... für Leser und Schreiber.  

Das unmoralisches Kompliment

22
25 Stimmen
   
©  Sommertänzerin   
   
Als sie ihn das erste mal gesehen hatte, hielt sie ihn für einen Trottel. Aber nach und nach lernte sie ihn kennen und merkte, dass er unheimlich intelligent und begabt war. Selbst als der Zeitpunkt kam, an dem sie sich über ihn aufregen musste, weil er sich gemein verhalten hatte, konnte sie nicht leugnen, dass es sich bei ihm um einen talentierten, intelligenten Mann mit saumäßig vielen Fähigkeit handelte. Anfangs hatte sie noch Spass daran, ihn an klitzekleinen Schwächen zu trietzen, aber sie merkte rasch, dass dieser Mann einfach zu perfekt war, was Köpfchen und Händchen betraf. Also beschloss sie ehrlich zu sein und tischte ihm ihre Erkenntnis und Einsicht darüber jederzeit brühwarm auf. Anfangs schien er sich noch zu freuen, dass er plötzlich keinen Zickenarlarm mehr zu hören bekam, später jedoch schien er genervt davon und es wirkte so, als ob er es nicht glauben würde oder es ihn sogar auf eine gewisse Art beängstigen würde. Ein jeder normale Mensch freut sich über Komplimente. Erst recht über die eines Feindes. Vor allem wenn diese erst gemeint sind. Er jedoch sträubte sich dagegen und wirkte nahezu aufbrausend bei einem neuen Kompliment. Er erzählte, dass es seine Motivation und seine Fähigkeit hemmen würde, wenn man ihn unnötig mit Lob überhäufen würde. Schon damals beim Schachtunier war das so. Er tüftelte Wochenlang eine Taktik für gute Züge aus, durchdachte jeden Schritt, jede Möglichkeit. Sein Schachverein gewann und alle waren stolz auf ihn. Der Vorstandsvorsitzende lobte ihn in den höchsten Tönen und unser Schachkönig fühlte sich ganz matt, weil er sich unter Druck gesetzt fühlte nun jedes Mal gewinnen zu müssen. Somit beschloss er den Schachverein zu verlassen. Er konnte sich bei soviel Lob einfach nicht entfalten. Ein Wunderkind, was nicht zu Tode gefördert werden wollte. Das war schon immer so. Deshalb hat er sich im Laufe des Jahres einen dicken Pelz angeschafft und schaute extra immer ein wenig dümmlich drein, damit Niemand auf die Idee kam, ihm zu sagen, dass er etwas gut gemacht hatte. Lieber wollte er aus dem Verborgenen die Kreativblume spriessen lassen. Wie bei einem Vulkan, der ohne Vorwarnung ausbrach. Dann konnte ihn wenigestens Niemand stoppen. So langsam verstand sie ihn. Auch wenn sie ein wenig die makabere Lust verspürte ihm ein wenig Einen auszuwischen und ihn erst recht zu loben, liess sie von dieser Idee ab, denn schliesslich wollte sie, dass er seine Talente ungehemmt weiter ausleben konnte.
 

http://www.webstories.cc 29.03.2024 - 02:55:21