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das letzte Lächeln

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© Sandra Junghans   
   
Bläulich schien der Mond durch das gemauerte Verliesfenster und ein schmaler Lichtkegel durchbrach die Dunkelheit der Zelle. Der Ruf eines Kauzes war zu hören, wenn der Wind einen Augenblick lang davon abließ zu heulen. Die Nacht war kalt und unfreundlich.
In der Ecke eines finsteren Kerkers saß ein junger Mann, kaum zwanzig Jahre alt. Seine abgemagerten Fußgelenke waren in schwere Eisenketten gelegt und blutig gerieben. Frierend kauerte er an der kalten Steinwand angelehnt und starrte durch das blaue Licht hindurch zu einem leblosen Zellengenossen, der sich seit Tagen nicht bewegt hatte.
Dumpf und leer waren seine Gedanken geworden. Hunger und Durst plagten ihn, die Schmerzen in seinen Lenden trieben ihn in den Wahnsinn. Verstummt um griff er seine Beine, rieb seine Hände an den Unterschenkeln und umklammerte sich dann fester. Die Lumpen die er Trug, schützen ihn nicht im Geringsten vor der Kälte.
Ratten huschten um die tote Gestalt des Anderen umher. Der junge Mann schluckte, doch seine Kehle war zu trocken als dass es etwas half. Zögerlich versuchte er mit der Zunge seine spröden Lippen zu benetzten.
Keuchend würgte er dann ein Husten hervor, krümmte sich sogleich vor Schmerzen in seinen Nieren.
Tiefe Schatten lagen um seine Augen herum. Schon lange reichten seine Gedanken nicht mehr zurück, an jenen Tag, als er das letzte Mal gestohlen hatte um nicht zu verhungern. An dem Tag als sie ihn gefasst und in den Kerker gesperrt hatten, sah er zum letzten Mal das Licht der Sonne in voller Pracht.
Er wusste nicht mehr, wie viele Tage und wie viele Nächte er hier schon verbracht hatte. Er starrte nur unentwegt auf die Leiche des Anderen.
Die Schreie der Gepeinigten aus den Folterkammern war diese Nacht noch nicht zu hören gewesen. Selbst das Beten für diese armen Seelen hatte er aufgegeben. Gottverlassen waren seine einzigen Gedanken dem Schmerz in seinem Unterleib gewidmet.
Er starrte in die leere seiner Zelle, nahm kaum noch etwas wahr.
Er stand am Rande des Wahnsinnes, fast verrückt durch Hunger und Durst.

Selbst als in einem Moment vollkommener Stille das schwere Eisenschloss zurücksprang rührte er sich nicht. Die verbarrikadierte Tür wurde entriegelt und öffnete sich einen Spalt weit. Hinein traten zwei muskulöse Männer und kamen auf ihn zu.

Das letzte woran er sich erinnern konnte, war ein Lächeln, das über sein Gesicht huschte.
 

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