... für Leser und Schreiber.  

Warum ist hier denn niemand?

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© Pia Dublin   
   
Opa Kopi ging jeden Abend kurz vor Ladenschluss in den großen Supermarkt bei sich „umme Ecke“. Wenn man ihn fragte, wieso er immer erst kurz vor Ladenschluss auftauchte, sagte er: „Weil dann manche Sachen billiger sind. Die müssen ja weg.“
Davon ließ er sich nicht abbringen. Die Damen an den Kassen allerdings vermuteten, dass er es tat, um die Berufstätigen zu ärgern, die es immer eilig hatten. Opa Kopi hatte es nie eilig. Er war immer der letzte, der den Supermarkt verließ.
„Watt wollen die denn machen?“ grummelte er, „mich im Laden einschließen?“
Er kaufte Weißbrot, Butter, ein Gläschen Marmelade, abgepackte Mortadella, ab und zu ein Dosenbier. Aber nur eins. Er wollte es nicht übertreiben.
Es passierte an einem Dienstag. Eine halbe Stunde vor Ladenschluss (und das war früh für seine Verhältnisse) zog er sich die Strickjacke über, schob seine dicken Füße in die bequemen Schluppen und machte sich auf in den Supermarkt. An einem der hinteren Kühlregale dachte er darüber nach, ob er einen Curry King mitnehmen solle. Den hatte er im Fernsehen gesehen und mein Gott, war Elvis schon lange tot!
Er überlegte recht lange, nahm einen Curry King, legte ihn zum Weißbrot, Butter, Marmelade und Mortadella und schob sich und den Wagen Richtung Kassen.
Es war niemand da. Keine hektischen Büroangestellten, keine Jugendlichen mit Alkopops, keine Damen an den Kassen. Niemand.
Er rieb mit Daumen und Zeigefinger über seine Brillengläser, sah sich um und rief: „Hallo?“
Es antwortete auch niemand.
Jetzt isset passiert, dachte er, ich habe die Durchsage nicht mitbekommen und jetzt haben sie mich eingeschlossen. Und ich weiß nicht einmal, wann der Wachdienst kommt. Wieviel Zeit habe ich?
Er legte seine Sachen auf das Laufband und schluffte zurück in die Gangreihe, wo die richtig teuren Spezialitäten standen. Die Ausländischen. Er nahm von jedem nur ein Glas, eines ganz von hinten und nahm aus jedem Glas nur ein oder zwei Stücke heraus, die er mit den Fingern aß. Artischockenherzen. Sardellen. Er legte sich Lachs auf Cracker. Er stippte Cracker in Knoblauchsauce. Er nahm Stückchen vom Ziegenkäse. Er öffnete sogar eine Flasche Wein, nahm zwei Schlucke und stellte sie wieder ganz nach hinten in das Regal. Er genoss jeden Bissen und sorgte dafür, dass auf dem ersten Blick (sollte der Wachdienst kommen) alles unberührt aussah.
Nach einer halben Stunde, die er in der hinteren Ecke seines Supermarktes verbracht hatte, hörte er Stimmen, die näherkamen, er rückte das letzte Glas, die letzte Dose zurecht und rief mit ängstlicher Stimme: „Hallo? Warum ist hier denn niemand?“
Eine Kassiererin und ein Feuerwehrmann in voller Montour, den Helm unter dem Arm geklemmt, kamen um die Ecke.
„Och, Herr Koppmann, watt machen sie denn hier?“
Er wurde sorgsam am Arm gefasst und zur Kasse begleitet.
„Ham se denn die Durchsage nicht mitbekommen? Wir hatten einen Feuerarlarm, war aber nur eine Fehlmeldung.“
„Ich habe mich schon gewundert“, sagte Opa Kopi, „dass hier plötzlich keiner mehr war.“
Er schaffte es, ängstlich und verwirrt auszusehen, bis er seine paar Sachen bezahlt und den Supermarkt verlassen hatte. Draußen rülpste er herzhaft und schlenderte gut gelaunt nach Hause.
 

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