... für Leser und Schreiber.  

Edith und Manfred 1

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© Robert Zobel   
   
Die blinde Obstverkäuferin Edith Bisch hat sich in den dicken Manfred Lühr verliebt.
Der hat so eine sonore Senjorenstimme mit richtig schön Bass und Pipapo. Jeden Tag darf sie diese hören, denn jeden Tag holt er sich Birnen.
„Dickliche Birnen, aber Ihren Brüsten bitteschön ähnlich“ lacht er dann, sie fässt sich dabei scherzhaft an den Busen und sucht dann drei entsprechende Birnen nach ihren Körperformen aus.
Wenn er wieder weg ist, hat sie nicht nur ein Kribbeln zwischen den Beinen, sondern kann auch für wohlige Sekunden Farben sehen. Manfred erzeugt Gelb,- bis Brauntöne. Sie ist schon richtig süchtig danach und wenn er nur ein paar Minuten zu spät kommt, malt sie sich schon die schlimmsten Sachen aus: Manfred Lühr tot, Manfred Lühr Unfall, Manfred Lühr Fleischetarier geworden oder schlimmer, ihm gefallen andere Birnen viel besser.
Eigentlich kommt er immer genau um 14 Uhr hereinspaziert. Das es dann genau um 14 Uhr ist, weil sie um diese Uhrzeit immer einen Stromschlag bekommt. Am Hals trägt sie nämlich eine modische Stromschlaguhr. Alle 10 Minuten bekommt sie einen Schlag und wenn sie alle Schläge zusammenzählt, kennt sie Uhrzeit. Variabel stelt sie das Halsband nachts schwächer ein und zum Wecken halt gewaltiger. Diese Gerätschaft hat natürlich zur Folge, dass sie ihren Kopf alle 10 Minuten ein wenig durch den Raum wirft. Man kommt nicht direkt darauf, wenn man den Laden betritt, dass sie blind ist. Viel mehr denkt man, dass sie einen Tick hat. Eine Krankheit zwischen Tourette-Syndrom und nervösem Nervenzucken. Diese Menschbeben kann man nicht übersehen und so auch nicht Manfred, aber er sie sprach sie, anders als die anderen, darauf an:

Frau Bisch, wissen Sie, worüber ich mir Gedanken mache?

Nein!

Das Ihr hübscher Kopf Ihnen einmal, bei diesem fortwährendem Zucken, vom Rumpf fällt und Sie ihn dann als Kürbis verkaufen. Mit Ihrer Blindheit würden Sie das ja gar nicht bemerken.

Aber fühlen, Herr Lühr. Ich hab ja Haare. Der Kürbis hat keine.

Ist das eine Krankheit?

Nein, kein Kürbis hat Haare.

Nein, dieses Zucken!

Ich bin doch blind..

Ich weiß!

Und kann ja keine normale Uhr lesen und da hab ich mir ein Takthalsband gekauft. Es gibt Stromschläge in einem bestimmten Rhythmus ab und so weiß ich stets, wie spät es ist.

Oh, und wie spät ist es jetzt?

Moment. Seit heute früh, also Punkt 6, sind 48 Schläge vergangen. Es ist jetzt 14 Uhr.

Stimmt.Meine Hochachtung, aber gibt es da nicht so Uhren in Blindenschrift?

Ich bin Analphabetin und habe dazu auch noch nie gelernt, die Uhr zu lesen. Mir war es früher auch wichtiger, zu erkennen, wie man eine Orange von einer Apfelsine unterscheiden kann.

