder das Stichwort für unseren Paul. „Weißt du denn wo die Höhle ist, liebste Maren, ich hätte schon ein Gedicht.“ Im feinsten Platt trug unser Paul vor:

„Dat Pöggsken (kleiner Frosch)“
Pöggsken sit in’n Sunnenschien;
huh, wat is dat Pöggsken fien
met de groumlne Bücks.
Pöggsken denkt an nix.
Kümp de witte Gausemann (Gans)
hät so raude Stiewweln an,
mäck en graut Gesnater.
Hu, wat fix springt dat Pöggsken mit de Bücks,
mit de schöne gröne Bücks,
mit de Bücks in’t Water!“

Damit hatte er wieder die Lacher auf seiner Seite.

Maren aber gab nicht auf. Jahre später fragte sie noch mal zaghaft an, wie es denn jetzt mit einem Literaturabend aussehen würde. Es müssten ja nicht unbedingt Gedichte sein. Es könnte ja auch jemand eine spannende schaurige Geschichte vorlesen. Das überzeugte alle. Nur Paul der wollte wieder ein Gedicht vortragen.

Es war schon etwas kühler, daher schaltete Paul die Heizstrahler in unserem toskanischen Innenhof ein. Zusätzlich sorgte er dafür, dass alle Windlichter brannten und die edlen Rotweingläser auf den Tisch kamen. Das leichte Plätschern des beleuchteten Brunnens perfektionierte die Stimmung. Wenn wir uns Tage vorher noch über ihn lustig machten, wie er durch den Garten schritt und leise vor sich hinsprach, wahrscheinlich um sein Gedicht auswendig vortragen zu können, waren wir inzwischen doch leicht irritiert. Was hatte er vor.

Als Gudrun in den Innenhof kam und sah wie ihr Paul eine stimmungsvolle Atmosphäre zauberte und sogar noch einige gute Tropfen Rotwein spendete sagte sie nur zu mir: „Also, ich kenne den Kerl schon so lange, aber was hat das nun wieder zu bedeuten, das hier passt nämlich nicht. Hoffentlich hat der nicht irgendein versautes Gedicht auswendig gelernt - die arme Maren !!!“

Wir hatten gut gegessen und saßen nun gespannt im Innenhof und starrten alle auf Paul. Dieser spielte den Gelangweilten und sagte nur: „Na wie isses will jetzt einer eine schaurige Geschichte erzählen oder vorlesen?“ Keiner sagte etwas. Paul nahm noch einen kräftigen Schluck aus seinem Weinglas stand auf und sagte: „Gut dann fange ich an, ein Gedicht von Otto Ernst:

Nis Randers

Krachen und Heulen und berstende Nacht, Dunkel und Flammen in rasender Jagd – Ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht mans gut. Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut; Gleich holt sich’s der Abgrund

Nis Randers lugt – und ohne Hast Spricht er: „Da hängt noch ein Mann im Mast; Wir müssen ihn holen.“

Da fasst ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein:
Dich will ich behalten, du bleibst mir allein, Ich wills, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn; Drei Jahre verschollen ist Uwe schon, Mein Uwe, mein Uwe!“

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach! Er weist nach dem Wrack und spricht gemach: „Und seine Mutter?“

Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs: Hohes hartes Friesengewächs; Schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz! Nun muß es zerschmettern…..! Nein, es blieb ganz…! Wie lange? Wie lange?

Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer. Die menschenfressenden Rosse daher; Sie schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt! Eins auf den Nacken des anderen springt. Mit stampfenden Hufen!

Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt! Was da? – Ein Boot, das landwärts hält – Sie sind es! Sie kommen!—

Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt…. Still – ruft da nicht einer? – Er schreits durch die Hand: „Sagt Mutter,’s ist Uwe!“

Keiner sagte etwas. Wie gebannt hatten wir die ganze Zeit fassungslos auf Paul gestarrt. Alles hatten wir erwartet, nur das nicht. Mit der Dunkelheit und dem flackernden Kerzenlicht im Hintergrund hatte er es geschafft uns die ganze Zeit in eine schön schaurige Stimmung zu versetzen. Niemand hätte dieses Gedicht besser vortragen können. Nicht nur Gudrun hatte Tränen in den Augen. Sie stürmte auf ihren Paul los umarmte ihn und schluchzte: „Mein Gott Paulchen, dass war wunderschön“. Heute ist mir klar, das es nicht das kleine Gedicht über Nis Randers war welches uns so beeindruckte, sondern das Paul es war der es so stimmungsvoll und gekonnt vorgetragen hat. Paul, zu dem es gar nicht so recht passen wollte, dass er ein Gedicht vorträgt. Maren hatte an diesem Abend zwar noch eine kleine schaurige Geschichte vorgelesen. Der Star des Abends aber war unbestritten unser Paul. Sein größter Fan war übrigens seine Frau Gudrun.

Paul musste noch oft seinen Nis Randers vortragen. Dieser Abend aber wird immer unerreichbar bleiben. Seine kleinen Frechheiten hat er Gott sei Dank bisher nicht aufgegeben. Wenn Gudrun sich heute über ihn beschwert und meint, sie müsse mal wieder Dampf ablassen, erinnere ich sie an diesen Abend und seine bis dato unentdeckten Fähigkeiten.

„Unentdeckte Fähigkeiten, Inspirationen, Mut Gefühle zu zeigen, Nähe“, das alles bringt solche Abende hervor und ist mit unserer Wohngemeinschaft gewachsen. Wir sind noch jung genug um uns darauf einzulassen und alt genug es zu genießen um dann an weniger erfreulichen Tagen ggf. daraus Kraft zu schöpfen.
 

http://www.webstories.cc 16.05.2024 - 13:21:27