... für Leser und Schreiber.  

Zwillingsmärchen

1
2 Stimmen
   
© Robert Zobel   
   
Es lebten einmal zwei siamesische Zwillinge in einer kleinen deutschen Stadt und mussten sich ein Gehirn teilen. Weil das Gehirn aber mit zwei Abrufverknüpfungen verbunden war, kamen sie immer wieder auf die spaßigsten Ideen. Eines Tages, sie gingen gerade ein wenig schlendern, kamen sie an einem Vogelhäuschen vorbei, blieben stehen und sahen den Ein-, und Ausfliegenden beim Starten und Landen zu.
„Vogelhäuschen“, dachte der eine und, „Schade, dass wir obdachlos sind“ der andere. Dies vermischte sich dann irgendwie in dem einen Gehirn und so kam man darauf Vogelhäuschen zu stehlen, um damit ein eigenes Haus zu bauen. Beide rechneten dann zusammen aus, wie viele Häuschen man dann bräuchte. Dazu verglichen sie die Größe eines Spatzen mit eineinhalb Menschen und kamen auf ca. 380 gutgebaute Häuschen.
Mal gingen sie nachts hinaus und rissen von den Stöcken irgendwelcher Vorgärten und mal sah man sie am Tage in Baumärkten mit verdächtig großen Taschen wieder rausgehen. Sie wussten, dass kein Kassierer sich ihnen in den Weg stellt.
In einem Nadelwald hatten sie diese Häuschen in 380 Alditüten unter einer großen Fichte gelagert. Es war ein ziemlich beschwerlicher Weg immer aus der Stadt hinaus in die Natur. Da entfährt einem schon mal ein gepflegter Furz oder auch zwei. Wobei so was in einem Wald natürlich voll gefährlich ist. Denn: Furz riecht nach Kot, Kot riecht nach Koterzeuger und wenn es Menschenkot ist, dann riecht es nach Mensch. Unsere Nasen erkennen sofort, dass es sich um Menschen- oder Pferdekot handelt und da wird es Wölfen und Bären nicht anders bzw. bis besser gehen.
Doch die beiden hatten mehr Glück als Verstand und als es um das Zusammenzimmern der Vogelhäuschen ging, warf der eine die Flinte ins Korn oder in die Tannenzapfen und schlief absichtlich ein. Wer schon einmal ein Einfamilienhaus aus Vogelhäuschen mit einem Bein und mit einem Arm zusammengebaut hat weiß was jetzt auf die eine Person von den zweien zukommt. Und in aller Geschäftigkeit und den Kopf voller Bauplänen und Träumereien des anderen standen dann da doch ein paar wilde Tiere und lehnten sich lässig an die Nadelbäume.

Na?

Ja?

Du bist ein Mensch?

Ja!

Aber irgendwie komisch oder?

Wie bitte?

Zwei Köpfe! Bist wohl ein ganz cooler Typ. Einer reicht Dir wohl nicht oder?

Ich bin ein siamesischer Zwilling.

Nie gehört!

Das sind Missbildungen, glaub ich.

Glaubst Du? Und ich glaube, dass ich nur einen Happs zum Preis von einem machen bräuchte.

Da wäre mein Bruder sicher nicht einverstanden. Außerdem schläft er.

Ach so.

Die Wölfe, zehn an der Zahl, spuckten noch einmal an wildumherstehende Baumstämme, zwinkerten und gingen. Beide Lungenpaare atmeten erleichtert aus.

Ein Haus aus vielen kleinen Häusern zu bauen ist ziemlich schwierig. Besonders mit nur der Hälfte der Arbeitskraft. Er könnte ihn aufwecken, aber das hat er vor einiger Zeit schon mal gemacht und da hat der dann böserweise Negatives über seinen Bruder gedacht und dieser hat sofort Depressionen bekommen. Wenn man sich ein Gehirn teilt, geht das.
Trotzdem versucht er es.

Du!

Mhh.

He.

Was denn?

Wach doch mal auf. Ich hab echt keine Kraft, Dich hier zu tragen und dann noch ein Haus zu bauen.

Lass es doch sein!

Und dann?

Dann schlafen wir weiter in Kaufhausmüllcontainern.

Und das ist die Erfüllung?

Mensch, wir sind siamesische Zwillinge,

Ja, aber dafür kann ja keiner was.

Wir am wenigsten!

Ja, wir am wenigsten.

Gute Nacht.

Nach Nächten, Tagen, nach etlichen weiteren Wolfbesuchen stand dann das Haus. Es war zugig, schlecht fundamentiert und der Schlot führte in eins der Fenster der oberen Etage.
Und da das siamesische Zwillingspaar nun immer auf der Türschwelle schlief, starb durch den erzeugten Rauch nur der eine. Der andere riss sich von dem toten Körper ab und geistert nun mit halbem Gehirn durch die Wälder und will Dich bespringen, um mit Dir eins zu werden. Pass auf Dich auf.
 

http://www.webstories.cc 20.04.2024 - 12:38:25