Und so wußte Manfred Bescheid und richtete seine Besuche nun so ein, dass er dieses grausames Gezucke nicht sehen muss und kam stets von 14:01 Uhr – 14:09 Uhr.
Für ihn ist die Vorstellung viel zu schlimm, dass sie ihren Kopf verkaufen könnte. Würde dies geschehen, könnte er sie nämlich nicht mehr anhimmeln. Ohne Mund wären ihm einige Fantasieabschnitte gestrichen worden.
Kam er mal zu spät, also 14:04 uhr, wartete er lieber den Zehnminutenschock ab und betritt erst dann den Laden. So hat er volle 8 Minuten zur Verfügung.
Wenn er bei ihr Birnen kauft und kein anderer Kunde im Laden ist, macht er ganz dicht vor ihrem Gesicht Faxen. Für ihn ist Blindheit nur ein komatöser Zustand der Augen und so versucht er mit immer neuen Fratzen ihre Augen zu erwecken. Drei Jahre geht das nun schon so, und er könnte mit Leichtigkeit an der Volkshochschule vier Kurse anbieten:

Fratzen für Anfänger
Fratzen für Fortgeschrittene
Fratziale Ausdrucksformen
und
Was mache ich, wenn das Gesicht so bleibt?

Irgendwas wird die Augen schon aus ihrem Schlafgehabe holen. Bei normalem Koma, also wenn der ganze Mensch schläft, gibt es ja auch ganz winzige Geräusche, leichte Düfte die sie auf einmal wieder aufwecken.
Das Ediths Augen schon seit ihrer Geburt schlafen, macht Manfred richtig wütend, aber dann denkt er sich; je länger sie schlafen, desto eher müssen sie auch wieder aufwachen. Seine Fratzen werden auf jeden Fall diesen Prozeß beschleunigen oder der Zünder sein.
Wenn sie dann auf einmal wieder sehen kann, muss er schnell reagieren und sein Gesicht wieder auf „normal“ stellen. Ansonsten hat sie für immer diesen ersten Eindruck (Fratzenclown), den sie über ihn stülpen wird. Wobei, woher soll sie wissen, wie ein normaler Mensch aussieht?
Manfred macht sich aber trotzdem hübsch für sie. Auch achtet er auf seinen Duft, übertreibt es nicht, nimmt vom Morgenurin zwei Tröpfchen und reibt sie sich hinters Ohr. Clark Cable soll das so gemacht haben, um sich für Frauen interessanter zu machen. Bewußt haben die das natürlich nicht gewußt, aber unbewußt hatten sie auf einmal mehr Augen für ihn. Unbewußt entstehen Fragen: „Wieso hat der Typ seine eigene Pisse im Gesicht?“, die dann nicht als solche ins Bewußtsein wandern, sondern in Interesse verwandelt werden.
Außerdem hat Urin ja auch heilende Wirkung und so hat Manfred, wie Cable, nie Pickel an den Tupfstellen. Mittelohrentzündung, Tinitus oder faulende Läppchen natürlich auch nicht.
Als er sie einmal in ihrem Obstfachhandel besuchte, meinte sie „Hui, Hui, verdammter Schutzheiliger der Gesichtslosen. Wie riechen Sie denn gut, Herr Lühr?“. An diesem Tag hatte er gar nichts aufgetragen, sondern war vor dem Geschäft in eine tote Katze getreten, die vor ihm die Straße überquert hat oder es vorhatte.
Aus ihrer offensichtlichen Katzenkadavervorliebe konnte er leider nichts machen. Ein Katzenmörder sein liegt eben nicht in seinem Naturell und die liegen ja auch nicht alle auf der Straße (Ausnahmen bestätigen die Scheiße). Wobei, wo bleiben die toten Straßenkatzen? Gibt es streunende Hunde, die alleine von diesen Leichen leben? Und wo bleiben die Streunerleichen? Ameisen?
Die Birnen, welche er bei ihr erwirbt, verschenkt er an Kinder oder wirft sie gegen LKWs oder Polizeiwagen. Er mag gar keine Birnen. Also rein geschmacklich gesehen. Die Form ist ihm seit Ediths Brüsten eine Wohlschau. Als er das erste Mal in ihrem Laden stand und diese sah, konnte er gar nicht anders als Birnen zu bestellen. Dabei wollte er eigentlich eine Badehose mit Gummizug kaufen und hatte sich im Laden geirrt.
 

http://www.webstories.cc 28.03.2024 - 18:41:35