... für Leser und Schreiber.  

Das Bonbon (überarbeitet)

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© Homo Faber   
   
Heute habe ich mir eine Tüte Bonbons gekauft.
Kaum hatte ich eins davon im Mund, fühlte ich mich plötzlich in meine Kindheit zurückversetzt, als ich mein erstes Bonbon geschenkt bekam, es schmeckte genauso.

Ich bekam es von einem älteren Herrn, der neben mir im Bunker saß, geschenkt, weil ich aus Angst weinte.
Ich hatte schon oft Bonbons gesehen, aber noch nie eins gelutscht. Ich hatte schon oft anderere Kinder gesehen, wie sie es ausgepackt, dann in den Mund gesteckt und anschließend zufrieden geblickt hatten. Es schien ihnen wirklich geschmeckt zu haben. Erst an diesem Tag erfuhr ich, wie ein Bonbon schmeckt.
Meine Finger tasteten es nach dem Entfernen des knisternen Papiers ab, es fühlte sich hart an, aber nicht so hart wie ein Stein. Es klebte ein wenig an meinen Fingern, vermutlich war es süß. Nun konnte ich es nicht mehr abwarten und steckte es in meinen Mund. Den genauen Geschmack konnte ich nicht beschreiben, vermutlich schmeckte es nach irgendeiner Frucht, die ich nicht kannte. Es schmeckte süß und gleichzeitig leicht säuerlich. Ich wusste nur, es war ein schöner Geschmack, durch den ich mich wohl fühlte und der mich lächeln ließ. Für den Moment vergaß ich auch die Angst vor dem Krieg, vor den Bomben, vor dem möglichen Sterben. Ich saß einfach nur da und lächelte. Vielleicht war es die letzte Gelegenheit, den schönen Geschmack eines Bonbons zu spüren und noch einmal herzhaft zu lächeln.

Und genau dasselbe Lächeln habe ich heute auch gespürt trotz Erinnerung an die schreckliche Zeit des Krieges.
 

http://www.webstories.cc 27.04.2024 - 09:47:41