... für Leser und Schreiber.  

Der Choleriker

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© Homo Faber   
   
Schon von klein auf, fiel Horst durch aggressives Verhalten auf. Bereits im Kindergarten neigte er dazu, auszurasten, wenn er geärgert wurde. Einmal schubste er ein anderes Kind so fest gegen die Wand, dass es anschließend tagelang eine Beule hatte.
In der Grundschule häuften sich Wutanfälle immer mehr. Wurde er von den Mitschülern ausgelacht, wenn er im Unterricht etwas Falsches sagte, sprang er jedes Mal auf, stieß alles vom Tisch, den er dann eine Weile heftig hin und her rüttelte und trat dagegen. Anfangs hatten die Lehrer noch immer versucht einzugreifen, doch er schlug so heftig um sich, dass es unmöglich war, ihn zu beruhigen.
Die Lehrer waren völlig ratlos und seine Eltern völlig verzweifelt, weil es mit seinen Wutausbrüchen immer schlimmer wurde und sie nicht wussten, was sie machen sollten. Nicht selten mussten sie in der Schule erscheinen, meistens, wenn er auf andere Schüler eingedroschen hatte. Seine Klassenkameraden machten sich stets einen Spaß daraus, zu sehen, wie er ausrastete und provozierten deshalb ihn gern des Öfteren.
„Jetzt kriegt er wieder seine Tollwut, jetzt kriegt er wieder seine Tollwut“, sangen sie dann immer. Natürlich bekam der ein oder andere seine Wut dann zu spüren. Einem trat er so heftig gegen die Hand, dass sie gebrochen war. Aber es wurde einfach niemand schlauer, stattdessen provozierten sie ihn weiter, bis der Nächste mit gebrochener Hand oder gebrochenem Arm davon kam.
Er konnte gegen seine Wutanfälle auch nichts machen, er verlor einfach die Beherrschung und wusste dann nicht mehr, was er tat.
So ging es weiter, bis er 19 Jahre alt war. Es war der Tag, an dem die Abiprüfungen verkündet wurden. Er bekam die traurige Nachricht, dass er durchgefallen war. Für ihn brach die Welt zusammen, er hatte all seine Hoffnung in diese Abiprüfungen gesteckt. Völlig deprimiert machte er sich auf den Heimweg.
„Ach guck mal, da geht er, unser Looser“, hörte er plötzlich jemanden hinter sich.
„Bist du blöööööd“, rief ihm jemand anders hinterher. Er spürte die Wut in ihm aufkommen.
Er drehte sich um. Tom kam auf ihn zu mit seinem dämlichen Grinsen.
„Los komm, lass ihn lieber, sonst bekommt er gleich wieder seine Tollwut“, meinte Sven zu Tom, während er spöttisch lachte.
„Na du Choleriker? Kriegst du gleich wieder deine Wutanfälle?“, grinste Tom Horst an und schubste ihn. Doch das hätte er nicht tun sollen. Voller Wucht schlug Horst ihn ins Gesicht und verpasste ihm einen Tritt in die Genitalien. Tom wimmerte. Mit einem lauten Schrei stürzte sich Horst schließlich auf ihn, schubste ihn zu Boden und trat auf ihn ein. Andere mischten sich ein und wollten ihn von Tom wegzerren, aber durch seine Wut hatte er solche Bärenkräfte entwickelt, dass er sich sofort losriss und weiter auf Tom eintrat, der inzwischen schon röchelte und kaum noch Luft bekam.
„H…hör auf….“, brachte dieser noch hervor. Doch Horst hörte nicht auf, er konnte nicht, er war so in seiner Wut, hatte die komplette Beherrschung verloren und trat weiter, immer weiter auf ihn ein. Tom lag inzwischen nur noch regungslos da, aber Horst machte trotzdem weiter. Bis irgendwann die Polizei eintraf.

Das Gericht erklärte ihn für unzurechnungsfähig, seitdem sitzt er in der geschlossenen Anstalt. Niemals hätte er absichtlich oder aus Böswilligkeit jemandem etwas zu leide getan. Alle wussten, was mit ihm los war. Warum konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?
 

http://www.webstories.cc 03.05.2024 - 07:58:56