... für Leser und Schreiber.  

Brief an den Vater

4
6 Stimmen
   
© Robert Zobel   
   
Hallo Papa,


ich habe gerade meine und ein paar von Deinen Sachen gepackt und bin abgehauen. Du weißt ja, dass ich den Kerim kennen gelernt habe, der zwar viel älter, aber vom Kopf her total auf meinem Level ist. Er hat ja bei den Kanälen am Schrottplatz ein Zimmer in einem leerstehendem Haus gefunden, in das wir jetzt einziehen. Loretta und Tommi sollen es ja gut haben. Du würdest mir niemals erlauben, dass ich die Kinder bekomme, aber ich lieb sie ja mal so sehr. Jetzt schon. Dabei sind sie nur in meinem Bauch und ich hab sie nur in Schwarz/weiß gesehen. Ultrahallbild. Weißt Du sicher. Das ich schwanger bin, hätte ich Dir auch gerne früher schon gesagt, aber ich wußte nicht so richtig, von wem das Kind ist und ich wollte Dir ja auch einen Vater präsentieren.
Dshalb hab ich ihn Dir ja auch vorgestellt und das er Dich geboxt hat, tut mir leid.
Er hat jetzt gegen den Abtritt seines Drogenreviers einen alten Opel Kadett bekommen, aber der macht auch so 100 Sachen. Damit kaufen wir
jetzt immer ein und er bringt mich zur Schule. Bitte warte da nicht auf mich oder so. Ansonsten geh ich da gar nicht mehr hin. Vielleicht gehe ich da auch gar nicht mehr hin und schreibe das, damit Du Dich nicht noch mehr ärgerst.
Wenn Deine Freunde zu Besuch waren, damals, habt ihr doch immer von den 68ern und Haschisch erzählt. Hab ich jetzt auch versucht und das
ist wirklich eine tolle Erfahrung. Wieso hast du aufgehört? Ich werde niemals aufhören. Kerim nimmt auch Koks und so was, aber das ist nichts für mich, meint er immer. Viel zu teuer.
Wir haben viele Freunde hier und Du brauchst Dir wirklich keine Sorgen machen. Ich bin ja auch schon 13 Jahre alt und kann auf mich selbst aufpassen. Wenn Du mir Schreiben willst, würde ich mich freuen. Wirf einfach eine Postkarte in den Müll und schreib als Adresse "Kippenjule" rauf. Irgendwie kommt das dann hier an.

Deine Tochter
 

http://www.webstories.cc 20.04.2024 - 17:55:28