... für Leser und Schreiber.  

Dass es dann niemand liest

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©  kalliope-ues   
   
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Ich veröffentliche doch nicht, dass es dann niemand liest!

Was ich schreibe sind meine Schnappschüsse zum Zeitpunkt des Schreibens, was ich davon veröffentliche ist für Momentaufnahmen des Lesers zum Zeitpunkt des Lesens. Für mein Empfinden ist ein Text erst dann gut, wenn der Leser etwas damit anfangen kann, sich damit identifizieren kann, in ihm Bilder auftauchen, Assoziationen, vielleicht sogar zum eigenen Sein - der Text also gut ankommt. Insofern schreibe ich tatsächlich um gut anzukommen.

Natürlich stehe ich hinter den Texten, die ich veröffentliche, sonst würde ich sie ja nicht öffentlich preisgeben. Was ich für die Öffentlichkeit schreibe ist jeweils Momentaufnahme dessen, was ich im Moment des Schreibens gesehen, gehört, gedacht, erlebt, vielleicht auch empfunden hatte. Insofern identifiziere ich mich mit dem Geschriebenen - dennoch möchte ich betonen, dass es jeweils Schnapp¬schüsse im Wort sind, manche/r Leser/in in ähnlichem Empfindungsmoment findet sich darin wieder, oder auch nicht. Sie sind nur manchmal Spiegel meines Seins zum Zeitpunkt des Schreibens, manchmal aber auch Spiegel eines ganz anderen Seins, manchmal nicht einmal Spiegel dessen, sondern nur Vorgestelltes, selten aber Spiegel meines Seins im Hier und Heute, im Jetzt. Mich zu identifizieren findet also seine Grenze darin hinzuspüren, ob die gewählten Worte und deren Anordnung mit dem übereinstimmen, das ich transportieren möchte.

Ich veröffentliche nicht, um mich oder andere zu therapieren - dies kann vielleicht für manches gelten, das ich schreibe, sei es als Tagebucheintrag oder auch nur für die Schublade, manchmal auch für den Papierkorb, oder für eine Reise in Amper oder Lech oder fürs Feuer. Es gilt aber nicht für das, was ich veröffentliche! Ich habe recht oft über Lebenssituationen geschrieben, die ich selber niemals erleben durfte oder musste, die aber aus der Begegnung geboren sind - manchmal war es die Begegnung mit einem Menschen, manchmal mit einer Überschrift oder einem Leitsatz, manchmal mit einem Vortrag oder Buch oder einer Situation.

Da ist also zunächst eine Begegnung, ohne Vorbehalt, ohne Voreingenommensein den/die Anderen anschauen - es ist ja nicht immer ganz leicht, sich von Sympathie oder Antipathie unbeeindruckt zu begegnen. Wenn dies aber gelingt, den anderen, das Du, also das andere Ich, bildhaft mit den fünf Sinnen zu ertasten kann Kontakt entstehen, ein sich füreinander erwärmen. Wenn es dann auch noch gelingt, hinter der nach außen sichtbaren Maske das wirklich Wesenhafte zu erspüren, eröffnet sich im sich verstehen eine reiche, farbenprächtige Vielfalt, dann hört man also zwischen den Worten das Unausgesprochene, und im Unausgesprochenen ein kleines Stückchen einer größeren Wirklichkeit.

Wenn sich die Begegnung darin und dadurch festigt und intensiviert, also zum direkten, lebendigen, herzwarmen Austausch kommt - gleichsam wie Ein- und Ausatmen wird - verliert sich nicht einer im Anderen, sondern erst gerade dadurch wird ein ganz Individuelles im Ich und im Du geboren. Todeskräfte, die Mensch dazu geneigt sein lassen, sich nicht mehr um die Lebendigkeit einer Beziehung zu bemühen, werden durch dieses wache sich erspüren überwunden, metamorphosiert. Eine gänzlich freie, unabhängige, aber vom Du tief durchdrungene Begegnung, die eine Nähe zum Ausdruck bringt, wie sie nur in der Distanz geboren werden und durch immerwährende Pflege der Beziehung erreicht werden kann. Pflege einer Beziehung – von Mensch zu Mensch oder auch von Mensch zu Wort ist Kunst, die in steter alltäglicher Übung gepflegt sein will, um sich kraftvoll zum Ausdruck bringen zu können. Im Idealfall vereinigen sich Talent und Übung zu Meisterschaft – und dies gilt nach Fromm sogar für die Liebe.

Wenn es mir also gelingt, in ein Gedicht, einen Prosatext, das einzufangen und widerzuspiegeln, so kann ich mich bestenfalls damit identifizieren, das Thema aufgegriffen und ins Wort verdichtet zu haben, also für die Wahrnehmung nachvollziehbare Begriffe gefunden zu haben. Mit dem Erlebten selbst, das ich ja dann sowenig kenne wie der Leser, kann ich mich nur vorstellend identifizieren. Je besser es mir gelingt, die richtigen Worte dafür zu finden, umso leichter wird es für den Leser, in sich ähnliche Bilder erstehen zu lassen – und dann das Gefühl haben „das ist gut“, oder auch nicht. Wenn das, was ich veröffentliche, nicht gut ankommen soll, könnte ich es auch in meiner Schublade belassen, wo es außer mir niemanden interessiert, ob sich die Bilder leicht oder schwer übermitteln.

Im selben Moment, in dem ich veröffentliche, schreibe ich doch für den Leser und nicht mehr für mich. Und somit stimme ich darin überein: wie ein Text ankommt ist so verschieden, wie es Leser gibt. Und ob es beim Leser gut oder weniger gut ankommt, zeigt auf, wie gut es mir gelungen ist, mich in der Kunst des Wortens verdichtend zu üben. Es sind Tendenzen erkennbar, die mir aufzeigen können, was gerne gelesen wird und was nicht - wie gut es mir gelingt, das ins Wort zu transportieren, was sich mir als Bild gezeigt hat.

Und für diesen mir ausgesprochen wichtigen Lernschritt bin ich webstories und Euch allen, meine treuen und aufmerksamen Leser, von Herzen dankbar für jeden Kommentar, der mir spiegelt und dabei hilft, lesbarer zu werden.

Ich veröffentliche doch nicht, dass es dann niemand liest!

Liebe Grüße
Ursula
 

http://www.webstories.cc 24.04.2024 - 08:32:37