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Magier oder Clown?

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©  holdriander   
   
Es regnet. Nein, es gießt. Nahezu neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit oder so. Und da sitzt der Vater wieder einmal in seinem Auto und wartet darauf, dass ich zu ihm einsteige. Er will wieder weiter, in eine andere Stadt. Möglichst in eine, wo er noch nicht war, um dort die Leute zu verblüffen mit seinen Zaubereien. Er hatte bessere Entfesselungsnummern drauf als Houdini! Seine Kartentricks waren weltberühmt und er arbeitete an einer Nummer, die ihn durchlässig erscheinen ließ.
Aber ich habe das alles satt! Ich will nicht mehr herumreisen! Ich will endlich mal an einem Ort bleiben! Ich will hier bleiben, wo ich kürzlich diese nette junge Frau, Katharina, kennen gelernt hatte. Ich will sesshaft werden, eine Familie gründen, Kinder haben und eine solide Arbeit. Nur nicht mehr der Clown sein.
Ich habe einen großen Hammer bei mir. Einen von jenen, mit denen die Haltemasten für das große Zelt in die Erde gerammt werden. Damit schlage ich auf das Auto ein. Mein Vater erschrickt, schlägt die Hände vor das Gesicht. Er hindert mich nicht. Nie mehr wird er mich an irgendetwas hindern!
Die Windschutzscheibe zersplittert. Die Motorhaube wellt sich. Die Türen krachen und verbiegen sich. Das Dach geht entzwei. Der Regen durchnässt meinen Vater. Aber ich habe kein Erbarmen.
Wie oft hat er mich durch die Welt gejagt! Von klein auf an. Immer ging es weiter und weiter weg von zu Hause, weg von der Mutter, weg von der lieben Großmutter. Wie oft habe ich geweint und nach den beiden gerufen, und der Vater lachte mich aus!
Auf keiner Schule konnte ich bleiben, mit Müh und Not hatte ich lesen, schreiben und rechnen gelernt. Und ich hatte so ein Vergnügen am Rechnen. Buchhaltung lag mir ganz besonders. Nun aber halte ich einen schweren Hammer in der Hand und dresche auf den alten Mercedes ein. „Krepiere!“, brülle ich und staune, woher ich diese schreckliche Wut nehme, die ich nie zuvor verspürte.
Ein gewaltiger Donner ertönt und der Himmel wird von einem grellen Blitz zerrissen. Plötzlich ist der Vater nicht mehr in dem Auto. Die roten Ledersitze sind leer, von einigen Nässeflecken abgesehen. Erschöpft und verwirrt gleite ich zu Boden und schlafe ein.

Es ist kalt und nass. Kein Wunder, ich sitze in einer Pfütze. Es regnet. Nein, es gießt! Vor mir sehe ich meinen Wagen, meinen geliebten alten Mercedes. Er ist verbeult, die Scheiben und das Dach sind zerschlagen. Das hat mein Sohn getan, der Clown.
Resigniert will ich mir eine nasse Haarsträhne aus der Stirn streichen, da fällt mein Blick auf die Narbe auf dem Handrücken, die sich der Junge zugezogen hatte, als er einen meiner Tricks ausprobieren wollte. Er hat nie wieder etwas derartiges versucht!
Aber wie kommt die Narbe an meine Hand? Und warum sitze ich hier in der Pfütze, ich müsste doch im Auto sein? Wann bin ich ausgestiegen?
Langsam erhebe ich mich. Wer bin ich? Bin ich Eyfata, der Varietestar und Zauberkünstler oder der Clown, der alles falsch macht? Die Narbe spricht dafür. Ob ich zu Katharina gehen kann? Sicher. Aber wird sie einen Clown mögen? Und was wird aus Eyfata?

Als der Regen endlich aufhörte, fanden die Zirkusleute den weltberühmten Magier zitternd und brabbelnd vor seinem zerstörten Auto auf der Erde sitzend. Er war seiner Sinne nicht mehr mächtig. Die einzigen Worte, die man verstehen konnte, waren „Katharina“ und „Clown“. Niemand konnte einen Zusammenhang finden, denn Eyfata hatte niemals als Clown gearbeitet.
 

http://www.webstories.cc 03.05.2024 - 23:47:32