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Fragen an den Tod

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©  H. Seeg   
   
Die Menschen kümmern sich im Leben um den Tod. Sie finden es schrecklich und erschreckend den Gedanken der Endlichkeit der eigenen Existenz zu denken. Was für ein Gedanke? Irgendwann ist man einfach nicht mehr da. Irgendwann steigt man in einen ewigen Schlaf. Irgendwann ist man nur noch eine tote Hülle. Wie groß ist die Angst der Menschen vor diesem Gedanken?
Helfen wir uns nicht selbst indem wir uns damit trösten, dass wir wiedergeboren werden, dass wir in den Himmel kommen, dass wir als Geist weiterhin auf der Erde wandeln? Versuchen wir damit nicht einfach uns zu trösten? Wollen wir uns damit nicht aufbauen, uns die Angst nehmen? Eine Angst, die wir nicht hätten, könnten wir nur im Heute leben? Eine Angst, die uns nur gegeben ist, da wir um die Endlichkeit wissen, die uns umgibt. Wir wissen um die Endlichkeit unserer eigenen Existenz, um die Endlichkeit der vielen Geschöpfe, die auf dieser Erde wohnen. Wir wissen darum und nur aus diesem Grund gibt es diese Angst. Nur aus diesem Grund gibt es dieses Gefühl.
Doch was ist dieses Gefühl? Was sind diese Gedanken an die Zukunft? Sind es nicht einfach nur Signale und biochemische Reaktionen, die uns evolutionär irgendwann einmal in unsere sterbliche Hülle gelegt wurden? Und wenn das alles so zu begründen ist, ist dieses Gefühl, diese Angst dann noch wichtig? Unser Gehirn betrügt uns täglich. Es betrügt uns in unserer Wahrnehmung, es betrügt uns in unserem Tun. Wir sind nicht vollkommen frei. Wir sind ein Opfer dieser Prozesse. Wir sind nichts weiter als anatomisch begründbare Reaktionen. Ist es, wenn man aus dieser Sicht die Welt betrachtet nicht gleichgültig ob wir Leben? Ist es nicht gleichgültig ob wir sterben? Und betrachten wir uns die Welt mit ihren Milliarden von Menschen. Fallen wir dann überhaupt noch auf? Werden wir nicht irgendwann ohnehin vergessen sein? Ein Licht, das für einen kurzen Moment aufflammte und sofort wieder erlosch? Ein Licht, das vom Sturm des Lebens getrieben, immer wieder beinahe zum erlöschen gebracht wurde, ohne dass wir Angst empfanden? Weil wir es oftmals einfach nicht bemerkten. Weil wir es einfach nicht abschätzen konnten.
Für einen Toten ist der Tod nicht schlimm. Es sind vielmehr die Lebenden, die es nicht ertragen können, einen Menschen zu verlieren. Sie versuchen sich zu trösten, indem sie Gräber anlegen und sie pflegen. Beinahe so, als wollten sie sich ein reines Gewissen vor jenem Verschaffen, der sie nun nicht mehr sehen kann. Und den die lebenden nicht mehr sehen können. Warum sonst würden wir einen solchen Totenkult betreiben? Warum sonst betrauern wir für eine Ewigkeit die Menschen, die nun nicht mehr unter uns sind? Wem nützt dies alles? Doch nicht dem Toten. Es nutzt nur den Menschen, die noch unter uns sind. Doch auch dieser Totenkult bringt einen Menschen nicht mehr zurück. Wie oft sagen wir, wir können einen Menschen nicht vergessen? Wie oft heucheln wir, wenn es um die Toten geht? Denken wir wirklich weiterhin an sie? Oder denken wir vielmehr an uns selbst?
Und nach diesen Gedanken frage ich mich, ob wir nicht einfach die Zukunft ausblenden sollten? Sollten wir nicht einfach leben? Ohne nach den Konsequenzen zu fragen? Warum hecheln wir danach keine Fehler zu machen? Warum sind wir nicht einfach Menschen? Wen werden die Fehler unseres Lebens interessieren, wenn wir nicht mehr Leben? Den Toten sicherlich nicht. Also sollten wir Leben. Wir sollten unser Herz fliegen lassen. Wir sollten es genießen. Wir sollten...
Doch eines, das möchte ich sicherlich nicht. Ich möchte nicht ewig Leben. Ich möchte zurückblicken können und sagen: „Das war mein Leben. Ich habe nichts verpasst.“
Der Zeitpunkt ist egal. Furchtbar egal. Der Tod ist nichts wirklich schreckliches. Er ist ein Teil von mir, ein Teil von jede Menschen. Der Tod ist das Einzige, das unser Leben an Sicherheit bietet. So nehme ich ihn an. Ich fürchte mich nicht vor dem Ende. Ich fürchte mich nur vor dem ewigen Leben. Und immer wieder stelle ich mir nur eine Frage: War mein Leben bis heute jenes Leben, das ich in meinen letzten Sekunden mit einem Lächeln verlassen will? Ohne eine Sekunde des Zweifels?
 

http://www.webstories.cc 02.05.2024 - 15:00:14