... für Leser und Schreiber.  

Oberflächliches Pack

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© Homo Faber   
   
„Es tut mir leid, aber so lange Sie nicht die notwendigen Sicherheiten wie ein regelmäßiges Einkommen nachweisen können, können wir Ihnen ohne einen Bürgen keinen Kredit anbieten“, sprach die junge Bankangestellte. „Versuchen Sie doch noch einmal, mit Ihren Eltern zu reden.“
Ich nickte und verabschiedete mich.

Mit meinen Eltern würde ich niemals darüber reden. Meiner Mutter ging es seit der Scheidung von meinem Vater finanziell selbst nicht so gut, und ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte. Und mit meinem Vater wollte ich auch nicht reden, denn dann würde sich nur seine jetzige Frau, die gar nichts damit zu tun hatte, einmischen. Ich hatte einfach keine Lust mehr, ständig Rechenschaften über alles abzugeben. Es war ja nicht so, dass ich nicht arbeiten wollte, aber ich konnte keinen Job finden. Entweder bekam ich auf Bewerbungen gar keine Antwort, oder ich bekam Aussagen wie: „Sie passen nicht in unser Profil…“, „Im Moment haben wir leider keine Einsatzmöglichkeiten, aber sobald sich etwas ergibt, melden wir uns bei Ihnen…“ oder ähnliches zu hören. Inzwischen wusste ich schon gar nicht mehr, wo ich mich bewerben sollte, es gab ja kaum noch Jobs für Studenten, sondern fast alle Stellen waren für Arbeitslose mit Vermittlungsgutschein ausgeschrieben.
Ich fand es einfach nur ungerecht, dass Studentenjobs abgeschafft wurden und kaum jemand Bafög bekam. Was nützte es, wenn Bafög erhöht wurde, aber keinen Anspruch darauf hatte? Inzwischen bereute ich es, dass ich überhaupt angefangen hatte zu studieren. Ich wollte einfach nur noch fertig werden.

„Entschuldigung, haben Sie vielleicht ein wenig Kleingeld?“, fragte mich ein Obdachloser. Ich hatte nicht mehr viel Geld, ich musste unbedingt sparen, dennoch gab ich ihm 50 Cent. Ich konnte einfach nicht „nein“ sagen. Und auf die 50 Cent kam es auch nicht an.
„Danke, vielen Dank, einen schönen Tag“, freute er sich.
„Danke, Ihnen auch“, antwortete ich. Ich bekam mit, als er einen etwa 40-jährigen Mann ebenfalls nach etwas Kleingeld fragte. Dieser Typ trug einen Anzug, sah aus wie ein typischer Manager, auf jeden Fall schien er mehr Geld zu haben als ich. Doch er schüttelte nur mit dem Kopf.
„Diese Penner sind auch überall“, murmelte er und blieb ein paar Meter weiter an einem Mercedes stehen. Ich bekam die Wut, was bildete sich dieses reiche oberflächige Pack eigentlich ein. Als er gerade einsteigen wollte, musste ich meinen Senf dazugeben.
„Soso, diese Penner, sagen Sie? Das heißt immer noch Obdachlose. Leute wie SIE, DAS sind Penner!“, sprach ich auf ihn ein.
Er sah mich nur verdutzt an. „Reden Sie mit mir?“, fragte er dann.
„Nee, ich meine den Vollidioten neben Ihnen“, antwortete ich ironisch. „Natürlich meine ich Sie.“
„Das ist ja wohl eine Unverschämtheit, das muss ich mir ja von IHNEN nicht bieten lassen. Haben Sie irgendein Problem? `ne kleine Anzeige gefällig?“, fragte er mich wutentbrannt.
Ich lachte. „`ne Anzeige, alles klar. Nur weil Sie einen Anzug tragen und einen Benz fahren, glauben Sie wohl, dass Sie etwas Besseres sind.“
„Sie sind wohl auch so ein verdammter Sozialschmarotzer“, meinte er.
„Nein, ich bin ein armer Student, der sich nichts erlauben kann und sparen muss, um über die Runden zu kommen. Und Leute wie Sie, die Geld ohne Ende haben, sind geizig und beschimpfen die Ärmeren noch dazu. Sie und diese ganzen anderen Geldsäcke kotzen mich einfach an! Sie glauben, Ihrer Frau alles bieten zu können, die wahrscheinlich schon längst mit jemand anderen vögelt, der nicht so oberflächlich ist wie Sie.“
Er stand nur noch mit einem purpurfarbenen Gesichtsausdruck da, versuchte anscheinend etwas zu erwidern, aber brachte keinen Ton mehr hervor. Ich ließ ihn stehen.
Nein, ich wollte nicht zu so einem oberflächlichen Schlipsträger werden, der nur ans Geld dachte.

Ich hörte, wie er mit laut aufheulendem Motor und Vollgas aus der Parkbox fuhr, er musste wohl seine Wut irgendwie loswerden. Dann krachte es, als er gegen ein anderes parkendes Auto fuhr.
"VERDAMMTE SCHEISSE!", fluchte er laut. Geschieht ihm recht, dachte ich grinsend. Das würde gewiss teuer für ihn werden.
 

http://www.webstories.cc 03.05.2024 - 09:43:01