... für Leser und Schreiber.  

Die Scherbe

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24 Stimmen
   
©  Zimtsternchen   
   
Diese Story ist in einer sehr nachdenklichen Zeit verfasst worden.
Ich kann selbst nicht genau erklären, was sie ausdrücken will, aber diese Geschichte zu schreiben hat mir enorm geholfen.
Ich bin dafür sehr dankbar.


Die Scherbe lag vor ihr.
Heimtückisch glänzend und doch wieder lichtreflektierend Wärme spendend.
Kleine Strahlen brachen sich auf ihrer Oberfläche und sie erstrahlte ein einem hellen Schein.
Gab sich göttlich.
War göttlich?
Hatte Göttliches so viele scharfe Kanten?
Kanten, die einen verletzten konnten, sogar Blutzoll forderten, wenn man unachtsam war.
Aber Göttliches war rein. Rein wie diese weiße Scherbe.
Unauffällig aber doch erkennbar.
Übersehbar aber spürbar.
Meys Finger streckten sich, tasteten sich zu der Scherbe vor, fuhren vorsichtig über die scharfen Kanten. Sie drückte sich eine Kante leicht an den Daumen, spürte den Schmerz und wartete.
Wartete auf das rote Blut.
Die Farbe der Liebe.
Sie liebte.
Mey liebte zu sehr.
Hastig steckte sie sich den Finger in den Mund, saugte daran.
Ihre Augen suchten Halt an dem großen Kreuz, welches majestätisch an der Wand hing. Beinahe schon schwebte.
Jesus hatte seinen Blick abgewandt.
Von ihr?

Sie liebte.
Mey liebte zu sehr.
Es schmerzte.
Genau wie diese Scherbe, die unerbittlich in den Handballen schnitt.
Mey wollte die Liebe nicht mehr in sich tragen.
Sie wollte frei sein.
Schweben.
Die Scherbe glänzte nicht mehr.
Rotes Blut hatte sich über ihre glatte Oberfläche gelegt.
Die Sicht versperrt.
Das Licht ausgesperrt.
Noch einmal blickte Mey zu Jesus.
Sah sein Lächeln.
Es war gut, alles war gut.
Er war bei ihr.
In ihr.
Um sie.

Sie liebte.
Mey liebte zu sehr.

Eine junge Frau.
Eine rote Scherbe, des Glanzes beraubt.
Jesus?
Die Hoffnung?


„Wenn dein Herz zerbrochen ist, bin ich dir nahe.“
Psalm 34,18
 

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