... für Leser und Schreiber.  

Probearbeiten

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©  Luzie   
   
Heute bekam ich den erwarteten Anruf von einer Bäckerei, in der ich zu Beginn des Monats zwei Tage auf Probe gearbeitet hatte. Ich bekomme die Stelle nicht, dem Himmel sei Dank.
Dabei wäre es doch eigentlich ganz schön gewesen. Die Bäckerei lag an der Straße, wo ich wohnte, und Bäckereiverkäuferin hatte ich früher, vor langer, langer Zeit, einmal gelernt. Warum sollte ich nicht wieder etwas arbeiten können, was mir früher so leicht von der Hand gegangen war. Weil, so sagte mir meine innere Stimme heute Nacht, in der ich schlaflos über meine jetzige Situation grübelte, eine Zeit dazwischen gab, eine Zeit, in der ich mich weiter entwickelt hatte, auf dem zweiten Bildungsweg Abitur gemacht und studiert hatte. Jetzt war ich eine reife Frau mit einem erweiterten Horizont, der es mir schwer machte, wieder nahtlos an meine früheren Tätigkeiten anzuknüpfen.

Früher war ich problemlos in die Rolle der Bäckereiverkäuferin hineingeschlüpft, hatte meine Persönlichkeit die Schürze der Verkäuferin übergezogen und war hinter den Tresen gegangen, um routiniert und flink Brot, Brötchen und andere Köstlichkeiten zu verkaufen, immer freundlich und mit einem Lächeln auf den Lippen.
Besaß ich heute überhaupt noch eine Persönlichkeit, die willig, je nach Tätigkeit, ein passendes Kostüm überstreifte? Oder hatte sie sich im Laufe der Jahre unter Mühen zwar, aber durchaus gewollt, dem Menschen angenähert, der ich war, so dass ich niemanden mehr fand, der eine Schürze bereitwillig anzog, um mir ihr eine Rolle zu spielen, die ich einmal beherrscht hatte.

Ich war hoch erfreut, als das Telefon klingelte und die Chefin der Bäckerei, bei der ich mich zwei Tage zuvor beworben hatte, mich zu einem persönlichen Gespräch bat. Nach kurzem Warten im Laden, während dessen ich schon einen kleinen Blick auf den vermutlichen Chef werden konnte, einem hässlichen, gedrungenen, ungepflegt wirkenden Mann, dessen Kopf mit schwarzen Haaren und einem Eintagebart zugewachsen zu sein schien, schob dieser sich schließlich um die Ecke.
Mein Vorstellungsgespräch blieb ein Gespräch zwischen Tür und Angel im Stehen. Wir kamen überein, dass ich in der nächsten Woche für zwei Tage probearbeiten würde. Auf dem Nachhauseweg ging mir durch den Kopf, dass der erste visuelle Eindruck, den ich von meinem Chef in spe bekommen hatte, zu seinen Umgangsformen passte. Man führte kein wichtiges Gespräch im Stehen. Auch von einem Arbeitgeber konnte man ja wohl ein Mindestmaß an Höflichkeit erwarten.

Am vereinbarten Tag erschien ich annähernd pünktlich, ich war fünf Minuten zu spät, aber dafür frisch um 5.35 Uhr im Laden, der schon geöffnet hatte. Nach kurzer Begrüßung suchte meine Chefin eine Schürze heraus, die mir viel zu groß und die an den Trägerkanten mit Rüschen besetzt war. Nun ja, ich versuchte darüber hinwegzusehen und öffnete mich ganz der neuen Arbeit, die auf mich wartete. Aber zunächst einmal schien es so, als würde mich meine neue Chefin ignorieren, und somit gab es keine Arbeit. Ich stand an der Ecke des Tresens und sah ihr zu, wie sie hektisch hin und her lief, Kunden bediente, Brötchen schmierte und Bestellungen erledigte. Nach einer ganzen Weile erinnerte sie sich an mich. Ich durfte aus dem Kühlhaus in der Bäckerei ein Blech mit Kuchen holen. Ich schlidderte in die kleine Bäckerei und kam darüber zu, wie mein Chef seinen Gesellen runterputzte und zurechtwies. Er schien ernsthaft verärgert zu sein. Das kann ja auch einmal vorkommen, dachte ich und ahnte nicht, dass diese Situation keine Ausnahme, sondern die Regel war.
Zunächst einmal verrichtete ich Handlangertätigkeiten, arbeitete mich dann zur Brötchenschmiererin empor, wobei mich ein heftiges Unwohlsein überfiel nach einem Blick in eine große Plastikschüssel, die ihrerseits wieder in einer Schublade untergebracht war, und in dem weiche, fast flüssige Butter schwamm zusammen mit später dazu geworfenen festeren Butterklumpen, und durfte schließlich nach einiger Zeit auch Brötchen verkaufen. Das ging allerdings nicht so reibungslos, wie ich mir das vorgestellt hatte. Früher hatte es höchstens vier Brötchensorten gegeben, heute war es eine fast unübersehbare Zahl, die noch dazu ziemlich durcheinander und ohne Kennzeichnung in einem großen Fach lag.
So wurde meine Spontanität durch Zögern, Fragen und Überlegen gebremst, der Umgang mit der Kasse wollte auch gelernt sein und Dinge, die für meine Chefin das Selbstverständlichste der Welt waren, waren für mich unbekannt. Ich fühlte mich unbeholfen und war weit davon entfernt, die Schnelligkeit zu entwickeln, die doch heutzutage überall verlangt wurde, wie man mir zu verstehen gab.
Am Ende des zweiten Tages kamen bei mir ernsthafte Zweifel auf, ob ich wirklich bereit war, in diesem Betrieb zu arbeiten, in dem der Chef ein notorischer Nörgler zu sein schien und in dem mich meine Chefin zwar selbstverständlich duzte, ich sie aber in der dritten Form ansprach, weil sie offensichtlich Wert darauf legte.

So scheint es doch noch eine Vorsehung zu geben. Ich eigne mich einfach nicht mehr als Bäckereiverkäuferin, das muss ich einsehen. Fähigkeiten, die man als Kind problemlos beherrschte, bereiten einem als Erwachsenen eben auch Schwierigkeiten.
 

http://www.webstories.cc 10.05.2024 - 06:44:39