... für Leser und Schreiber.  

Sterbeheim

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© Robert Zobel   
   
Wilhelm ist nun schon seit einiger Zeit hier und schreibt gerade noch einmal eine Liste seiner Sachen auf, die hier noch fehlen. Die will er dann seiner Frau geben, die es fernab seiner eigenen Welt nicht mehr gibt. Seine fieberhaften Hände fahren mühsam über das Papier und zeichnen schwerlesbare Zeichen. Die Gelenke schmerzen sehr , aber er muss es dringend aufschreiben, denn ansonsten vergisst er es und seine Möbel und Andenken sind für immer verloren. Er will seine Frau nicht weinen sehen. Sie haben ein ganzes Leben lang für Ihre Habe gespart. Das alles muss man unbedingt noch herbringen. Ganz unten auf die Liste schreibt er dann bei jeder neuen Fassung:
„Und Du komm auch schnell wieder Edith.“
Er wird die Liste wieder irgendeinem Pfleger geben und dieser dann wird sie unbeachtet in den nächsten Papierkorb werfen
Auf seinem Zimmer liegt Karl und Karl redet sehr wenig. Eigentlich spricht er gar nicht und lediglich im Traum scheint er aufzuleben. Dann brummt er monoton und bewegt sich apathisch. Ab und zu hört man in der Stille wie er in seine Windel macht.
Es riecht nach Medikamenten, Putzmitteln und Urin, die Topfpflanzen auf dem Fensterbrett sehen gesünder aus als sein Mitbewohner und die Tapeten scheinen aus den 60er Jahren. Sorgsam hat man auf ihnen die Blutflecke und Schimmelpilzareale mit billigen Landschaftsbildern und Aufklebern verdeckt. Es ist dunkel hier.
Wilhelm fühlt sich hier fehl am Platze. Er versteht auch gar nicht was er hier soll. Wartet manchmal im Flur den halben Tag darauf, dass man ihn abholt oder das irgendwer kommt und bleibt, aber die Eingangstür bleibt geschlossen. Und einfach so gehen darf er nicht. Er ist nämlich krank hat man gesagt und er soll doch warten, denn es regle sich alles von ganz alleine.
Ständig kommen die Schwestern und Pfleger, ziehen die Vorhänge zu und ermahnen ihn ins Bett zu gehen. „Wieso ins Bett?“ fragt er dann jedes Mal, schüttelt den Kopf und öffnet die Gardinen um die Sonne zu sehen. Die Fenster kann er leider nicht öffnen. Der Öffner soll irgendwie weggekommen sein und es ist ja eh zu kalt da draußen. Da holt man sich ja den Tod.
Weil er krank ist, bekommt er jetzt Medikamente und ja, er spürt die Krankheit nun auch. Er fühlt sich viel müder und hat auch nicht mehr so den Elan. Er ist beim Mittag am Tisch im Zimmer sogar einmal eingeschlafen und das ist ihm ganze 85 Jahre lang sonst nie passiert. Gegen diese Müdigkeit bekommt er alle 6 Stunden bittere Pillen, aber es scheint als würde es immer schlechter.
„Nerven Sie den Herrn Doktor nicht damit“ haben ihm die Schwestern vor der monatlichen Kurzvisite gesagt und Wilhelm sagte auch nichts. Hätte er auch gar nicht geschafft, denn der Doktor öffnete nur die Tür, übertrat die Schwelle nicht, schaute auf den schlafenden Karl und nickte Wilhelm kurz zu. Dann ging die Tür wieder zu.
Das wunderte ihn ein wenig, denn Karl war doch nun wirklich krank. Der ist doch sogar unter der Decke ans Bett gebunden damit er nicht heraus fällt und die Wunde, die Wilhelm sehen kann, wenn sein Bettnachbar gewaschen wird, ist auch nicht unerheblich. Man kann gar nicht dabei zusehen, wie die Verbände am Po und Rücken gewechselt werden. Beim Abreißen wird immer wieder ein wenig heile Haut mit abgezogen und das Unheimliche ist, Karl zieht dabei nicht eine Miene.
Wilhelm spürt es in den Knochen. Er wird auch bald in seinem Bett landen. Irgendwann wird er erst den Tag mit der Nacht verwechseln, dann die Nacht mit dem Tag und dann wird es einerlei sein und er wird sich in die Träume flüchten, die er selbst bestimmen und mit Edith besetzen kann. Vom Träumen zum Sterben sind es nur ein paar Gedanken des Fallenlassens. Wilhelm wird da gerade hingeführt.
 

http://www.webstories.cc 26.04.2024 - 02:14:25